Ich eröffne die Aussprache. Sie beginnt mit dem Beitrag des Abgeordneten Walter für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön.
Danke, Kollege Keller! - Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern haben wir vom Ministerpräsidenten gehört, dass die Geschichte der Gewinnerregion erst angefangen hat. Zumindest bemerkenswert ist: Brandenburg war im letzten Jahr die wirtschaftlich dynamischste Region. Das sind ohne Frage Erfolge, die hier stattfinden. Darüber kann man sich auch freuen.
Stolz darauf - auf diese Ansiedlung, auf die wirtschaftliche Entwicklung - kann man aber erst dann sein, wenn tatsächlich diejenigen davon profitieren, die für diesen wirtschaftlichen Aufstieg sorgen. Das sind natürlich neben den Selbstständigen, neben den Unternehmerinnen und Unternehmern auf jeden Fall die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land, die jeden Tag arbeiten gehen und oft noch viel zu schlecht bezahlt werden.
Erst dann kann man darauf stolz sein, und erst dann können wir tatsächlich von einer Gewinnerregion Brandenburg reden. Wir können aber im Moment nicht wirklich von einer Gewinnerregion Brandenburg reden. Wenn immer noch jeder dritte Beschäftigte in diesem Land zu Niedriglöhnen arbeitet - auch nach der Mindestlohnerhöhung -, ist das kein Grund, von einer Gewinnerregion zu sprechen. Es ist auch kein Grund, von einer Gewinnerregion zu sprechen, wenn Brandenburgerinnen und Brandenburger immer noch, im 33. Jahr nach der Wiedervereinigung, 1 000 Euro im Monat weniger bekommen als ihre Kolleginnen und Kollegen. Das ist immer noch kein Grund, von einer Gewinnerregion zu reden. Es ist auch kein Grund, von einer Gewinnerregion zu reden, wenn Menschen in Ostdeutschland immer noch deutlich mehr arbeiten müssen als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen.
Warum ist das so? - Weil wir im Osten eine verdammt miese Tarifbindung haben. Das müssen wir endlich bekämpfen.
Das Problem ist nicht neu. Das will ich nicht wegdiskutieren. Es gibt aber ein Mittel. Ich will zumindest noch einmal die Zahl nennen: Im Jahr 2022 haben nach Berichten des WSI 47 % der Beschäftigten unter einem Tarifvertrag gearbeitet beziehungsweise wurden nach einem Tarifvertrag bezahlt, aber nur 18 % der Betriebe in Brandenburg waren tarifgebunden. Wenn man dann den öffentlichen Dienst herausrechnet, hat man ungefähre Zahlen, die knapp über 10 % liegen. Das ist kein Zustand, den wir hinnehmen könnten.
Mal abgesehen von den Prozentzahlen: Was heißt das denn konkret? Konkret bedeutet es: Wenn du mit Tarifvertrag arbeitest, liegt dein Bruttodurchschnittslohn in Brandenburg bei
3 340 Euro. Ohne Tarifvertrag verdienen Brandenburgerinnen und Brandenburger im Monat nur 2 300 Euro. Es macht also einen Unterschied von 1 000 Euro pro Monat brutto, ob du unter einem Tarifvertrag arbeitest oder nicht.
Es hat nicht nur etwas mit dem privaten Portemonnaie zu tun, sondern auch mit unseren Sozialkassen: Umso mehr Brutto, desto besser sind die Sozialkassen aufgestellt. Das heißt: Umso besser die Löhne, desto besser auch die Renten. Deshalb brauchen wir eine deutlich stärkere Tarifbindung.
Ja, wir haben es auch in unserer Regierungszeit mit dem Vergabemindestlohn versucht. Wir haben es mit dem wichtigen Bündnis für Gute Arbeit versucht, ohne Frage. Wir müssen jetzt aber einfach mal einen mutigen Schritt nach vorne gehen. Wir brauchen die Tariftreueregelung in Brandenburg!
Eine Tariftreueregelung in Brandenburg würde bedeuten, dass nur noch Aufträge an Unternehmen vergeben werden, die nach Tarif bezahlen oder in der Tarifbindung sind. Auch Fördermittel, so unser Vorschlag, würden nur an Unternehmen vergeben, die nach Tarif bezahlen. Entschuldigen Sie bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber es ist ja wohl das Mindeste, wenn wir fördern, wenn wir öffentliche Gelder ausgeben, dass wir nicht an Unternehmen zahlen, die sich an dem Niedriglohnwettbewerb beteiligen, sondern es den Unternehmen geben, die gute Löhne zahlen. Erst dann wird Brandenburg wirklich wieder zu einer Gewinnerregion für alle.
Ich will Ihnen das Beispiel der Pflege nennen. Gerade hier haben wir in den letzten Jahren immer wieder dagestanden und zu all diejenigen, die in Krankenhäusern oder in Altenheimen arbeiten, gesagt: Applaus, Applaus, ihr seid systemrelevant. - Erst am Montag haben Kolleginnen und Kollegen aus Altenheimen in Bernau gestreikt. Ich sage Ihnen, warum: weil auch hier die Tarifbindung nicht vorherrschend ist und wir immer noch keine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Pflegetarifvertrages in Brandenburg haben. Das ist ein riesiges Problem, und hier müssen wir endlich dafür sorgen, dass den Worten, die Sie ja alle finden - Sie Grüne, Sie als SPD immer gerne bei 1.-Mai-Kundgebungen oder bei Streikkundgebungen, denen wir auch immer wieder Applaus spenden -, endlich Taten folgen und wir die Tariftreueregelung hier gesetzlich festlegen.
Diese Tariftreueregelung wird nicht nur zu mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und übrigens auch zu mehr Sicherheit in dieser krisenbehafteten Zeit führen, sondern auch für Gerechtigkeit für Unternehmerinnen und Unternehmer sorgen, weil dann klar ist, dass nicht mehr der, der das billigste Angebot abgibt, den Auftrag bekommt, sondern dass alle ungefähr ähnliche Voraussetzungen haben. Insofern stärkt man auch die Unternehmerinnen und Unternehmer.
- Danke. - Bevor jetzt einige wieder ihr Antikommunismus-Bingo spielen wollen und uns irgendwas von Kommunismus und Planwirtschaft erzählen wollen: Diese Tariftreueregelung ist Bestandteil Ihres Koalitionsvertrages. Sie sollten jetzt mal langsam anfangen, diesen umsetzen. Viel Zeit haben Sie nicht mehr. Sie haben reingeschrieben, Sie wollen die Tariftreueregelung prüfen. Ich weiß nicht, wie lange Sie noch prüfen wollen. Das ist tatsächlich selbst für Sie schon sehr lang. Ich habe gelesen, Sie haben schon vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe gegründet. Ich würde mich wirklich dafür interessieren, was die Arbeitsgruppe immer noch prüft. Berlin hat die Tariftreueregelung eingeführt und die Grundvoraussetzungen geschaffen. Brandenburg könnte sich einfach nur anschließen.
Liebe SPD, liebe Grüne, vergesst nicht: Wir haben gemeinsam eine Mehrheit in diesem Landtag. Es wäre überhaupt kein Problem, die Tariftreueregelung jetzt hier tatsächlich einzuführen und wirklich in Brandenburg Zukunft zu machen. Die CDU bleibt dann eben zurück, aber das ist dann eben so. - Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. - Bevor wir mit den Reden fortfahren, muss ich sagen: Ich habe oben auf der Besuchertribüne noch zwei Gruppen unterschlagen. Ich entschuldige mich dafür.
Wir haben dort einerseits auf Einladung der Abgeordneten Sahra Damus noch die Mitglieder der Bürgerinitiative für die Reaktivierung des Haltepunktes Booßen sitzen. Vielleicht zeigen Sie kurz, dass Sie da sind. - Jawohl!
Auf meiner Liste stehen noch Mitglieder der Stadtverbände Großbeeren und Ludwigsfelde auf Einladung des Abgeordneten Danny Eichelbaum. Sind Sie auch da? - Jawohl, Sie sind auch da. Dann auch Ihnen herzlich willkommen!
Dann geht es jetzt weiter mit dem Abgeordneten Rüter für die SPD-Fraktion als nächstem Redner. Bitte schön.
(Bretz [CDU]: Gute Regeln müssen gut geprüft werden! - Keller [SPD]: Sebastian will ständig in unsere Arbeitsgrup- pen! - Walter [DIE LINKE]: In Eure Arbeitsgruppen brauche ich nicht!)
So einfach, und gar nicht so richtig neu. Ich sage das auch deswegen, weil vor 150 Jahren der erste deutsche Tarifvertrag in Kraft getreten ist. Damals war es der Verband der Buchdrucker, der diesen Tarifvertrag ausgehandelt hat. Heute machen das die Gewerkschaften. Sie sind die starke Stimme der Beschäftigten und sorgen dafür, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Löhne nicht selbst aushandeln müssen. Wir merken gerade wieder deutlich, wie wichtig Gewerkschaften sind.
Sie haben es vielleicht schon gelesen: Heute gibt es auch bei uns etwas Neues. Bei den Tarifverhandlungen zwischen der Eisenbahnergewerkschaft und der Deutschen Bahn versucht der Arbeitgeber immer wieder, uns mit lächerlichen Angeboten abzuspeisen.
Wir haben Warnstreiks durchgeführt, weil im Jahr 2023 eben nicht über Tabellen unterhalb des allgemein verbindlichen Mindestlohns verhandelt wird, weil die Kolleginnen und Kollegen einen fairen Inflationsausgleich verdienen, und weil es nicht sein kann - da gebe ich Ihnen recht, Kollege Walter -, dass viele Jahre nach der Wiedervereinigung im Osten Deutschlands noch andere Löhne gezahlt werden als im Westen Deutschlands. Wir haben viel verhandelt. Sie haben es vielleicht schon gehört: Leider werden wir nun in die Urabstimmung gehen müssen, und ich hoffe, dass wir vorher noch zu Ergebnissen kommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, das sage ich, weil die Tarifbindung auch für die SPD-Landtagsfraktion schon seit längerer Zeit ein wirklich wichtiges Thema ist. Aber das Thema Tariftreue, die Verankerung von Tariftreue in Vergabegesetzen ist deutlich komplexer als eine Unterschrift auf einem Stück Papier - deutlich komplexer. Ja, wir können Ihnen in vielen Punkten zustimmen, ich kann Ihnen in vielen Punkten zustimmen. Auch ich wünschte mir, wir wären beim Thema Tariftreue schon weiter. Dennoch: Es gibt wirklich gute Argumente. Sich sorgfältig vorbereiten und Gründlichkeit und Genauigkeit gehen auch hier vor irgendwelche schnell gesetzten Unterschriften auf irgendwelchen Papieren, wie Sie uns hier zu suggerieren versuchen.
Meine Damen und Herren, im September wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil den Entwurf eines Bundestariftreuegesetzes vorlegen. Ich bin sehr gespannt, wie es ausgestaltet wird. Wir werden uns das ganz genau angucken und werden sehen, wie und ob wir das für Brandenburg passend umsetzen können.
Für uns ist völlig klar: Ziel ist die Tariftreue innerhalb der Brandenburger Vergabegesetzgebung. Klar ist aber auch: Eine Tariftreueregelung hat Konsequenzen. Sie muss rechtssicher sein, sie muss sinnvoll kontrollierbar sein, und der Verwaltungsaufwand muss beherrschbar sein. Deswegen werden wir uns das sorgfältig angucken. Wir brauchen eine Regelung, die zu Brandenburg passt.
Meine Damen und Herren, es ist nicht so, dass hier nichts passieren würde. Wir haben vor zwei Jahren den Vergabemindestlohn als erstes Bundesland in ganz Deutschland auf ein wirklich gutes Maß angehoben. 13 Euro pro Stunde gelten seit dem 1. Mai 2021, und ich denke, das ist ein richtiger Schritt in genau die richtige Richtung. Das darf man auch mal wieder erwähnen, das wird ja gerne vergessen.
Für die Anpassung des Vergabemindestlohns ist nun wieder die Mindestlohnkommission zuständig. Dort werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zusammen beraten, was die Anpassung des Vergabemindestlohns braucht. Ich bin schon der Meinung, dass dort auf die Inflation reagiert werden muss; das halte ich für selbstverständlich. Das ist gerade für untere Einkommen wichtig - hier gibt es keine Rücklagen und keine Polster.
Herr Vizepräsident! Vielen Dank, Herr Rüter, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Folgende zwei Fragen: Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie die Tariftreue so lange prüfen, weil Sie insbesondere eine Regel finden wollen, die kontrolliert werden kann. Ich frage Sie: Warum haben wir einen Vergabemindestlohn in Brandenburg, dessen Einhaltung nicht kontrolliert wird, wie das Wirtschaftsministerium mehrfach schon auf Kleine Anfragen von mir hin deutlich gemacht hat? Warum haben wir also einen Vergabemindestlohn, der effektiv nicht kontrolliert wird, aber Sie warten bei der Tariftreue darauf, dass es irgendwelche Kontrollen gibt? Erste Frage: Warum tun Sie das?
Zweite Frage: Wenn Sie immer noch im Prüfprozess sind, können Sie mir aus Arbeitsgruppe, -gemeinschaft oder -kreis vielleicht kurz verraten, ob Sie denn persönlich damit rechnen, dass es eine Tariftreueregelung noch in dieser Legislatur geben wird?