Protokoll der Sitzung vom 10.05.2001

Wieland, Wolfgang

Die Polizei hatte eine undurchführbare Vorgabe und Aufgabe. Das ist die Hauptkritik. Dabei werden dann auch noch Fehler gemacht, es wurde geräumt in Richtung Mariannenplatz – tatsächlich sukzessive geräumt, so der Schupo-Chef Piestert im Innenausschuss –, und so war es auch, dass nicht nur friedliche Normalpassanten – wie der örtliche Einsatzleiter Klaus Karau sagt – in Richtung Mariannenplatz gewiesen wurden. Man fragt sich: Warum denn eigentlich, wenn sie friedlich waren, warum denn eigentlich, wenn sie dort nur gesessen und gestanden haben, konnten sie in diesem Bereich nicht bleiben?

Aber es wurde auch ein Teil der militanten Szene dort hingeleitet, wo sie gerade nicht hätten ankommen dürfen, wenn man das ernst genommen hätte, was man da offenbar in Planspielen vorher festgelegt hatte, Herr Kollege Lorenz. Dass dann im entscheidenden Moment ortsfremde Kräfte planlos und orientierungslos über diesen Platz irren und wie wild um sich schlagen, weil sie gar nicht mehr wissen, wo sie sind und was ihnen geschieht, auch das wird man doch einmal bei einem Einsatz von 9 000 Polizisten – so viel wie noch nie – hinterfragen dürfen. Warum hatte man dann nicht die speziell Ausgebildeten dort, sondern Polizistinnen und Polizisten ohne Schilde, die überrascht wurden von einem wirklich wüsten Steinhagel? Warum wurden sie überrascht, und warum herrschte in der Zone, wo es voraussehbar war, dass es krachen würde, eine derartig konfuse Polizeitaktik? Auch diese Frage wird immanent zu stellen sein, auch wenn sie nicht die Hauptsache ist.

Dem Innensenator fällt dazu nur ein, von der PDS und uns als Deckungsmasse zu reden, zu behaupten, wir gäben heute schon die Stichworte, dass das nächste Mal am 1. Mai wieder Steine fliegen. Das haben Sie auch gesagt. Wir wissen, Herr Werthebach, es gibt in dieser Stadt auch geistige Brandstifter: Sie gehören dazu.

[Beifall bei den Grünen und der PDS, Unruhe bei der CDU]

Fast unnötig zu betonen, dass er sofort sein eigenes Desaster wieder benutzt hat, die Runde in seinem Feldzug gegen das Demonstrationsrecht weiter zu drehen. Der Kollege Zillich hat darauf hingewiesen. War es zunächst Unter den Linden, dass angeblich zu viel demonstriert wurde, waren es die Naziaufmärsche, sind es jetzt die Autonomen – alles ist Ihnen recht. Sie wechseln Ihre Begründungszusammenhänge wie Ihre Oberhemden aus. Das Ziel bleibt immer: Sie wollen Artikel 8, Sie wollen die Demonstrationsfreiheit einschränken. Da ist Ihnen beinahe alles recht.

Wir haben, Herr Kollege Lorenz, nicht die Gerichtsentscheidungen kritisiert. Die waren vorhersehbar. Wer eine solche Randaletradition hinlegt, der hat vor dem Verwaltungsgericht schlechte Karten. Das haben wir den Betroffenen mehrfach ganz deutlich gesagt. Auf der anderen Seite war aber auch für die Innenverwaltung dieses Ergebnis vorhersehbar, nämlich: Straße frei für die Nazis, Knüppel frei für die Autonomen und letztlich ein Bild im In- und Ausland, dass so etwas in Berlin als deutsche Hauptstadt möglich ist. Auch dieses Ergebnis war vorhersehbar

[Zurufe von der CDU]

und musste vorhergesehen werden. Sie haben es selber gesagt. Nicht jede rechtlich zulässige Verbotsmaßnahme ist auch eine politisch kluge. Es gibt da wohlweislich keinen Zwang, und in der Vergangenheit hat auch die Polizeiführung das gesehen. Die Frage ist eigentlich, wer denen in so kurzer Zeit die Köpfe gewaschen hat.

Abschließend: Auch wir sagen, es muss in Berlin endlich möglich sein, einen 1. Mai zu begehen, der friedlich ist.

[Beifall bei der CDU – Bm Dr. Werthebach: Sehr erfreulich!]

Wege dazu sind gewiesen worden – nicht von Ihnen, und auch nicht von Ihnen, Herr Wansner – in einem breiten Bündnis, – –

Denken Sie an Ihre Zeit, Herr Wieland!

Ich bin bei meinem letzten Satz, in der 10. Minute, Herr Luther, und den kriegen wir noch ganz ruhig über die Bühne.

Innensenator Werthebach hat erklärt, er verbietet auch vier Mal, er verbietet auch fünf Mal weitere 1.-Mai-Demonstrationen,

[Zuruf von Bm Dr. Werthebach]

koste es, was es wolle. Wir sagen: Berlin braucht alles, nur nicht jedes Jahr am 1. Mai eine kleine oder eine mittlere WerthebachIntifada. [Heiterkeit bei der PDS]

Berlin braucht den Weg zurück zur Deeskalation. Berlin braucht vernünftige Konzepte, wie man die Bevölkerung einbezieht, wie man die Veranstalter der bisherigen Demonstrationen, sofern sie kooperationsbereit sind, einbezieht, wie weit man den Kiez einbezieht. Dann und nur dann ist es möglich, nächstes Jahr den 1. Mai so zu begehen, wir wir alle ihn begehen wollen. – Vielen Dank! [Beifall bei den Grünen und der PDS]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter! – Für den Senat spricht Herr Bürgermeister und Innensenator Dr. Werthebach.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in Fragen der inneren Sicherheit leider Gottes immer wieder die begrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten des Fraktionsvorsitzenden der Grünen feststellen müssen.

[Zurufe von den Grünen]

Er glaubt, mit nicht belegten Behauptungen und völlig unzutreffenden Bewertungen Politik zu machen.

[Beifall bei der CDU]

Verehrter Herr Wieland, ich kann Ihnen nur sagen: So werden Sie nie politische Verantwortung übernehmen können!

[Beifall bei der CDU]

Ich sage Ihnen jetzt schon voraus, dass Sie es eines Tages wahrscheinlich mit den Worten Lothar Matthäus’ haben werden, der da sagte: Erst hatte ich Pech, und dann kam Unglück noch hinzu. – So wird es Ihnen gehen, Herr Wieland!

[Beifall bei der CDU]

Die Behauptungen, die Sie zum Verlauf des 1. Mai aufstellen, sind mir schleierhaft. Sie sind auch einer von denen, die einen sehr begrenzten Blickwinkel auf ein Ereignis hatten. Wahrscheinlich stand 5 Meter weiter vorne schon wieder ein Baum. Gleichwohl sahen Sie sich umfassend ins Bild gesetzt.

[Zurufe von den Grünen]

Ja, das war doch das Problem des diesjährigen 1. Mai, dass eine Agentur abends um 21 Uhr verkündete: Ein Augenzeuge berichtet, es sei zu den schlimmsten Ausschreitungen seit 10 Jahren gekommen. – Wer den Mariannenplatz kennt und weiß, wo der Augenzeuge gestanden haben kann, welchen Einblick und Überblick er hatte, der weiß, wie unzutreffend diese Aussage ist. Sie haben immer noch nicht die Fakten zur Kenntnis genommen und haben immer noch die falschen Bewertungen – auch hier und heute wieder – gezogen.

[Zurufe von den Grünen]

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Wieland: So kann man keine politische Verantwortung übernehmen.

[Wieland (Grüne): Sie haben doch die Scherben verursacht!]

Dazu gehört Verantwortungsbewusstsein, das sich auch verbal äußern muss.

[Beifall bei der CDU]

(A) (C)

(B) (D)

Bm Dr. Werthebach

Seit 14 Jahren ziehen die Politiker Bilanz, trübe Bilanz, und bewerten sie je nach Blickwinkel unterschiedlich. Dieses Beispiel, das Herr Wieland heute geboten hat, ist doch dafür ein instruktives destruktives Beispiel.

[Zuruf von den Grünen: Was denn nun?]

Wirklich: ein instruktives destruktives Beispiel! Jedes Jahr aufs Neue bleiben viele Hunderte Bürger auf Schäden sitzen, die sie als völlig Unbeteiligte durch die Ausschreitungen erdulden mussten. Ihr Schicksal ist es, in der falschen Straße Berlins zu wohnen oder sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufzuhalten.

[Beifall bei der CDU]

Diese missbräuchliche Verwendung des Demonstrationsrechts muss ein Ende haben!

[Beifall bei der CDU]

Unsere Verfassung schützt nur friedliche Demonstrationen und ohne Waffen. Das scheinen Abgeordnete sowohl der PDS als auch der Grünen seit Jahren nicht wahrzunehmen.

[Beifall bei der CDU]

Wer glaubt, zu allem entschlossenen Gewalttätern mit Gesten der Friedlichkeit begegnen zu können, der irrt gewaltig, und dafür haben wir 14 Jahre Beweise. Die Bilanz des Schreckens der letzten Jahre hat gezeigt, dass Linksextremisten und Gewalttäter das Entgegenkommen des Staates nicht honorieren. Im Gegenteil – ihr Ziel ist es, den Rechtsstaat zu verhöhnen. Da das Recht dem Unrecht nicht weichen darf, musste in diesem Jahr die Demonstration der Linksextremisten mit einem Versammlungsverbot belegt werden.

[Beifall bei der CDU]

Dieses Verbot ist durch Berliner Verwaltungsgerichte bestätigt worden. Es ist deshalb mehr als erstaunlich, um nicht zu sagen: befremdlich, wenn Politiker rechtsstaatliche Entscheidungen als Provokation, Eskalation und Desaster diskreditieren.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Sie sind das Desaster!]

Ich darf einmal Ihnen helfend zur Seite stehen: Der Begriff „Desaster“, den Sie hier benutzt haben,