Protokoll der Sitzung vom 15.03.2001

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Sen Kurth

Aber zur Vollständigkeit gehört auch, dass wir ein weiteres erhebliches Risiko nicht verschweigen, dessen Verantwortung nicht beim Landeshaushalt, auch nicht bei der Bankgesellschaft liegt. Das sind die Steuereinnahmen.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Nach Auffassung fast aller Wirtschaftsforschungsinstitute erweisen sich die Wachstumsprognosen der Bundesregierung schon jetzt als zu optimistisch. Entsprechende Mindereinnahmen bei unserem Haushalt sind deshalb nicht auszuschließen. Bundesweit geht man von einem zweistelligen Milliardenbetrag aus. Uns war bei der Aufstellung des Haushalts im letzten Jahr klar, dass Berlin durch die Steuerreform allein im Jahr 2001 Mindereinnahmen von weit über 1 Milliarde DM zu verkraften haben würde. Der von der Steuerreform erhoffte Wachstumseffekt ist ausgeblieben. Das ist nun wiederum keine Überraschung, sondern das ist die Folge davon, dass man durch die Steuerreform nicht diejenigen Teile unserer Wirtschaft, nämlich den Mittelstand, in einer Weise entlastet hat, dass er seiner Aufgabe, zu investieren, Arbeitsplätze zu schaffen, Ausbildungsplätze zu schaffen und zu Wachstum beizutragen, hätte nachkommen können.

[Beifall bei der CDU – Zurufe der Abgn. Müller-Schoenau (Grüne) und Frau Oesterheld (Grüne)]

Diese Steuerreform – das haben wir im letzten Jahr immer wieder gesagt – wird nicht den erhofften Wachstumseffekt bewirken. Nun sehen wir die ersten Zahlen dieses Jahres,

[Zuruf des Abg. Müller-Schoenau (Grüne)]

und wir sind nicht überrascht worden durch die Entwicklung, sondern in unserer skeptischen Einschätzung bestätigt.

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Auch für Berlin mit einer vergleichsweise geringen Steuerquote gilt, dass 26 Milliarden DM aus Steuern und Länderfinanzausgleich stammen. Das heißt, auch nur 1 % Abweichung bei den Steuer- und Finanzausgleichseinnahmen bedeutet für das Land Mindereinnahmen von einer Viertelmilliarde. Deswegen hat es keinen Sinn, über einen Nachtragshaushalt zu reden, bevor wir die Steuerschätzung im Mai vorliegen haben. Wir sind dazu bereit. Ich sehe das relativ entspannt. Ein Nachtragshaushalt hat Vorteile und Nachteile. Wir werden uns dieser Diskussion stellen, sobald die Steuerschätzung und ihre Konsequenzen für Berlin auf dem Tisch liegen. Es bestreitet niemand, dass die aktuelle Lage der Haushaltswirtschaft schwierig ist. Wer dies aber zum Anlass nimmt, nur Formaldiskussionen zu führen – Nachtragshaushalt, Kassensturz etc. –, der geht am Kern vorbei.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

Ein Nachtragshaushalt allein bringt noch keine Mark an Einsparungen. Ein Nachtragshaushalt allein bringt keine Einnahmeerhöhungen. Ich bitte jeden, der sich an dieser Diskussion beteiligt, gleichzeitig Vorschläge zu machen, wo er zusätzliche Einsparungen vornehmen will, wo er zusätzliche Einnahmen erwirtschaften zu können meint.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Senator?

Sehr gern!

Frau Dr. Klotz, bitte schön!

Danke, Herr Präsident! – Herr Finanzsenator! Finden Sie nicht auch, dass die allererste Voraussetzung ist, die Fakten auf den Tisch zu packen, einen Kassensturz zu machen und sich davon zu verabschieden, was dieser Senat in der Vergangenheit und auch mit dem letzten Haushalt immer wieder getan hat, nämlich nicht wirklich zu sagen, welches die Risiken sind? Finden Sie nicht auch, dass Sie als erstes die Verantwortung haben, genau das zu benennen?

Und als zweites: Finden Sie nicht auch, dass es einem Senat gut zu Gesicht stehen würde, wenn er nicht immer die Opposition auffordern würde, die Einsparvorschläge zu bringen, sondern selbst den einen oder anderen Einsparvorschlag hätte?

[Beifall bei den Grünen]

Zu den Vorschlägen, Frau Dr. Klotz, komme ich nachher. Vielleicht liege ich falsch, aber mein Verständnis ist trotzdem, dass in einer parlamentarischen Demokratie die Opposition auch aufgefordert werden kann, eine Alternative zu entwickeln und nicht nur ein Krisengerede zu veranstalten. interjection: [Beifall bei der CDU]

Das ist möglicherweise ein Missverständnis, aber zur Oppositionsarbeit gehört die Benennung von Alternativen.

[Zurufe von den Grünen]

Wir haben im Hauptausschuss gestern sehr ausführlich über die einzelnen Risiken gesprochen und verabredet, diese Aussprache zu einigen Sondersachverhalten – Sozialhilfekostenentwicklung, Personal – fortzusetzen, und wir haben einen Ausgleichsvorschlag für die benannten Sonderrisiken bis Mitte Mai zugesagt. Ich habe nicht den Eindruck, dass da noch eine Frage offen geblieben ist.

Eine Haushaltssperre Ende Februar ist nicht geeignet, Reste einzusammeln, sondern sie muss für eine klarere Akzentuierung und Prioritätensetzung sorgen. Die politischen Schwerpunkte des Senats gelten auch während der Haushaltssperre. Das zeigen die mit den anderen Ressorts vereinbarten Ausnahmen. Sie betreffen das Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm, die Zuschüsse für Strukturanpassungsmaßnahmen, das Richtlinienprogramm Berufliche Bildung, die Anschubfinanzierung für Bürgerämter und Aufwendungen bei der Bezirksfusion, Ausländerintegration und Rückkehrförderung, „Computer in die Schulen“, das Quartiersmanagement und das Gedenkstättenprogramm.

In letzter Zeit ist manchmal die Frage gestellt worden: Gelingt die Konsolidierung des Berliner Haushalts überhaupt? – Meine Meinung dazu ist eindeutig: Die Sanierung der Berliner Finanzen ist möglich, notwendig und ohne eine politisch vertretbare Alternative. [Beifall bei der CDU]

Es bleibt dabei, dass wir mit der konsequenten Konsolidierung unseres Haushalts die Chance zum Strukturwandel nutzen und wahrnehmen wollen. Wir brauchen eine größere Zumessungsgerechtigkeit, die Fortsetzung der Modernisierung der Verwaltung und strukturelle Reformen. Dadurch entlasten wir nicht nur den Landeshaushalt, sondern machen die Stadt insgesamt fit für den Standortwettbewerb und die Zukunft.

Ich will Ihnen nur einige der Projekte vorstellen, zu denen sich der Senat in Auswertung der Vorschläge der Expertenkommission „Staatsaufgabenkritik“ bereits verständigt hat. Ein Beispiel ist, dass wir endlich eine Zumessungsgerechtigkeit bei den Personalausgaben für die 12 Berliner Bezirke erreichen wollen. Ein Vergleich der Personalausstattung zeigt, dass die Stellenzahl pro 1 000 Einwohnern heute eine Spanne von 6,6 bis 10,6 umfasst. Um eine gerechtere Verteilung der Personalmittel zwischen den Bezirken zu erreichen, werden wir noch in diesem Monat über eine Vorstellung der Innenverwaltung reden, mit deren Umsetzung die Personalkosten um einen dreistelligen Millionenbetrag entlastet werden könnten.

Wir werden die Zusammenarbeit mit Brandenburg verstärken und weitere Bereiche der Verwaltung – Ausbildung usw. – in eine gemeinsame Wahrnehmung mit Brandenburg aufnehmen. Dies ist wichtig, um die Fusion auch organisatorisch und in Einzelpunkten bereits vorzubereiten.

Wir haben gestern im Hauptausschuss sehr ausführlich über die bisherigen Schritte beim Beteiligungscontrolling gesprochen. Wir werden bis zum 30. Juni ein Konzept für die Neuordnung des Facilitymanagements vorlegen, mit dem sowohl dem Leerstand der Gebäude begegnet werden soll wie auch die Kosten für die Unterhaltung gesenkt werden.

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Sen Kurth

Wir werden eine Reihe von weiteren Punkten einer intensiveren Überprüfung unterziehen. Hierzu gehört auch die Neuabgrenzung der Aufgaben der Bauaufsicht. Wir haben durch die Überarbeitung der Bauordnung, die in Auftrag gegeben ist, die Möglichkeit geschaffen und streben an, die öffentliche Bautätigkeit in Berlin effizienter und kostensparender zu gestalten.

[Frau Oesterheld (Grüne): Sehr gut!]

Ich bin auch sehr froh, dass sich die Koalition zu Anfang der Woche darauf verständigt hat, an einer Verbesserung der Medizinerausbildung und Kostensenkungen im Bereich der Universitätsklinika zu arbeiten. Auch hier sind nachhaltige Strukturveränderungen und langfristig wirkende Ausgabesenkungen möglich und notwendig.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der SPD]

Alle diese Punkte zeigen sehr deutlich: Der Senat ist fest entschlossen und in der Lage, die notwendigen Strukturveränderungen anzupacken. Der Haushalt ist gesperrt. Unsere Politik ist und bleibt handlungsfähig.

Eine Erhöhung der Neuverschuldung wäre kein Ausweg, sondern führt direkt in die Schuldenfalle. Mit jeder Mark, die wir an Krediten zusätzlich aufnähmen, erhöhten wir schon im nächsten Jahr unsere Zinslast. Deshalb bleibe ich auch angesichts der aktuellen Probleme bei der klaren Aussage: Wir wollen die Neuverschuldung in jedem Jahr weiter absenken und ab dem Jahr 2009 ohne neue Schulden auskommen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Bei der Konsolidierung geht es im Wesentlichen darum, den Haushalt neu zu ordnen, im besten Sinne des Wortes in vielen Jahren gewachsene, unkontrollierte Ausgabenstrukturen zu beschneiden und hier zu einer größeren Gerechtigkeit zu kommen. Wir müssen uns dem Strukturvergleich mit anderen Bundesländern stellen. Dieser Strukturvergleich zeigt, dass Berlin in wichtigen Ausgabefeldern unverändert deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Ich nenne ein Beispiel: Pro Einwohner in Berlin geben wir im Jahr für Sozialhilfe 1 980 DM aus. Bremen gibt pro Einwohner der Bevölkerung dort 1 790 DM an Sozialhilfe aus. Bremen zahlt also pro Einwohner 190 DM weniger an Sozialhilfe als Berlin. Nun wird niemand behaupten, dass Bremen eine unsoziale Stadt sei. Wenn Sie diese Zahlen vergleichen, heißt dass: Bezogen auf unsere Einwohnerzahl geben wir 650 Millionen DM relativ mehr aus als Bremen. Wenn wir es schaffen, unsere Pro-Kopf-Ausgaben der Bevölkerung auf das Bremer Niveau zurückzuführen, würde dies eine Einsparung von 650 Millionen DM bedeuten. Auf das Bremer Niveau zurückzuführen, wäre nicht das Ende des Sozialstaates, kein sozialer Kahlschlag, sondern die Konzentration der Mittel auf die wirklich Bedürftigen ist längst fällig. Dies ist eine Aufgabe, der sich Senat und Bezirke gemeinsam stellen müssen. [Beifall bei der CDU]

Es ist auch nur e i n e Aufgabe von mehreren. Wer inhaltliche Vorschläge machen will, ist nicht gehindert. Er möge dieses tun. Der Senat verschweigt kein einziges Risiko,

[Frau Oesterheld (Grüne): Na, na!]

nicht bei den Steuern, nicht bei der Vermögensaktivierung, nicht bei den Personalkosten. Wir werden Vorschläge unterbreiten, wie diesen Risiken begegnet werden kann. Der Senat hält seinen klaren Kurs der Konsolidierung.

Mir scheint, die Opposition hat in weiten Teilen noch nicht einmal einen klaren Kurs, den sie halten könnte.

[Och! von den Grünen]

Auch heute sind Ihre Vorstellungen unklar. Einerseits höhere Ausgaben zu fordern und andererseits energischeren Sparwillen einzufordern,

[Eßer (Grüne): Wie gestern bei der Museumsinsel!]

zeugt nicht von Verantwortung. Glauben Sie nicht, dass dieser Widerspruch unbemerkt bleibt. Darauf wird keiner hereinfallen.

[Beifall bei der CDU]