Protokoll der Sitzung vom 18.04.2002

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Frau Kollegin Leder! – Für die FDP spricht der Kollege Matz und hat noch sieben Minuten. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Herr Sarrazin neu nach Berlin kam, habe ich zunächst gedacht, das ist ein ganz Schlauer, der macht das so wie der Herr Schrempp, als der Chef bei Daimler-Chrysler wurde: Er legt erst einmal ein paar Horrorzahlen vor, die so schlecht sind, dass er, wenn er zum ersten Mal richtige Zahlen vorlegen muss, dann sagen kann: Schaut mal, wie toll ich das eingehalten habe; ich habe die Ziele sogar übertroffen. – Das war das, was ich gedacht habe, als die Ansätze um eine Milliardenzahl schon in den Jahren 2002 und 2003 im Eckwertebeschluss des Senats hinter dem zurückblieben, was die SPD-PDS-Koalition in ihre eigene Koalitionsvereinbarung geschrieben hat. Aber die Wirklichkeit ist schon nach so kurzer Zeit viel schlimmer. Denn Herr Sarrazin ist offensichtlich nicht Herr Schrempp, er ist nicht einmal ansatzweise in der Lage, seine eigenen Zahlen innerhalb dieser kürzesten Zeit einzuhalten.

Weil wir schon wieder über Vergangenheit reden, über die Verfassung reden, darüber reden, dass sich SPD und CDU gegenseitig die Schuld geben, möchte ich jetzt über all das nicht reden. Ich will nicht über die Bank reden, ich will nicht über die Wohnungsbaugesellschaften reden, obwohl man das alles schön machen könnte. Ich will noch nicht einmal über die Einnahmeprobleme reden. Ich will nur bei Personalausgaben und konsumtiven Sachausgaben betrachten, was innerhalb von wenigen Wochen seit der Koalitionsvereinbarung passiert ist. Da stellt man fest, dass Sie bei den Personalausgaben im Jahr 2002 194 Millionen § und im Jahr 2003 insgesamt 716 Millionen § hinter den eigenen Zahlen zurückgeblieben sind, die Sie in Ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben haben, wenn man die Abweichung des Eckwertebeschlusses von der Koalitionsvereinbarung mit rechnet und dann den Haushaltsentwurf zum Eckwertebeschluss betrachtet und einbezieht, dass Sie jede Menge pauschale Minderausgaben in den Haushalt eingestellt haben, von denen Sie überhaupt noch nicht sagen können, wie Sie die in die Realität umsetzen wollen.

[Beifall bei der FDP]

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Es geht noch schlimmer weiter: Wenn wir die konsumtiven Sachausgaben vergleichen, dann sind es im Jahr 2002 insgesamt 600 Millionen § und im Jahr 2003 650 Millionen §, die Sie – jetzt schon! – hinter Ihren eigenen Zahlen zurückbleiben. Nach meiner Erinnerung war es Anfang Januar, als Sie diese Zahlen präsentiert haben. Jetzt ist es gerade mal einige Monate später, und schon bleiben Sie insgesamt, für die beiden Jahre zusammengerechnet, um 2,16 Milliarden § hinter dem zurück, was Sie selber erreichen wollten. Eine größere Bankrotterklärung eines neuen Senats in so kurzer Zeit kann man sich überhaupt nicht vorstellen!

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Jetzt könnte man sagen, 1 073 von diesen Millionen – also etwas über eine Milliarde –, das war noch vor Sarrazin. Man kann auch sagen, 503 Millionen davon sind pauschale Minderausgaben, die werden Sie bestimmt noch erreichen. Aber ich frage mich dann doch, warum Sie mit einer Ihren ersten Entscheidungen einen so großen Wert darauf gelegt haben, einen Doppelhaushalt vorzulegen, der Ihnen relativ wenige, schlechte Chancen gibt, Ihre Sparziele durch strukturelle Maßnahmen zu unterlegen. Und so erleben wir dann, dass wir bei der Stellenwirtschaft noch Nachschiebelisten erhalten werden, wir erleben, dass Berichtsaufträge, die wirkliche Strukturveränderungen betreffen, nicht während der Haushaltsberatung behandelt werden können. Wir erleben – davon war heute noch nicht die Rede –, dass die Bezirke auf Ihre Einsparvorgaben so reagieren, dass sie für 2002 fast nur pauschale Minderausgaben in ihre Haushalte einstellen, weil sie auch noch nicht wissen, wie sie das eigentlich umsetzen sollen. Und wir erleben, dass von einem nebulösen Haushaltsstrukturgesetz geredet wird, von dem überhaupt noch nichts zu sehen ist.

Also: Wir haben eine Situation, wo zwar behauptet wird, die Zitrone sei ausgepresst, wir aber feststellen müssen, dass Sie in Wirklichkeit Ihrem eigenen Ziel, die Netto-Neuverschuldung auf Null zu bringen oder auch dem Ziel, die primäre Situation auszugleichen, weiter denn je entfernt sind. Denn die Summe, die ich eben genannt habe – wenn Sie nicht Teile davon noch erreichen –, dann sind es 130 Millionen §, die Sie allein in diesen wenigen Wochen nicht eingehalten haben – 130 Millionen § von jetzt bis in alle Zukunft zusätzliche Zinsausgaben nur wegen dieser Differenz am Beginn dieser Regierungszeit von Rot-Rot. Da fragt man sich, wo die entschiedene Umsetzung der Verwaltungsreform ist. Spätestens, wenn Sie beim Bund anklopfen wollen, werden Sie feststellen, dass zum Beispiel das Bundesland Bremen sich auf die ehrgeizigste Verwaltungsreform verpflichten musste, die man sich überhaupt vorstellen kann. Darum werden Sie nicht herumkommen.

Noch nicht besprochen wurden – dafür reicht die Zeit kaum – die Krankenhäuser. Warum sind Sie bei Vivantes nicht für Verkäufe? Es wird diskutiert, dann wird wieder blockiert. Sie sind innerhalb der eigenen Koalition nicht in der Lage, diese Dinge durchzuziehen.

Zu den Zulagen für Spitzenbeamte: Es ist wirklich nicht so, dass man als Oppositionspolitiker nicht in der Lage wäre, jede Menge Dinge aufzulisten, bei denen wir von Ihnen erwarten können müssten, dass langsam mal etwas kommt.

Wenn Sie dann sagen, das ließe sich nicht innerhalb von 8 Wochen umkrempeln: Es gibt eine Menge Beispiele dafür, dass Sie in den einzelnen Titeln des Haushalts noch nicht einmal drin gewesen sind. Denn ich kann es mir einfach nicht erklären, dass bei den Zuschüssen, der Gruppe 68, im Jahr 2003 dieselben 2,85 Milliarden § im Haushalt stehen wie im Ist des Haushalts 2001 auch. Das heißt doch, die Sparleistung ist in diesem Bereich letztlich Null. Wenn man sich das etwas genauer ansieht, kommt man auf abstruse Sachverhalte. Zum Beispiel die 43 000 §, die Sie brauchen, um die Zentrale Anlaufstelle Hospiz, die entgegen Ihrer Behauptung nicht im Jahr 2003 von den Krankenkassen übernommen wird und wo es darum geht, dass sterbenskranke Menschen nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause betreut werden können, genau diese 43 000 § – Zufall in der Summe – gibt der Senat nach wie vor laut eigener Planung für Kaffee trinkende Frauen aus. Ich habe überhaupt nichts dage

gen, dass es solche Institutionen gibt, dass es Frauencafe´s gibt und dass das alles eine gute Sache ist, aber ich kann einfach nicht einsehen, dass nach wie vor Steuergelder in Bereichen ausgegeben werden, wo noch nicht einmal ansatzweise versucht wird, irgendeine Einsparleistung zu erbringen.

[Beifall bei der FDP – Mutlu (FDP): Hätten Sie nicht ein anderes Beispiel nehmen können?]

Ich könnte zahlreiche andere Beispiele nennen, aber das ist ein besonders schönes, und deshalb habe ich mich dafür entschieden.

[Mutlu (Grüne): Man merkt, Sie haben nur zwei Frauen in der Fraktion!]

Von Frau Spranger haben wir vorhin ein Bild aus der Sprache des Radsports gehört. Wenn Sie sich die Zahlen vor Augen führen, die ich genannt habe, wie weit der Senat schon hinter seinen eigenen Koalitionszielen zurück ist, dann fällt mir zum Radsport nur ein einziges Bild ein. Das war, als Jan Ullrich relativ schnell nach dem Start in der Kurve dieselbige nicht mehr gekriegt hat und mitsamt seinem Rad den Hang hinunter ins Gebüsch geflogen ist. Das ist das Bild, das auf den Finanzsenator Sarrazin wenige Wochen nach seinem Start sehr gut passt.

[Pewestorff (PDS): Aber er stand auf und fuhr weiter!]

Denn Sie haben die erste wichtige Kurve auch nicht gekriegt. Das war, von Ihren eigenen ehrgeizigen Zielen ausgehend, einen Haushalt aufzustellen, mit dem wenigstens Ihre Sparziele erreicht wurden.

[Zurufe von der SPD]

Ich spreche ja gar nicht von unseren Sparzielen, ich spreche nur von den eigenen Sparzielen, die die rot-rote Koalition aufgestellt hat und die sie im Verlauf dieser Haushaltsberatung nicht im Entferntesten erreichen könnte, selbst wenn Sie uns mit Nachschiebelisten und anderen nachgeschobenen Dingen ohne Ende im Hauptausschuss traktieren. Das ist etwas, was wir nicht akzeptieren können.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen!

Wenn Frau Leder dann sagt, eine neue Koalition braucht ihre Zeit, dann kann ich darauf nur antworten: Diese Zeit brauchte eine andere Koalition.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Vielen Dank, Herr Kollege Matz! – Jetzt kommt – in einer Haushaltsdebatte muss man genau sein – für 60 Sekunden die PDS. Frau Freundl vollbringt das Wunder. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da kann ich natürlich nicht so kurven- und klippenreiche Bilder verwenden. Ich will etwas zu zwei Punkten sagen, die angesprochen worden sind.

Es waren sehr massive Vorwürfe, die da von der Opposition, insbesondere von Frau Klotz, zum Thema Sozialhilfeempfangende geäußert worden sind und zu einem Projekt, das eigentlich alle im Hause mittragen. Ich will einfach Fragen stellen. Das ist anscheinend unüblich geworden. Es ist ein komplizierter Vorgang, das Geld von einer Verwaltung in die andere fließen zu lassen. Wer diese Verwaltung kennt, der weiß, dass das kompliziert ist. Aber kann ich nicht von einer erfahrenen Parlamentarierin erwarten, dass sie in den Haushaltsplan schaut, auch wenn der Sachverhalt jetzt einen anderen Titel trägt? Wenn Sie selber nachschauen, finden sie, dass 29 Millionen § eingestellt sind.

[Widerspruch den Grünen]

Es kommen mit der Nachschiebeliste noch einmal 10 Millionen § für die Bezirke hinzu, und zwar zusätzlich zum Ansatz 2001,

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Nachschiebeliste, ja!]

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und die Sozialhilfemittel aus den Bezirken, wo wir alle dieses Instrument so interessant fanden, weil durch den Einsatz von Fallmanagement – das ist kostenneutral – Sozialhilfeempfangende in Arbeit gebracht werden können. Im Jahre 2003 steigt dieser Ansatz auf 35,4 Millionen §; es gibt also noch einmal eine deutliche Steigerung zum Standard von 2001. Daher erscheint es mir unlogisch zu behaupten, dass jetzt um ca. 1000 Sozialhilfeempfangende in Arbeit gebracht werden von einem Betrag, der vergleichbar ist mit dem von 2001. Das erscheint mir unlogisch und der Brisanz des Problems nicht angemessen. Vielleicht sollte man darauf zurückkommen, Fragen zu stellen. Die lassen sich dann auch beantworten und – ich glaube, im Sinne der Sozialhilfeempfangenden zu sprechen – auch positiv beantworten.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Frau Dr. Klotz (Grüne): Die sind gestern im Ausschuss beantwortet worden!]

Vielen Dank Frau Freundl! – Bevor wir zu der nächsten Rede kommen, weise ich aus gegebenem Anlass darauf hin, dass die Senatsbank den Mitgliedern des Senats vorbehalten ist. Ich bitte, dieses zu beachten. – Jetzt hat für die Fraktion der Grünen Herr Schruoffeneger das Wort. Er hat auch eine Minute Redezeit zur Verfügung. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Vorrednerinnen! Diese Fragen sind gestellt worden, und sie sind beantwortet worden. Im Zweifelsfall hilft ein Blick in den Haushalt. Und dass Sie schon heute, am Tag der Einbringung des Haushalts, die Nachschiebeliste ankündigen müssen, um Ihre Versäumnisse und Fehler zu korrigieren, ist wohl das Motto: „Von der großen Koalition lernen heißt siegen lernen“. Ich habe nicht gedacht, dass Sie dieses Motto haben. Jetzt weiß ich es.

[Beifall bei den Grünen]

Es geht mir auch bei einigen anderen Redebeiträgen so. Wenn Frau Leder sagt, der Senator haben noch einmal bestätigt, bei der Kultur und der Wissenschaft werde nicht gestrichen, dann sage ich auch hier: Ein Blick in den Haushalt hilft weiter. Man wird das Gegenteil merken.

Man darf sich bei diesem Senat nicht auf Presseerklärungen verlassen, sondern man muss die Fakten angucken, und die Fakten sind meistens andere als die Presseerklärungen. Vielleicht sollte der Senat sich bemühen, seine Presseerklärungen einmal den Fakten anzupassen. Aber ich sehe ein, das wäre für die öffentliche Wirkung fatal.

Und wenn Sie sagen: Strukturveränderungen in so kurzer Zeit – das war nicht möglich! –, dann erinnere ich Sie an das, was Sie selbst angekündigt haben, was Sie alles machen wollten. Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie große, neue Projekte in drei, vier Monaten anschieben, aber all die Sachen, die seit Jahren diskutiert werden, die in Ihren Oppositionszeiten seit Jahren Konsens waren, die könnte man wenigstens anschieben. Es sind nicht alle Senatoren erst seit drei Monaten im Amt; wir haben einige Senatoren, die seit neun Monaten im Amt sind. Auch diese liefern uns Vorlagen, bei denen man den Eindruck hat, sie träten heute erst ihr Amt an.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön! Die eine Minute wurde tatsächlich eingehalten, was schon an Kunst grenzt.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Nun haben wir über das Vorschaltgesetz abzustimmen. Der Hauptausschuss empfiehlt mehrheitlich mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen die Annahme der Vorlage mit Änderungen. Wer also dem Vorschaltgesetz zum Haushaltsgesetz 2002/2003 auf der Basis der Drucksachen 15/309 und 15/378 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist dieses Gesetz mit den Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS so angenommen.

Wir haben damit die Große Anfrage erledigt und die I. Lesung der Vorlage – zur Beschlussfassung – des Haushaltsgesetzes 2002/2003 abgeschlossen. Der Ältestenrat empfiehlt zur Vorlage die Überweisung an den Hauptausschuss, der federführend sein soll, sowie die Überweisung zur Mitberatung an alle Fachausschüsse mit dem Hinweis, dass Stellungnahmen bzw. Empfehlungen der Fachausschüsse dem Hauptausschuss spätestens eine Woche vor seiner 2. Lesung des jeweiligen Einzelplans vorliegen müssten. Später eingegangene Stellungnahmen können nicht berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Situationen, in denen einzelne Fachausschüsse von einer Stellungnahme absehen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Stimmenthaltungen? – Gegenstimmen?

[Zurufe]

Hier wird noch einmal die Wiederholung gewünscht. Es geht um die Verfahrensweise, auf die wir uns im Ältestenrat eigentlich einstimmig verständigt haben. – Wer so beschließen möchte, den bitte ich noch einmal um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit sind die Überweisungen einstimmig so beschlossen.

Ich habe jetzt noch einen Vorschlag zu unterbreiten. Nach einer Prüfung habe ich festgestellt, dass der Ausschuss für Berlin-Brandenburg möglicherweise nicht zu diesen Haushaltsberatungen herangezogen werden muss. Die entsprechenden Titel im Einzelplan 03 – Regierender Bürgermeister – werden vielmehr im Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten zu besprechen sein. Ich stelle daher die Frage: Können wir der Einfachheit halber auf Überweisung an den Ausschuss Berlin-Brandenburg verzichten? – Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Demzufolge werden wir so verfahren.

Wir kommen somit zur

lfd. Nr. 3, Drucksache 15/335: