Protokoll der Sitzung vom 18.11.2015

Den Antrag der CDU-Fraktion „Wirksame Umsetzung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes - Siebzehn Maßnah men zur unverzüglichen Rückführung ausreisepflichtiger Aus länder“ lehnen wir ab.

Ich sage es noch einmal: Wir als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen auch mit den neuen Bundesgesetzen keine Abschreckungs- und Abschiebepolitik im Land Brandenburg. Wir unterstützen die Landesregierung darin, dass sie auf die freiwillige Ausreise von Menschen setzt und damit auch ihrer rechtlichen Verpflichtung nachkommt. Denn gemäß § 58 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ist eine Abschiebung erst mög lich, wenn die freiwillige Erfüllung der Ausreise nicht gesi chert ist. Auf diesen Vorrang der freiwilligen Ausreise vor der zwangsweisen Rückführung weist dankenswerterweise auch das Ministerium hin.

Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, sagte in einem Interview:

„Wir haben allein in unserem Bundesland mehr freiwilli ge Rückführungen als offizielle Asylablehnungen durch das Bundesamt. Würden wir uns auf das BAMF verlas sen, wären wir wahrlich verlassen.“

Die Debatte darf sich aus unserer Sicht nicht auf Abschiebung, Transitzentren, Ausreisezentren, Einwanderungszentren oder Ausreiseeinrichtungen fokussieren, wie das in dem Antrag ge macht wird. Laut dpa teilte das brandenburgische Innenmini sterium am 6. November 2015 mit, dass in den Erstaufnahme stellen im Land Brandenburg derzeit ohnehin nur 46 Menschen aus den entsprechenden Balkanländern seien. Hinzu kommt, dass die konsequente Abschiebung ausreisepflichtiger Men schen oftmals faktisch und rechtlich schlicht unmöglich ist, zum Beispiel aufgrund der Bindung an eigene minderjährige Kinder, aufgrund von Reiseunfähigkeit, wegen unterbrochener Verkehrswege oder fehlender Papiere.

Ich freue mich, dass Herr Ministerpräsident Woidke anlässlich eines Spitzentreffens gegenüber der Bundesregierung sagte:

„Es wäre ein starkes Signal, wenn wir langsam anfangen, über die Hauptaufgabe der kommenden Monate und Jah re zu reden, und das ist die Integration der Menschen.“

Ich freue mich, dass der Aufruf „Bündnis für Brandenburg - Vielfalt ist unsere Zukunft“ jetzt dieses Signal setzt.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE und SPD)

Für meine Fraktion sind in dieser schwierigen Situation bei der Umsetzung der Neuregelungen im Asylverfahren vor allem zwei Punkte wichtig:

Erstens: Dort, wo die Bundesgesetze Handlungsspielräume er öffnen, müssen diese genutzt werden. Wir möchten diese Spielräume zum Wohle des Landes und im Interesse der Flüchtlinge menschenrechtsorientiert ausfüllen.

Zweitens: Dort, wo uns die Gesetze neue Möglichkeiten eröff nen, unseren Umgang mit den Flüchtlingen zu verbessern, müssen diese umgesetzt und genutzt werden. Dafür setzen wir uns mit unserem Antrag „Spielräume nutzen, Bundesgesetze menschenrechtsorientiert umsetzen!“ ein.

Durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz können nun mehr wieder vermehrt Sachleistungen statt Bargeld ausgereicht werden, sowohl in den Erstaufnahmeeinrichtungen als auch in den Gemeinschaftsunterkünften. Das Sachleistungsprinzip ist

nicht nur diskriminierend, es verursacht einen hohen bürokra tischen Aufwand. Wir fordern daher die Landesregierung dazu auf, in der Erstaufnahmeeinrichtung für den notwendigen per sönlichen Bedarf Barzahlungen zu leisten und auf eine entspre chende Regelung auch in den Gemeinschaftsunterkünften hin zuwirken.

Wir freuen uns über die Ankündigung der Landesregierung, Sprachkurse auch den Flüchtlingen anzubieten, die von der Neuregelung im Aufenthaltsgesetz nicht profitieren. Wir for dern, dass Asylsuchende, die keinen Anspruch auf einen Inte grationskurs haben oder für die die Kapazitäten beim Bundes amt erschöpft sind - denn diese Kapazitäten reichen nicht aus -, trotzdem die Möglichkeit bekommen, sich in Brandenburg durch das Erlernen der deutschen Sprache zu integrieren.

(Beifall B90/GRÜNE)

Auch unterstützen wir die Landesregierung in ihren Bemü hungen, gemeinsam mit den Landkreisen und kreisfreien Städ ten endlich die elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge einzuführen. Wir fordern sie dazu auf, alles zu tun, damit diese so schnell wie möglich an die Geflüchteten ausgereicht werden kann. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz hat nun näm lich noch einmal deutlich gemacht, dass das Land hier tätig werden kann.

Auch bei der Umsetzung des bereits im August in Kraft getre tenen Gesetzes zur Aufenthaltsbeendigung und zum Bleiberecht sollte die Landesregierung die Menschenrechte der Betroffenen im Blick haben und Möglichkeiten zur besseren Integration langjährig Geduldeter nutzen. Abschiebehaft darf für uns nur als Ultima Ratio in Betracht kommen. Gemäß den Anforderun gen der Europäischen Rückführungsrichtlinie und der Neurege lung im Aufenthaltsgesetz muss schutzbedürftigen Personen in Abschiebehaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hilfsorganisationen muss auch ohne Antrag der Zugang zu in haftierten Personen in Abschiebehaft gewährt werden.

Zudem erfordert es die Willkommenskultur im Land Branden burg, dass Flüchtlingen neben ihren Pflichten auch aktiv ihre Rechte und Möglichkeiten zum Verbleib im Land deutlich ge macht werden. Die Landesregierung sollte aktiv darauf hinwir ken, dass zum Beispiel Geduldete mit neuer Bleibeperspektive, die schon seit Jahren in Deutschland leben und integriert sind, auch hierbleiben dürfen.

Gemeinsam müssen wir dafür Sorge tragen, dass in Brandenburg ein humaner Umgang mit Menschen in Not gewährleistet bleibt, bürokratische Hindernisse abgebaut werden und die Integration der Geflüchteten in die Gesellschaft vorangetrieben wird.

In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem An trag.

Den Kollegen Lakenmacher möchte ich hiermit gerne zu einer Tasse Kaffee einladen und mich mit ihm noch einmal über den Begriff der Völkerwanderung unterhalten. Wir haben ja jetzt auch so viele Lawinen und Fluten, die allseits auf uns herein strömen. Ich denke, seit sich der Homo sapiens aus seiner Wie ge in Ostafrika über die Welt verbreitet hat, hat es immer Wan derungsbewegungen auf dieser Welt gegeben, und es wird auch immer weiter Wanderungsbewegungen geben.

(Gelächter bei der AfD)

Vielleicht sollte man da mit den Vokabeln ein bisschen sensibel umgehen. - Herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Kurth.

Herr Vizepräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Als Verdi-Mitglied sei mir gestattet, zu sa gen: Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Blicken wir zurück! Im Angesicht einer bislang beispiellosen Zahl von Geflüchteten, die unser Land erreichen, ist vor weni gen Wochen der zweite deutsche Asylkompromiss verhandelt worden. Er wurde in der Großen Koalition beschlossen, und wesentliche Teile waren zustimmungspflichtig. Somit waren auch die Bundesländer, waren auch die Landesparlamente mit diesem Thema befasst.

Auch wir hier im Landtag haben in der 17. Plenarsitzung an lässlich einer von der CDU-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde zum Thema „Brandenburgs Position beim Flüchtlings gipfel“ sowie am Tag darauf, am 25. September, im Rahmen der von der SPD-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde zum Thema „Zuwanderung gestalten - Das tolerante Brandenburg stärken“ diskutiert.

Der zweite Asylkompromiss war - wie schon der erste - nicht einfach und hat manchem Beteiligten Schmerzen bereitet, auch deshalb, weil Kompromisse immer Annäherung bedeuten und mit der Abkehr von Maximalforderungen verbunden sind. Heute erleben wir hier im Landtag eine Fortsetzung des Rin gens um den besten Weg und auch um die Deutung des Kom promisses. Die vorliegenden Anträge von CDU und BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN machen dies sehr deutlich.

Während die CDU ihren Schwerpunkt auf die wirksame Um setzung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes legt, be antragen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die neuen Spielräume zu nutzen, um die Bundesgesetze menschenrechtsorientiert umzusetzen. Beide Anträge entsprechen damit denjenigen Re aktionen, die auf Bundesebene bereits Stunden nach dem Kompromiss zu hören waren. Der CDU gingen die Regelungen zur Ausreisepflicht nicht weit genug, sie wurden bezüglich der Umsetzung als zu unkonkret angesehen, und die Grünen wollten weiterhin am Bargeldprinzip festhalten und die zwangs weise Durchführung der Ausreisepflicht als Ultima Ratio noch deutlicher fassen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, uns fehlt im Rahmen dieser Debatte die Zeit für eine intensive Fachdebatte über die sehr detaillierten Anträge. Daher nur einige kurze Anmer kungen zu diesen Anträgen: Der Antrag der CDU-Fraktion listet die wesentlichen Punkte der gesetzlichen Neuregelung akri bisch auf. Wir, die Abgeordneten im Landtag Brandenburg, sollen nun beschließen, dass die neuen gesetzlichen Rege lungen in Brandenburg auch wirklich umgesetzt werden. Die ser Antrag ist entbehrlich. Er ist entbehrlich, weil sich die Lan desregierung - davon bin ich fest überzeugt - natürlich an

Recht und Gesetz hält. Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - wir hatten heute schon verschiedene Artikel zitiert -, wonach die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist, gilt natürlich auch in Brandenburg und auch dann, wenn sich Bran denburg im Bundesrat bei der Abstimmung über ein Gesetz enthält. Für Zweifel daran gibt es weder Veranlassung noch Hinweise, das will ich betonen.

Lassen Sie mich das anhand einer Detailregelung des Antrags noch einmal deutlich machen: Bereits sehr frühzeitig hat das Ministerium des Innern und für Kommunales begonnen, die Kapazitäten der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung deutlich zu erweitern. Der Minister hat darüber immer wieder im zu ständigen Ausschuss berichtet. Dies hilft uns jetzt, die vor we nigen Wochen neu gefassten Regelungen - die von der CDU zutreffend aufgelistet worden sind - umzusetzen. Dazu gehört unter anderem, dass Kommunen grundsätzlich keine ausreise pflichtigen Ausländer aufnehmen sollen, und dazu gehört der Verbleib der Asylbewerber in der Erstaufnahmeeinrichtung bis zur Bescheidung ihres Antrags. Davon wollen wir nur abwei chen und müssen das dann aber auch, wenn Kapazitätsengpäs se vorliegen. Zur Wahrheit gehört an dieser Stelle, dass wir nicht Herr des Verfahrens und der Fristen des BAMF - des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - sind. Hier kommt es noch immer zu inakzeptabel langen Wartezeiten, die sich letztlich auf die Aufenthaltsdauer in der Zentralen Erstaufnah meeinrichtung auswirken und dort zu eben diesen Kapazitäts problemen führen.

(Dr. Redmann [CDU]: Aber Sie sind Herr der Kapazi täten!)

Darunter leiden Kommunen wie Asylsuchende gleichermaßen.

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Landesregierung soll verpflichtet werden zu gewährleisten, dass der notwendige persönliche Bedarf in der Erstaufnahme einrichtung und deren Außenstellen regelmäßig durch Bargeld und nicht durch Sachleistungen gedeckt wird, weil der Verwal tungsaufwand unvertretbar hoch wäre. Die Landesregierung soll auch darauf hinwirken, dass in den Gemeinschaftsunter künften der Kreise und kreisfreien Städte Bargeld anstelle von Sachleistungen gewährt wird. Beides widerspräche dem Asyl verfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015, mit hin dem mühsam ausgehandelten Kompromiss. Denn der Ver waltungsaufwand in der Erstaufnahmeeinrichtung ist bislang nicht geprüft, und nur, wenn er unvertretbar hoch ist, darf vom Sachleistungsgebot abgewichen werden. Im Falle des Einwir kens auf die Ausländerbehörden der Kreise und kreisfreien Städte griffen wir überdies unzulässig in deren Ermessen ein.

Beide Anträge sind aus den genannten Gründen abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Vielen Dank. - Für die Fraktion der AfD spricht jetzt der Abge ordnete Jung.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz gilt seit Oktober

2015, aber offensichtlich nicht für Brandenburg. Das Gesetz klärt in 17 Maßnahmen, welche ausreisepflichtigen Ausländer wie abgeschoben werden müssen - nicht können, ausdrücklich müssen.

Zwar eröffnet das Gesetz gewisse Handlungsspielräume für die Länder, doch das heißt nicht, dass Brandenburg sich über das Bundesrecht hinwegsetzen darf. Insbesondere gilt dies für Aus länder aus den sicheren Herkunftsstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien.

Von Januar bis September sind 11 529 Asylanträge in Branden burg gestellt worden. Davon wurden 1 608 Personen als Asyl berechtigte anerkannt, 3 204 Personen wurden abgelehnt. Brandenburg schob in diesem Zeitraum lediglich 321 Ausreise pflichtige ab.

Meine Damen und Herren, haben Sie hierfür eine Erklärung? Nutzen Sie so großzügig Ihren Handlungsspielraum, der durch diese Gesetzeslage nicht möglich ist? 7 983 Anträge wurden bis Ende September noch gar nicht bearbeitet, und zwischen zeitlich sind noch etliche Tausend dazugekommen. Wir wissen alle, dass wir bei mehr als 32 000 Asylanträgen in Brandenburg bis zum Jahresende durch stures Nichtstun niemandem einen Gefallen erweisen.

Ihre Partei hat das Bundesgesetz mit unterschrieben. Halten Sie sich daran, schieben Sie konsequent ab! Insofern unterstüt zen wir die Forderung der CDU.

Und wie ist es mit dem Passus Sachleistungen statt Geld? Für ausreisepflichtige Ausländer sollen diese Regelungen strikt um gesetzt werden, ohne Ausnahme. Ausreisepflichtige mit einem Ausreisetermin sollen bis zur Abschiebung grundsätzlich nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs, für die Unterkunft und Körperpflege erhalten, keine Geldleistungen. So steht es in § 1 Abs. 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Das soll nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes auch für Geduldete gelten, die krank sind oder nicht in ihre Heimat abgeschoben werden kön nen.

Wir fordern die Landesregierung auf, die Abschiebung konse quent durchzuführen, damit diese kollektive Verantwortungslo sigkeit in den Kreisen aufhört, und wir fordern, dass es zur Chefsache der Landesregierung gemacht wird, diese Abschie bungen durchzuführen. Wir wissen alle, dass durch diese Pro blematik die Sozial- und Verwaltungsgerichte mit entspre chenden Klagen überzogen werden, und dass die Leute im Grunde hingehen und diese Spielräume ausnutzen.

(Domres [DIE LINKE]: Rechtsstaatliches Verfahren, Herr Jung!)

- Ja. - Und wenn Sie dann noch eine Gesundheitskarte einfüh ren, kommen wir in die Situation, dass sich die Leute krank melden

(Domres [DIE LINKE]: Vielleicht sind sie krank? Immer diese Unterstellungen!)