Protokoll der Sitzung vom 15.11.2017

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, DIE LINKE sowie der frak tionslosen Abgeordneten Schülzke und Schulze)

Nun erhält das Wort der Abgeordnete Christoffers, der auf grund einer kleinen gesundheitlichen Einschränkung den Saal verlassen musste. Wir bitten dafür um Verständnis. Aber nun ist er hier und hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich versuchen, zunächst auf einige Beiträge der heutigen Debatte einzugehen. Herr Senftleben, richtigerweise waren einige der zentralen Punkte Ihrer Rede die Frage der Glaubwürdigkeit und die Frage der Nachhaltigkeit und Nachvollziehbarkeit von Politik. Auf einige der Punkte, die Sie genannt haben, möchte ich eingehen.

Die Nahverkehrsplanung ist als eine zentrale Frage der Mobili tätssicherung - eines der Grundrechte im Land Brandenburg - perspektivisch zu gestalten. Sie haben einen Vorschlag vorge legt. Ich habe ihn gelesen. In dem Vorschlag stehen aber keine Maßnahmen, die dringend notwendig sind, durch die heute bis 2020, möglichst ab 2018, bereits Entlastungswirkungen eintre ten können.

Des Weiteren wollen Sie das Bestellen von Zügen noch einmal um zwei Jahre verschieben, wobei ich zu der Auffassung kom me, dass wir zwei Jahre später, also 2024, nicht mehr belastba re Daten für die Verkehrsentwicklung haben als heute. Insofern ist dies keine Beschleunigung. Auch das gehört zur Wahrheit.

Das heißt nicht, dass in Ihrem Konzept nicht eine ganze Reihe von bedenkenswerten Vorschlägen enthalten ist. Aber Sie ken nen den Unterschied zwischen einem Parlamentsbeschluss und der Arbeit einer Landesregierung, die zu Recht die Pflicht hat, auch Beteiligungsverfahren in Gang zu setzen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir haben dazu eine umfassende Debatte im ganzen Land ge habt. Wir werden auch mit dem Nahverkehrsplan nicht alle Wünsche abdecken können. Aber das zentrale Anliegen unse rer Politik, Mobilität in der Perspektive in diesem Land flä chendeckend zu gewährleisten, werden wir umsetzen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ein weiterer Punkt hat auch meine persönliche Glaubwürdig keit ein Stück weit berührt. Herr Vogel und ich waren bei der Forst. Wir haben dort auf einem Podium gesessen und frak tions- und parteiübergreifend zwei Zusagen gemacht: Wir wer den uns gemeinsam darum kümmern, dass es einen Einstel lungskorridor geben wird und dass die Altersteilzeit auf die Tagesordnung kommt. Ich habe bereits auf dieser Veranstal tung gesagt, dass das kein Thema für den damaligen Haushalts plan 2017, sondern das Thema für die Beratungen und Ver handlungen im TV-Umbau sei, die gegenwärtig laufen. Genau zu diesen beiden Punkten wird mit den beiden Gewerkschaften verhandelt. Ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg, das umzusetzen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Insofern wollte ich nur deutlich machen: Bei dem, was die Ko alition und auch die Linken öffentlich gemacht haben, und

zwar nach Absage der Verwaltungsstrukturreform, dass wir an Elementen festhalten und sie umsetzen, bleiben wir. Wir sind bei der Umsetzung der Elemente, die wir im Zusammenhang mit der Verwaltungsstrukturreform genannt und die wir dem Land zugesagt haben.

Meine Damen und Herren! Unsere heutige Debatte mag ein bisschen den Eindruck erwecken, es gäbe eine Zäsur. Das ist vielleicht auch nicht ganz falsch. Aber es sollte nicht den Blick auf eines verstellen: Wir stehen unverändert vor der Herausfor derung, jetzt und heute unser Land so zu organisieren, so zu strukturieren und die Ressourcen so einzuteilen, dass wir auch in 10 oder 15 Jahren auf der Höhe der Aufgaben sind.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Verwaltungsreform - das haben wir immer betont - war und ist dabei nur eine der zentralen Handlungsaufgaben, die wir zu erfüllen haben. Wir haben immer gesagt: Für die perspektivi sche Entwicklung des Landes Brandenburg ist der gemeinsame Entwicklungsplan mit Berlin eine zentrale Herausforderung.

Herr Vogel, Sie haben dies angesprochen. Ich nehme an, Sie kennen den zweiten Entwurf. Dann kann ich nur sagen: Die Ab bildung der Funktionalität von ländlichen Räumen hat sich ge genüber dem ersten Entwurf radikal verändert, gerade weil ein Beteiligungsverfahren stattgefunden hat, weil Dutzende Veran staltungen im Land Brandenburg genau dazu durchgeführt wor den sind. Die grundfunktionalen Schwerpunktorte, also die ehe maligen Grundzentren, sind darin enthalten. Ich bin froh über das Regelwerk, dass die Regionalen Planungsgemeinschaften in einem Beteiligungsprozess genau diese grundfunktionalen Schwerpunkte für die Landkreise auswählen sollen. Selbstver ständlich ergibt sich daraus eine Aufgabe. Wir werden beim Fi nanzausgleichsgesetz auf die Ausfinanzierung achten müssen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Damit bin ich bei der zweiten zentralen Säule. Wir haben das Finanzausgleichsgesetz immer erwähnt. Der Ausgleich der Fi nanzen zwischen Land und Kommunen ist ja kein Gnadenakt, sondern wir sichern mit der Finanzierung eine stabile wirt schaftliche, soziale und infrastrukturelle Entwicklung. Wenn sich Steuereinnahmen verändern, muss selbstverständlich nach justiert werden; wenn die Notwendigkeit gegeben ist, muss die Verbundquote erhöht werden. Aber sie wird nicht allein auf Beschluss des Landtages erhöht, sondern dazu gibt es - auch das ist vorgeschrieben, und das ist richtig so - einen Beirat, der die Entscheidungen trifft oder einen Vorschlag macht, über den dann politisch zu entscheiden ist. Die Gutachten dazu sind in Auftrag gegeben, sie werden vorliegen.

Wir werden uns dann gemeinsam politisch dazu verständigen müssen, wie das FAG strukturell in der Perspektive aussieht. Ei nen der zentralen Punkte habe ich schon genannt. Die grund funktionalen Zentren werden ausfinanziert werden müssen, weil die öffentliche Daseinsvorsorge in der Fläche des Landes von der Verwaltung sonst nicht strukturell abgesichert werden kann.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Es ist sozusagen gelebte Praxis, dass die Fläche des Landes in seiner Unterschiedlichkeit

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

von uns politisch aufgenommen und zu den Zeitpunkten ent schieden wird, wenn entschieden werden muss.

Meine Damen und Herren, wir werden uns - da haben Sie völ lig Recht, Herr Vogel - auch sehr intensiv mit dem Soziallas tenausgleich zu befassen haben. Denn es ist nicht absehbar, dass die Sozialkosten von kreisfreien Städten und Landkreisen exorbitant sinken. Wir werden nach der Absage der Verwal tungsstrukturreform Mittel und Wege suchen. Sie hatte ja auch den Hintergrund, die Belastungen, die unter anderem in Kom munen und Landkreisen entstehen, in andere wirtschaftliche und verwaltungsbezogene Strukturen zu überführen, um hand lungsfähig zu bleiben.

Wir werden uns jetzt darüber verständigen müssen, wie mit dieser Situation umgegangen werden kann. Ich glaube, wir werden uns in dieser Legislaturperiode auch darüber verständi gen müssen, ob es beispielsweise noch zeitgemäß ist, dass das Land bei der Kita-Betreuung Geld für einen Betreuungsum fang von sechs Stunden überweist, während die Lebenswirk lichkeit bei den Betreuungszeiten zwischen acht und zehn Stunden liegt.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Da werden wir uns verständigen müssen, und ich sage einmal - meine Vorredner brachten das schon zum Ausdruck: Wir sind bereit und auch in der Lage dazu, die Frage der Qualifizierung in den Kitas selbst, aber auch die der Entlastung der Eltern ge meinsam politisch zu stemmen. Ich meine, wir werden das auch in unserem Haushalt deutlich machen können.

Es bleibt dabei, dass unsere öffentlichen Verwaltungen - das haben wir immer gesagt - auch in künftigen Zeiten demografi scher Umbrüche oder finanzieller Einschnitte handlungsfähig, effizient und bürgernah sein müssen. Deswegen werden wir als ein Element der Verwaltungsstrukturreform die Unterstützung von freiwilligen Zusammenschlüssen weiterführen. Nach der Zahl, die mir bekannt ist, sind gegenwärtig mehr als 25 Ge meinden des Landes Brandenburg in einem intensiven Bera tungsprozess, ob das, was auch Sie angesprochen haben - Mit verwaltungsmodell oder Amtsgemeindemodell -, für sie eine bessere verwaltungstechnische Lösung ist. Selbstverständlich werden wir das auch finanziell begleiten und, wo es notwendig ist, auch in diesem Bereich teilentschulden.

Aber der Respekt, den Sie zu Recht eingefordert haben, Herr Vogel, erfordert jetzt eins: Nach dem politischen Einschnitt des Zurückziehens beider Gesetze wird man mit den Akteuren re den müssen, um gemeinsam auszuloten, was geht, und darf keine Schnellschüsse veranstalten und keine Zeitpläne aufstel len, dass im Dezember die ersten Anträge zur Änderung von Gesetzentwürfen kommen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir werden also - das ist, glaube ich, auch in der Rede des Mi nisterpräsidenten deutlich geworden - offen in diese Gespräche gehen, in dem Wissen darum - das will ich an der Stelle auch noch einmal sagen -, dass das 2014 geänderte Gesetz zur kom munalen Gemeinschaftsarbeit bereits heute eine umfassende freiwillige Zusammenarbeit erlaubt. Die umfassende freiwilli ge Zusammenarbeit hat aber in den letzten Jahren nicht dazu geführt, dass in jedem Fall sozusagen strukturelle Entlastungen

aufgetreten sind, und wir werden uns jetzt gemeinsam mit den Akteuren überlegen müssen, ob bzw. wie das Modell weiter entwickelt werden kann. Aber auch das wird nicht von heute auf morgen gehen und schon gar nicht die notwendige Entlas tungswirkung in zwei oder drei Jahren zeigen. Das wird ein dauerhafter Prozess werden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Migration und Integration: Es war und ist eines der zentralen Handlungsfelder, die langfristig sind und bleiben. Wir haben doch in einem ersten Schritt die Herausforderung der Migration im Land Brandenburg insoweit gemeistert - auch unter Einbezie hung vieler Akteure, auch mit einem parteiübergreifenden politi schen Konsens mit Ausnahme der AfD hier im Landtag -, als wir die Aufnahme und Unterbringung zunächst regeln konnten.

Jetzt stehen wir sozusagen vor dem zweiten Schritt: Integration heißt mehr als Aufnahme. Integration heißt Arbeitswelt, Schu le, Wohnungsbau - viele Bereiche. Genau vor diesem Schritt stehen wir, und deswegen wird das Integrationskonzept des Landes Brandenburg auch weiterentwickelt. Natürlich ist das eine der zentralen Herausforderungen. Sie wird auch darüber entscheiden, wie demokratisch und vor allen Dingen wie welt offen verfasst dieses Land Brandenburg ist, und darum ist es für uns eine zentrale Herausforderung.

Keiner der Handlungsstränge, die ich genannt habe und wo wir als Linke die Verwaltungsstrukturreform politisch immer ein geordnet haben, ist mit dem Rückzug der Gesetze von der Ta gesordnung. Politische Entscheidungen haben den Sinn, in der gesellschaftlichen Entwicklung eine mehrheitlich getragene Option für ein gutes und sicheres Leben der Menschen zu er öffnen und dafür verlässliche und funktionierende Strukturen sowie ein solides Regelwerk zu schaffen. Gerade in unserer heutigen Debatte sollten wir diesen Ansatz im Zentrum unserer Aufmerksamkeit behalten. Wir, die rot-rote Koalition, haben mit diesem Ansatz - im Übrigen im gemeinsamen Diskurs aller Fraktionen in der Enquetekommission 5/2 - zunächst den In halt oder die Form einer Verwaltungsstrukturreform entwi ckelt.

Mit demselben Ansatz haben wir uns jetzt entschieden, die Re form in dieser Form zu stoppen. Die Gründe, die sie notwendig gemacht haben, und die Absichten, die wir damit verfolgt ha ben, bestehen weiter. Aber der Weg - das ist heute mehrfach deutlich gesagt worden -, auf dem wir uns letztlich alle befun den haben, hat sich als nicht weiter gangbar erwiesen. Was vor lag, fand vor allem bei den kommunalen Akteuren keine aktive Mehrheit.

Es ist dann kein Zeichen von Schwäche, sondern normales po litisches Handwerkszeug, dass ich mir, wenn ich feststelle, dass trotz eines intensiven Diskurses eine politische Entschei dung - auch aufgrund eigener Fehler - nicht umsetzbar ist, über die Form Gedanken mache, das Ganze zurückziehe, verändere und neue Wege suche.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Insofern, Herr Vogel, bin ich dankbar für Ihre Unterscheidung zwischen Demut und Demütigung, die ich inhaltlich einfach teile, weil wir mit dem Rückzug der beiden Gesetzentwürfe durch die Landesregierung uns als Koalition, als Parlament,

aber auch als Gesellschaft in Brandenburg die Möglichkeit er öffnet haben, einen offenen Diskurs neu anzufangen - neu an zufangen in dem Wissen darum, dass die Problemlagen, die zu unserer Einschätzung geführt haben, dass eine Verwaltungs strukturreform notwendig ist, bleiben. Insofern bin ich auf den Dialog gespannt.

Ich hätte mir auch gewünscht, dass der Landkreistag sich in seiner Sitzung für eine aktive Rolle als Institution entschieden und diese Entscheidung nicht wieder ein Stück weit zurückge holt hätte. Ich will nur sagen: Wir als Linke, wir als Koalition sind offen für Gespräche. Wir erwarten das natürlich auch von unseren Gesprächspartnern - auch das ist ein Punkt, den man hier ansprechen muss.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

So ist das in der Politik: Einem Ansatz können diametral entge gengesetzte Entscheidungen entspringen - nicht, weil Regie rungen schizophren oder Politiker Opportunisten sind oder weil es immer nur eine Wahrheit gibt und diese Wahrheit im mer im Besitz der Opposition ist. Nein, das ist so, weil Politik auch Ausgleich und Abwägung sein und auf gesellschaftlichen Mehrheiten beruhen soll.

Dabei hat sie zugleich eine zweite Funktion: Mehrheiten stel len sich nicht von selbst ein. Wenn man zu der Entscheidung kommt, dass eine politische Ausrichtung richtig und notwendig ist, dann muss man auch um Mehrheiten ringen. Ansonsten macht man Politik nach Umfragen, und ich glaube, das ist falsch.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Und wenn man feststellt, dass Mehrheiten auf einem Weg nicht herstellbar sind, dann ist irgendwann der Zeitpunkt zu sagen: Die Form, mit der man Mehrheiten finden wollte, war viel leicht nicht die richtige, und deswegen werden wir uns andere Formen ausdenken, weil das Problem weiter besteht.

Meine Damen und Herren! Worum es heute geht, ist sicherlich einerseits die Absage der Verwaltungsstrukturreform, und an derseits geht es aber auch weiter - und heute erst recht - um die nächsten Entscheidungen und Weichenstellungen der gesell schaftlichen Entwicklung, um mehrheitlich getragene Optio nen für ein gutes und sicheres Leben der Menschen zu eröffnen und dafür verlässliche Strukturen und Institutionen zu schaf fen. Ich will versuchen, mich vor allem dieser Frage zu wid men.

Wir haben in der nächsten Zeit Strukturwandelprozesse vielfäl tiger Art zu bewältigen - oftmals kompakter und dynamischer, als noch vor einigen Jahren gedacht -, die zum Teil auch unvor hersehbare Elemente in sich tragen.

Zur Energiewende in der Lausitz: Herr Vogel, niemand stellt die Energiewende infrage. Ich glaube, was politisch geleistet werden muss, ist, dass die Energiewende mit sozialen Perspek tiven, infrastrukturellen Perspektiven, kommunalen Perspekti ven in der Lausitz, aber auch in allen anderen Regionen, die ebenfalls von diesem Strukturwandel betroffen sind, verbun den wird. Wir haben erlebt, welche Zeiträume Strukturwandel prozesse brauchen. Wir haben es in der Lausitz, in Ostdeutsch land hautnah erlebt. Es bedarf einer gemeinsamen Kraftan