Protokoll der Sitzung vom 15.07.2016

der Fraktion der SPD

der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/4444

Wir beginnen die Aussprache mit dem Abgeordneten Wilke. Er spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden in diesem Haus ja häufiger darüber, wo wir Geld ausge ben müssen und wo weiteres Geld hinfließen muss. Heute re den wir auch darüber, wie wir dem Bund zumindest helfen können, weiteres Geld einzunehmen, damit er uns möglicher weise auch an der einen oder anderen Stelle etwas besser ausfi nanziert.

Die Abschaffung der Abgeltungssteuer fordern wir seit langem. Wir fordern sie, weil wir meinen, damit eine Gerechtigkeitslücke schließen zu können. Das ist überfällig, das ist sinnvoll und aus unserer Sicht notwendig. Wir müssen die Abschaffung der Abgeltungssteuer heute und hier vorantreiben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Unser Ziel ist es, Kapitalerträge dem persönlichen Einkom mensteuersatz zu unterwerfen und nicht mehr zu privilegieren, wie es derzeit geschieht.

Zur Geschichte der Abgeltungssteuer muss man sagen - sie wird ja häufig als Steinbrück-Steuer bezeichnet -, dass sie 2009

unter dem damaligen Finanzminister Steinbrück eingeführt wurde und immer mit dem Satz verbunden war: „25 % von et was ist besser als 45 % von nichts.“

(Zuruf von der CDU: Korrekt!)

Seine Idee war, die Steuerflüchtlinge - in Richtung der AfD: Steuerflüchtlinge sind die wirklich Bösen, die uns wirklich auch Geld kosten

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE)

zurück nach Deutschland zu holen, sie durch den geringeren Steuersatz dafür zu gewinnen, ihre Steuern hier zu zahlen und nicht ins Ausland zu flüchten. Das war nett gedacht, war auch eine Art Notwehrmaßnahme, muss man fast schon sagen; denn auch das beschreibt ja eine Ungerechtigkeit. Während es das Kapital und die Superreichen relativ leicht haben, ihr Geld ins Ausland zu verlagern, können Arbeitnehmerinnen und Arbeit nehmer das nicht. Sie sind der Steuergesetzgebung dieses Lan des unterworfen und müssen hier ihre Steuern zahlen, und das in Höhe von bis zu 45 %, im Gegensatz zu jenen, die zum Teil auch von Kapitalerträgen leben können und darauf gerade ein mal 25 % Steuern zahlen müssen.

Diese Ungerechtigkeit wollen wir aufheben. Wir wollen sie auch deshalb aufheben, weil sich, obwohl der Gedanke damals nachvollziehbar war, gezeigt hat, dass er nicht einmal funktio niert hat. Aus den Einnahmen des Bundes ist ersichtlich, dass vor Einführung der Abgeltungssteuer 13,6 Milliarden Euro ein genommen wurden. Aber 2009, als dann die Abgeltungssteuer wirkte, waren es nur noch 12,4 Milliarden Euro, also über eine Milliarde weniger, und 2014 nur noch 7,8 Milliarden Euro; das ist fast eine Halbierung.

Das zeigt also, dass diese Maßnahme ihre Wirkung verfehlt hat. Auch der Grund hat sich erledigt, denn die OECD hat - aus unserer Sicht richtigerweise - Maßnahmen ergriffen, um die in ternationale Kooperation gegen Steuerflucht und gegen Steuer hinterziehung zu verstärken, und sie hat die Global Standards zum automatischen Informationsaustausch erarbeitet. Diesen Global Standards sind mittlerweile viele Staaten beigetreten. Im Jahr 2014 haben 30 Finanzminister ein Abkommen ge schlossen, um sich auf einen internationalen Informationsaus tausch gegen Steuerhinterziehung zu einigen. Mittlerweile ha ben sich dem 60 Staaten angeschlossen; 30 weitere - unter an derem auch die Schweiz - haben angekündigt, dies in Kürze zu tun.

Damit ist das Verstecken fast nicht mehr möglich. Natürlich gibt es nach wie vor die eine oder andere Lücke, aber es ist deutlich erschwert. Damit wird endlich eine gerechtere Besteu erung ermöglicht. Damit fehlt neben der Wirkung, die man sich erhofft hatte, die aber nicht eingetreten ist, tatsächlich auch der Ausgangspunkt dieser Notwehrmaßnahme. Umso richtiger ist es also zu fordern, dass diese Abgeltungssteuer abgeschafft wird.

Auf Bundesebene bewegt sich in dieser Diskussion einiges. Wir hören von Bundesfinanzminister Schäuble, dass er, wenn auch aus anderen Gründen als wir, ebenfalls fordert, dass diese Steuer abgeschafft wird. Auch vom Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der SPD hören wir diese Forderung. Die Grünen haben sich ähnlich wie wir als Linke dieser Forderung schon lange angeschlossen; da bewegt sich also einiges.

Es gibt aber doch einige Diskussionsstränge, die noch Fragen aufwerfen. Das betrifft zum einen die Frage: Wie sieht es denn bei den Kleinsparern aus? Hier muss man zunächst einmal fest halten, dass der Freibetrag in Höhe von 801 Euro erst einmal überschritten werden muss. Wenn man eine Lebenspartner schaft hat oder verheiratet ist, dann gilt ein Freibetrag in Höhe von 1 602 Euro. Das hieße für eine Ehe oder Lebenspartner schaft bei den aktuellen Zinssätzen, dass man rund 160 000 Eu ro auf der hohen Kante haben müsste, um von dieser Steuer betroffen zu sein. Da kann man sich tatsächlich fragen, ob das noch unter „Kleinsparer“ fällt. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist folgender: Es besteht die Sorge, dass es, wenn man die Abgeltungssteuer abschafft, in einigen wenigen Fällen doch noch zu einer Privilegierung von Superreichen kommen kann; das ist steuerrechtlich zwar kompliziert, kann aber vorkommen. Daher sagen wir: Mit der Abschaffung der Abgeltungssteuer ist es noch nicht getan. Dies ist nicht der Punkt, der am Ende ausreichen wird. Wir haben in unserem Antrag geschrieben, dass wir die Abschaffung der Abgeltungs steuer fordern, aber auch, dass Kapitalerträge dem persönli chen Einkommenssteuersatz unterworfen werden sollen, um genau diese Lücke hier zu schließen.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Ferner gibt es, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Diskussion über den Zeitpunkt. Diese Diskussion ist sehr span nend, denn die Bundesregierung sagt: „Ja, wir wollen das zwar tun, aber wir überlassen es der nächsten Regierung; denn wir haben ja beschlossen, dass wir keine Steuererhöhungen wol len.“ Außerdem wirken diese Abkommen der Finanzminister eigentlich erst ab 2017 - das ist alles korrekt.

Wir sagen aber: Es ist jetzt an der Zeit, Beschlüsse zu fassen, damit wir tatsächlich ab dem ersten Tag, an dem diese Abkom men gelten, davon profitieren werden. Hier können wir nicht bis zur nächsten Bundestagswahl oder bis zum Ende irgend welcher Koalitionsverhandlungen warten,

(Petke [CDU]: Was heißt denn hier „irgendwelche“?)

bis irgendwann ein solches Gesetz auf den Weg gebracht wird, sondern wir glauben, dass solche Maßnahmen jetzt auf den Weg gebracht werden müssen, damit keine weitere Zeit ver streicht.

(Zuruf des Abgeordneten Petke [CDU])

Das ist nämlich Zeit, in der die Gerechtigkeitslücke fortbesteht, und es ist Zeit der verlorenen Einnahmen und Zeit, in der wir Einnahmen hätten generieren können. Deshalb werbe ich heute sehr dafür, dass Sie dem Antrag zustimmen und mithelfen, dass diese Gerechtigkeitslücke geschlossen wird.

Wir wollen, dass sich neben denjenigen, die für ihr Geld tat sächlich arbeiten, auch diejenigen, die nur ihr Geld für sich ar beiten lassen, am Steuersystem beteiligen müssen und mit 45 % zur Verantwortung gezogen werden. Wir wollen damit auch ein deutliches Signal setzen, dass wir die wachsende Un gleichheit in diesem Land, die wachsende Ungerechtigkeit und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich nicht einfach so hinnehmen, sondern dagegen wirksame Maß nahmen ergreifen wollen. Die Abschaffung der Abgeltungs

steuer bzw. die korrekte Heranziehung von Vermögen und von Kapitalerträgen zur Einkommensteuer wäre ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Deshalb werbe ich für diesen Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Bretz für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als im Jahr 2007 die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, dem Bundesrat in der Drucksache BR 220/07 die Ergebnisse der damaligen Abstimmung in der Bundesregie rung und im Bundestag überreichte, nämlich die sogenannte Unternehmensteuerreform, die ein umfangreiches Paket ist, ist deutlich geworden, dass mit diesem Gesetzesvorhaben insge samt zwölf Steuergesetze sowie entsprechende Durchführungs- und Rechtsverordnungen geändert worden sind. Ich möchte die geschätzten Kollegen der SPD daran erinnern - Herr Wilke er wähnte es schon -, dass der damalige Finanzminister Peer Steinbrück diese Steuerreform maßgeblich mit vorangebracht und sie auch maßgeblich mitgestaltet hat.

Wenn wir heute das Thema der Abgeltungssteuer diskutieren, muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Steuer Bestand teil eines Gesamtpakets war. Dieses Gesamtpaket umfasste zum einen die Veränderung der Besteuerung von Erträgen von Kapitalgesellschaften, sie umfasste zum anderen die Ver änderung der Besteuerung von thesaurierbaren Gewinnen von Personenunternehmen, und sie umfasste außerdem die Ein führung der sogenannten Abgeltungssteuer, über die wir heu te hier reden.

Mit der Einführung der sogenannten Abgeltungssteuer hat der Gesetzgeber neben der Progressivbesteuerung von Erwerbsein kommen die proportionale Besteuerung von Kapitaleinkünften ermöglicht. Steuertechnisch muss man verstehen, dass die Ab geltungssteuer eine sogenannte Quellensteuer ist. Das ist wich tig, weil die Quellensteuer in Form der Abgeltungssteuer be deutet, dass diese Steuer an der Quelle - sprich bei den Kredit instituten und Banken - erhoben wird und von diesen auch an das zuständige Finanzamt abgeführt wird.

Wichtig zu erwähnen bleibt, dass in § 32 Abs. 2 Satz 3 und in § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz geregelt ist, dass die Ab geltungssteuer unter eine sogenannte Günstigerprüfung fällt. Das heißt übersetzt: Ein Steuerpflichtiger, dessen durchschnitt licher Steuersatz unter 25 % beträgt und der dann die entspre chenden Freibeträge übersteigt, unterliegt dieser Günstigerprü fung und kann im Rahmen seiner Steuererklärung die Abgel tungssteuer rückwirkend erstattet bekommen. Das ist auch wichtig zu wissen. Insofern ist die sogenannte Gerechtigkeits lücke, Herr Kollege Wilke, von der Sie hier reden, nur bedingt vorhanden.

Ich möchte weiterhin erwähnen, dass Sie in einem Punkt Recht haben: Ein Argument, mit dem die sogenannte Abgeltungssteu er - auch als „Steinbrück-Steuer“ bezeichnet - eingeführt wur

de, war, dass man verhindern wollte, dass sich Kapitalerträge ins Ausland verlagern und hier keiner gesetzlichen Versteue rung unterliegen. Das hat auch etwas mit Steuergerechtigkeit zu tun. Dieses Argument ist ein Stück weit nicht mehr ein schlägig, weil mit dem neuen Abkommen zur Transparenz von Finanztransaktionen die Voraussetzung in dieser Form nicht mehr gegeben ist.

Gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass, würde man die Abgeltungssteuer ersatzlos streichen, Sie Ihren Finanzminister auch in die Pflicht setzten, die entsprechenden Finanzbehörden mit dem notwendigen Personal auszustatten, denn damit würde die Steuererhebung in die Finanzämter verlagert werden. Wer sich schon einmal mit der Besteuerung von Kapitalerträgen be fasst hat, der wird wissen, wie komplex, schwierig und auf wendig eine solche Steuererhebung ist. Deshalb würde ich Sie bitten, sich auch zu überlegen, welche Konsequenzen ein ent sprechender Beschluss auf Bundesebene für die Finanzämter in Brandenburg hat!

(Beifall CDU)

Ich kann Ihnen sagen: Die Stimmung bei den Finanzämtern ist schon jetzt nicht gut. Sie wird mit der Annahme Ihres heutigen Antrags auch nicht besser werden, denn das, was Sie den Fi nanzämtern in Brandenburg zumuten, sollten Sie zumindest einmal bedenken.

Ich möchte ein Zweites sagen: Ich hatte schon geahnt, dass Sie Ihren Antrag mit der sogenannten Gerechtigkeitslücke begrün den. Mir vorliegende Expertisen besagen allerdings, dass man bei einer ersatzlosen Streichung der Abgeltungssteuer beach ten müsste, dass die Hauptlast der sogenannte Mittelstand trägt.

Herr Abgeordneter Bretz, Sie müssten jetzt einen kurzen Schlusssatz formulieren.

Sehr schön. - Die Abschaffung der Abgeltungssteuer würde ge rade die Reichen in diesem Land bevorteilen, weil dann zum Beispiel die Besteuerung von Dividendenerträgen nach dem Halbeinkünfteverfahren erfolgte und diese damit nur zu 60 % besteuert werden müssten.

Jetzt sollten Sie zum Ende kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gerechtigkeits frage lösen Sie mit Ihrem Vorschlag nicht.

(Beifall CDU)

Punkt.

Im Übrigen - Schlusssatz von meiner Seite -: Es war ein wun derbarer Schattenboxkampf, der in der Bundesrepublik zu nichts führt, außer dass wir einmal darüber gesprochen haben!

(Heiterkeit und Beifall CDU)

Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordneten Schmidt fort. Er spricht für die SPD-Fraktion.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegin nen und Kollegen! Lieber Kollege Bretz, Sie haben das Thema Steuergerechtigkeit im Zusammenhang mit der Ausstattung der Finanzämter angesprochen. Ich denke, Gerechtigkeit ist immer erforderlich, und wenn sie zusätzliches Personal notwendig macht, sollten wir es auch bereitstellen.