Protokoll der Sitzung vom 31.05.2001

[Hoff (PDS): Seien Sie nachsichtig mit dem jungen Mann! – Zimmer (CDU): Wieland darf nicht!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wäre es nicht Klaus Landowsky, würde man nach dieser Rede glatt nach dem Vorgänger von Herrn Steffel rufen!

[Unruhe bei der CDU]

Fasching ist vorbei. Die Situation in Berlin ist zu ernst, als dass Sie die Späße ablassen können, die Sie hier zum Besten gegeben haben. [Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Gaebler (SPD) – Unruhe bei der CDU – Gram (CDU): Das ist ja ein echter Knaller!]

Berlin befindet sich in einer schweren politischen und finanziellen Krise. Als Hauptstadt von Filz und Korruption hat die Stadt bundesweit traurige Berühmtheit erlangt. Der größte Bankenskandal der Nachkriegszeit ist ein Berliner Skandal. Wer heute hier in dieser Stadt jung ist, wird morgen und übermorgen die Schulden zu bezahlen haben, die dieser Senat produziert hat.

[Niedergesäß (CDU): Sie reden wirr!]

Für all das, Herr Diepgen, tragen Sie politische Verantwortung. Es ist an Ihnen, Konsequenzen zu ziehen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Wer wirklich allein – Sie haben es heute wieder getan – die Wirtschaftsprüfer als die Schuldigen an allem Unheil ausmacht, wer ernsthaft behauptet, Berlin entwickele sich gut, nur dem Haushalt gehe es schlecht, leidet unter einem Realitätsverlust, der nicht mehr zu überbieten ist.

[Kittelmann (CDU): Sie haben gar nicht zugehört!]

Herr Diepgen, das ist die bittere Wahrheit. Sie sind zu einer Belastung für diese Stadt geworden!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Sie sagen – es ist in der „Woche“ nachzulesen –: „Alle erklären, dass sie nichts gewusst haben. Warum soll dann der Regierende Bürgermeister etwas gewusst haben?“ Darauf kann ich nur entgegnen, dass Ihnen die Menschen in der Stadt diese Ahnungslosigkeit nicht mehr abnehmen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Als Unternehmen Berlin wollten Sie diese Stadt führen. Die Eröffnungsbilanz dieses Unternehmens sah 1991 so schlecht nicht aus. Es war eine Konzentration von Wissenschaft und Kultur, wie sie keine andere deutsche Stadt zu bieten hatte mit einer Bevölkerung, die – bei allen Problemen – glücklich war und ist, die Teilung der Stadt überwunden zu haben und die gewillt war, Berlins Weg in die Zukunft zu gestalten. Bei der Eröffnungsbilanz des Unternehmens Berlins betrug der Schuldenstand 11 Milliarden DM. Wo steht Ihr Unternehmen Berlin heute, Herr Diepgen? – Es ist heruntergewirtschaftet. Sie haben Ihren Amtseid nicht zum Wohl der Stadt erfüllt. Sie haben ihn zum privaten Wohl derer, die ein CDU-Parteibuch in der Tasche haben, genutzt.

[Beifall bei den Grünen – Wolf (PDS): Betriebsergebnis verzehnfacht! – Niedergesäß (CDU): Das ist ja irre, was Sie sagen – Unverschämtheit!]

Die Schulden sind gigantisch! Jeder Berliner ist mit 20 000 DM dabei. Die Blütenträume sind geplatzt, Herr Diepgen. Wissen Sie, wie die Menschen in dieser Stadt Sie heute sehen? – Sie stehen nackt vor den Menschen da! Der Kaiser ist nackt.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Niedergesäß (CDU): Sie kommen wohl vom Mars!]

Eberhard Diepgen hat das Land Berlin geführt wie Klaus-Rüdiger Landowsky die Bank. Das ist der Kern des Systems Diepgen-Landowsky. Deshalb ist das heutige Bankendesaster nicht ein Betriebsunfall oder ein Versehen. Die Verflechtung von Politik und Wirtschaft, die Abschaffung von Kontrollen war politisch gewollt und wurde systematisch betrieben. Das bewusste und gewollte Zusammengehen von Bankern und Politikern hat dazu geführt, dass eine Gruppe immer gleicher Leute diese Stadt als Selbstbedienungsladen für ihresgleichen organisiert hat.

[Niedergesäß (CDU): Unverschämtheit!]

Wer soll Ihnen danach eigentlich noch das Vertrauen geben, Herr Diepgen, mit dieser Krise, in der wir uns alle befinden, fertig zu werden?

Sie sind am Abgrund angelangt. Wir erinnern uns: Schon in den 80er Jahren waren Sie in den Antes-Skandal verwickelt. Der Kern der damals handelnden Personen ist identisch mit denjenigen, die heute für den Crash der Berliner Bankgesellschaft den Hut aufhaben. Immer dabei sind Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky, die als Duo immorale in die Geschichte Berlins eingehen werden. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Wer das wunderschöne Buch „Antes & Co“ gelesen hat, stellt sich zwangsläufig die Frage, wieso Eberhard Diepgen damals eigentlich nicht zurückgetreten ist. Ursula Bresser, manchen von Ihnen bestimmt noch bekannt, war damals CDU-Mitglied und beantwortet diese Frage. Sie beschreibt die Betonriege der Berliner CDU:

Das sind Technokraten der Macht. Ein Vertreter der Politikergeneration, die Adenauer, Brandt oder Heuss hervorgebracht hat, wäre doch nach der Spendenaffäre zurückgetreten. Wir haben es aber mittlerweile mit Leuten zu tun, die auch aus finanziellen Erwägungen Politik machen und die Partei für ihre persönlichen Interessen funktionalisieren. Antes & Co würden fragen: Wie viel zahlt Ihr dafür?

Was geschieht heute? – Heute werden Aubis & Co gefragt, wie viel sie dafür zahlen. Zurücktreten möchte Herr Diepgen heute so wenig wie damals. Das sind mafiöse Strukturen, die endlich abgeschafft werden müssen!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Das Konstrukt der Bankgesellschaft als Holding über öffentlich-rechtliche und private Kreditinstitute ist von meiner Fraktion immer kritisiert worden, auch von Frau Schreyer. Dazu komme ich gleich. Wir haben immer wieder davor gewarnt, dass die Kontrolle verlorengeht. Wir haben vor den hohen Risiken und der Situation gewarnt, dass der öffentlich-rechtliche Bereich für die Pleiten des privaten Handels haften muss. Wir haben dafür Häme und Beschimpfungen geerntet, aber wir hatten Recht. Sie haben heute nicht einmal die Courage, das auch wirklich einzugestehen. Weil Sie, Herr Diepgen, heute wieder Lügen verbreiten, [Unruhe bei der CDU – Cramer (Grüne): Er hört noch nicht einmal zu!]

werde ich gleich Frau Schreyer zitieren, die heute mit Herrn Monti über die Rechtmäßigkeit der geplanten Kapitalspritze reden darf. Frau Michaele Schreyer, so ist es im Protokoll der Plenarsitzung vom 12. März 1998 nachzulesen, hat Folgendes gesagt: Herr Diepgen, vielleicht sollten Sie sich das einmal anhören:

Die Konstruktion der Bankenholding war nicht zum Vorteil des Landes Berlin. Wir haben sie aus diesem Grund auch immer abgelehnt, übrigens auch aus ordnungspolitischen Gründen. Ich frage ganz klar: Was hat eigentlich die öffentliche Hand im ganz normalen Geschäftsbankensektor zu suchen? Ich sage: Sie hat darin eigentlich nichts zu suchen!

Es folgt ein Zwischenruf des heutigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Steffel: „Was erzählen Sie da eigentlich?“ Dann gibt es einen Zuruf von Landowsky: „Hoffentlich werden Sie nicht einmal zuständig für irgendwelche Vermögensmassen!“ Das ist die grenzenlose Arroganz und Selbstgefälligkeit, mit der Sie diese Stadt in den Ruin getrieben haben. Diese Arroganz und Selbstgefälligkeit haben sowohl Herr Steffel als auch Herr Diepgen heute wieder vorgeführt. Damit muss endlich Schluss sein!

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Dr. Steffel (CDU): Kommen Sie zur Sache! Machen Sie doch einmal Vorschläge!]

Das ist zur Sache. In derselben Sitzung sagte der damalige CDU-Wirtschaftssenator Pieroth:

Wir wollen unser wirtschaftspolitisches Handeln nicht vom Landesrechnungshof in Berlin begutachten lassen.

Für diese Art von Politik ist der Regierende Bürgermeister zuständig, auch wenn er nicht selbst in einem Aufsichtsrat gesessen hat und sich persönlich nicht bereichert hat. Herr Diepgen hat die Lex Landowsky mit durchgesetzt. Er hat es ermöglicht, dass der größte Immobilienmakler in dieser Stadt zugleich CDU-Fraktionsvorsitzender war. Wir fordern Sie auf, Herr Diepgen, ziehen Sie, anders als damals zu Antes- Zeiten, endlich die Konsequenzen und treten Sie zurück!

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Öffentlich wird gesagt – und das ist in den Zeitungen nachzulesen –, dass der Chef der Bankgesellschaft, Herr Rupf, KlausRüdiger Landowsky schon 1997 loswerden wollte, dies aber nicht konnte, weil der Arbeitsvertrag eine Kündigung überhaupt nicht vorsah. Er ist mit diesem Anliegen zu Herrn Diepgen gegangen, und der hat gesagt: Das ist nicht durchsetzbar. Dafür finden wir im Aufsichtsrat keine Mehrheit. – Kein Wunder! Die Mehrheit im Aufsichtsrat hatte das Land Berlin. Herr Diepgen! Genau das war bestimmt nicht zum Nutzen des Landes Berlin, sondern das ist Vettern- und Parteibuchwirtschaft.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Herr Regierender Bürgermeister! Wo waren Sie eigentlich im letzten halben Jahr, wo täglich ein Skandal den anderen jagte?

[Wieland (Grüne): Herr Diepgen! Was quatschen Sie ständig mit Herrn Radunski?]

Was haben Sie unternommen, als dieses unglaubliche In-sichGeschäft mit den Cayman-Inseln in jeder Zeitung stand? Haben Sie sich zu einer Zeit, als die Kreditrisiken schon nicht mehr

beherrschbar waren, persönlich für einen weiteren Kredit für den Bauunternehmer und CDU-Großspender Klaus Groth eingesetzt? Wo waren Sie, Herr Diepgen, als die ganze Stadt sich über Luxusfonds für Politiker und Banker empörte? – Sie waren wie Kapitän Nemo auf Tauchstation, haben Ihren smarten Finanzsenator vorgeschickt und Ihre Hauptaufgabe darin gesehen, Ihren Schutzmantel über Klaus Landowsky auszubreiten. Beim Krisenmanagement haben Sie auch in diesem letzten halben Jahr total versagt.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Es stimmt, dass das 70-Milliarden-Schuldenloch nicht allein auf das Missmanagement bei der Bankgesellschaft zurückzuführen ist.

[Niedergesäß (CDU): 45 Milliarden DM aus Westberliner Wohnungsbau!]

Wir wissen, dass am Anfang totale Fehleinschätzungen standen. Kohl versprach blühende Landschaften und fuhr die Bundeshilfen für Berlin viel zu schnell zurück. Diepgen träumte von einem explosionsartigen Wirtschaftswachstum und von der Boomtown Berlin. So begann damals der kollektive Größenwahn. Der alte Westberliner Sumpf wollte mitverdienen. Kritiker wie wir mussten sich als vaterlandslose Gesellen beschimpfen lassen. Hätten Sie auf uns gehört, stünde Berlin nicht am Abgrund wie heute.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Dann wären wir schon hinuntergefallen!]

Aus Entwicklungsgebieten wurden Milliardengräber. In das Projekt Großflughafen Schönefeld fließen mit schöner Regelmäßigkeit bis heute zweistellige Millionenbeträge. Nicht zu vergessen die Olympiabewerbung, die nicht nur ein teurer, sondern auch ein peinlicher Flop war. Man lacht über die Karteikarten mit dem Sexualverhalten der IOC-Mitglieder noch heute weltweit. Und dann träumt allen Ernstes Herr Böger gemeinsam mit Herrn Werthebach schon wieder von Olympia im Jahr 2012.