Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Deshalb hat der Justizsenator als eine seiner ersten Amtshandlungen die Sonderermittlungsgruppe zum Bankenskandal personell entsprechend ausgestattet.

[Schlede (CDU): Herr Wieland, zuhören! Sie werden gerade gelobt!]

Wir werden alles daran setzen, die luxuriösen Auflösungsverträge, die Herrn Landowsky einen netten Lebensabend sichern sollen, zu verhindern. Wer in dieser Stadt Milliarden in den Sand gesetzt hat, darf dafür nicht noch belohnt werden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich habe selten so viel Scheinheiligkeit wie vorhin gesehen, als es um diese Auflösungsverträge ging, als es darum ging, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie, die das seit Monaten verhindern, haben an der Stelle Applaus gespendet. Das ist wirklich an Scheinheiligkeit kaum noch zu überbieten.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf von der CDU: Das ist Überzeugung!]

Aber es geht nicht nur um Vergangenheitsbewältigung, sondern auch um die Perspektiven der Stadt.

[Zuruf von der CDU: Jetzt sind wir beim Thema!]

Ein Schwerpunkt des neuen Senats wird die Korruptionsbekämpfung sein. Wir wollen, dass sich die skandalösen Vorgänge, die wir hier hatten, nicht wiederholen können. Das Beteiligungsmanagement des Landes muss verändert, die Vergabe öffentlicher Aufträge transparent werden. Öffentliches Geld ist gerade in dieser Stadt ein sehr knappes Gut, und deshalb muss sparsam damit gewirtschaftet werden.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist eine der zentralen Aufgaben des Übergangssenats, ein Gesamtkonzept für die Neustrukturierung der Bankgesellschaft vorzulegen. Die notwendigen 4 Milliarden DM für die Kapitalzufuhr werden – auch wenn das gerade von Seiten der CDU immer wieder bestritten wird – zur Verfügung gestellt, denn wir lassen weder die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bank im Regen noch die Kunden am Bankautomaten stehen. Wir werden dafür sorgen, dass diese Bankgesellschaft neu strukturiert, neu organisiert wird, dass sie entflochten wird und dass dadurch auch wieder Geld in die Landeskasse kommt.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Zurufe von der CDU]

Die große Koalition hat aber nicht nur einen Bankenskandal, sondern sie hat auch einen katastrophalen Haushalt als Erbe hinterlassen. Die 20 000 DM, die jede Berlinerin und jeder Berliner auf den Schultern trägt, sind schon erwähnt worden.

[Schlede (CDU): Da sprechen Sie den haushaltspolitischen Sprecher der SPD an!]

Die 12 Millionen DM, die täglich an Zinsen an die Banken gezahlt werden, sind eine Summe, die sich eine Normalbewohnerin und ein Normalbewohner dieser Stadt kaum vorstellen kann. Das ist das Ergebnis von elf Jahren großer Koalition. Berlin ächzt unter der Schuldenlast.

Aber es ist nicht nur der Haushalt, sondern es ist auch die soziale Lage vieler Menschen in Berlin, die Anlass zur Sorge bietet. 270 000 Arbeitslose, 270 000 Menschen, die von Sozialhilfe leben, darunter fast 100 000 Kinder und Jugendliche – das ist für eine Stadt wie Berlin ein absolut unerträglicher Zustand. Dass Berlin beim Wirtschaftswachstum im bundesweiten Vergleich die rote Laterne unter Herrn Branoner mit Brandenburg getauscht hat, das ist auch nicht wirklich ein Erfolg. Auch das ist das Erbe der Ära Diepgen, das andere politische Mehrheiten jetzt übernehmen müssen.

Ebenso schlimm ist die Verletzung des Gerechtigkeitsempfindens der Bevölkerung. Welcher Steuerzahler zahlt noch gerne, wenn er weiß, dass er mit dem Geld, das er einzahlt, für die faulen Kredite aufkommen muss, die sich ein paar Berliner CDUAmigos auf seine Kosten bei der Bank genehmigt haben?

[Zuruf der Frau Abg. Buchholz (CDU)]

Politik kann nur dann wieder glaubwürdig werden, wenn sich sichtbar und spürbar etwas verändert. Dieser Regierungswechsel ist ein erster Anfang dazu.

Neuwahlen müssen die Fortsetzung sein, und zwar Neuwahlen, die am nächstmöglichen Termin stattfinden,

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

und nicht Neuwahlen, die sich an den Reiseplänen von Abgeordneten richten. Wo kommen wir denn da hin? – Zu der Mär, dass die CDU hier beizeiten einen Neuwahltermin einvernehmlich vorgelegt habe, kann ich nur sagen – Herr Müller wird es bestätigen –: Wer dabei war, weiß es besser.

[Zurufe von der CDU]

Wir haben erstmals vor zwei Tagen von Herrn Kaczmarek einen Termin, nämlich diesen 21. Oktober, präsentiert bekommen.

[Beifall des Abg. Dr. Meier (CDU) – Zuruf der Frau Abg. Schultze-Berndt (CDU)]

Davor haben wir diverse Meinungen und persönliche Äußerungen zu Neuwahlen der Presse entnommen. Herr Schmitt war mit dem 16. September dabei, ein anderer mit dem 21. September. Dann gab es den 6. September. Jedes CDU-Mitglied, das in der Presse auftauchte, sagte einen anderen Termin.

[Zurufe von der CDU]

Wir sagen Ihnen: Machen Sie den Weg für Neuwahlen frei, und zwar zum nächstmöglichen Termin. Das ist der 23. September!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Zurufe von der CDU]

Manchmal hilft auch der Blick von außen, um zu erkennen, worin der Unterschied zwischen einer modernen Metropolenpolitik, die Berlin braucht, und dem Metropolenwahn der letzten zehn Jahre liegt. Leo Penta, den werden Sie vielleicht nicht kennen, der kommt aus Brooklyn und vergleicht Berlin mit Brooklyn, Leo Penta sagt in einem Interview über Berlin:

Ich wünsche mir, dass dieses schreckliche Metropolengehabe endlich aufhört. Großprojekte, Großbauten, Protzen – das muss man sich abschminken. Viel zu viel wurde ins Image investiert, um nach außen zu glänzen und die Insider zu bedienen. Das macht aber den Ruf einer Stadt nicht wirklich aus.

Und er sagt weiter:

Berlin sollte mit funktionierenden, lebenswerten Stadtteilen glänzen, mit Vorzeigequartieren für heterogene Communities,

[Gelächter des Abg. Dietmann (CDU)]

wo jedem Touristen gezeigt werden kann, wie wichtig Immigranten für das Überleben des ganzen Landes sind, wo aber auch die Deutschen bleiben wollen. In Brooklyn etwa läuft es.

[Zuruf des Abg. Dietmann (CDU)]

Wir haben aber 20 Jahre bis dahin gebraucht. Es wird Zeit für Berlin.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Genau das ist die Botschaft des neuen Senats: Es ist wirklich höchste Zeit für Berlin.

[Zuruf von der CDU: Die Nachricht ist, dass Sie 20 Jahre brauchen werden!]

Wir sehen die Zukunft Berlins in einem gemeinsamen Bundesland Berlin-Brandenburg als die einer weltoffenen und zivilen Metropole. Markenzeichen Berlins sind die einmalige Mischung aus Ost- und Westbiographien und die Vielfalt der Lebensstile. Bildung und Kultur sind unsere Chancen im Wettbewerb mit anderen Städten und Regionen. Berlin wird den Aufbruch in die Wissensgesellschaft bewältigen. Es kann wirtschaftlich wieder aufwärts gehen. Neue Arbeitsplätze werden entstehen. Berlin hat diese Potentiale.

Schutz und Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen haben für uns einen hohen Stellenwert. Es wird uns gelingen, trotz knapper Haushaltsmittel eine sozial gerechte Politik zu gestalten. Mit Blick auf die Senatsbank sage ich: Zur Gerechtigkeit gehört nach unserem Verständnis auch, dass Frauen auf Senatsbänken und in Führungsetagen und nicht nur auf den Fluren des Arbeitsamtes sitzen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Für die Zukunft Berlins als weltoffene und tolerante Metropole ist es wichtig, dass wir uns von der repressiven Ausländerpolitik eines Herrn Werthebach auf Nimmerwiedersehen verabschieden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Dazu gehört auch, dass wir mit den 100 000 Flüchtlingen, die in dieser Stadt leben, endlich anders umgehen. Eine Weltstadt muss auch ein Ort der Zuflucht sein, bei allen Problemen, die beim Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft existieren. Berlin ist und bleibt eine Einwanderungsstadt. Die soziale und wirtschaftliche Lebenskraft Berlins hängt genau davon ab.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Der Wirtschaftsstandort Berlin ist durch die Bankenkrise beschädigt. Das Vertrauen der Gewerkschaften, aber auch vieler kleiner und mittlerer Unternehmen hat schweren Schaden genommen. Drei Monate sind keine lange Zeit, und dennoch wird der neue Senat die Weichen für die Zukunft des neuen Berlin stellen.