Sie streichen nun gerade hier und begründen dies mit Ausstattungsvorsprüngen gegenüber anderen Bundesländern. Aber haben Sie auch den Sprachstand der Kinder zwischen den Bundesländern verglichen? Ihre Kürzungen werden zu einem Abbau von konzeptioneller Arbeit in der Kitaleitung und zum Qualitätsabbau anstatt Qualitätssteigerung führen.
Senator Böger, vor drei Monaten haben Sie an dieser Stelle gesagt, dass es brandgefährlich ist – Sie können es im Protokoll nachlesen –, in einem Bildungssystem aus aktuellen Haushaltsgründen Einschnitte vorzunehmen. Dies sei kurzsichtig und mache „Strukturen kaputt“ und sei daher „nur langfristig zu korrigieren“. In Ihrer Koalitionsvereinbarung schreiben Sie: „Der Senat wird Kitas als Bildungs- und Erziehungseinrichtungen weiterentwickeln.“
Es sind keine besonderen germanistischen Studien notwendig: Wenn man diese beiden Dinge zusammenbringt, heißt das ganz einfach, die Kürzungen bei Kitas sind brandgefährlich, weil sie einen Teil des Bildungssystems kaputtmachen.
Sie sagen es selbst, und jeder in der Stadt weiß es: Mit diesen Streichungen gehen Sie mit der Brechstange an die Kinderbetreuung in Berlin. Die Abgeordneten Ihrer Partei, die es eigentlich besser wissen müssten, beschließen im zuständigen Fachausschuss mit und gefährden damit wissentlich die Existenz vieler kleiner Einrichtungen.
Nach der „Bärenstark“-Untersuchung haben Sie vielleicht schöne Reden gehalten – einen Lehrplan für Kitas soll es geben, Zielvorstellung regelmäßige und frühere Sprachstandserhebungen. Sie werden sicherlich nachher Ihre Vorstellungen für einen Bildungsauftrag der Kitas präsentieren und die selbstverständliche Umsetzung von den Erziehern verlangen. Mit Verlaub, Herr Senator Böger, wenn es bei diesen Kürzungen bleibt, brauchen wir uns über Qualitätsverbesserungen nicht mehr zu unterhalten; dann wird es auch keine bessere Sprachförderung geben. Mehr Leistung und weniger Personal – wie soll das gehen? Aus Ihrem Lehrplan wird wohl ein Leerplan werden.
Die CDU-Fraktion lehnt deshalb diese Kürzungen ab. Wenn Politik sich an wissenschaftlichen Ergebnissen orientierte und nicht an den althergebrachten ideologischen Vorstellungen festhielte, was auch Sie gelegentlich einmal bemerken, dann könnten wir schon ein Stück weiter kommen. Die Frage drängt sich auf: Wofür machen Sie solche Tests wie die „Bärenstark“-Untersuchung eigentlich, wenn Sie gar nicht bereit sind, darauf zu reagieren? Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das Ergebnis des
„Bärenstark“-Tests muss zu einer Rücknahme der Kürzungen bei Kitas führen. Wir brauchen nicht 1 200 Erzieherinnen weniger in der Stadt, sondern mehr.
Wir fordern eine sofortige Verbesserung, nicht Verwässerung oder Verkürzung der Erzieherausbildung. Berlin muss den internationalen Standards folgen, nach denen dem Erzieherberuf ein Hochschulstudium vorausgeht. Bereits vor einem Jahr, Herr Senator Böger, haben Sie hierzu ein Schreiben von der Technischen Universität erhalten. Ein Jahr lang ist nichts passiert! Es müssen sofort neue Schwerpunkte gesetzt werden bei der Sprachförderung.
Wir fordern auch eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Kitas, Schulen und Eltern, denn ohne die Einbindung und Motivierung durch politische Signale bleiben alle Bemühungen auf halbem Wege stecken.
Wir sind der Auffassung, dass die beste Ausbildung eines fünfjährigen Kindes in seiner Familie stattfindet, soweit gehen wir überein, Frau Tesch.
Aber: In einer Familie, in der sich Mutter und Vater bemühen, mit dem Kind über vieles zu sprechen, ihm die Welt zu erklären und es zu weiteren Nachfragen an die Welt zu ermuntern! Leider gibt es dieses Idealbild immer weniger, wie der kürzlich vorgestellte Familienbericht gezeigt hat. Zum einen sind Elternteile häufig berufstätig – und das wollen wir auch, Frau Barth, jetzt müssen Sie mir auch zuhören! Wir wollen auch, dass Elternteile berufstätig sind. Väter und Mütter sollen nicht vor der Entscheidung stehen: Kind oder Beruf. Die CDU will hier eine freie Wahlmöglichkeit und den Menschen die Chance geben, Familie und Beruf zu vereinbaren.
Dazu muss der Staat allerdings auch gute Angebote zur Kinderbetreuung bieten. Auch die vielen Alleinerziehenden müssen wir als Realität begreifen und bei der Erziehung unterstützen. Zum anderen finden wir aber auch häufig schwierige familiäre Situationen vor. Arbeitslosigkeit, Gewalt und Verwahrlosung, das sind nur Stichpunkte einer Lebenswelt vieler Kinder in unserer Stadt. Auch hier muss der Staat den Eltern und vor allem den Kindern helfen und alternative, gute Kinderbetreuungsangebote machen, auch wenn er damit die Familie nicht ersetzen kann.
Nehmen wir die Botschaft der gestrigen Demonstration auf: Eine gute Bildung bereits im Kindergarten liegt nicht nur im Interesse der Kinder, sondern auch im Interesse des Staates.
Danke schön! – Für die Fraktion der PDS hat nunmehr das Wort die Frau Abgeordnete Dr. Barth – bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steuer, ich möchte eine Vorbemerkung machen. Wir führen ja heute keine Haushaltsdebatte, aber trotzdem haben Sie sich vor allen Dingen über die finanzielle Situation im Kitabereich ausgelassen. Jetzt habe ich allerdings zwei Fragen – ich will sie heute nicht beantwortet haben. Die erste Frage lautet: Was denken Sie eigentlich, wer für diese Zustände, die wir jetzt haben, verantwortlich ist?
Und die zweite Frage: Vielleicht hätten Sie einmal einen Vorschlag unterbreiten solllen, woraus wir das bezahlen sollen. Aber
wir werden noch genügend Zeit haben, uns dazu zu verständigen. Sie sind neu im Parlament, und insofern fehlt Ihnen einfach einiges aus der Vergangenheit,
denn ich bin seit 1995 im Abgeordnetenhaus und ich kann mich sehr genau erinnern, dass jedes Mal, in jeder Legislaturperiode, im Kitabereich gekürzt wurde. Und was meinen Sie denn, wer auch hier am Hebel saß? – Ihre Partei!
Nun zum Thema. Zur Zeit findet bundesweit eine bildungspolitische Debatte über die Konsequenzen aus PISA statt. Dazu gehört insbesondere die frühkindliche Förderung. Mit diesem Thema sollten wir uns befassen! Unser aktuelles Thema ist nämlich hier einzuordnen. Eine Anmerkung, ganz nebenbei: Vorschulische Bildung und Erziehung ist das Thema, nicht Ausbildung. Nicht nur in PISA 2000 wird darauf verwiesen, dass es zu den wichtigsten bildungspolitischen Zielen demokratischer Gesellschaften gehört, allen Heranwachsenden gleichgute Bildungschancen zu geben und sie individuell optimal zu fördern und gleichzeitig soziale, ethnische und kulturelle Disparitäten der Bildungsbeteiligung und des Bildungserfolgs auszugleichen. In dem Kinder- und Jugendhilferecht und in dem Berliner Ausführungsgesetz, in dem Berliner Kitagesetz, sind die gesetzlichen Grundlagen für die frühe Förderung der kindlichen Persönlichkeit gelegt. Wir alle wissen nur zu gut, dass die Weichen für Bildungschancen und damit für die Lebenschancen möglichst früh gestellt werden. Gute Bildungsarbeit in der vorschulischen Phase hat messbare und nachhaltige Auswirkungen auf den Entwicklungsstand der Kinder. Das wissen wir nicht erst seit der Sprachstandserhebung „Bärenstark“ an Berliner Grundschulen. Insbesondere die Motivation und die Fähigkeit zu kontinuierlichem und selbstgesteuertem Leben sind früh zu wecken. Neben dem wichtigen Lernen in der Familie sind die Möglichkeiten der Kindertageseinrichtungen zur Unterstützung früher Bildungsprozesse deutlich besser zu nutzen. Bildung beginnt nicht erst in der Schule. Der Kindergarten mit seinem Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsauftrag zielt ganzheitlich auf die gesunde geistige und körperliche Entwicklung des Kindes ab.
Ich bin froh, dass seit kurzem auch wieder deutlich in der Öffentlichkeit gesagt wird: Die Kindertagesstätte ist eine Bildungseinrichtung.
Die Koalitionsparteien SPD und PDS haben sich in ihrer Koalitionsvereinbarung eindeutig positioniert. Sie erkennen Kitas als Bildungseinrichtungen an.
Mir ist nicht bekannt, dass eine Regierung vorher dies öffentlich bekannt hat. Sie schaffen in dieser Legislaturperiode die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsprozess von frühester Kindheit an. Ich zitiere:
Die Kindertagesstätten sind eigenständige Lebens- und Lernorte für Kinder, in denen die Erziehung in der Familie unterstützt und ergänzt wird.
Aus dieser Sicht verfolgen wir konsequent eine Reihe von Schwerpunkten. Lassen Sie mich fünf anführen.
Erstens: Der Senat wird die Kindertagesstätten als Bildungsund Erziehunseinrichtungen weiter entwickeln und die begonnene Qualitätsoffensive fortsetzen.
Es ist ja allgemein bekannt – hören Sie ruhig zu, Herr Steuer! – und ich finde das gut, dass sich Berlin seit Ende 1999 an drei Projekten der vom Bundesministerium für Familie, Senioren und Frauen initiierten, nationalen Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder mit ca. 60 Einrichtungen öffent
licher und freier Träger beteiligt. Ziel dieses Projektes ist die Formulierung und Empfehlung eines Qualitätskataloges, die Entwicklung und Erprobung eines Konzeptes zur Unterstützung der internen Qualitätsentwicklung in der Kita. Zudem geht es um die Erarbeitung und Erprobung eines in der Praxis anwendbaren, allgemeinen Feststellungsverfahrens zur Qualität der pädagogischen Arbeit. Bereits jetzt zeigt sich, dass dieser Projektansatz ganz wesentlich zu Qualitätsentwicklung und -sicherung in den Kindertagesstätten beiträgt. Es ist deshalb nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, um diese Ergebnisse für alle Kindertagesstätten in Berlin nutzbar zu machen. Ich schlage vor, hierzu eine Arbeitsgruppe zu initiieren, die unter Federführung der Fachverwaltung in Mitwirkung von Experten, öffentlichen und freien Trägern sowie Elternvertretern ein Konzept zur Umsetzung der Qualitätssicherung in Berliner Kindertagesstätten erarbeitet, den Prozess begleitet und mit dem Land Brandenburg abstimmt.
Sodann werden wir uns weiter verständigen müssen, über das, was notwendig und machbar ist. In diesem Zusammenhang ist die Leiterin einer Kindestagesstätte die wichtigste Instanz der Qualitätsentwicklung. Wenn die Leiterinnen gut qualifiziert sind, wenn sie in Verwaltung und Elternschaft zuverlässige Ansprechpartner haben, und wenn sie von überflüssiger Verwaltungsarbeit entlastet sind, werden sie den Prozess der Qualitätsentwicklung in ihren Einrichtungen erfolgreich organisieren. Ich bin mir im Klaren, dass die Reduzierung des Personalzuschlags für Leiterinnen dies zu konterkarieren scheint.
Ich plädiere deshalb für Ausgleich durch Entlastung von Verwaltungsarbeit und ein differenziertes Vorgehen entspechend der sozialen Ausgangslage für die jeweilige Kita.
Ein zweiter Schwerpunkt: Ein bildungspolitischer Schwerpunkt in der Vorschule ist für meine Partei die Intensivierung der Sprachförderung. Die sprachliche und geistige Entwicklung stehen in einem Wechselverhältnis. Da die sprachlichen Fähigkeiten eine Grundvoraussetzung menschlichen Denken und Handelns sind, kommt der sprachlichen Erziehung größte Bedeutung zu. In den letzten Jahren mussten wir feststellen, dass immer mehr Kinder im Vorschulalter Schwierigkeiten beim Spracherwerb haben, über einen zu geringen Wortschatz verfügen, nachlässiger oder gar falsch sprechen. Das sind entscheidende Nachteile bei den Ausgangsbedingungen für erfolgreiches Lernen in der Schule. Die von der Senatsverwaltung vorgestellten Ergebnisse der Sprachstandserhebung bestätigen im Wesentlichen das beschriebene Bild. Wenn mehr als zwei Drittel der Kinder einen Förderbedarf haben, bedeutet dieses, dass die Erstklässler dem Unterricht nicht mehr angemessen folgen können. Besonders alarmierend ist die Situation bei Kindern nichtdeutscher Herkunft. Unabhängig von der Herkunftssprache sind zunehmend mehr Eltern aus unterschiedlichsten Gründen nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage, ihre Kinder in deren frühkindlicher Entwicklung ohne Unterstützung zu fördern. Um dem bestätigten Problem vieler Kinder bei der Beherrschung ihrer Sprachfähigkeiten effektiv und nachhaltig begegnen zu können, will der Senat mit einem Komplex von Maßnahmen positive Veränderungen bewirken.