Die gesetzlichen Regelungen, die das beschleunigte Verfahren ermöglichen, sind nicht neu. Bereits im Jahr 1994, als das Verbrechensbekämpfungsgesetz verabschiedet wurde, wurde das beschleunigte Verfahren neu gestaltet, um eine vermehrte Anwendung dieser Verfahrensart zu erreichen.
Dennoch müssen wir, auch bundesweit, feststellen, dass dieses Verfahren von den Amtsgerichten nach wie vor selten angewandt wird. Das liegt aber nicht an der Strafobergrenze für diese Verfahrensart, sondern das hat ganz andere Gründe. Frau Kollegin Fischer ist vorhin schon darauf eingegangen.
Zum einen setzt die Anwendung des Verfahrens voraus, dass ein einfacher Sachverhalt oder eine klare Beweislage vorliegen. Das ist sicherlich bei Ladendiebstählen, kleinen Drogendelikten oder Straßenverkehrsdelikten der Fall. Das heißt, die Voraussetzung für die Durchführung des beschleunigten Verfahrens ist, dass der Sachverhalt schon vor dem Verfahren klar ist. Bei mehreren Beschuldigten, widersprüchlichen Aussagen, fehlenden Geständnissen oder schwierigen Rechtsfragen ist das Verfahren kaum möglich. Außerdem muss gesichert sein, dass die Rechte der Beschuldigten gewahrt bleiben.
Zum anderen wird in der Praxis von den Gerichten das Strafbefehlsverfahren dem beschleunigten Verfahren vorgezogen, weil es ökonomischer ist. Der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens nach §§ 407 ff. StPO ist zwar mit dem des beschleunigten Verfahrens weitgehend deckungsgleich, aber das Strafbefehlsverfahren ist eben nicht so personalaufwendig. Mehr beschleunigte Verfahren - das haben Sie vorhin auch schon festgestellt - bedeuten mehr Stellen bei der Polizei und auch bei der Justiz. Nach § 418 Abs. 1 StPO muss das Hauptverfahren einschließlich des Ermittlungsverfahrens innerhalb von sechs Wochen abgeschlossen sein. Dazu ist es erforderlich, dass innerhalb dieser Zeit alle Beweise gesichert und ausgewertet werden und dass die Zeugenvernehmungen abgeschlossen sind. Das bedeutet für die Gerichte, für die Staatsanwaltschaften und für die Polizei einen personellen und organisatorischen Mehraufwand, der momentan noch nicht gedeckt werden kann.
Wer mehr beschleunigte Verfahren in den Strafprozessen ermöglichen will, muss also im Landeshaushalt auch mehr Stellen für die Justiz und für die Polizei schaffen. Das ist dann eine Aufgabe für den neuen Landtag. Deshalb freue ich mich auf eine interessante Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Idee, Straftäter vor Schnellgerichten möglichst effektiv und auch noch möglichst hart zu verurteilen, wird gerade in populistischen Zeiten wie diesen gern aus der Mottenkiste gekramt und dann, wie heute im Brandenburger Landtag, der für die Strafprozessordnung bekanntlich überhaupt nicht zuständig ist, mit Verve vorgetragen. - Herr Kollege Vida, dass Sie das tun, obwohl Sie es als Rechtsanwalt eigentlich besser wissen müssten, ärgert mich tatsächlich.
Gerade für Strafverfahren, in denen der Staat das schärfste Schwert des Rechtsstaates schwingt - zum Glück nicht mehr im
Wortsinne; die Leute bleiben alle am Leben - und Menschen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und ihnen auch andere Rechte nehmen kann, gelten doch besondere rechtsstaatliche Grundsätze und Grenzen. Effektivität spielt hier aus guten Gründen nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr gilt es, tatsächlich Beweise zu würdigen, Zeugen zu hören und sich ein Bild von den Personen und ihren Motiven zu machen. Und es gilt auch nicht ganz zu vergessen: Es sind durchaus komplexe juristische Erwägungen anzustellen.
Sie haben hier Fälle erwähnt. Es ging übrigens immer um Fälle am Landgericht, die lange liegen. Am Landgericht wird es nie beschleunigte Verfahren geben.
Die sind dafür einfach nicht geeignet. Solche Verfahren finden an Amtsgerichten statt. Insofern ergibt Ihr Antrag auch schon an der Stelle keinen Sinn. Auch mit einer Strafobergrenze von zwei Jahren sind wir nämlich weiterhin am Amtsgericht.
Was auch nicht stimmt, Herr Vida: Sie haben gesagt, dass die Rechte die gleichen seien und das Verfahren nach dem gleichen Schema ablaufe. Das ist nicht so. Wir haben völlig eingeschränkte Rechte. Wir haben ein ganz anderes Verfahren. Wir haben an dieser Stelle eine Ladungsfrist von 24 Stunden. Wir haben keine mündliche Verhandlung im eigentlichen Sinne mehr. Zum Beispiel können Zeugenaussagen verlesen werden. Insofern möchte ich das an der Stelle richtigstellen.
Herr Kollege, Sie wissen ganz genau, dass beschleunigte Verfahren in mehr als 95 % der Fälle überhaupt nicht in Betracht kommen.
Ich glaube, es gehört dazu, dass man, wenn man eine Kritik äußert, präzise wiedergibt, was gesagt wurde. Haben Sie mitbekommen, dass meine Aussage natürlich nicht war, dass im beschleunigten Verfahren dieselben Rechte gelten wie im regulären Verfahren? Vielmehr würden, wenn dieser Antrag angenommen und der Maximalstrafrahmen erhöht würde, die anderen prozessualen Rechte im beschleunigten Verfahren dadurch nicht verändert. Also: Wenn man unseren Vorschlag mit dem jetzt geltenden Gesetz vergleicht, stellt man fest, dass es zu keinen prozessualen Rechtsverschlechterungen für den Angeklagten käme. Es ist etwas anderes, dass im beschleunigten Verfahren
die Rechte schon jetzt anders ausgestaltet sind als im regulären Verfahren. Könnten Sie die Größe besitzen, das im Rahmen Ihrer Kritik klarzustellen und zu präzisieren?
Sehr geehrter Herr Kollege Vida, natürlich habe ich die Größe, einzugestehen, dass ich Sie an der Stelle vielleicht falsch verstanden habe. Aber dann nehmen Sie vielleicht auch zur Kenntnis, dass die prozessualen Regelungen im beschleunigten Verfahren und auch im Strafbefehlsverfahren schon jetzt sehr misslich sind
und dafür sorgen, dass gerade Menschen in sozialen Schwierigkeiten schnell verurteilt werden - Sie haben von einer Akzeptanz der Urteile gesprochen -, die sich am Ende nicht wehren können. Ich komme nachher noch dazu, dass diese Verfahren in ganz besonderen Fällen angewandt werden. Das hat nicht immer etwas damit zu tun, dass die Sachverhalte einfach sind, sondern mit etwas anderem. Wir sprechen hier über Armutskriminalität, über obdachlose Menschen, über BTM-Konsumenten und über Asylbewerber. Das sind die Menschen, die am Ende von den Gerichten in einem Schnellverfahren verurteilt werden. Das ist ein großes Problem, und deswegen ist es nicht erstrebenswert, dass man diese Verfahrensart sozusagen auch noch ausbaut.
- doch, das tun Sie -, nur um sozusagen eine effektivere Rechtsprechung zu ermöglichen; denn, wie gesagt, im Strafverfahren sollte die Effektivität nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es geht hier um das Schuldprinzip und um die individuelle Schuld, und daran hat sich das tatsächlich zu messen. Ich empfehle tatsächlich jedem von Ihnen, sich einmal einen Tag lang in einem Amtsgericht in einen Strafprozess zu setzen und das zu verfolgen. Da werden Sie sehen, die Menschen, die vor Gericht stehen, sind nicht einfach. Sie haben oft multiple Probleme. Die Beweislagen und die rechtliche Würdigung sind häufig schwierig.
Die Klimakleber-Geschichte haben Sie hier auch angeführt. Das ist die Debatte, an der sich das in Berlin hochgezogen hat. Gerade diese Verfahren sind seltenst einfach gelagert, sondern sie erfordern relativ komplexe juristische Würdigungen im Hintergrund, und das sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen. Auch das Kammergericht hat jüngst entschieden, dass das tatsächlich kein geeignetes Mittel ist.
Nein, an der Stelle nicht mehr. - Wie gesagt, die Frage ist: Wer ist von diesen beschleunigten Verfahren betroffen? Wie Herr Ronen Steinke, der ein Buch zur neuen Klassenjustiz geschrieben hat, spreche auch ich hier von Klassenjustiz;
denn betroffen sind, wie gesagt, tatsächlich Obdachlose, BTMKonsumenten und davon Abhängige. Armutsdelikte wie Ladendiebstahl werden hier abgeurteilt, und es betrifft auch Asylbewerber. Es sind Menschen, die sich keinen Anwalt leisten können, die am Ende in einem solchen beschleunigten Verfahren abgeurteilt werden. Wir als Linke sind gegen eine solche Klassenjustiz. Das dürfte sicherlich jedem in diesem Saal bekannt sein. Das ist zwar gerade nicht populär, aber es ist richtig.
Herr Vida, vielleicht können wir uns in einem Punkt einigen. Wir haben etwas gegen den Ausbau von beschleunigten Verfahren. Aber wir haben nichts dagegen, Verfahren zu beschleunigen. Da geht es tatsächlich um zwei entscheidende Punkte, zum einen um die Digitalisierung, zum anderen um die Entkriminalisierung. Zum einen kann man durch die Digitalisierung auch die Verfahren sehr gut beschleunigen. Wir haben in Spanien auf der Ausschussreise gesehen, wie das geht. Es fängt bei der Terminkoordinierung an, die digital abläuft, und es geht weiter mit der Aktenversendung. Dann hätten wir ein Problem wie das am Landgericht auch nicht mehr.
Zum anderen ist das die Entkriminalisierung. Bei einfach gelagerten Verfahren reden wir über Cannabisdelikte, über das Erschleichen von Leistungen, über Containern, über die Residenzpflicht, über kleinste Ladendiebstähle. Früher wurde so etwas „Mundraub“ genannt. Man könnte tatsächlich daran arbeiten, das alles abzuschaffen oder zu Ordnungswidrigkeiten herabzustufen. Dann würde, wie bei Verkehrsverstößen auch, ein Bußgeld drohen, aber eben kein Strafverfahren. Warum man Menschen wegen Armut oder wegen selbstschädigenden Verhaltens - des Konsums von Drogen - einsperrt und meint, damit etwas zu ändern, obwohl die Forschung dies klar widerlegt, hat sich mir nämlich noch nie erschlossen.
Damit komme ich zum Änderungsantrag der AfD. Obwohl: Herr Möller, ich habe es wirklich versucht, aber ich kann Sie weder inhaltlich noch akustisch verstehen, wenn Sie hier vortragen. Ich kann aber lesen. In Ihrem Antrag steht tatsächlich, dass Sie für alle Gerichtsbarkeiten mehr Richterstellen fordern. Sie haben doch im Rechtsausschuss die Zahlen zu allen Gerichten abgefragt. Da konnten wir sehen, dass wir bei den Strafverfahren an Amtsgerichten einen enormen Rückgang bei der Zahl der Fälle haben. Am Amtsgericht Potsdam gibt es seit 2017 minus 1 000 Verfahren, am Amtsgericht Frankfurt (Oder) sind es minus 500.
Wir haben also gar keinen Anstieg bei der Zahl der Strafverfahren. Die Diskussionen hier über die zunehmende Zahl von Straftaten sind tatsächlich reiner Populismus. Wir haben dieses Pro-
blem nicht. Die überlangen Verfahrensdauern werden sich durch die eingestellten Richterinnen und Richter sicher in Kürze erledigen, aber nicht durch beschleunigte Verfahren. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Werte Abgeordnete! Auch von mir einen Dank an BVB / FREIE WÄHLER, dass sie diese wichtige Frage ins Plenum getragen haben, die uns alle schon lange beschäftigt, und herzlichen Dank an Marlen Block für diesen klugen und politisch interessanten Redebeitrag!
(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt Die Linke - Vida [BVB/FW Gruppe]: „Klassenjustiz!“ Sehr gut gesagt! - Walter [Die Linke]: Herr Vida, Sie sind nah bei uns!)
Deswegen kann ich es kurz machen. Die Frage, die uns alle beschäftigt, ist: Wie kann die zu lange Dauer von Strafverfahren vor Gericht verkürzt werden? Denn es ist klar: Wenn die Strafe für eine Straftat erst Jahre später erfolgt, sinkt das Unrechtsbewusstsein, und es sinkt auch das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Deswegen ist es richtig, diese Frage zu stellen.
Jetzt macht die Gruppe BVB / FREIE WÄHLER auch einen konkreten Vorschlag. Sie wollen nämlich die Strafobergrenze für die Verfahren nach § 417 StPO erhöhen. Nun stellt sich die Frage: Ist das der richtige Weg? Ich will es nicht zu spannend machen: Nein. Ich brauche es auch nicht lang zu machen. Der wichtigste Grund, warum Ihr Vorschlag nicht die Lösung ist: Er würde nicht helfen. Beschleunigte Verfahren greifen nämlich nach den Richtlinien für Strafverfahren und Bußgeldverfahren eben nur dann, wenn sie leicht überschaubar sind. Das haben wir jetzt dreimal gehört und ist einfach richtig: Damit fällt die Mehrzahl der Fälle, von denen Sie reden, einfach weg.