Protokoll der Sitzung vom 23.03.2000

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Mutlu (Grüne): Und jetzt bekommen sie ihren Lohn dafür!]

Zweitens halte ich – entgegen den böswilligen Unterstellungen, mit denen gearbeitet wird – ganz klar fest: Der geschlossene Vertrag gilt bis zum Ende dieses Schuljahrs. Und er wird auf Punkt und Komma erfüllt. Das heißt, die Mehrarbeit wird den Lehrerinnen und Lehrern zurückerstattet und nicht einfach kassiert.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Mutlu (Grüne): Das wollen wir sehen!]

Man kann diesen Schritt bei verantwortungsvoller Politik nicht einfach weiter vollziehen, weil es nichts anderes ist als das Vorsich-Hinschieben einer ansteigenden Bugwelle. Wir können auch nicht so tun, als stünden wir in Berlin ganz allein und hätten nicht die Pflicht, uns auch an bundesdeutschem Standard zu orientieren.

Damit meine ich zunächst einmal die Aussage, dass wir immer im Auge haben müssen, dass in den kommenden Jahren schnell und rasch der Länderfinanzausgleich verhandelt wird. Sie können sich vorstellen, wie Bundesländer, ganz gleich, von welcher politischen Richtung sie geführt werden, mit Argusaugen auf das Land Berlin schauen, das das größte Empfängerland ist, und prüfen, wie die Ausstattung dort im Einzelnen aussieht.

Deshalb war es notwendig, eine Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung der Berliner Lehrkräfte vorzuschlagen. Sie ist notwendig, und sie ist maßvoll und sie geboten, um die pädagogischen Standards der Berliner Schule zu erhalten. Wir lehnen nämlich eine weitere Kürzung der Stundentafel und eine weitere Erhöhung der Klassenfrequenz ab. Ich sage aber deutlich: Die

Berliner Lehrkräfte haben mit dieser einen Stunde zusätzlich ihren Beitrag für diese Legislaturperiode geleistet, der zur finanziellen Handlungsfähigkeit des Landes und zur Erreichung eines Einstellungskorridors notwendig ist. Eine weitere Mehrbelastung kann und wird es mit mir nicht geben. Der erforderliche Stellenrahmen für die weitere Legislaturperiode muss ausfinanziert werden, und zwar ohne Einschränkung der Bildungsstandards für unsere Schülerinnen und Schüler und ohne weitere Sonderopfer für die Lehrer.

[Beifall der Abgn. Frau Dr. Rusta (SPD) und Frau Neumann, Eveline (SPD)]

Ich bitte alle Lehrerinnen und Lehrer, sich dieser notwendigen Maßnahme, die der Sicherung der Standards und der Qualität der Berliner Schule dient, nicht zu verschließen. Ich gehe davon aus, dass durch das persönliche Engagement die Qualität des Unterrichts im Interesse der heranwachsenden Generation auch weiterhin erhalten bleibt. Meine Aussagen zur Sicherung der Rahmenbedingungen stehen. Daran lasse ich mich auch messen. Ich brauche im Übrigen die Unterstützung des ganzen Hauses, um dies durchzusetzen.

Ich habe die Belastungen des Lehrers vor Ort sowohl durch langjährige eigene Tätigkeit

[Frau Jantzen (Grüne): Lange her!]

wie auch durch häufige Schulbesuche, die ich in meiner kurzen Amtszeit gemacht habe – die zugegebenermaßen gegenwärtig nicht ganz einfach sind, die wir aber machen – genau vor Augen. Ich weiß, was Lehrkräfte in Berlin in der Schule zu leisten haben. Diese Besuche vor Ort zeigen mir das große Engagement der Kolleginnen und Kollegen, die Vielfalt in der Berliner Schule. Sie zeigen mir auch, dass man entgegen manch strammen Sprüchen und manch harter Kritik sehen kann, dass man vor Ort viel organisieren kann, wenn Wille, Konzept und Engagement zusammenkommen. Dies ist in vielen, ja in den meisten Schulen in Berlin der Fall. [Mutlu (Grüne): Aber nicht bei jeder Verwaltung!]

Aus denselben Erfahrungen heraus wehre ich mich aber auch ganz entschieden dagegen, wenn die Entscheidung über eine notwendige Pflichtstundenerhöhung als Ignoranz gegenüber dem Lehrerberuf oder als Missachtung der besonderen Aufgabenvielfalt oder gar als Zynismus gegenüber einem Berufsstand gewertet wird.

[Cramer (Grüne): Ist es aber!]

Ich weiß, dass das Ansehen des Berufsstands der Lehrer in der Bevölkerung nicht gerade hoch angesiedelt ist.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Dieser Umstand sollte uns allen Sorge bereiten, weil die Güte eines Bildungssystems ganz wesentlich von der Güte des pädagogischen Personals abhängt.

[Frau Jantzen (Grüne): Richtig!]

Dieses pädagogische Personal braucht zu seiner eigenen professionellen Motivation auch die Anerkennung und den Respekt von außen. Ich halte die Aussagen der Lehrkräfte über ihre besonderen Belastungen für aufrichtig und nehme ihre Klagen ernst.

[Mutlu (Grüne): Deshalb die Stunde Mehrarbeit!]

Genauso klar und eindeutig, Herr Mutlu und meine Damen und Herren, sage ich: Der Senat wird Streikmaßnahmen nicht respektieren, die zu Unterrichtsausfall oder einer Einschränkung des pädagogischen Standards führen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Dafür gibt es klare rechtliche Gründe. Das Beamtenrecht und übrigens auch das Angestelltenrecht sind hier eindeutig. Es gibt auch bildungspolitische Gründe gegen einen Streik. Hier würden einmal mehr Streitigkeiten innerhalb der Politik und unter Erwachsenen auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetragen. Das kann und will der Senat nicht zulassen.

[Zuruf der Frau Abg. Schaub (PDS)]

(A) (C)

(B) (D)

Bm Böger

Wir finden uns dabei in guter Gesellschaft: Der Landesschulbeirat und der Landeselternausschuss haben sich bei allem Verständnis für die Situation der Lehrer ebenso gegen die Streikmaßnahmen ausgesprochen wie der Philologenverband und der Landeslehrerausschuss. Mein Appell ist, von diesen Maßnahmen abzulassen. Sie helfen nichts, sie verschärfen und verschlimmern nur die Situation.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Zu Ihrer Frage 3, zu den Arbeitszeitmodellen:

[Frau Jantzen (Grüne): Genau!]

Ich habe meine Bereitschaft zu Verhandlungen über neue Arbeitszeitmodelle mit den Gewerkschaften sowie den Lehrerverbänden in zahlreichen Gesprächsrunden bereits mehrfach betont. Ich bitte um konstruktive Vorschläge und ermuntere die Berliner Pädagogen ausdrücklich, sich an diesem offenen Dialog zu beteiligen.

[Frau Schaub (PDS): Jetzt, wo sie auf dem Tisch liegen, das hätten Sie auch schon früher machen können!]

Wir reden bei der Lehrerarbeitszeit über ein altes Ritual. Die Lehrerarbeitszeit orientiert sich nach wie vor a) an der Zahl der Unterrichtsstunden, Regelstunden, Wochenstundendeputat, b) am Vorrang der Schulart vor den unterrichteten Fächern und c) an der Dualität des Arbeitsplatzes Dienstort Schule und Teilzeitheimarbeitsplatz. Bundesweit sind diese Regelungen unter Druck geraten, bzw. es gibt eine Fülle von Untersuchungen und Initiativen, eine andere Regelung der Arbeitszeit vor Ort zu praktizieren. Ich bin bereit, in Berlin solche Arbeitszeitmodelle zu proben, die mehr Zeit und Raum lassen für die Planung und Gestaltung von Bildungssteuerung in der Einzelschule.

[Mutlu (Grüne): Wir nehmen Sie beim Wort!]

Wir haben dort einige Reformversuche z. B. den Versuch zuverlässige Halbtagsschule. Wir werden diese weiter fortführen. Wir sind auch bereit, einzelne Schulen in Berlin einen solchen Modellversuch rechtlich zu genehmigen und eine solche neue Lehrerarbeitszeit auszuprobieren.

Im Übrigen werden wir schon jetzt die Ermäßigungstatbestände abbauen, die es in Höhe von 3 400 Vollzeitlehrerstellen – das sind mehr als 10 Prozent – gibt. Der Hauptausschuss – wahrscheinlich auch Ihre Haushälter, Herr Mutlu – hat in Anerkennung eines Rechnungshofberichts gefordert, dass wir einen maßvollen Abbau dieser Ermäßigungstatbestände vornehmen müssen. Dennoch bleiben noch Ermäßigungstatbestände. Wir wollen diese direkt in einem Pool an die Berliner Schulen geben, damit die Konferenzen in den Schulen selbständig entscheiden können, wofür diese Ermäßigungstunden eingesetzt werden sollen und wofür nicht.

[Frau Martins (Grüne): Ja, das ist unser Vorschlag; ist schon im Antrag aufgenommen!]

Schließlich möchte ich noch auf einige Punkte kommen, nach denen Sie nicht gefragt haben, die aber heftig in der Diskussion sind.

Zur Grundschulreform: Trotz gekürzter Haushaltsansätze und trotz großer Probleme werden wir an dem Konzept der Grundschulreform festhalten. Es bleibt 1. bei der Neugestaltung der Eingangsstufe mit einer erweiterten Stundentafel in der Klasse 1. Es bleibt 2. beim Frühbeginn Englisch, und wir beginnen mit dem Aufbau bilingualer Grundschulen. 3. bleibt es beim Modell der zuverlässigen Halbtagsschule mit Ausbaumöglichkeiten. Und schließlich wollen wir 4. die sechsjährige Grundschule stärken und ihre Attraktivität erhöhen, indem wir bewährte Formen der Binnendifferenzierung durch Formen der äußeren Leistungsdifferenzierung in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch ergänzen werden.

[Mutlu (Grüne): Das ist das Muss für die sechsjährige Grundschule!]

Heute habe ich in einer Tageszeitung zwei Leserbriefe gelesen, die mich beide etwas verdutzt machen. Ein Leserbriefschreiber sagt, wenn die Grundschulen so bleiben, wie sie sind, möchte man am liebsten aus dem Land Berlin wegziehen. Eine andere Leserbriefschreiberin sagt, wenn der Senat auch nur ein Jota an den bestehenden Grundschulen ändert, ist alles vorbei, alles hinweg, was wir über Jahrzehnte hinweg in Berlin entwickelt haben. – Darf ich Ihnen, meine Damen und Herren, und allen an der Diskussion Beteiligten einen Ratschlag geben, ja vielleicht eine Bitte an sie äußern? – Seien wir doch etwas gelassener, seien wir doch auch einmal zuversichtlich, dass man gute Einrichtungen wie die Grundschule beibehalten wird.

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Barth (PDS)]

Ich halte die sechsjährige Grundschule für eine gute Einrichtung. Wenn man sie halten will, dann muss man sie auch verbessern können. Genau dies wollen tun.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Zu den Schulstationen, nach denen Sie gefragt haben:

[Frau Oesterheld (Grüne): Der redet ja ’ne Stunde!]

Die Schulstationen sind letztlich Teil einer reformierten Grundschule. Sie erweitern die erzieherischen Möglichkeiten und können zu einer wichtigen Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe werden. Ich will den Großteil dieser Schulstationen erhalten und sie in Regelfinanzierung überführen, weil sich dieses Konzept bewährt hat.

Ich will den Großteil dieser Schulstationen erhalten und sie in Regelfinanzierung überführen, weil sich dieses Konzept bewährt hat. Ich setze darauf, dass die Koalition – die Opposition wird es vielleicht eher tun – diese Schritte unterstützt, weil wir bislang die Schulstationen ausschließlich über ABM-Stellen finanzieren. Ich möchte sie, zumindest an ausgewählten Schulen – in eine Regelfinanzierung überführen, weil sie pädagogisch sehr sinnvoll sind. [Beifall bei der SPD]

Schließlich wird der Senat und wird die Berliner Schulpolitik an einem weiteren generellen Ziel festhalten, nämlich der Forderung der Sprachkompetenz. Wir haben 14 Europaschulen im Bereich der Grundschulen, wir haben dort 9 unterschiedliche Sprachkombinationen. Nach meinem Kenntnisstand gibt es eine solche Vielfalt und Konzentration in keinem anderen Bundesland. Und wir wollen diese Schulmodelle weiter durchführen und auch in der Sekundarstufe 1 und 2 durchführen, und wir wollen insbesondere, dass im Ergebnis unseres Bildungssystems jeder Schüler und jede Schülerin eine Fremdsprache sicher beherrscht. [Beifall des Abg. Landowsky (CDU)]

Schließlich lassen Sie mich noch das Hauptreformwerk nennen, mit dem wir noch gar nicht begonnen haben, nämlich ein Schulreformgesetz. Das ist gewiss eine äußere Hülle. Wir brauchen – ich will das verkürzen – eine ganz entschiedene Entbürokratisierung unseres Schulsystems. Wir brauchen zweitens eine deutliche Stärkung der Einzelverantwortung der Schule. Und wir brauchen drittens die Sicherung von Qualitätsstandards in den Berliner Schulen. Und ich glaube, viertens und letztens, die Berliner Schule ist in einer schwierigen Etappe. Anpassungsprozesse und Erneuerungsprozesse sind notwendig. Mit dem Blick nur auf das negative werden wir dies nicht meistern. Es gibt in Berlin sehr viele gute und hervorragende Beispiele. Lassen Sie uns daran orientieren, und nicht nur am Meckern. – Vielen Dank!