Protokoll der Sitzung vom 13.07.2000

sprach dem Völkerrecht und unterscheidet ihn in nichts von den anderen Stadtkommandanten, die sich ebenfalls an diese Pflichten gehalten haben. Ein Vergleich mit dem General Clay. der

Berlin mehrfach vor der Vereinnahmung in den Sowjetblock gerettet hat. verbietet sich.

[Beifall bei der CDU]

Drittens: Die Opfer der Stalinzeit, vor allem die Opferorganisa

tionen, empfänden eine posthume Legitimierung Bersarins als eine Verhöhnung eben dieser Opfer. Die Gesellschaft für bedrohte Völker teilt mir eben mit, dass sie massiv gegen diesen Antrag sei, solange nicht die Biographie Bersarins auch in der Sowjetunion geklärt sei.

Viertens: Es spricht angesichts der mächtigen Funktion, die Bersarin durchStalins Beauftragung hatte, manches dafür, dass er ebenso wie die Gruppe Ulbricht instrumentalisiert war, im Sinne der Taktik, die Stalin eben dieser Gruppe Ulbricht auferlegt hatte, nämlich in Phase I die demoralisierten Deutschen für sich zu gewinnen, um sie in Phase II in seinen Ostblock zu zwingen. Ob Bersarin nur eine humane Maske trug oder nicht, kann von unserem Standort aus aber nicht entschieden werden.

Meiner Fraktion sind Menschen näher. deren Biographie ein

deutig bürger- und menschenrechtlich geprägt ist. Um von den Russen zu sprechen, nenne ich einmal Kopelew, Sacharow, Kowaljow, Solschenizyn, Pristawkin oder -erneut - die sowjeti

schen Soldaten, die sich 1953 geweigert haben, die Menschen, die am 17. Juni protestierten, mit ihren Panzern zu überrollen.

und das mit ihrem Leben bezahlen mussten.

[Beifall bei der CDU]

Gleichwohl wiederholen wir unseren Vorschlag an die Sozial

demokraten, in Gesprächen in Moskau im Oktober dieses Jahres die Diskussion mit dortigen Menschenrechtlern abzuwarten, um gegebenenfalls zu anderen, eindeutigeren Erkenntnissen zu gelangen. Sollten Sie Ihre ideologische Selbstsicherheit aber heute aufrecht erhalten, werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. Danke schön!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Dr. Lehmann

Brauns. - Für die Fraktion der PDS hat jetzt Frau Dr. Lötzsch das Wort.

Frau Dr. Lötzsch PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unabhängig davon, wie heute über diesen Antrag ent

schieden wird- die Debatte um die Bewertung der Geschichte wird uns nicht loslassen.

[Zurufe von der CDU]

Die Berliner Kirchen haben sich gerade damit auseinanderzusetzen, dass auch sie den Dienst von Zwangsarbeitern in Anspruch genommen haben, und in Griechenland läuft die Vollstreckung von Behörden gegen das Goethe-lnstitut. 55 Jahre nach Kriegsende sind noch viele Fragen offen und zu klären, und die Wunden schmerzen augenscheinlich an vielen Stellen.

Ich will nicht die Verdienste von Bersarin aufzählen -das ist in (C) den vergangenen Sitzungen geschehen. Die Besucher des Alliierten-Museums und des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst konnten sich davon überzeugen. dass das. was der Stadtkommandant Bersarin getan hat, nicht so normal war, nämlich wie schnell er die Versorgung organisiert und das kulturelle Leben ermöglicht hat, und wie er das Zusammentreffen mit der Jüdischen Gemeinde vorbereitet hat.

[Zuruf des Abg. Landowsky (CDU) - Gram (CDU): Wir sollten ihn heilig sprechen!]

Ich möchte auch nicht honorige Zeitzeugen, wie den CDU-Politiker Ernst Lemmer, Wolfgang Leonhardt und Probst Heinrich Grüber, anzuführen.

Die Debatte am vergangenen Montag im Kulturausschuss war für alle sehr interessant und aufschlussreich. Mich hat auch tief beeindruckt, wie der Senat versuchte, sich in Person von Herrn Kähne völlig aus dieser Sache herauszuhalten. Ich glaube. dass man im Senat erkannt hat, dass man bei den Tücken der Außenpolitik recht vorsichtig sein sollte. Denn es ist ein Widerspruch, wenn einerseits umstrittene Politiker in dieser Stadt empfangen werden. - Nicht umsonst härten wir vorhin den augenscheinlich vom Auswärtigen Amt vorbereiteten Redebeitrag des Regierenden Bürgermeisters. - Dem Senat ist sehr wohl bewusst. dass es ein Widerspruch ist - es muss nicht Gorbatschow bemüht werden-, wie und mit welchen Ehren Herr Putin in dieser Stadt empfangen und wie vermieden worden ist, jegliche Diskussion über den Tschetschenienkrieg hochkommen zu lassen.

[Beifall bei der PDS]

Ich halte das für eine schwierige Angelegenheit. die dem Senat besser bewusst zu sein scheint als der CDU-Fraktion.

Wenn Sie, Herr Dr. Lehmann-Brauns, für die CDU-Fraktion gesprochen haben, dann hätten Sie nicht unerwähnt lassen dürfen, dass Frau Kasten als Vertreterin der CDU am 8. Mai, anlässlich einer Podiumsdiskussion im Museum Karlshorst, bei ca. 120 Anwesenden den Eindruck hinterlassen hat, dass in der CDU-Fraktion ernsthaft darüber diskutiert werde, die Ehrenbürgerwürde von Nikolai Bersarin wiederherzustellen. Es geht gar nicht darum, jemanden neu in die Liste aufzunehmen, sondern darum, einen Fehler, der von vielen inzwischen eingeräumt worden ist, zu korrigieren. Von da her sind auch diese sophistischen Argumente des Herrn Kähne, wir hätten eine Richtlinie aus dem Jahr 1953 zu erfüllen, überhaupt nicht haltbar.

Der Abgeordnete Cramer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herrn Dr. Lehmann-Brauns im Ausschuss aufgefordert, sich für das damalige Verhalten des Abgeordneten Toepfer von der CDU zu entschuldigen. Herr Dr. Lehmann-Brauns hat - ich will diesen Vorgang gar nicht bewerten - gesagt. er entschuldige sich nicht für Dinge, die andere gemacht haben,

[Cramer Grüne): Unglaublich!]

und lasse sich nicht für seine Fraktionskollegen in Haftung nehmen. Ich sehe in Ihrer Argumentation- es ist Ihr gutes Recht, so zu argumentieren -einen Widerspruch. Sie stellen sich hier hin und nehmen Herrn Bersarin in die Gesamthaftung für alles, was Stalin getan hat, und behaupten, er habe sich im Auftrag von Stalin nur verstellt. Das Maß. das Sie bei sich selbst anlegen, sollten Sie vielleicht auch bei anderen anlegen.

[Beifall bei der PDS und bei den Grünen]

Die CDU hat im Ausschuss für eine Vertagung plädiert und

Sie haben es in Ihrer Rede gerade noch einmal getan -auf die Moskaureise verwiesen. Wenn im Oktober sowohl der Kulturausschuss als auch das Präsidium des Abgeordnetenhauses Moskau besuchen werden, dann wäre der Beschluss über die wiederhergestellte Ehrenbürgerwürde das beste Gepäckstück, das wir mitnehmen könnten. - Schönen Dank!

[Beifall bei der POS und den Grünen]

Vielen Dank. Frau Dr. Lötzsch!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Sie schon jetzt darauf aufmerksam machen. dass eine namentliche Abstimmung bean

Vizepräsident Dr. Luther

(A) tragt worden ist. Diese Abstimmung werden wir nach dem letz

ten Redebeitrag durchführen.- Für die Fraktion der SPD hat nun Frau Dr. Rusta das Wort. - Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lehmann-Brauns! Herr Landowsky! Wer sich Argumenten so sehr verschließt, wie Sie es Ihrer eigenen Fraktion empfehlen und selbst tun, landet selbst in einer politischen Sack· gasse und führt vor allen Dingen auch seine Fraktion in eine solche.

[Beifall bei der SPD. der POS und den Grünen - Ach! von der CDU - 1 Herr Landowsky! Selbst Ihre Spürnase. die Mehrheiten untrüg- lich erspüren soll, versagt in diesem Fall. Laut "Tagesspiegel'' haben sich 60% der Leserinnen und Leser für die Wiederverlei- hung der Ehrenbürgerwürde an Bersarin ausgesprochen. [Unruhe bei der CDU]

Überhaupt: Warum vertrauen Sie mehr ehemaligen Oppositionellen der DDR, die heute zu Ihrem Parteiestablishment gehören, aber ihre Autorität in der Geschichte noch unter Beweis stellen müssen, als einem so gestandenen Mann- Mitglied Ihrer Partei und Minister für Innerdeutsche Angelegenheiten wie Ernst Lemmer? Ich möchte ihn einmal mehr zitieren:

Generaloberst Bersarin schien nichts wichtiger zu sein, als Berlin wieder lebensfähig zu machen. Er nahm seine Aufgabe so ernst und hielt sie für so selbstverständlich, als hätte er sie in seinem eigenen Land durchzuführen.

Warum zeichnen konservative Persönlichkeiten von Bersarin ein Bild des weißen Raben? Dazu zählen Probst Grüber, Bisehoff Dibelius und viele andere mehr. - Warum hält sich bis heute das Gerücht, der tödliche Unfall Bersarins sei von Stalin

organisiert worden? Warum sprechen sich Persönlichkeiten wie Wolfgang Leonhardt und Katja Havemann für die Wiederverlei

(8) hung aus? Warum wird dieser Mann von der russischen Öffent

lichkeit Herr Lehmann-Brauns. Sie hätten in Russland mehr Zeitung lesen sollen - heute einvernehmlich getragen, und zwar von regierungsfeindlichen bis hin zu regierungsfreundlichen Russen? Ist das und die Information, die wir über Bersarins gelungene Wiederbelebung unserer Stadt haben, kein Grund, zu sagen. hier ist ein Mann, der für Berlin ein Glücksfall gewesen ist? [Unruhe bei der CDU]

Herr Landowsky! Erinnern Sie sich doch bitte an Ihre Jugend

-Sie sind doch in Berlin geboren-, und versuchen Sie, die kommunistischen Vorurteile loszuwerden und zu differenzieren zwischen dem Trauma vieler Berliner auf Grund von Vergewaltigungen und Plünderungen und der Tätigkeit eines Mannes. der diese nicht zu verantworten hatte, der aber dafür Sorge trug. dass es weniger Traumatisierte und weniger Sterbende gab.

Herr Lehmann-Brauns! Eine größere Brotration für die besieg

ten Deutschen in Berlin, die Bersarin gegen den Widerstand seiner eigenen Leute durchsetzte, hat nichts mit dem Völkerrecht und auch nichts mit einer angeblichen stalinistischen Strategie, die Menschen zum Kommunismus zu bekehren, zu tun. denn dafür gab es 1945 noch keine Strategie -darin sind sich zumindest die Experten und Historiker mehrheitlich einig.