Protokoll der Sitzung vom 15.07.2016

Da musste ich ein bisschen lachen. Das hört sich so an, als ob die Sorben und Wenden erst irgendwann einmal kommen oder bei uns neu sind. Es hat so den Touch, dass es dabei um etwas Neues geht. Aber wir reden über eine Menschengruppe, die es bei uns im Land Brandenburg schon seit vielen Jahrzehnten gibt.

Weitaus weniger amüsant ist die Tatsache, dass ein ganz zent raler Punkt im Gesamtkonzept fehlt: Das sind die Lehrer, also diejenigen, die die sorbische Sprache in Schule und Kita ver mitteln sollen. Dabei rede ich nicht über die Sorben-(Wenden)Schulverordnung, die ein Dauerbrenner im Rat für Angelegen heiten der Sorben/Wenden ist.

Am Institut für Sorabistik an der Uni Leipzig, dem einzigen Institut dieser Art überhaupt, beginnen zwar pro Semester sie ben junge Leute ein Studium. Die Zahl ist aber zu gering, um den Bedarf zu decken. Mindestens 20 neue Studenten bräuchte es regelmäßig, um die sorbischen Schulen in der Lausitz mit Lehrern zu versorgen.

Zu diesem gesamten Thema findet sich in dem Vorhabenplan nichts. Hierzu hätte ich mir schon einige Aussagen und Hin weise gewünscht. Ebenso fehlt mir der Hinweis auf die Zusam menarbeit mit dem Sorbischen Schulverein, der die Interessen auf dem Gebiet der zweisprachigen Vorschulerziehung und des zwei- und mehrsprachigen Bildungswesens von der Kita bis zum Gymnasium, ja bis zur universitären Ausbildung vertritt.

Einen weiteren Aspekt blendet der Vorhabenplan weitgehend aus: die Verbindung von Sprache, Kultur und Tradition. Mir fehlen Maßnahmen, die dies gleichzeitig vermitteln. Die Maß nahmen, die hier beschrieben sind, beziehen sich auf Behör den, Ämter oder auf die Presse. Mir fehlt der Bezug zu den Menschen, die ihre Sprache mit Herzblut sprechen.

Ich war neulich in dem kleinen Spreewalddorf Dissen bei Burg. Die dortige Pfarrerin gestaltet den Gottesdienst zwei sprachig. Das macht richtig Mühe. Sie druckt die Predigt zwei sprachig aus, und so kann jeder die Predigt in seiner Sprache verfolgen. Sie erzählte mir aber auch etwas ganz Interessantes, und das geht in die Richtung der Ausführungen von Frau Kircheis: Es gibt eine Generation, die die Sprache im Moment nicht spricht. Die ganz Alten sprechen sie. Aber die Pfarrerin erzählte mir: Die Konfirmanden haben großen Wert darauf ge legt, sich auf Sorbisch vorzustellen, und haben die anderen in ihrer Gruppe animiert, Sorbisch zu sprechen. Ich finde es her vorragend, dass die junge Generation diesen Schatz wiederbe lebt. Für mich ist das ein hoffnungsvolles Zeichen für eine le bendige Kultur. Es sollte ein Vorbild auch für andere Dörfer und Städte des sorbischen/wendischen Siedlungsgebiets sein, diese Tradition so fortzusetzen.

So bleibt für mich die Erkenntnis, dass mit diesem Vorhaben plan durchaus der Wille gezeigt ist, etwas für die niedersorbi sche Sprache zu tun. Allerdings: Es gibt noch Luft nach oben. - Vielen Dank.

(Beifall CDU sowie vereinzelt SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Die Abgeordne te Schwarzenberg spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Mak! Vor einem Jahr hat der Landtag auf Initiative der Koalition die Landesregierung ein stimmig beauftragt, in der zweiten Hälfte der Wahlperiode ei nen Maßnahmenplan zur Stärkung der niedersorbischen Spra che und ihres Gebrauchs im Sinne des Sorben/Wenden-Geset zes vorzulegen.

Obwohl dieser Zeitpunkt noch lange nicht erreicht ist, haben wir den Plan heute vorliegen. Dafür zunächst einmal ganz herzlichen Dank an das Ministerium für Wissenschaft, For schung und Kultur!

(Beifall DIE LINKE)

Der 1. Brandenburger Landesplan zur Stärkung der niedersor bischen Sprache enthält ein breites Spektrum an Aufgaben. Al le Ressorts der Landesregierung haben entsprechend ihrer Zu ständigkeit Aufgaben übernommen. Es ist jedoch unverkenn

bar, dass die meisten Verpflichtungen vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur abzuarbeiten sind. Das ist zum einen gut, weil damit der Beauftragte der Landesregierung für Angelegenheiten der Sorben/Wenden sowie seine Mitarbei terinnen und Mitarbeiter unmittelbar in der Verantwortung ste hen. Zum anderen bestätigt es das, was wir in den Sitzungen des Rates für Angelegenheiten der Sorben/Wenden noch viel zu häufig erleben: Nicht alle Ressorts stellen sich eigenständig und mit dem notwendigen Engagement den Anforderungen dieses Minderheitengesetzes.

Zweifelsohne haben Landesregierung und Landtag seit der Be schlussfassung des Sorben/Wenden-Gesetzes eine ganze Men ge geschafft: Etliche neue bzw. überarbeitete Rechts- und Ver waltungsvorschriften sind in Kraft getreten. Ein neues Abkom men über die Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk mit einem deutlichen Aufwuchs auch Brandenburger Mittel wurde abgeschlossen.

Ende August wird voraussichtlich die Neufassung der Verein barung mit Sachsen über die Zusammenarbeit bei der Aus- und Weiterbildung von sorbischen/wendischen Lehrkräften sowie Sorabisten an der Uni Leipzig durch das Kabinett gehen. Mit dieser Vereinbarung erfolgt dann die lange geforderte Verstär kung im Bereich der Fachdidaktik für Niedersorbisch.

Auch bei der Neufestlegung des angestammten Siedlungsge bietes sind wir in den letzten zwei Jahren vorangekommen. Dafür ganz herzlichen Dank vor allen Dingen an den Rat für Angelegenheiten der Sorben/Wenden, aber auch an die enga gierten Lausitzer Kommunen.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Insgesamt 37 Anträge, die 33 Gemeinden betreffen, liegen zur Prüfung im Ministerium.

Gestern haben wir, ausgehend von der Stellungnahme des Ra tes, erneut bekräftigt, dass die Belange der Sorben/Wenden für uns ein wichtiges Kriterium bei der Durchführung der Verwal tungsstrukturreform sind. Brandenburg spielt also, bezogen auf die Minderheitenpolitik, wieder in der Bundesliga mit.

Es gibt allerdings auch Nachholbedarf, und das im Bereich der Bildung. Meine Kollegin Frau Dannenberg hat es vor einem Jahr und Torsten Mak hat es heute in seiner Rede auch hervor gehoben: Im Bereich der Bildung haben wir noch eine ganze Reihe von Aufgaben zu erledigen. Es fehlt ein geschlossenes Konzept zur Vermittlung der niedersorbischen Sprache von der Kita bis zur Berufsausbildung und zur Universität.

Diese Erfahrung machte ich nicht nur regelmäßig in den Sit zungen des Rates für Angelegenheiten der Sorben/Wenden, sondern dies zeigte und zeigt sich auch bei der Erarbeitung ei nes Konzepts für das Niedersorbische Gymnasium in Cottbus. Man muss sich das einmal vorstellen: 16 Jahre nach Inkrafttre ten der Verordnung über die schulischen Bildungsangelegen heiten der Sorben (Wenden) gibt es noch immer kein geneh migtes Konzept. Ich glaube, das liegt nicht nur an der Schule. Hier müssen das Schulamt und das MBJS ihre Aktivitäten und auch ihre Kommunikation überprüfen und schnell die notwen digen Grundlagen schaffen.

(Einzelbeifall)

Die Erarbeitung einer langfristigen Konzeption für die Vermitt lung von Niedersorbisch in Brandenburg ist nicht in einer Blitzaktion zu erreichen. Es geht nur gemeinsam mit den Sor ben/Wenden.

Gleiches gilt für die Neufassung der Sorben-(Wenden)-Schul verordnung einschließlich der Vorschriften zum bilingualen Unterricht. Beide Regelungen liegen noch nicht vor. Auch der Landesplan nennt zu unserem Bedauern kein Datum für das In krafttreten dieser Vorschriften.

Wir als Linke fordern die Landesregierung noch einmal auf, zügig das umzusetzen, was uns das Ministerkomitee des Euro parates bei der Evaluierung der Staatenberichte zur Europäi schen Sprachencharta wiederholt ins Stammbuch geschrieben hat: Brandenburg muss endlich strukturierte Maßnahmen zur Förderung und Bewahrung des Niedersorbischen verabschie den und auch umsetzen.

Ich meine, der vorliegende Landesmaßnahmenplan ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, ein Schritt, auf dem wir weiter aufbauen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksam keit.

(Beifall DIE LINKE, SPD sowie B90/GRÜNE)

Der Abgeordnete Kalbitz spricht für die AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge ehrter Herr Mak! Sehr geehrte Gäste! Wir in Brandenburg kön nen uns glücklich schätzen, dass wir neben dem Standarddeut schen das Niederdeutsche, welches eine Regionalsprache ist, und als Minderheitensprache das Niedersorbische haben. Sie sind Teil unserer kulturellen Identität.

Die heutige Debatte dreht sich um den 1. Brandenburger Lan desplan zur Stärkung der niedersorbischen Sprache. Wir haben die Landesregierung gehört, die - das gehört zum Metier - mit Eigenlob nicht gegeizt hat. Auch die Regierungsfraktionen ha ben sich in blumigen Worten ergangen, zum Glück aber nicht nur: Hier muss ich die Selbstkritik von Frau Schwarzenberg positiv hervorheben. Sie sind ja näher an der Regierung dran, zumindest noch. Ich hoffe, dass den Worten, denen man sich nur anschließen kann, dann auch Taten folgen werden.

(Beifall AfD - Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Was wurde erreicht? In einem Jahr nicht allzu viel, aber das liegt auch in der Natur der Sache. Ein Kind braucht etwa die ersten vier bis fünf Jahre seines Lebens, um seine Mutterspra che zu erwerben. Ohne Muttersprachler ist eine Sprache zwar nicht tot, aber auch nicht wirklich lebendig. Sie wirkt schnell wie eine Kunstsprache, bestenfalls wie eine Fremdsprache.

Ist eine Sprache erst ausgestorben, ist sie kaum mehr wiederzu beleben. Im Vergleich sehen wir das an den keltischen Spra chen in Großbritannien oder Frankreich. Deshalb muss es das erklärte Ziel sein, aktiv gegen das Aussterben der niedersorbi schen Sprache vorzugehen. Ich habe es bereits vor einem Jahr

in der Debatte hier gesagt: Der Landesplan ist ein Schritt in die richtige Richtung; er ist jedoch nur Teil der Lösung. Wir müs sen es schaffen, dass die Zahl der Muttersprachler nicht weiter sinkt. Familien, in denen heute noch Sorbisch als Mutterspra che im Alltag gesprochen wird, gibt es in der Niederlausitz kaum noch; es werden immer weniger. Es gibt gar nicht mehr so viele Einwohner, die noch fließend Niedersorbisch sprechen können - Schätzungen gehen von gerade einmal 7 000 bis 10 000 meist - wie wir bereits hörten - älteren Menschen aus. Diese haben die Sprache noch zu Hause gelernt und auch im Alltag gesprochen.

Die Zahl der Muttersprachler ist der springende Punkt, viel mehr als die Anzahl zweisprachiger Ortsschilder. Was nützt es, wenn man ein zweisprachiges Formular ausfüllen könnte, aber automatisch die deutsche Version nimmt? Man macht es sich leicht und verwendet die Muttersprache, was menschlich nur nachvollziehbar ist.

Gerade in Zeiten von Fernsehen, Internet, Smartphones, zu nehmender Mobilität und einer immer geringer werdenden Zahl von Muttersprachlern ist es notwendig, entsprechend zu handeln, und zwar genau in diesen Bereichen - als wichtiger, zeitgemäßer Schlüssel. Wir brauchen auch für Minderheiten sprachen Antworten auf die zunehmende Digitalisierung des Lebens sowie die zunehmenden räumlichen Mobilitätserfor dernisse der Menschen, gerade vor dem Hintergrund der sin kenden Zahl von Muttersprachlern.

Warum sinkt die Zahl der Muttersprachler so beständig? Ur sächlich ist sicher auch die Zerstörung funktionierender regio naler Gemeinschaften - erst durch den Kommunismus, auch durch den demografischen Wandel, aber sicher auch durch Faktoren wie eine zeitimmanente Mobilität. Ohne funktionie rende regionale Gemeinschaften hat eine Minderheitensprache wenig Chancen.

Die Landesregierung hat es bisher versäumt, hier gegenzusteu ern, besonders im Bildungsbereich, wie es bereits angespro chen wurde. Lehrer und Erzieher sind ein wichtiger Schlüssel für ein Konzept, die Sprache zu erhalten und auch zu leben, fehlen jedoch. Stattdessen haben wir zukünftig Kreise von ei ner Größe und einer Funktion, die eher den Bezirken der ehe maligen DDR entsprechen - neben einer eher beliebigen Multi kultipolitik, die zukünftig noch weniger Platz für autochthone einheimische Minderheiten lassen wird.

Schutz und Förderung geschichtlich gewachsener Minderhei ten, ihrer Sprache, tragen zur Erhaltung und Entwicklung kul turellen Reichtums in Deutschland bei. Das ist eine gesamtge sellschaftliche Aufgabe, und wir setzen auf die verstärkten Be mühungen der Landesregierung. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete von Halem.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Sehr geehrter Herr Mak! Letzte Woche bei einer Kahn

fahrt im Spreewald stellte sich mir erneut die Frage, ob eigent lich überall Sorbisch drin ist, wo Sorbisch draufsteht. Bei den Ortsschildern: Ja. - Aber darüber hinaus: Höre ich Sorbisch? Eher nicht.

Deshalb meine Frage an diese Landesregierung: Warum krie gen wir diesen Landesplan eigentlich nicht in einer zweispra chigen Fassung? Warum sind nur sorbische Überschriften ent halten?

(Frau von Halem wendet sich Ministerin Dr. Münch auf der Regierungsbank zu.)

Oder liegt er auch auf Sorbisch vor? - Da bestehen Zweifel.

Das macht aus meiner Sicht deutlich, wie weit wir noch von dem Ziel entfernt sind, das wir erreichen wollen. Die Ge schichte der Sorben ist über eineinhalb Jahrtausende nachweis bar, und wir tun gut daran, ihnen Respekt zu erweisen. Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten Tausende Sorben nach Austra lien aus; die Sprache verschwand dort 1957. Auch nach Texas wanderten Mitte des vorletzten Jahrhunderts Hunderte Sorben aus; dort hielt sich die Sprache bis in die 1920er-Jahre. Aktuell gibt es Sorbisch nur noch bei uns. Unter den Nationalsozialis ten wurden 1937 der Gebrauch des Sorbischen in der Öffent lichkeit und alle sorbischen Vereinigungen verboten. In der Nachkriegszeit war das sorbische Siedlungsgebiet starkem Druck von deutschsprachigen Flüchtlingen ausgesetzt, die in manchen sorbischen Dörfern mehr als 50 % ausmachten. Die DDR-Verfassung garantierte zwar die Anerkennung als natio nale Minderheit - es wurden Institute geschaffen, der sorbische Schulunterricht eingeführt und Regelungen zur zweisprachigen Beschilderung erlassen -, trotzdem vollzog sich der Rückzug des Sorbischen als Alltagssprache. Mit der Kollektivierung der Landwirtschaft verschwanden die sorbischen Familienhöfe, auf denen als einzigem Wirtschaftszweig Sorbisch auch All tagssprache war.

(Beifall des Abgeordneten Jung [AfD])

Allein von 1962 bis zum Ende der 60er-Jahre ging die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Sorbisch lernten, von knapp 13 000 auf 3 000 zurück. Heute sind es immerhin noch rund 1 500. Die UNESCO zählt Niedersorbisch zu den am stärksten bedrohten Sprachen; das haben wir jetzt schon mehrfach ge hört. Im Landesplan heißt es:

„Durch Sprachwechselprozesse fiel vor allem die mittlere (heutige Eltern) -Generation in weiten Teilen aus.“