Protokoll der Sitzung vom 27.06.2018

Diese Landesausbildungsförderung hat sich Ihr Kollege Ness einst mit Ihren Werbestrategen ausgedacht: minimaler Einsatz, maximale Verkaufswirksamkeit. Und wie die Weber einst dem Kaiser weismachten, nur wer klug und seines Amtes würdig sei, könne die neuen Kleider sehen, so gaukeln auch Sie vor, diese Ausbildungsförderung habe einen Effekt auf die Bildungsge rechtigkeit.

Darf auch ich Sie an die Evaluation der TH Wildau vom Okto ber 2013 erinnern? Sie machte deutlich, warum das so ist: weil wir überhaupt nicht wissen, ob, warum und wie viele Jugendli che aus anspruchsberechtigten Familien vor der Einführung der Landesförderung vielleicht nicht in die Sekundarstufe II wech selten.

(Bischoff [SPD]: Ist das jetzt falsch?)

Es werden im Bildungsbereich keine Sozialdaten von Familien erhoben, vorher nicht und nachher nicht. Für eine seriöse Erfor schung der sozialen Implikationen fehlt uns schlichtweg die Vergleichsgruppe. Der Evaluationsbericht machte deutlich, dass er uns keine empirisch gesicherten Erkenntnisse darüber geben kann, dass das brandenburgische Schüler-BAföG ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit ist.

Dass sich die befragten Leistungsbeziehenden über das Geld freuen, verwundert weiter nicht. Dass aber nur die Hälfte der Befragten bestätigte, ohne diese Förderung ihre schulische Ausbildung nicht absolvieren zu können,

(Frau Große [DIE LINKE]: Aha!)

ist angesichts dessen, dass das natürlich die sozial erwünschte Antwort ist, immer noch ein erstaunlich niedriger Anteil. Im merhin sind die Wildauer dann doch Wissenschaftler und seriös genug, ihre Zusammenfassung damit einzuleiten - Seite 56 des Berichtes -, dass sich „keine dezidierte Aussage zur positiven Beeinflussung der Bildungsbiografie treffen lässt.“ Gleiche Be denken gelten übrigens auch für die von der CDU geforderte Evaluation. Die Evaluation werden wir ablehnen, aber eine An hörung können wir gern durchführen.

Wenn wir aus den 100 Euro jetzt 125 Euro machen, ist das für die Bildungsgerechtigkeit genauso nichtssagend und durch sichtig wie des Kaisers neue Kleider in Andersens Märchen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie der Abgeordneten Hoffmann und Nowka [CDU])

Vielen Dank. - Für die Landesregierung erhält Ministerin Ernst das Wort.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Erklären Sie den Kollegen einmal, was das Schüler-BAföG bringt!)

Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was lehrt uns diese Debatte bisher? Sie zeigt, wie mühsam es ist, auch nur die kleinsten BAföG-Reformen in Deutschland durchzusetzen. Das begleitet diese Reformen von Anfang an.

Ich glaube, dass die Argumente, die wir hier von konservativer, aber auch von grüner Seite gehört haben, so neu nicht sind. Im mer wieder wird das Instrument infrage gestellt, und mit for mal-vordergründigen Argumenten wird die Investition in die frühe Bildung gegen das BAföG ausgespielt. Ich finde das, ehr lich gesagt, ziemlich billig.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Als Zweites wird am Antrag in handwerklicher Hinsicht her umkritisiert. Ich will deutlich sagen - das haben wir auch öf fentlich diskutiert -: In der Tat war es ja so, dass man versucht hat, eine etwas andere Komponente in das Schüler-BAföG hin einzubringen. Darauf sind Sie gar nicht eingegangen. Es war das Ziel, die Zahlung nicht nur an Bedürftigkeit der Familie, sondern auch an die Schülerleistungen zu koppeln. Ich sage ausdrücklich: Ich finde das einen guten Gedanken. Wir mussten den Abgeordneten im Ergebnis unserer rechtlichen Prüfungen aber mitteilen, dass das auf der Basis unseres Grundgesetzes und unseres Schulgesetzes nicht zulässig ist. Wir dürfen dieses Kriterium bei der Zahlung nicht zur Anwendung bringen. Das war einer der Gründe, weswegen wir über diese Förderung et was länger diskutiert haben. Ich finde, das ist uns nicht vorzu werfen. Im Kern bleibt es dabei, dass Kinder aus einkommens schwächeren Familien, die die Oberstufe besuchen, ihre Talente ausschöpfen und die allgemeine Hochschulreife erlangen wol len, mit diesen Mitteln unterstützt werden. Das ist ein guter und richtiger Weg.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber gern.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Sie haben gerade ein paar Hin tergründe dargelegt: die Anfrage, die Prüfung und der Bescheid Ihres Ministerium, dass es rechtlich unzulässig ist. Stimmen Sie mit mir wenigstens darin überein, dass es zum guten Stil gehört hätte, diese Erkenntnisse, die Sie den Kollegen aus Ihrer Partei mitgeteilt haben, auch mit den Kollegen der anderen Fraktionen zu teilen? Erscheint da ein normales Verfahren mit 1. Lesung, Ausschussüberweisung, Ausschussdiskussion und 2. Lesung nicht sinnvoller als das Hauruckverfahren, das Sie zunächst probieren wollten?

(Zurufe)

Herr Abgeordneter Hoffmann, die Frage, wie Sie …

(Weitere Zurufe)

Hab ich das Wort oder …

Sie haben das Wort.

Herr Abgeordneter Hoffmann, es ist Sache der Abgeordneten, diese Dinge selber zu regeln. Ich sage Ihnen aber ausdrücklich, dass ich bei einer Erhöhung um 25 Euro bei einem bewährten Instrument eine schnelle Zustimmung erwartet hätte, weil die ses Instrument in Brandenburg offenkundig gut angenommen wird. Dass wir es mit gestiegenen Lebenshaltungskosten zu tun haben, weiß jeder. Insofern bin ich nicht auf die Idee gekom men, dass eine solche Erhöhung einen derartigen Diskussions bedarf nach sich zieht. Aber nachdem ich Ihre Rede gehört habe, stelle ich fest, dass es Ihnen nicht um eine Anpassung um 25 Euro, um eine Anpassung an die Lebenshaltungskosten geht, sondern dass Sie das Instrument grundsätzlich infrage stellen. Das ist Ihr Ansinnen.

(Bischoff [SPD]: Richtig! Von Anfang an schon! - Ver einzelt Beifall SPD sowie der Abgeordneten Dannenberg [DIE LINKE])

Ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Man kann hier nicht über Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit sprechen und dann ausweichen, wenn es konkret wird. Sie haben die Bil dungsstudie zitiert: Der Anteil der Kinder, die aus bildungsfer nen Elternhäusern, also Elternhäusern, wo die Eltern kein Abi tur haben, kommen und die Universität besuchen, ist deutlich niedriger. Im Bildungsbericht steht aber eine zweite Zahl, und die bezieht sich nicht auf den Universitätsbesuch, sondern auf den Schulbesuch.

Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

(Bommert [CDU]: Nein! - Vereinzelt Heiterkeit)

Ich möchte meinen Gedanken zu Ende führen; danach gerne. - Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, deren Eltern kein Abi tur haben und die eine Schule besuchen, an der der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife möglich ist, ist ja auch deutlich niedriger. Das ist ein ebenso wichtiger Wert. Kommen die Kin der aus Haushalten mit höherem Bildungsstand, besuchen sie zu 76 % eine Schule, an der man die allgemeine Hochschulreife erwerben kann. Kommen sie aus Elternhäusern mit niedrigerem Bildungsstand, sind es 54 %. Der Bildungsstand hat also Ein fluss auf den Bildungsweg. Wir sehen bereits eine Spreizung im Hinblick auf den Besuch einer Schule, an der das Ablegen des Abiturs überhaupt möglich ist. In vielen Familien spielt die Fra ge, ob Kinder zum Familieneinkommen beitragen müssen und deshalb nicht weiter zur Schule gehen sollen, nach wie vor eine Rolle. Deshalb ist das Schüler-BAföG hier die richtige Antwort aus Brandenburg.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage.

Bitte schön, die Frage.

Vielen Dank, Frau Ministerin, für die Möglichkeit der Nachfra ge. Ihre Rede regte mich dazu an.

Meine erste Nachfrage lautet: Wie stehen Sie eigentlich zu zen tralen Begriffen wie Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit? Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass die Landesregie rung sich insbesondere a) an die Landeshaushaltsordnung zu halten hat und b) auch mit besonderer Sorgfalt und Umsicht dem Parlament gegenüberzutreten hat?

Zweite Frage: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass ein Gesetz auch handwerklich sauber eingebracht werden muss und über die finanziellen Auswirkungen, Inhalte und Volumina Auskunft zu geben hat?

Dritte Frage: Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass Ihr Vorgehen gerade wie Hohn und Spott wirkt für von uns einge brachte Gesetzentwürfe bzw. Anträge, die ein viel geringeres Volumen aufweisen und die Sie ablehnen, weil Sie daran beson ders hohe Maßstäbe in Form von formalen Kriterien anlegen, und ist das nicht ein Messen mit zweierlei Maß? Ziemt sich ein solches Verhalten für Mitglieder der Landesregierung in diesem Haus? - Das waren meine Nachfragen. Danke.

Vielen Dank. - Ich sehe die Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit hier nicht infrage gestellt. Das sind wich tige Grundsätze. Ich wiederhole: Es ist Aufgabe der Abgeord neten, die Verfahren jeweils zu besprechen. Da erlaube ich mir als Mitglied der Landesregierung keine Hinweise.

Noch einmal zum Schüler-BAföG: Ich will einen weiteren Ge danken in die Debatte bringen, um Ihnen zu widersprechen. Ich finde, Brandenburg kann sehr stolz darauf sein, mit dieser Lan desregelung etwas auf den Weg gebracht zu haben, was andere Bundesländer nicht haben,

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

insbesondere weil es sich um eine staatliche Leistung handelt. Ich schaue schon ein wenig mit zwiespältigen Gefühlen auf die Initiativen einer Reihe von Stiftungen in Deutschland. Die Her tie-Stiftung unterstützt mit Schülerstipendien Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die sehr leistungsstark sind. Stellen Sie das auch infrage? Eine Stiftung, die ich gut kenne, die Friedrich-Ebert-Stiftung, unterstützt ebenfalls leistungsstar ke Schülerinnen und Schüler mit Geld. Ich vermute, dass auch die Konrad-Adenauer-Stiftung vergleichbare Unterstützungs maßnahmen in ihrem Portfolio hat. Nach der Rede, die Sie hier gehalten haben, sollten Sie vielleicht einen Brief an diese Stif tung schreiben und darauf hinweisen, dass das alles überflüssig ist.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das zeigt sehr deutlich, dass viele in Deutschland sich Gedan ken machen, wie wir Schülerinnen und Schüler nicht nur in der frühen Bildung unterstützen, sondern auch an der Schnittstelle zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. Auch Sie kennen sicherlich den Vergleich, dass man aus der Länge der Bücher wände in den Elternhäusern ableiten kann, welchen Bildungs

weg die Kinder gehen werden. Nun werden Bücher, was den Zugang zu Wissen angeht, auch durch andere Medien abgelöst. Aber dass die Ausgangslage in den Elternhäusern den Bil dungsweg der Kinder und Jugendlichen beeinflusst, kann man doch nicht ernsthaft bezweifeln. Und wenn man Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gibt, nicht zu geizen, wenn man ein Museum, ein Theater oder ein klassisches Konzert besu chen will, dann, finde ich, kann man nur dafür sein. - Herzli chen Dank.

Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bit te.

Frau Ministerin, da das offensichtlich schwer zu begreifen ist, will ich noch einmal klarstellen, dass wir nicht den Nutzen der Unterstützung anzweifeln, sondern anzweifeln, dass die Ziel stellung auf diesem Weg erreicht werden kann. Wenn Sie darauf abstellen, dass das Schüler-BAföG für die Empfänger eine gro ße Unterstützung ist, dann frage ich Sie: Für wie gerecht halten Sie es eigentlich, dass Abiturienten aus einkommensschwachen Familien eine solche Unterstützung erhalten, angehende Erzie her allerdings, die eine Fachschule für Sozialwesen besuchen und dort unter Umständen noch Schulgeld bezahlen müssen, keine Unterstützung erhalten, obwohl sie ebenfalls aus einkom mensschwachen Familien kommen?

Herr Abgeordneter Hoffmann, ich antworte Ihnen gern auf die se Frage. Erneut nehme ich es so wahr, dass Sie vordergründig andere Argumente anführen. Jetzt haben Sie ein drittes ange führt: Neben der frühen Bildung und der Bürokratie kommen jetzt die Erzieherinnen und Erzieher hinzu. Ich sage Ihnen aus drücklich: Es ist auch Ziel dieser Landesregierung, dass Erzie herinnen und Erzieher diese wunderbare Weiterbildung machen können, ohne finanziell belastet zu werden.

(Vereinzelt Beifall SPD sowie der Abgeordneten Dannen berg [DIE LINKE])

Ich weise Sie darauf hin, dass es für diese Gruppe die Möglich keit gibt, Schüler-BAföG zu beziehen, und dass ich das sehr gut finde. Die Bundesregierung hat in der letzten Wahlperiode die Möglichkeit geschaffen, das alte Meister-BAföG - jetzt Auf stiegsfortbildungsförderungsgesetz - für diese Zielgruppe zu öffnen. Das halte ich ausdrücklich für richtig. Auch damit wird der Grundsatz realisiert, dass Bildung nicht am Geldbeutel scheitern darf. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und vereinzelt DIE LINKE)

Vielen Dank. - Auf meiner Liste steht noch einmal die Abgeord nete Koß von der SPD-Fraktion. Besteht noch Redebedarf? - Nicht. Dann schließe ich die Aussprache und rufe zur Abstim mung auf.