Protokoll der Sitzung vom 10.05.2001

[Cramer (Grüne): Eskalativ!]

Eskalativ war richtig. –

[Beifall bei den Grünen]

Ich möchte trotzdem einmal sagen, es hat sich in der Wahrheit, in der Realität hinsichtlich der Deeskalation wenig verändert. Ich habe mir einmal die Einsatzbefehle, auch für den Mariannenplatz, geben lassen. Wenn Sie eine Schule in Deeskalation haben wollen, dann lesen Sie sich das durch. Und es stimmt nicht, dass die Polizei dort angeheizt hat. Dass es Ungeschicklichkeiten gegeben hat, ist etwas anderes, ja, auch verhängnisvolle Fehler vielleicht, aber dass dies mit der bösartigen Absicht geschehen ist, dass dort Menschen zu Schaden kommen, das, glaube ich, sollte hier niemand ernsthaft behaupten.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wenn man das Demonstrationsverbot betrachtet, dann muss man zunächst einmal sagen, eine absolute Verdammnis kann ja wohl als erste Reaktion nicht herauskommen. Es war eine rechtmäßige Maßnahme, das hat ein Oberverwaltungsgericht beschlossen und festgestellt. Und ich hüte mich immer davor zu sagen, dass rechtmäßig zu handeln ein politischer Skandal sein soll.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Aber ich sage auch, dass es eine falsche Entscheidung war, eine extrem falsche Entscheidung, weil sie in eine Atmosphäre der Deeskalation ein Element hineingetragen hat, das überhaupt nicht hineinpasste und daher eher für Aufheizung sorgte. Ich glaube, dass, wenn man das Ganze in Ruhe betrachtet und nicht unter dem Aspekt „Wir müssen Recht bekommen, wir müssen in jedem Fall Recht behalten“, sondern sich ruhig Gewissheit schafft, was denn positiv an diesem Einsatz war und was negativ, dann kann man hier zu einer Einigkeit kommen. Denn es hat auch positive Aspekte gegeben: eine hohe Zahl von Festnahmen und auch eine hohe Zahl guter Beweismittel. Es wird eine veränderte Situation auch dadurch eintreten. Das kann nicht von uns kritisiert werden, aber es muss auch gesehen werden, dass man sich wichtiger Möglichkeiten begab und andererseits Aggressionen hervorrief, als man diese Demonstration verbot. Ich glaube, eine sachliche und ruhige Diskussion kann das ausgleichen.

Was nun das verbale Aufheizen der CDU betrifft, da vermuten einige in meiner Partei, das sei eine Strategie, die wenig mit dem 1. Mai zu tun hatte, auch wenig mit den Demonstrationsverboten,

sondern den einzigen Sinn hat, PDS und die Grünen als mögliche Koalitionspartner einer verantwortungsbewussten Partei auszugrenzen.

[Kittelmann (CDU): Na, na!]

Ja, das wird vermutet. – Ich darf jetzt einmal ganz außerhalb der Diskussion um den 1. Mai einen kleinen taktischen Ratschlag geben, und zwar an die Adresse unseres lieben Koalitionspartners. Ich glaube, Sie kommen mit dieser Strategie gerade auf diesem Gebiet – so wenig klug einige darauf reagieren, wenn ich das einmal sagen darf – nicht durch. Und das eigentliche Problem der großen Koalition ist nicht, dass die SPD sich so herzzerreißend den anderen beiden Parteien zugeneigt fühlt, und glaubt, das sei nun das Problemloseste und Schönste, oder dass auch nur eine dieser beiden Parteien sich zur SPD so hingezogen fühlte;

[Heiterkeit bei den Grünen]

das eigentliche Problem der großen Koalition ist, dass die sich vielleicht als die noch weniger kooperative Zusammenarbeit herausstellen könnte. Es kommt daher eher darauf an, das Gemeinsame zwischen SPD und CDU zu betonen – ich hoffe, das die Deeskalationsstrategie das ist, –, als auch die Opposition einzuschlagen.

Insofern überlegen Sie es sich noch einmal. Ich weiß, dass meine Ratschläge meistens nicht angenommen werden; deshalb gebe ich sie auch.

[Unruhe]

Aber wenn Sie wirklich klug sind, dann nehmen Sie sie an.

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lorenz! Für die Fraktion der Grünen setzt jetzt Herr Wieland seinen Bericht fort.

[Zuruf aus der CDU: Jetzt kommt die Keule!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich setze nicht fort, ich beginne.

Am 1. Mai marschierten die Nazis. Am 1. Mai war die Demonstration der Linksradikalen verboten. Wir hatten zum 15. Mal in Serie Krawall. Es wurde ein friedliches Straßenfest aufgemischt, und wer zeigt sich zufrieden am Tag danach? – Der Innensenator. Seine Verbotstaktik sei voll erfolgreich gewesen und aufgegangen. Versprochen hat er etwas ganz anderes.

Versprochen hatte er, dass erstmalig die Rituale der Gewalt durchbrochen würden. Erreicht hat er lediglich, dass die Gewalt fünf Stunden früher begann. Erreicht hat er lediglich, dass das Fest auf dem Mariannenplatz miteinbezogen wurde. Wenn das Ihre Erfolge sind, Herr Senator Werthebach, dann verschonen Sie uns bitte mit weiteren, dann ziehen Sie die Konsequenzen und nehmen Sie Ihren Hut!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Wie von uns und vielen vorausgesagt, hat das Verbot lediglich dort zu Solidarisierungen geführt, wo Entsolidarisierung mit der Gewalt notwendig wäre. Es hat Vorwand und Anlass geboten, hier just in dem Moment zu Gewalttätigkeiten zu greifen, wo in der sogenannten Szene eine Diskussion über diese sinnentleerten Mai-Rituale angefangen hatte.

Lorenz Marold titelte im „Tagesspiegel“ vom 24. April: „Werthebach verbietet die Demo der Autonomen zum 1. Mai – das wird ihnen gefallen.“ Dann sollten Sie hier endlich einmal die Verantwortung dafür übernehmen und sich nicht wie im Innenausschuss und wie in der vergangenen Woche in einer Suada der Beschimpfungen gegenüber der PDS und gegenüber den Grünen ergehen. Das sage ich auch Ihnen, Herr Gewalt. Das Mariannen-Straßenfest ist schon seit vielen Jahren ein friedliches Straßenfest gewesen. Es ist bewußt vom Lausitzer Platz auf den Mariannenplatz verlegt worden, um die dortige Tradition zu unter

brechen. Ohne das Verbot dieses Innensenators wäre dieses Fest auch dieses Mal von Anfang bis zum Ende friedlich über die Bühne gegangen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Verwechseln Sie doch hier nicht ständig Ursache mit Wirkung.

Alle haben gewarnt: Der Berliner GdP-Vorsitzende Eberhard Schönberg, der Bundesvorsitzende der GdP, Konrad Freiberg. Es hat Ihnen der DGB-Vorsitzende Berlin, Dieter Scholz, gesagt, Sie gießen Öl ins Feuer. Alle haben es vorher gesagt. Die GdP hat sogar – etwas makaber – mittags vor dem Roten Rathaus Geld für verletzte Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gesammelt. Sie waren jedenfalls realitätstüchtiger als Sie es mit Ihrer Ankündigung waren, ausgerechnet jetzt mit Ihrem Verbot durchzugreifen.

Und dann setzen Sie sich hin und sagen: Ich dulde keine rechtsfreien Räume mehr! – so als ob Ihre vier Vorgänger dies getan hätten. Insbesondere Herr Schönbohm wird gern gehört haben, dass er Pfleger rechtsfreier Räume war.

[Heiterkeit bei den Grünen und der SPD]

Die Polizeiführung – ich hoffe Herr Saberschinski hört nicht nur bei den Behinderten zu, sondern auch hier – hat Jahr und Tag rechtsfreie Räume in dieser Stadt bewahrt und gepflegt. Das alles ist der Anspruch des Innensenators. Da kann ich nur wiederholen, was ich bereits am Montag im Innenausschuss gesagt habe: Das grenzt nun tatsächlich an Cäsarenwahn, was Sie uns hier vorlegen.

Es wurden 178 Beamte verletzt, und da sagen auch wir: Jeder verletzte Beamtin, jeder verletzter Beamter ist einer zuviel,

[Zuruf von der CDU]

aber auch jeder verletzte Passant und auch jeder verletzte Besucher des Straßenfestes. Aber Sie müssten sich fragen, inwieweit nicht Ihr falsches Vorgehen hier ursächlich gewesen ist.

[Gram (CDU): Das ist ja unerhört!]

Ein solches selbstkritisches Wort haben wir auch nicht in Ansätzen von diesem Innensenator vernommen.

[Kittelmann (CDU): Es bleibt eine Unverschämtheit!]

Herr Kittelmann, so lange Sie hier sitzen, habe ich von Ihnen noch nie einen anderen Zwischenruf als „Unverschämtheit“ oder „Schmutzfink“ gehört. Dafür hätten Sie aus Europa nicht zurückzukommen brauchen, für so unqualifizierte Zwischenrufe.

[Heiterkeit bei den Grünen und der PDS]

Es ist auch unverständlich, dass der Senator bereits vor einem Jahr den Erfolg seiner Polizeitaktik gelobt hat. Ich darf wieder zitieren, den „Tagesspiegel“ vom 3. Mai 2000:

Überschrift: Trotz Straßenschlacht ist der Senator zufrieden. Die Polizeitaktik hat sich voll bewährt, sagte Werthebach gestern. Die Ausschreitungen hätten sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich verringert. 226 Polizisten wurden verletzt.

Fast doppelt so viele wie im vergangenen Jahr, fügt der „Tagesspiegel“ kritisch an. Wenn man die Verletztenzahl realistisch sieht – sie ist natürlich immer noch zu hoch, aber sie lag zwischen der Zahl von 1999 und 2000 –, vermögen wir nicht einzusehen, warum Sie diese Zahl und die Zahl der Festgenommenen herausposaunen, als könne man damit renommieren. Beides kann man nicht. Bei den Festgenommenen hat man 350 Übriggebliebene des Mariannen-Straßenfestes einfach eingekesselt: Rentner, Alkoholleichen, die schon schliefen, sechzehnjährige Schüler. [Unruhe]

Man hat sie festgehalten bis morgens um 2 Uhr – ja selbstverständlich – und dann erklärt, das sind die Festgenommenen, und so getan, als handele es sich hier um überführte Straftäter. Auch dies ist ein durchsichtiges Täuschungsmanöver, was Sie hier versucht haben.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

(A) (C)

(B) (D)

Wieland, Wolfgang