Herr Präsident! Herr Senator, bevor ich auf Ihre Aussagen eingehen kann, spreche ich noch zwei Einzelthemen in der Großen Anfrage an, nämlich zunächst den Tränenpalast. Sie wissen, dass Hunderttausende – wenn nicht gar Millionen – gezwungen waren, sich durch die rüden, demütigenden Kontrollen der sogenannten Grenzer und Zöllner der DDR zu quälen. Freya Kliers Film über die Flucht von acht Schülern mit dem Zug Moskau-Berlin-Paris in der Sendung „Faszination der Freiheit“ ist eben gelaufen. Wolf Biermann hat das Nadelöhr häufig beschrieben. Geblieben ist der Tränenpalast – jetzt ein Kulturmittelpunkt im Bezirk Mitte. Er darf nicht verbaut,
nicht eingemauert werden. Er ist ein Stück authentischer Geschichte und ein Ort produktiver Kultur, Herr Strieder. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wenigstens hier wahr, und suchen Sie den Dialog mit den Leuten vom Tränenpalast! Die dortigen Vorschläge liegen Ihnen vor. Ich appelliere auch an Frau Krajewski.
Berlin ist eine Stadt, deren wirkliche Schönheit sich in ihren Vororten entfaltet – ob Frohnau, Nikolassee, Friedrichshagen oder Westend. Die Stadt verfügt über Ortsteile, deren Schönheit und Spezifik mit keiner anderen Stadt vergleichbar sind.
Wir haben lange, Herr Strieder, mit Ihnen um die Unversehrtheit der Domäne Dahlem gestritten. Auf den letzten Drücker waren Sie bereit, davon abzusehen, dass eine von vielen Familien und Menschen genutzte Fläche sinnlos mit Luxusvillen bebaut wurde. Sie sind hier dem Druck der Bürgerinnen und Bürger und auch dem meiner Fraktion gewichen.
Inzwischen beabsichtigen Sie, mit Hilfe von Herrn Benneter eine gleichwertige Fläche mit sogenannten Luxus- oder Stadtvillen in Dahlem-Zehlendorf an der Grenze zu Wilmersdorf bebauen zu lassen.
Es geht um das Gelände Schorlemerallee/Lentzeallee. Wieder sind die Grünen im Ausschuss für Stadtentwicklung umgefallen. Dieselben Argumente, die gegen die Bebauung der Domäne Dahlem sprachen, sind es, die gegen die Verwertung dieser Fläche sprechen. Wir fordern Sie deshalb auf, von der Stadtzerstörung an dieser Stelle Abstand zu nehmen.
Herr Senator, nun komme ich zu einigen Ihrer Ausführungen. Sie haben sich gegen das Stadtschloss ausgesprochen, weil Sie sagen, es sollte nach heutigen Maßstäben gebaut werden.
Na gut, ich nehme gerne jede Wandlung zur Kenntnis, aber ich fürchte, momentan sind Sie noch nicht so weit. – Sie haben vor dem Alten Museum eine Fläche nach den Vorgaben von Schinkel angeordnet. Das ist gut so, aber Sie müssen sich entscheiden und dürfen nicht sagen, man muss nach heutigen Maßstäben bauen. Man muss jeweils nach den Maßstäben bauen, die vorgegeben sind.
Sie haben mit Stolz die kritische Rekonstruktion erwähnt. Es handelt sich weder um „kritisch“ noch um eine Rekonstruktion. Sie ist der feige Versuch, sich um Maßstäbe zu drücken. Sie ist eine Kompromissarchitektur, die die Stadt nicht besser und nicht schöner gemacht hat.
Ihr Einsatz für die Mauer und die Wachtürme kommt ein bisschen spät. Er kommt – Gott sei Dank! – unter dem Druck der Öffentlichkeit und der vielen Fraktionen. Aber wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann hätten Sie den Wachturm hin und her geschoben und ihn hier vor dem Parlament aufgestellt. Erst in letzter Sekunde waren Sie bereit, ihn in der Nähe stehen zu lassen. Dabei haben Sie sich nicht mit Ruhm bekleckert. Die Checkpoint-Charlie-Geschichte habe ich Ihnen schon vorgehalten.
Sie haben – bei aller Meinungsverschiedenheit sollten wir dabei bleiben – eine Unwahrheit gesagt, nämlich dass Sie den Antrag gestellt hätten, die Mauer und die Wachtürme unter Denkmalschutz zu stellen, und meine Fraktion hätte sich dagegen ausgesprochen. Ich erinnere Sie an eine Sitzung des Kulturausschusses im vergangenen Jahr. Damals haben wir den Antrag gestellt, die Mauer unter Denkmalschutz zu stellen. Der Vertreter Ihrer Verwaltung hat das abgelehnt. Das ist damals gescheitert. Das ist eine schöne Wahrnehmung von Wahrheit.
Im Übrigen, Herr Senator, freuen wir uns über jede Geste, die Sie dazu bringen könnte, zu einer verträglichen, behutsamen Stadterneuerung zu kommen. Da, wo die Stadt ihre letzten historischen Reste hat, sollte sie behutsam historisch ergänzt werden. Im Übrigen muss natürlich neu gebaut werden, und das so vielfältig und schön wie möglich. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage hat, wie wir gehört haben, dem Senator noch einmal Gelegenheit gegeben, – zwar ohne große Neuigkeiten – positiv zu Fragen der Innenstadtentwicklung, wie wir sie seit Jahren – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Planwerks Innenstadt – immer wieder vorangebracht haben, Stellung zu nehmen. Insofern sind die Einzelfragen Wiederaufnahmen von Besprechungen, die im Ausschuss für Stadtentwicklung geführt und aus vielerlei Gründen nicht zufrieden stellend abgeschlossen werden konnten.
Mit dieser Großen Anfrage ist ein Spektrum zukünftiger Aufgaben angesprochen. Der Einstieg der Fragesteller war zunächst prinzipieller Natur und die Antwort darauf evident. Selbstverständlich ist das Maß von Stadtpolitik in jedem Fall der Mensch – auch wenn es in Reden bezüglich des Innenstadtbereichs manchmal scheint, als ginge es nur abstrakt um unser von der Geschichte deformiertes Erbe, um steinerne Symbole von Macht und Ideologien. Der Senator umschreibt diesen, den Menschen zugewandten Aspekt gerne mit der Formulierung „urbane Identität“, die sich in Bezug Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt herstellen soll. Einer Stadt, die bewundernswert und bewohnbar zugleich sein muss, in der Menschen sich wohl und geborgen fühlen und auf die sie mit Stolz und Verantwortung blicken, und zwar Bewohner und Besucher und – seit Berlin wieder Hauptstadt ist – in gewisser Weise alle Bürger unseres Landes.
Es hat mich etwas verwundert, dass weder in den Fragen noch in der Erwiderung das Hauptstadt-Sein als stadtpolitisches Maß, als Anforderung mitgedacht wurde – schließlich bekommt dadurch alles, was hier gestaltet wird, eine zusätzlich ernst zu nehmende Dimension. Wir müssen uns nämlich mit anderen Metropolen vergleichen lassen. Wir müssen auch avantgardistische Ansprüche realisieren, vor denen sich das hier mitunter entfaltete kleinkarierte und irrationale Denken verbietet. Ich wünsche mir hier mehr Ehrgeiz und hauptstädtisches Selbstbewusstsein auch dieses Parlaments.
Was die angestrebten Ziele der Innenstadtgestaltung und des Innenstadterlebens angeht – Leere und Trennungen überwinden, Fußläufigkeit und Aufenthaltsqualitäten herstellen, die Schönheit und Besonderheit von Bauten und Plätzen bewahren bzw. wiedergewinnen –, ist für mich nach wie vor – das habe ich hier schon wiederholt betont – das Planwerk Innenstadt ein überzeugendes Konzept, an dem festgehalten werden sollte, wenn auch nicht dogmatisch, sondern erkenntnisoffen und lernfähig.
Nun noch einige wenige Anmerkungen zu den Detailfragen. Wir müssen nicht alles wiederholen. Die Palast/Schloss-Problematik ist ein Dauerbrenner in diesem Hause. Die nationale Bedeutung ist hier betont worden, die Expertenkommission arbeitet. Der materielle Ausgangspunkt dieser Diskussion ist nach wie vor derselbe: traurige Reste des Palastes, gar keine Reste des Schlosses. Richtig ist, dieses im Zusammenhang mit dem ganzen historischen Zentrum zu sehen. Das bedeutet für uns nicht automatisch: Schlossgestalt. Für die SPD ist dies immer in erster Linie nicht eine Gestaltfrage, sondern eine Sinnfrage gewesen. Das bedeutet öffentliche Funktionen, keine elitären Ansprüchen entsprechende Kommerzialisierung. Ich erinnere daran, dass wir etwa vor einem Jahr eine Umfrage in diesem Parlament hatten, Schloss oder Palast, was die Gestalt betrifft. Dieses ist nicht für Schloss oder Palast ausgegangen, sondern für etwas, was auch ich für sinnvoll halte, ein modernes Gebäude, das selbstverständlich in einem guten Entwurf der Widerspiegelung der brüchigen Geschichte des Ortes gerecht werden kann. Das ist zu leisten.
Zum Punkt Neue Wache, preußische Generäle: Hier möchte ich sagen, dass der Ausschusswille eindeutig ein anderer war als das, was der Senat mit den Kollwitzerben verhandelt hat. Wir wollten eigentlich Blücher, Yorck und Gneisenau an den alten Standort gestellt haben; das ist die der Neuen Wache gegenüberliegende Straßenseite. Mir ist nach wie vor nicht plausibel, warum dies in Bezug auf alle fünf Figuren entschieden werden soll. Ich sehe beim besten Willen kein Spalier von Generälen, wenn ich vor der Neuen Wache stehe und dies auf der anderen Straßenseite ist. Soviel dazu nur angemerkt; ich denke, das wird auch noch zur Zufriedenheit gelöst werden.
Zu den Mauerresten: In diesem Hause ist schon häufiger festgestellter Konsens, so viel wie möglich davon – viel ist ja nicht mehr da – zu erhalten. Klar ist aber in jedem Fall, es sind alles nur Symbole des Originals, Versatzstücke. Aber es sind wichtige dreidimensionale Anstöße, die historische Wahrheit über dieses schreckliche Bauwerk zu entfalten. Ich meine, dass die bloße Anwesenheit von Relikten nicht reicht, dass wir sie nicht als Alibi für die Erinnerung an die Mauer nehmen dürfen.
Ich sage das deshalb, weil in diesem Hause schon des öfteren klar geworden ist, dass selbst Leute, die sich damit intensiver beschäftigen, ganz unterschiedliche Sichten einnehmen können. Beispielsweise gibt es die einen, die den Mauerverlauf als willkommene Vorlage für eine Radwegplanung erkennen können – wogegen ich nichts habe –, aber es gibt die anderen, die nach wie vor dabei den ehemaligen Todesstreifen im Kopf haben.
Ganz deutlich wird diese differenzierte Erinnerungsweise am Tränenpalast. Mir ist nicht ganz plausibel, warum hier so massiv auf die Gesamterhaltung dieses Ensembles gepocht wird. Ich muss sagen, „Tränenpalast“ ist überhaupt ein Begriff, den ich erst nach der Wende kennen gelernt habe; und im Zusammenhang mit Kulturstandort – da sträubt sich mir ein bisschen etwas. Aber das ist nicht wesentlich. Das eigentliche Trauma dieser Grenze an der Friedrichstraße war nicht der Tränenpalast,
sondern es war die eiserne Wand zwischen den Gleisen 5 und 4, die uns den Blick abschnürte. Das haben wir jeden Tag – früh morgens zur Arbeit gehend und abends in den Zug wieder einsteigend – gesehen. Gott sei Dank ist diese Wand weg, sie soll auch nicht wiederergestellt werden, aber d a s ist der Eindruck der Grenze an diesem Punkt.
Beim Umgang mit den freien Flächen in der Stadt, was auch in der Großen Anfrage angesprochen wurde, ist prinzipiell auch hier schon des öfteren gesagt worden, dass selbstverständlich für Bebauungsvorhaben Abrissflächen und Industriebrachen Vorrang haben, Grünflächen zuallerletzt, am besten gar nicht. Die Qualifizierung des innerstädtischen Grüns ist etwas, was bereits beschlossen wurde bzw. auch in einem größeren Konzept nochmals festgelegt wird. Insofern denke ich, dass auch ein Verweis etwa auf den Liegenschaftsfonds in diesem Zusammenhang unangebracht ist. Das ist behutsam zu behandeln.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU-Fraktion! Das mit dem Parlamentarismus ist schon eine schwierige Sache,
das will ich gern eingestehen, besonders wenn man sich in einer neuen Rolle zurechtfinden muss wie jetzt die CDU in der Fundamentalopposition. Es ist schon schwierig, wenn einem dann nicht mehr die Referenten aus der Verwaltung die Anträge und
die Großen Anfragen schreiben. Denn was will uns die CDU mit dieser Großen Anfrage über stadtpolitische Maßstäbe eigentlich sagen?
Geht es um Breite, Höhe, Länge im baulichen Sinne, oder geht es doch um eine stadtverträgliche Stadtentwicklungspolitik, um Leitbilder, wie es der Kollege Lehmann-Brauns vorsichtig angedeutet hat? Ich will trotzdem versuchen, mich mit Ihren Fragen zu beschäftigen, auch wenn sie teilweise etwas über die Dörfer gehen und nicht unbedingt etwas mit der gesamten Stadt zu tun haben.
Ich habe das Gefühl, dass der CDU in erheblichem Maße der finanzpolitische Realitätssinn abhanden gekommen ist mit ihrer Forderung, die historische Mitte wieder so herzustellen, wie sie beim Alten Fritz vielleicht einmal ausgesehen hat. Ich muss Ihnen auch sagen: Berlin ist eine Stadt mit vielen Schichten von Geschichte. Da gibt es sehr viel mehr, was hier Bestand hat und erhalten bleiben muss, als nur preußische Tugenden und preußische Gebäude.
Sie fragen nach der Sicherung der Mauerreste. Nun muss ich Ihnen sagen: Meiner Erinnerung nach gab es die letzten 10 Jahre in dieser Stadt eine große Koalition unter Beteiligung der CDU. Sie haben doch den Abriss im Affekt vorgenommen und beklagen sich jetzt. Hätte man früher mit etwas mehr geschichtlicher Sensibilität gearbeitet, brauchten Sie sich jetzt nicht so zu beklagen. Vielleicht beschweren Sie sich einmal bei Ihren ehemaligen Senatsmitgliedern.
Gleich nach den Mauerresten und der historischen Mitte geht es dann um ortsteiladäquate Grünflächen. Was meint die CDU? Grünflächen in Dahlem, Beton für die Berliner Mitte? Die PDS ist seit 10 Jahren die Partei der grünen Metropole. Ich sage Ihnen: Hände weg von unseren Parks, Hände weg von der grünen Mitte Berlins! [Beifall und Heiterkeit bei der PDS – Heiterkeit bei der SPD und den Grünen]
Als nächstes kommen wir dann zur never ending story des Berliner Stadtschlosses. Die CDU möchte hier gern ein Stück Disneyland aufbauen. Ich denke, Sie sollten etwas mehr Geduld haben und die Ergebnisse der Schlosskommisson abwarten. Wir, die PDS sagen, dass ein öffentlicher Ort für alle Menschen und internationale Ausstrahlung statt preußischer Besoffenheit wichtig für den Schlossplatz ist. Es ist wichtig, die baulichen und die Nutzungspotentiale des Palastes miteinzubeziehen.