Protokoll der Sitzung vom 19.11.2014

Diese Forderungen, meine Damen und Herren, sind nach wie vor hochaktuell, und die Umsetzung der Forderungen steht weiterhin aus. Unser Antrag wurde in Form eines ähnlich gelagerten Entschließungsantrages aufgenommen, was an sich nicht schlecht ist, denn wir wollen in der Sache weiterkommen. Ihr heutiger Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ist leider nicht sonderlich ambitioniert; da hatten Sie zur Abwehr von Grünen-Anträgen in der Vergangenheit schon bessere Entschließungsanträge gebracht.

(Beifall B90/GRÜNE)

Die Frage ist nur: Sind wir in der Sache weitergekommen? Im Juni 2012 hat der Landtag die sehr bemerkenswerte Drucksache 5/5420 zur Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen und Asylbewerbern mit einer breiten Mehrheit verabschiedet. Darin wurde die Erarbeitung eines Unterbringungskonzeptes gemeinsam mit den Kommunen erbeten und wurden sehr konkrete Vorgaben bezüglich baulicher Voraussetzungen, Verweildauer in Gemeinschaftsunterkünften, Bedarfe für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge bis hin zur Sicherung von Traumaberatungsstellen formuliert.

Ein weiteres Jahr später, nämlich Ende August 2013, mussten wir das Scheitern der Verhandlungen zwischen dem Sozialministerium und den Kommunen zur Kenntnis nehmen. Ein Unterbringungskonzept konnte nicht auf den Weg gebracht werden, und eine Novellierung des Landesaufnahmegesetzes, das derzeit noch Fehlanreize setzt und die Wohnungsunterbringung von Flüchtlingen gerade nicht fördert, wurde auf 2015 vertagt.

Die Debatte wird immer vor dem Hintergrund der steigenden Flüchtlingszahlen geführt. Ich erinnere an Folgendes: In den 90er-Jahren lebten etwa 32 000 Asylsuchende in Brandenburg in Heimen; im Jahre 2007 hatten wir mit 570 Erstanträgen einen Tiefstand erreicht. 2013 wurden 3 305 Personen registriert; die aktuelle Prognose liegt bei 6 100 Menschen für 2014. Obwohl die Zahlen bezogen auf eine Wohnbevölkerung von 2,5 Millionen zeigen, dass Negativmetaphern von der Asylantenflut absolut unangebracht sind, so bereiten doch die Zunahme und vor allem die Unsicherheit der Prognosen den Verantwortlichen in Land und Kommunen Schwierigkeiten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Prognosen in diesem Jahr schon fünfmal korrigieren müssen und rechnet jetzt deutschlandweit mit 200 000 Asylanträgen.

Dies schlägt sich erst einmal in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt nieder. Dort herrscht bedrückende Enge durch das Aufstellen von Containern, Notbetten stehen in der Turnhalle. Durch Erweiterung um ein ehemaliges Jugendheim und die Oderland-Kasernen in Frankfurt (Oder) konnte die Kapazität auf 1 600 Plätze erweitert werden, die aber schon zum 31. Oktober nahezu ausgeschöpft waren. Weitere Zusatzstandorte für die Erstaufnahme sind in Frankfurt, Schwielowsee und Doberlug-Kirchhain geplant und im Entstehen. In den Kommunen wurden in den letzten Monaten immerhin 2 320 Plätze neu geschaffen, leider etwa nur ein Viertel in Wohnungen.

Bei den geschilderten Schwierigkeiten in der Unterbringung besteht die große Gefahr, dass die vom Landtag für dringend notwendig erachtete Verbesserung bei den Qualitätsstandards der Unterbringung und Betreuung völlig unterzugehen drohen. Positive Ansätze wie etwa die Koppelung der Vergabe von Mitteln aus dem Nachtragshaushalt 2013/14 an einen gesteigerten Standard von 8 m2 Fläche geraten aus dem Blick oder werden konterkariert, da jetzt - zeitlich befristet - die Quadratmeterzahl sogar auf 5 abgesenkt worden ist.

Weitere Probleme drohen mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 6. November 2014 zur Veränderung des Baurechts. Damit wird es jetzt möglich sein, Asylsuchende in Gewerbegebieten und im Außenbereich unterzubringen. Auch dies ist eine Maßnahme, die aus der Not geboren wurde, aber erhebliches Konfliktpotenzial enthält. Abgesehen von wenigen sinnvollen Anwendungsbereichen droht die Gefahr, dass jetzt in großem Umfang Flüchtlinge gerade wieder abseits von sozialer Infrastruktur und ihren deutschen Mitbürgern in Randlagen untergebracht werden - von Problemen des Emissions- und Gesundheitsschutzes in Gewerbegebieten gar nicht zu reden.

Wir müssen sehr aufpassen, dass wir nicht die Fehler der 90erJahre wiederholen und integrationsfeindliche Notlösungen an den Start bringen, die sich dann etablieren und uns wiederum jahrzehntelang anhängen. Containersiedlungen, Kasernen und Unterkünfte im Gewerbegebiet dürfen sich nicht verfestigen. Stattdessen müssten wir uns auch unter schwierigen Bedingungen auf Konzepte verständigen, die ohne Not- und Sammelunterkünfte auskommen und den Menschen erlauben, sich selbst zu versorgen, Sprachkenntnisse zu erwerben und zu arbeiten. Leitlinie muss für uns bleiben, Flüchtlinge dezentral, aber nicht vereinzelt unterzubringen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Gerade in Brandenburg haben wir nicht durchgängig einen an

gespannten Wohnungsmarkt. Der Wohnungsleerstand beträgt in Forst 15,4 %, in Guben 14 %, in Wittenberge 14,7 % und in Lauchhammer 11,6 %. Bei ähnlichem Leerstand gelingt es nur in der Prignitz, eine hundertprozentige Wohnungsunterbringung zu gewährleisten - sie hält nämlich keine Sammelunterkünfte vor. Brandenburg rangiert bezüglich der Wohnungsunterbringungsquote von Flüchtlingen mit etwa 40 % im Ländervergleich ganz unten, schlechter ist nur Baden-Württemberg. Andere vergleichbare Flächenländer haben Ende 2013 Quoten von 70 bis 90 % realisiert.

Die beschlossenen Änderungen im Baurecht dürfen gerade bei uns wirklich nur als Ultima-Ratio-Lösung verstanden werden. Die normalen Instrumente der Bauleitplanung geben genügend Möglichkeiten, Flächen auch im Innenbereich für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften auszuweisen. Der sozialen Einbindung und insbesondere den Bildungsangeboten für die Kinder muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die hier Zuflucht suchenden Menschen werden zu einem erheblichen Anteil bei uns bleiben. Sie willkommen zu heißen und zu integrieren sollte uns ein menschliches Anliegen sein.

(Beifall B90/GRÜNE)

Um auch in schwierigen Zeiten überprüfbare Qualitätsstandards und integrationsfördernde Bedingungen bei der Unterbringung nicht aus dem Blick zu verlieren, bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Danke schön.

(Beifall B90/GRÜNE)

Danke. - Als nächste Rednerin erhält die Abgeordnete Lehmann für die Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Liebe Kollegin Nonnemacher, auch ich erinnere mich an lebhafte und gute Debatten in der vorhergehenden Wahlperiode und auch daran, dass wir einen richtig guten Entschließungsantrag eingebracht haben, den wir dann fraktionsübergreifend verabschiedet haben. An diesen Beschlüssen halten wir natürlich fest. Jedoch hat sich die Welt ein bisschen weitergedreht und weiterentwickelt.

Wegen der zahlreichen Krisen in Afrika und Nahost sind derzeit weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Obwohl wir um die Dinge in der Welt wissen, wir jeden Tag sehen, hören und lesen können, wie und wo sich die Kriegsherde entwickeln, hat uns der Flüchtlingsstrom überrascht. Mit 200 000 in diesem Jahr hat sich die Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland in der Tat erheblich erhöht. Landauf und landab stellen sich die Landkreise und kreisfreien Städte dieser Aufgabe, stehen aber gleichzeitig vor gewaltigen Problemen.

Das Kardinalproblem liegt in der Bereitstellung geeigneter Unterbringungsmöglichkeiten. Vor dieser Herausforderung stehen wir natürlich auch in Brandenburg. In den Zusammenkünften mit dem Innen- und Sozialministerium wird das Problem von kommunaler Seite immer wieder angesprochen und Unterstützung eingefordert.

Wir meinen: Wenn die Situation so ist, wie sie ist, muss darauf entsprechend reagiert werden. Insofern ist es erforderlich, in solch einer angespannten Situation befristet Ausnahmeregelungen zu erlassen. Die in diesem Zusammenhang vereinbarte Verabredung zwischen dem Sozialministerium und den Landkreisen und kreisfreien Städten, die bislang geltende Wohnfläche von 8 m2 in Ausnahmefällen auf 5 m2 reduzieren zu dürfen, schmerzt sozialpolitisch sehr, ist aber eine Ausnahme und bleibt eine Ausnahme, die zeitlich befristet ist.

(Beifall SPD)

Jede Ausnahme, meine Damen und Herren, muss natürlich begründet werden. In deren Bewertung fließen selbstverständlich freistehende Wohnungen bzw. zum Abriss vorgesehene Wohnblöcke mit ein. Das übrigens war auch ein Anliegen der Landräte. Grundsätzlich gilt: An unseren beschlossenen Standards halten wir fest. Das hatte ich eingangs bereits gesagt.

Für Brandenburg erwarten wir in diesem Jahr etwa 6 000 Flüchtlinge - doppelt so viele wie im Vorjahr. Da kann durchaus die eine oder andere Ausnahme in den Kommunen erforderlich werden, aber auch nur dafür, um die Erstaufnahmeeinrichtung nicht zu überfordern und dort menschenwürdige Bedingungen zu sichern.

Auch die befristete Lockerung des Baurechts - der Bundestag folgt hier einer Bundesratsinitiative - wird die angespannte Flüchtlingssituation entkrampfen. Befristet auf fünf Jahre - also bis Ende 2019 - dürfen künftig Unterkünfte für Flüchtlinge auch in Gewerbegebieten errichtet werden. Darüber hinaus soll es möglich sein, Bürohäuser oder andere Gewerbeimmobilien direkt als Flüchtlingsheime zu nutzen.

Herr Gauland hat heute Morgen die Frage gestellt: Wen wollen wir hier haben? - Ich weiß gar nicht, ob sich die Frage so stellt; denn immer mehr Asylbewerber dürfen in Deutschland bleiben. Zu uns kommen syrische Flüchtlinge, die fast zu 90 % anerkannt werden. Zu uns kommen aber auch Schutzsuchende aus dem Irak, deren Anerkennungsquote hier bei 56 % liegt. Zu uns kommen also Menschen, die Schutz suchen. Insofern sind wir gut beraten - das ist auch unsere Verantwortung -, alles zu tun, um diesen Menschen Hilfe und Schutz zu bieten.

(Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE sowie der frak- tionslosen Abgeordneten Schulze und Vida)

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, müssen befristet Ausnahmen erlaubt sein; denn nichts zu tun wäre fatal, menschenunwürdig und damit auch unsozial. Notunterkünfte, wie Zelte und Turnhallen, sollten wir in Brandenburg vermeiden. Durch gemeinsame Anstrengungen kann uns das gelingen. Ich werbe insofern leidenschaftlich für unseren Entschließungsantrag und danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Danke. - Als nächste Rednerin erhält Frau Kollegin Schier für die Fraktion der CDU das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen

geht, wenn Sie abends die Nachrichten einschalten. Man könnte meinen, die ganze Welt ist verrückt geworden: Kriege, Aufstände, Glaubenskriege von Radikalen usw. Überall auf der Welt sind Männer, Frauen und Kinder betroffen, die im wahrsten Sinne des Wortes ihre Haut retten und fliehen.

In Brandenburg haben in der Zeit von Januar bis September 3 914 Menschen Asyl gesucht. Das sind jetzt schon über 600 Menschen mehr als im gesamten Vorjahr. Zudem wurde bereits eine Zahl von 6 100 Asylsuchenden für dieses Jahr prognostiziert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kein Verantwortungsträger in den Kreisen und kreisfreien Städten hatte Zeit, sich auf diese veränderte Situation vorzubereiten. Die Hilfsbereitschaft ist dennoch groß. Es ist jedoch realitätsfremd, zu erwarten, dass sich geeignete Unterkünfte mal eben so aus dem Boden stampfen lassen.

Natürlich sind auch wir für die zügige Unterbringung im innerstädtischen Bereich. Richtigerweise müsste es in Ihrem Antrag aber heißen: „vorrangig im innerstädtischen Bereich“, denn es gibt wahrscheinlich in den wenigsten Kommunen die Möglichkeit, zahlreiche Flüchtlinge in den Wohnungen der Innenstädte unterzubringen. Insofern wird man in den Kreisen, in denen es keine geeigneten Möglichkeiten gibt, nach anderen Lösungen suchen müssen.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage 639 heißt es:

„Im IV. Quartal werden 2 300 Unterbringungsmöglichkeiten neu geschaffen.“

2 300! Jede neue Unterkunft bedeutet für die Kommunen einen großen Kraftakt. Die Investitionspauschale von 2 300 Euro pro Platz war bislang eher gering bemessen und auch die zusätzlichen 5 Millionen Euro im Nachtragshaushalt 2013/2014 reichen dort bei weitem nicht aus. Hier geraten unsere zum Teil hochverschuldeten Kreise in große Schwierigkeiten. Auf der einen Seite arbeiten sie mit einem Haushaltssicherungskonzept und auf der anderen Seite müssen sie für den Bau von Unterbringungsmöglichkeiten einen Kredit aufnehmen.

Vor dem Hintergrund nicht ausreichender Kapazitäten ist auch die Diskussion über Qualitätsstandards sehr schwierig. Setzt man die Quadratmeterzahl hoch, verringern sich so die dringend benötigten Plätze.

Die Schulpflicht für Kinder aus Flüchtlingsfamilien besteht bereits. Sie werden bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung beschult und selbstverständlich auch nach ihrer Verteilung auf die Kreise und kreisfreien Städte. Das sollten Sie, meine lieben Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, eigentlich wissen; denn Sie waren ja auch in Eisenhüttenstadt.

Dass bei der Unterbringung zunächst geeignete Bestandsimmobilien geprüft werden sollen, sehen wir auch so; denn das ist klar. Diesbezüglich vermisse ich aber auch die Unterstützung des Landes. Wie kann es sein, dass einerseits mit Fördermitteln Wohnblöcke abgerissen werden und andererseits Neubauten entstehen müssen?

(Frau Lehmann [SPD]: Bundesmittel!)

Die integrierten Stadtumbaukonzepte, die sogenannten INSEKs,

müssen dringend überarbeitet werden, um dort auf veränderte Bedarfe reagieren zu können. Die Programme des sozialen Städte- und Wohnungsbaus kann man allenfalls auch nutzen. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort „auch“.

Die Ausschließlichkeit Ihrer Formulierung ist nicht akzeptabel; denn wir sprechen seit geraumer Zeit über die Bezahlbarkeit von Wohnraum und eine Mietpreisbremse. Auch die bisherigen Einwohner einer Kommune müssen die Chance haben, bezahlbaren Wohnraum zu mieten.

Ihr Antrag rückt die Kommunen in ein schlechtes Licht, wobei ich nicht denke, dass das Ihr Ansinnen war. Frau Ministerin Golze, wir stehen bei der Unterbringung von Flüchtlingen vor einem enormen Kraftakt - nicht irgendwann, sondern sofort. Wir fordern Sie auf: Rufen Sie einen Runden Tisch ins Leben, an dem vor allem die Kommunen zu Wort kommen, und sorgen Sie für eine sofortige Unterstützung - ideell sowieso, aber auch materiell.

Meine Fraktion hat sich des Themas Flüchtlinge mit großer Ernsthaftigkeit angenommen. Dazu gehören unser Besuch in der Erstaufnahmeeinrichtung am letzten Dienstag

(Frau Lehmann [SPD]: Wir auch! Alle!)

wir hatten sogar den Innenminister dabei, Kollegin Lehmann -,

(Oh! bei der SPD)

unsere Große Anfrage zum Thema Flüchtlinge und Gespräche mit Vertretern der Bundespolitik und den Verantwortlichen in den Kreisen. Wir wollen neue Erkenntnisse gewinnen, wie die Prozesse günstiger gestaltet werden können und wie wir vor allem die Bürger vor Ort mitnehmen, um eine tatsächliche Willkommenskultur zu erreichen. Wir erreichen sie nur, wenn es eine hohe Akzeptanz vor Ort gibt.