Protokoll der Sitzung vom 19.11.2014

(Beifall B90/GRÜNE)

Wir denken, das ist keine Gedankenlosigkeit, sondern Absicht. Unbequemen Zielsetzungen und Forderungen nach einer anderen Politik geht man so am besten aus dem Weg.

Nehmen wir uns als Beispiel eines bewussten Ausblendens einer nachhaltigen Entwicklung die Energiepolitik vor: Es gibt etliche lösbare Schwierigkeiten, die der vollständigen Umstellung unserer Stromversorgung auf erneuerbare Energien entgegenstehen. Das ist wahr. Dass die Kosten für die Energiewende ungerecht verteilt sind, ist auch richtig. Welchen Anteil die Landesregierung mit ihrem Eintreten für die weitestgehende Befreiung energieintensiver Betriebe von der EEG-Umlage hat, das wird allerdings verschwiegen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Aber der rote Faden der Koalitionsvereinbarung ist gerade nicht die Energierevolution und die schnellstmögliche Umstellung auf erneuerbare Energien, sondern die Absicherung einer möglichst langfristigen Zukunft für die Braunkohleverstromung in der Lausitz. Das Bekenntnis zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wird damit vom starren Festhalten an der Braunkohleverstromung auch für die Zeit nach 2030 untergraben. Dabei wird man bewusst sprachlich ungenau. Gerade so, wie einige zum Arzt gehen und sagen, sie hätten „Rücken“ oder „Schulter“, und meinen, damit die Probleme ausreichend beschrieben zu haben, so bietet uns die Regierung „Braunkohle

als Brückentechnologie“ und meint, damit die Lösung für die Probleme der Energiewende bereits ausreichend angegeben zu haben.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Nur, Braunkohle ist gar keine Technologie, Braunkohle ist als fossiler Energieträger ein endlicher Rohstoff. Er besteht zu mehr als 50 % aus Wasser und muss zunächst aufwendig getrocknet werden, bevor er in ineffizienten Kraftwerken pro Kilowattstunde Strom 2 Kilowattstunden Abwärme, 1 Kilogramm CO2 und etliche Mikrogramm Quecksilber freisetzen kann. Und als endlicher Rohstoff: einmal verbrannt, für immer weg.

Die hierfür eingesetzte Technologie sind mehr oder weniger modernisierte Großkraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung, die zum Teil noch aus der DDR stammen und die ihre immer wieder hinausgeschobene Nutzungsdauer sukzessive erreichen werden.

Angesichts der bevorstehenden Absage des schwedischen Eigentümers, also des Staates Schweden, von Vattenfall an die Fortführung der Braunkohlenutzung und den damit verbundenen dramatischen Umweltschäden, für die Schweden nicht mehr verantwortlich sein will, die bereits heute unter anderem den Spreewald-Tourismus und die Wasserversorgung von Gemeinden entlang der Spree bedrohen, wäre es wichtig, die Lausitz bei der Energiewende zu unterstützen, anstatt ihr im Koalitionsvertrag mit der „Weiter so!“-Strategie die Entwicklungschancen zu verbauen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Wenn Vattenfall nun seine Braunkohlesparte verkaufen will, so folgt dies knallharter betriebswirtschaftlicher Logik und ist weniger den Interventionen der Landesregierung geschuldet. Vattenfall erkennt, dass die Zeichen der Zeit gegen die Braunkohle stehen. Nachdem der Konzern in den letzten Jahren Milliardengewinne an Land gezogen hat, will dessen Geschäftsführung die Abwicklung des Auslaufmodells Braunkohleverstromung anderen überlassen.

Dass die SPD diese Verkaufsabsichten unterstützt, anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den schwedischen Großkonzern hier zu halten und einen schrittweise und sozialverträglichen Ausstieg aus der Braunkohle abzuverlangen, ist kurzsichtig und für die Lausitz fatal.

(Beifall B90/GRÜNE)

Es geht uns übrigens auch nicht um einen Sofortausstieg, sondern wir sprechen von dem Zeitraum bis 2030. Im Gegensatz auch zur Meinung der Landesregierung ist der von uns und vielen Initiativen geforderte Plan B als nachhaltige Alternative zur Genehmigung neuer Tagebaue nicht die Ansiedlung neuer Großunternehmen. Erste Schritte wären, den bereits existierenden und vom Fachkräftemangel bedrohten Unternehmen in der Lausitz neue Perspektiven zu eröffnen und die Finanzierung auch der Lausitzer Hochschule durch Weiterreichung aller BAföG-Mittel auf sichere Beine zu stellen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Welche Schwerpunkte die Unternehmenslandschaft in der Lau

sitz künftig setzen soll, kann vor Ort besser entschieden werden als von Potsdam aus. Aufgabe der Landesregierung ist es daher auch nicht, diesen Plan B von oben zu oktroyieren, sondern die schon weit gediehenen regionalen Ansätze zu stärken.

Stichwort Landwirtschaft: Die Brandenburger Landwirtschaftspolitik ist leider keine Erfolgsgeschichte. Trotz beispielloser Subventionen von 400 Millionen Euro pro Jahr sinkt der Anteil der Landwirtschaft am Volkseinkommen stetig. Viel schlimmer ist aber, dass die heimische Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren 1 400 Betriebe verlor. In einem durchrationalisierten Agrarbetrieb sind gerade noch fünf Arbeitskräfte pro 1 000 Hektar tätig. Immer mehr monostrukturierte agrarindustrielle Betriebe machen den ländlichen Raum kaputt. Dabei zerstören sie nicht die Umwelt - nein, nein -, sondern die soziale Gemeinschaft auf den Dörfern, weil sie immer weniger Beschäftigungswirkung haben.

Zunehmend wird die in der Landwirtschaft noch stattfindende Wertschöpfung aus dem Land abgezogen, weil sich überregionale Kapitalgesellschaften gar nicht erst mit dem Erwerb einzelner Flächen aufhalten, sondern gleich ganze Betriebe übernehmen und in ihre Holdings eingliedern. Der Jahresüberschuss landet dann in Hamburg oder Osnabrück, die Brandenburger Dörfer dagegen gucken in die Röhre. Die vielfältigen Landwirtschaftsstrukturen, die der Ministerpräsident vorhin angesprochen hat, sind dann bald perdu.

In der Enquetekommission 5/1 wurde das Problem des LandGrabbings in der letzten Legislaturperiode bereits erstmals benannt und wurde auf Antrag der Fraktionen der CDU und B90/GRÜNE eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die zwar einzelne Vorschläge zur Begrenzung des Flächenerwerbs durch ortsfremde Finanzinvestoren machte, aber keine überzeugenden Ideen gegen Betriebsübernahmen einbrachte und vielleicht auch gar nicht einbringen konnte.

Das Problem liegt, denke ich, auch in der Haltung der Landesregierung und des Bauernverbandes begründet, allen wohl und keinem wehe zu sein. Die naheliegenden Lösungen von Degression und Kappung bei der Flächenprämie und der Umlenkung maximaler Mittel aus der Flächenprämie in die zweite Säule wurde unter anderem vom Landeswirtschaftsministerium verhindert. Im Ergebnis gehen die Konzentrationsprozesse ungehemmt weiter - hin zu einem, wie es Wissenschaftler nennen, neo-feudalen System, in dem einzelne Unternehmen nicht nur einzelne Dörfer beherrschen, sondern über die Landwirtschaftsflächen ganzer Kreise verfügen und die kommunalen Gebietskörperschaften vor sich hertreiben können. Das ist auch eine Bedrohung der Demokratie auf dem Land.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt AfD)

Schlimm genug, aber nicht weniger schlimm ist, dass Brandenburg zunehmend zum Eldorado für Schweinebarone und Hühnermäster wird. Allein in den letzten fünf Jahren hat das Landwirtschaftsministerium 70 Millionen Euro für die Tierhaltung locker gemacht, die insbesondere in der Hühnerhaltung zu bundesweit einmaligen Tierkonzentrationen auf engstem Raum geführt haben. Von den 5,7 Millionen Legehennenplätzen konzentrieren sich 4,9 Millionen an nur drei Standorten - alle südlich von Berlin.

Allein in Bestensee wurden 6,6 Millionen Euro für den Bau

und die Umrüstung von 29 Ställen mit insgesamt 1,8 Millionen Hühnern ausbezahlt, in Neuhausen an der Spree erhielt eine andere GmbH für fünf Legehennenställe mit 1,6 Millionen Tierplätzen eine Förderung in Höhe von 3,6 Millionen Euro. Fünf Legehennenställe mit 1,6 Millionen Tierplätzen! Diese Anlagen wären in keinem einzigen westdeutschen Bundesland förderfähig gewesen.

Die Errichtung in abgezäunten Wäldern mag zwar das Tierelend vor den Augen der Besucher verstecken, ein Blick auf Google Earth macht aber jedem deutlich, dass wir es hier nicht mit landwirtschaftlichen Anlagen und schon gar nicht mit bäuerlicher Landwirtschaft zu tun haben, sondern mit einer neuen Form der Agrarindustrie, eigentlich sogar mit einer neuen Form der Forstwirtschaft, die völlig losgelöst von den regionalen Kreisläufen agiert und die die landwirtschaftlichen Flächen der Region bestenfalls als Gülledeponie gebrauchen kann.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt AfD)

Immerhin: Die Linke hat erstaunlicherweise dieses Problem erkannt und spricht in den Ergebnissen ihrer Klausur erstmals von „Massentierhaltung“, dem bisherigen No-Go-Wort für unseren Minister Vogelsänger. Die Linke spricht auch über Normen der tiergerechten Haltung an allen Standorten. Das geht weit über die Koalitionsvereinbarung hinaus, die sich nur an die zahnlosen, freiwilligen Vereinbarungen der Tierwohlinitiative des Bundes anhängt.

Wir finden das großartig. Ich sage Ihnen diesbezüglich zu: Wir werden Sie dabei unterstützen und auch darauf achten, dass dieses löbliche Vorhaben nicht im märkischen Regierungstreibsand verschwindet.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

Wir Grünen haben uns eindeutig für die Zusammenlegung von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium ausgesprochen. Daran wollen wir auch nicht rütteln. Aber der Schutz von Natur und Umwelt droht weiter unter die Räder zu kommen, wenn in einem gemeinsamen Ministerium die Interessen der industriellen Agrarwirtschaft dominieren und wenn nicht der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und der Schutz der biologischen Vielfalt als Grundlage für eine nachhaltige Landnutzung in den Mittelpunkt der Landnutzungspolitik gestellt wird. Ich hoffe, Herr Vogelsänger, dass Sie sich in diese Richtung bewegen werden.

Lieber Herr Ministerpräsident, auf meinem Stichwortzettel steht jetzt noch eine Vielzahl an Punkten, die ich nicht abhandeln kann. Beispielhaft nenne ich nur den BER und die fehlende Aussage, wie denn nun der Aufsichtsratsvorsitz bestellt werden soll.

(Minister Görke: Durch den Aufsichtsrat!)

Das Vorschlagsrecht, lieber Herr Minister, liegt nach dem, was wir wissen, bei Brandenburg. Insofern ist der Ministerpräsident, denke ich, gut beraten, hier einen Vorschlag von einer fachkundigen Person unterbreiten zu lassen, die in der Lage ist, nicht nur von Herrn Mehdorn vorgeführt zu werden, sondern ihn auch zu führen.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU sowie vereinzelt AfD)

Der lässige Umgang mit der Wahrheit bei der Frage nach der Einkreisung von Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel im Vorfeld der Landtagswahl - dazu hätten wir natürlich auch gern etwas gehört. Leider kam jedoch nichts. Auch hätten wir gern Aussagen dazu gehabt, wie die Regierung mit der drohenden Schließung von 60 Bahnhöfen umgehen will.

Brennend interessieren würde uns jedoch, wie Sie als Polenbeauftragter der Bundesregierung zu den Äußerungen Ihres Vorgängers Platzeck bezüglich der Anerkennung eines Rechts des Stärkeren auf völkerrechtswidrige Aneignung benachbarter Territorien stehen. Da müssen doch in Polen alle Alarmglocken geläutet haben, dass - wie bereits des Öfteren in der Vergangenheit - Deutschland und Russland auf dem Rücken der dazwischen liegenden Nationen ihren Ausgleich suchen. Ich denke, da sollten Sie, Herr Ministerpräsident und Polenbeauftragter, deutliche Worte finden.

(Beifall B90/GRÜNE und vereinzelt CDU sowie des Ab- geordneten Schulze [fraktionslos])

Ich komme zum Ende: 1989 hat die Friedliche Revolution umfassend gesiegt - so umfassend, dass es heute keine Drachenbrut der SED sowie keine Drachenbrut der Blockparteien mehr gibt, die wir heute noch fürchten müssten. Oder wie es im Koalitionsvertrag 2009 noch zutreffend hieß:

„Erst die Volksbewegung des Jahres ´89 machte es möglich, dass aus der SED heraus der Aufbruch zu einer demokratischen Partei im pluralistischen Wettstreit mit anderen Parteien erfolgen konnte.“

(Königer [AfD]: Glauben Sie das ernsthaft?)

- Ja, das glaube ich.

Mit der Friedlichen Revolution als Voraussetzung für die Wandlung der SED zur Linken haben die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler oder auch Drachentöter - davon gab es ja nicht nur einen - von 1989 zugleich die Grundlagen dafür gelegt, dass heute in Brandenburg zwei im Kern sozialdemokratische Parteien miteinander regieren können, zwei Parteien, die aus historischen Gründen nicht fusionieren können und auch nicht fusionieren werden, zwei Parteien, die in der Sozialpolitik fast deckungsgleiche Positionen haben und die beide in ihren Grundsätzen etatistisch - das heißt staatsfixiert - veranlagt sind.

Eine Kehrseite dieser Staatsfixierung ist, dass sie den nicht vom Staat kontrollierten und unter Staatsregie laufenden Initiativen wenig Vertrauen schenken und sich in dieser Auffassung gegenseitig auch noch unterstützen. Die freien Schulen können ein Lied von dieser Grundausrichtung singen.

Wir Bündnisgrünen stehen nicht nur gegen Monotonie auf den Äckern, sondern auch gegen Monochromie, also gegen Einfarbigkeit. So halten wir es auch für ein besonderes Glück für dieses Bundesland, dass nach den ersten freien Wahlen 1990 der Aufbruch in das neue Bundesland Brandenburg von einer Ampelregierung aus SPD, Bündnis 90 und FDP gestaltet wurde, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus und mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten die Grundlagen für die weitere Entwicklung Brandenburgs legen konnten und da

bei übrigens bekanntermaßen auch CDU und Linke - ich glaube, PDS hieß sie damals noch - einbezogen haben.

Diese Vielfarbigkeit geht der Koalition ab. Der Koalitionsvertrag hat aufgrund der Doppelung der Stoßrichtung der beiden rot-roten Partner zwar einen roten Faden, ein grüner Faden geht uns Grünen jedoch vollständig ab - genauso wie die CDU vermutlich keinen schwarzen Faden erkennen wird.

Wesentliche Themenfelder und politische Fragen, die für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes von besonderer Bedeutung sind, tauchen daher gar nicht erst auf, werden lapidar abgehandelt - Stichwort Nachhaltigkeit - oder werden, was noch schlimmer ist, falsch beantwortet: Beispiel Energiewende und Braunkohle oder Massentierhaltung und Landwirtschaft.

Nein, Herr Ministerpräsident, dies ist keine Vollendung eines Aufbruchs. Dieser Koalitionsvertrag ist zunächst einmal ein totes Stück Papier, dem in den nächsten Jahren der Lebenshauch erst eingeblasen werden muss. Hierfür stehen wir Bündnisgrünen Ihnen konstruktiv und kritisch auch in dieser Legislaturperiode wieder gern zur Seite. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE)