Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordneten Vida fort. Er spricht für die BVB/FREIE WÄH LER Gruppe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor wenigen Tagen durfte ich in meiner Heimatzeitung lesen, dass der SPD-Ortsverband eine Resolution verabschiedet hat, in der die SPD-Landtagsfraktion, die Landtagsmehrheit aufgefordert wird, eine Rückzahlung der Altanschließerbeiträge für alle Bürger dieses Landes zu ermöglichen. Mit großer Gebärde wurde es der Landtagspräsidentin als der vor Ort zuständigen Wahlkreisabgeordneten überreicht. Einen großen Artikel gab es dazu, und man hat sich gegenseitig auf die Schulter geklopft und gesagt, die SPD tue etwas für die Bürger. Ich bin gespannt, wie sich das dann im Abstimmungsverhalten niederschlägt.
Nun steht die Abgeordnete des Wahlkreises Bernau/Panketal nur symbolisch für viele Abgeordnete aus Ihren beiden Regie rungsfraktionen, die den Menschen vor Ort versprechen, sich für sie einzusetzen und eine Rückzahlung aller Beiträge zu er möglichen - so auch der Fraktionsvorsitzende der Linken aus der gleichen Stadt, der nicht müde wird, zu betonen - bei Pres sekonferenzen, wohlgemerkt -, dass das Land selbstverständ lich in der Pflicht sei.
Das Gute dabei ist, dass man in einer Demokratie in der Öf fentlichkeit, in einem auf Transparenz setzenden Rechtsstaat, für seine Worte auch politisch zur Verantwortung gezogen wer den kann, indem geschaut wird, ob sich das, was man sagt, dann auch im Abstimmungsverhalten niederschlägt. Dazu ha ben Sie heute Gelegenheit, denn es gibt sogar zwei Anträge, denen Sie zustimmen können. Es würde sogar genügen, wenn Sie nur einem zustimmen - das ist Ihnen überlassen -, wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen.
Meine Damen und Herren! Wir haben in dem Gutachten der Landesregierung deutlich gesagt bekommen, dass - entgegen den Unkenrufen des Innenministers in den letzten Monaten - eine Rückzahlung bestandskräftiger Beiträge selbstverständ lich möglich ist, wenn eine Aufhebung nach § 130 Abgaben ordnung erfolgt. Hierzu ist es erforderlich, dass die zuständi gen Verbände Gesichtspunkte wie Rechtsstaatlichkeit, Ge meinwohlinteresse und Rechtsfrieden, aber auch Gleichbe handlung betrachten und eine Verwaltungspraxis etablieren können, die dann eine Rückzahlung an alle Beitragspflichtigen ermöglicht.
Deshalb schlagen wir in unserem Antrag nichts weiter vor als das, was die Landesregierung in den letzten Jahren sehr gut konnte: Durch Runderlasse bzw. Rundschreiben hat sie auf die Beitragseintreibung hingewirkt - was einen Anteil daran hatte, dass es dazu gekommen ist. Jetzt fordern wir, dass sie durch ein Rundschreiben bzw. einen Runderlass darauf hinwirkt, dass eine Rückerstattung möglich wird, indem man den Verbänden rechtssicher die Möglichkeit an die Hand gibt, ihren Ermes sensspielraum so zu nutzen, dass in der Regel eine Aufhebung möglich wird.
Warum? Es kann nicht angehen, dass den Bürgern in den ver gangenen Jahren von Kommunalpolitikern, von Landespoliti kern gesagt worden ist: Hört nicht auf die Freien Wähler, das sind nur Scharfmacher; es ist schon alles rechtmäßig, was wir hier tun. - Das war noch im September 2015 so, als wir die
Änderungsanträge zum KAG gestellt und genau die Punkte be antragt und diskutiert haben, die Monate später vom Verfas sungsgericht als zwingendes Verfassungsrecht festgestellt wor den sind. Damals haben Sie hier und Ihre Vertreter in den Kommunen gesagt: Hört nicht auf die, ihr müsst keinen Wider spruch einlegen, das kostet nur unnötig Geld; es ist schon alles rechtmäßig, was da passiert.
Die Leute, die damals so geredet haben, sind dieselben, die jetzt sagen: Ja, hättet ihr mal Widerspruch eingelegt, dann könntet ihr jetzt euer Geld zurückbekommen. - Meine Damen und Herren, das werden sich die Menschen nicht gefallen las sen. So können Sie nicht mit den Bürgern umgehen. Dieses Vorgehen rüttelt am Selbstverständnis gerade der Brandenbur ger und der Ostdeutschen insgesamt. Erst sagt man den Men schen: Hört zu, wir erheben diese Beiträge. - Dann stellt sich heraus: Sie waren verfassungswidrig. Dann sagen Sie den Leu ten: Na ja, ihr habt euch damals konform verhalten. Ihr habt auf unsere Aufrufe zu zahlen gehört, und das gereicht euch heute zum Nachteil. - So kann man mit den Menschen nicht ernsthaft umgehen, und das kann auch keine soziale, keine so zialdemokratische und keine linke Politik sein.
Die Bürger haben nicht ohne Grund darauf vertraut, dass das, was im Dezember mitgeteilt worden ist, auch umgesetzt wird. Das Gericht hat gesagt, dass wir es mit offensichtlich verfas sungswidrigem Handeln zu tun haben. Die Bürger haben er kannt, dass ihnen auf verfassungswidriger Grundlage ca. eine halbe Milliarde Euro genommen bzw. von ihnen gefordert wurde - in vielen Verbänden sogar mit Säumniszuschlägen, Zinsen usw. usf. Es rüttelt am Selbstverständnis, wenn ihnen dann gesagt wird, dass man ihnen nicht helfen könne, oder wenn der Innenminister, der noch im September an dieser Stel le betont hat, dass das Land bzw. die Landesregierung richtig gehandelt habe und dass das Gesetz richtig sei, einige Monate später sagt: Wir als Land haben damit nichts zu tun, es ist le diglich Aufgabe der Kommunen; die Kommunen haben Fehler gemacht. - Bis zum 17. Dezember 2015 hat es diesen Satz von Ihnen nicht einmal gegeben, und ab dem 18. Dezember ver künden Sie, die Kommunen hätten Fehler gemacht. Entweder ist Ihnen da über Nacht die große Erkenntnis gekommen, dass die Kommunen Fehler machen, oder aber Sie heucheln und drücken sich vor der Verantwortung. Wenn die Kommunen bis zur Verkündung des Beschlusses so gehandelt haben, wie es der Innenminister von Ihnen erwartet hat, dann kann sich nicht auf einmal die Meinung ändern, nur weil die Rechtsprechung die Anwendung dieses Gesetzes für rechtswidrig erklärt. Des halb bitte ich Sie...
Ja, das stimmt. Es steht hier nur einmal auf dem Display. Das ist ein Fehler. Dann bekommen Sie noch einmal freie Zeit und die restlichen fünf Minuten.
Deshalb, meine Damen und Herren, denke ich, ist es nötig, dass Sie aus dem, was Sie hier verteidigt haben, auch Konse quenzen ziehen und sich an dem messen lassen, was Sie den Menschen versprochen haben, nämlich, dass Sie die Entschei dung des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich respektieren.
Der Innenminister hat das so nicht gesagt. Er hat hier noch im März erzählt, es sei eine Fehlentscheidung gewesen. Ich hoffe, dass wenigstens die Fraktionen ihre legislative Eigenständig keit und ihre Verantwortung gegenüber den Wahlkreisen so wahrnehmen, dass sie das, was sie den Menschen vor Ort zusa gen, auch in die Tat umsetzen. Dazu gehört, auf eine neue Mo de zu reagieren, die um sich greift: dass Verbände versuchen, die Entscheidung zu umgehen, indem sie sich einfach auf den Standpunkt stellen, dass die Neugründung oder die Fusion ei nes Verbandes einen neuen ersten Anschlusstermin bedeute.
Wir erleben das in Beelitz, wo 2006 die Verbände zweier Kom munen zu einem Verband fusionierten und man sagte, mit die ser Fusion sei eine neue Vorteilslage geschaffen worden. Das passiert. Es heißt dort: Erst in dem Jahr der Fusion beginnt die Vorteilslage zu wirken, also gilt die Entscheidung des Bundes verfassungsgerichts - Anschlüsse vor 2000 - in unserem Fall nicht. - So wird argumentiert, und man sagt einfach: Es gilt ja nicht der Anschluss an irgendeinen Kanal, sondern es muss schon an den Anschluss des Verbandes angeschlossen werden, und erst am Tag der Gründung des Verbandes ist quasi die Vor teilslage in Bezug auf den Verband gegeben. - So kann man mit den Menschen nicht umgehen!
Auch mit dieser Begründung werden derzeit in verschiedenen Verbandsgebieten Ablehnungsbescheide an die Bürger versen det, in denen gesagt wird: Für euch gilt die Entscheidung nicht, denn unser Verband wurde erst 2006 geschaffen. - Das wird Leuten gesagt, die Anschlüsse aus den Sechziger- oder Siebzi gerjahren haben und jetzt ihren Beitragsbescheid bekommen haben. Man versucht, sich damit zu drücken. Ich muss jetzt keinen großen Kommunikationskanal zu Ihnen bauen, um er warten zu können, dass Sie verstehen, dass man so nicht mit den Menschen umgehen kann. Das Gericht hat festgestellt: Es gilt der erste Satzungsversuch - Versuch! -, und es gilt die Vor teilslage der Anschlussmöglichkeit. Die Anschlussmöglichkeit ist eine rein technische Frage - Rohr vor dem Haus oder nicht? - und nicht: Wurde der Verband neu gegründet, hieß er anders oder hat er sich das Wasser auf einmal von woanders geholt?
Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, in der nötigen Höflichkeit an Sie herangetragen: Helfen Sie den Bürgern und
ermöglichen Sie, dass sich eine Perspektive eröffnet und noch in diesem Jahr der Großteil der Beiträge zurückgezahlt wird, dass wir nicht zwischen Menschen differenzieren, die sich ge traut haben, Widerspruch einzulegen, und jenen, die nicht ge klagt haben. Und signalisieren wir ihnen auch, dass wir die Tricks mancher Verbände nicht mitmachen. Ich meine, das Land ist in der Pflicht. Ich denke, Sie als Regierungsfraktio nen, unabhängig von der Regierung, sind in der Pflicht.
Ich hoffe darauf, dass wir diesem Spuk, der 200 000 Haushal te in diesem Land betrifft, ein Ende setzen können, und ich setze auch darauf, dass der Innenminister anfängt, Brücken zu den Bürgern zu bauen, und sich nicht aus der Verantwortung zieht. Ich bitte Sie eindringlich: Lassen Sie uns diese eindeuti ge Situation, die wir sowohl vom Gutachter als auch vom Ge richt bescheinigt bekommen haben, als Möglichkeit nutzen, gerechte Kommunalabgaben in Brandenburg zu formulieren und den Menschen das Gefühl der Sicherheit und der sozialen Gerechtigkeit zurückzugeben. Denn die haben sehr gelitten. Das wiederzuerringen ist nicht nur mein Interesse, sondern - wie ich glaube - Interesse von uns allen in diesem Haus. - Vie len Dank.
Bevor wir die Aussprache fortsetzen, möchte ich sehr seltene Gäste in diesem Parlament begrüßen, ganz süße Gäste; sie sind nämlich noch ganz klein. Es sind die Kinder aus der Kita „Tel tower Rübchen“. Herzlich willkommen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Liebe „Teltower Rübchen“!
Dass sich dieser Landtag erneut mit dem Thema der kommuna len Abgabenerhebung im Bereich von Wasser und Abwasser befasst, ist richtig. In manchen Regionen ist das kein Thema mehr, anderenorts allerdings gibt es noch immer erhebliche Betroffenheiten, schwierige Debatten in den Zweckverbänden, Sorgen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das sind Sorgen, die wir ernst nehmen.
Sorgen gibt es aber auch bei den Aufgabenträgern und deren Mitgliedskommunen. Denn natürlich ist jede Entscheidung über die freiwillige Rückzahlung bestands- bzw. rechtskräfti ger Bescheide mit der Frage verbunden, woher das Geld dafür kommen soll.
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 haben wir hier im Landtag mit dem Ent schließungsantrag „Rechtssichere Möglichkeiten einer künfti gen Finanzierung der Siedlungswasserwirtschaft“ - ein sperri ger Titel - beschlossen, ein externes Gutachten, bestehend aus zwei Teilen, in Auftrag zu geben. Der erste Teil des Gutach tens, der eine eingehende Analyse der rechtlichen und wirt schaftlichen Auswirkungen der Entscheidung des Bundesver fassungsgerichts zum Gegenstand hat, liegt uns jetzt vor. Der zweite Teil des Gutachtens soll Lösungen aufzeigen, um zu ei ner möglichst gerechten Verteilung der finanziellen Lasten und zu einer Unterstützung für diejenigen kommunalen Aufgaben träger zu gelangen, die durch Rückzahlung von Anschlussbei trägen in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind.
Bereits mit dem ersten Teil des Gutachtens habe ich persönlich die Hoffnung verbunden, dass Sachlichkeit in die Debatte kommt - auch deshalb, weil die rechtlichen Aspekte ausführ lich erläutert sind. Das ist offensichtlich noch immer nicht ge glückt. Es ist eben falsch, Kollege Vida, dass die Beiträge auf verfassungswidriger Grundlage gefordert worden seien. Denn das KAG ist nicht angefochten oder verworfen worden, son dern es ging um die Frage der echten oder der unechten, der zulässigen oder der nicht zulässigen Rückwirkung.
„die in der öffentlichen Diskussion häufig anzutreffende Unterscheidung zwischen Alt- und Neuanschließern, also die Differenzierung danach, ob die Vorteilslage vor oder nach dem 3. Oktober 1990 eingetreten ist,“
Vom bundesverfassungsrechtlichen Verdikt erfasst sind viel mehr alle Fälle, in denen die Beitragspflicht vor dem 1. Januar 2000 entstanden ist.
Das steht in der Zusammenfassung gleich auf Seite 2 unter Punkt 1, und es ist bedauerlich, dass die CDU in ihrem Antrag diese wesentliche begriffliche Unschärfe zugelassen hat. Das macht den Umgang mit dem Antrag nicht einfacher. Denn es stellt sich die Frage, warum sich die CDU in ihrem Antrag dar auf beschränkt, die Altanschließer gerecht zu behandeln. - Ver mutlich ein Fehler.
Sehr geehrte Damen und Herren, nicht bestandskräftige bzw. nicht rechtskräftige Bescheide sind aufzuheben, die Rückzah lung ist verpflichtend. Daran besteht nach den Urteilen kein Zweifel.
Dem Vernehmen nach reden wir hierbei von einem Volumen von rund 200 Millionen Euro. Beide Anträge zielen im Kern jedoch darauf ab, dass auch die bestandkräftigen Beitragsbe scheide aufgehoben und die Beiträge zurückgezahlt werden. Das wären zusätzlich rund 400 Millionen Euro.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat deutlich gemacht, dass zwar eine Vollstreckung aus bestandskräftigen Bescheiden nicht mehr möglich ist, dass jedoch keinesfalls die Rechtspflicht besteht, alle bestandskräftigen Bescheide aufzu heben.