Das Argument der Bundesregierung und des Senats, dass die hohe Arbeitslosigkeit sich durch konjunkturbedingte Faktoren innerhalb der Weltwirtschaft erklären lässt, ist nur bedingt richtig. Im Wirtschaftsteil der „Berliner Morgenpost“ habe ich heute gelesen, dass in Großbritannien die Zahl der Arbeitslosen im August weiter gefallen ist, trotz einer Rezession der Weltwirtschaft. Das liegt daran, dass auf der Insel schon in den 80er Jahren strukturelle Maßnahmen und Reformen durchgeführt wurden. Diese Reformen waren mutig und einschneidend.
Die Vorschläge von Hartz dienen aber bestenfalls dazu, Arbeitslosigkeit effizienter zu gestalten. Sie dienen keineswegs dazu, Arbeitslosigkeit einschneidend abzubauen, schon gar nicht um 2 Millionen in den nächsten Jahren, wie Hartz es selbst voraussagte. Unterstützenswert sind die Vorschläge zur Deregulierung der Zeitarbeit und die Überlegungen zur Beweislast beim Erhalt von Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe.
Wer allerdings Arbeitslosigkeit effektiv abbauen will, muss ein Gesamtpaket schnüren. Dazu gehören ein einfaches, gerechtes und niedriges Steuersystem, Frau Grosse.
Dazu gehören die Flexibilisierung des Kündigungsrechts, des Tarifvertragsrechts und der betrieblichen Mitbestimmung.
Dazu gehört auch die Reform der sozialen Sicherungssysteme, um die Arebitskosten zu senken. Dazu gehören die Rücknahme des Gesetzes zur Scheinselbstständigkeit oder des Teilzeitgesetzes. [Beifall bei der FDP]
Deutschland und Berlin brauchen mehr Arbeitgeber, denn nur sie schaffen die Arbeitsplätze auf den ersten Arbeitsmarkt.
Die Liberalen werden diese Reformen nach dem 22. September in Regierungsverantwortung tatkräftig angehen. Die Koalitionsfraktionen von SPD und PDS im Abgeordnetenhaus können dann endlich wieder über berlinspezifische Themen in der Aktuellen Stunde reden. – Vielen Dank!
Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Klotz. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind sicher keine Wunderwaffe gegen die Arbeitslosigkeit, aber sie können die Arbeitsvermittlung verbessern. Sie können aus dem Tanker Bundesanstalt für Arbeit einen Dienstleister machen, bei dem sich Arbeitslose, aber auch Arbeitgeber nicht wie Bittsteller, sondern wie Kundinnen und Kunden fühlen und so auch behandelt werden. interjection: [Beifall bei den Grünen und der SPD]
Und es gibt keinen, aber auch gar keinen Grund – und schon gar nicht die billige Wahlkampfrhetorik, die seitens der CDU und
FDP gekommen ist –, auf diese Chance zu verzichten. Deshalb meinen wir: Lieber mit Hartz der Arbeitslosigkeit zu Leibe rücken, als zu spät kommen, Herr Steffel.
Zu Ihrem Redebeitrag noch einen Satz, zu der verantwortungsvollen Wahrnehmung ihrer Arbeitgeberrolle: Ich kann Ihnen nur sagen, wer 7 Personen fristlos von einem Tag auf den anderen kündigt und wer sagt, jetzt räumen Sie innerhalb von 24 Stunden den Schreibtisch, bei Leuten, die jahrelang hier gearbeitet haben, der legt keine Verantwortung als Arbeitgeber an den Tag und ist für uns auch kein Vorbild, wie wir zukünftig die Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesregierung regeln wollen. Das ist Heuern und Feuern, und das wollen wir nicht.
Die Schwerpunkte der Hartz-Kommission liegen bei einer schnelleren, effizienteren Vermittlung von Erwerbslosen in Arbeit. Das ist richtig. Das schafft per se keine neuen Stellen auf dem Arbeitsmarkt. Es ersetzt nicht die ökologischen Investitionen oder die Investitionen in Bildung. Aber dass bei der Vermittlung etwas passieren muss, das wissen wir doch alle hier im Raum spätestens seit den Skandalen um die gefälschten Statistiken.
Deutsche Arbeitsämter brauchen im Durchschnitt 33 Wochen, um einen Erwerbslosen in Arbeit zu vermitteln. In anderen europäischen Ländern dauert es nicht einmal die Hälfte der Zeit. Und dass Hartz und die Kommission an dieses Problem mutig herangegangen sind, dass sie unkonventionelle Vorschläge auf den Tisch gelegt haben, das findet unsere ungeteilte Zustimmung. Wir als Grüne sind schon lange der Ansicht, dass Arbeitsvermittler keinen Beamtenstatus brauchen. Individuelle Beratung und Vermittlung, statt Verwaltung der Arbeitslosigkeit, das muss in den nächsten Jahren die Devise der Arbeitsämter sein.
Neben der Umorganisation der Arbeitsämter ist die Einrichtung von Job-Center ein für Berlin wichtiger Punkt. Wer hier allen Ernstes – Herr Lehmann, ich dachte, Sie wissen es mittlerweile besser, und auch Herr Steffel – sagt, das ist für uns ohne Belang, der hat sich offensichtlich noch nie mit diesem Thema beschäftigt.
Wir haben in dieser Stadt 70 000 Sozialhilfe Empfangende, die arbeiten könnten und auch wollten. Wir haben hier einen unglaublichen Reibungsverlust, weil Arbeitsämter und Sozialämter nicht genug miteinander kooperieren. Wir haben doppelte Zuständigkeiten und einen Verschiebebahnhof. Deswegen ist die Idee, dies alles an einer Stelle zu konzentrieren, die Kräfte zu bündeln, zu entbürokratisieren und dabei zugleich auch noch einzusparen, längst überfällig, und wir werden in Berlin davon profitieren. Wir begrüßen dies. Dass Sie das nicht einmal erwähnen, zeigt, dass Sie nicht verstehen, was in dieser Stadt arbeitsmarktpolitisch los ist.
Die ersten Sitzungen der Hartz-Kommission waren von Forderungen begleitet, das Niveau der Leistungen für Arbeitslose abzusenken. Ich sage Ihnen hier in aller Deutlichkeit: Wir Grüne sind hoch zufrieden, dass dieses Thema vom Tisch ist. Kürzungen beim Arbeitslosengeld, aber auch bei der Arbeitslosenhilfe sind der falsche Weg. Sie schaffen nicht einen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz. Eine Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe darf es nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe geben. Deswegen bin ich auch froh, dass der Antrag, den SPD
und Grüne heute in den Bundestag eingebracht haben, diesen Punkt auch noch einmal betont, damit an dieser Stelle Klarheit herrscht.
Auch wenn die exakte Höhe des Arbeitslosengeldes II heute noch nicht fest steht – und darauf muss man aufpassen, da gebe ich Ihnen völlig Recht, Frau Freundl – ist dies ein richtiger Schritt in Richtung soziale Grundsicherung. Es ist auch positiv, dass künftig Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger den Zugang zu den Instrumenten aktiver Arebitsmarktpolitik bekommen. Auch das ist längst überfällig.
Dies wird auch für Berlin etwas bringen. Es wird nämlich die Situation bringen, dass die circa 70 000 Sozialhilfe Empfangenden nicht mehr zum Arbeitsamt müssen, sondern dass sie in den Job-Center Hilfe aus einer Hand erhalten. Die finanziellen Wirkungen können für die Kommunen durchaus positiv sein. Ich denke, dass wir alle gemeinsam darauf achten müssen, dass bei der Gemeindefinanzreform die eingeforderte Entlastung der Kommunen eben dadurch, dass sie von Sozialhilfekosten befreit werden, wirklich durchgesetzt wird und damit auch Berlin von dieser Reform profitieren kann.
Meine Damen und Herren und sehr geehrte Frau Grosse! Dass der erste Zwischenbericht der Hartz-Kommission vom Bild des Familienvaters ausging, hat nicht nur den Juristinnenbund und den Deutschen Frauenrat auf den Plan gerufen, sondern auch eine ganze Menge Frauen von SPD und Grünen, und das war auch bitter notwendig. Denn das Modell Haupternährer und verheiratete Dazuverdienerin ist mittlerweile nicht nur hoffnungslos veraltet, sondern es entspricht auch überhaupt nicht mehr der gesellschaftlichen Realität, in der wir uns befinden – in der ganzen Bundesrepublik nicht, aber auch insbesondere in den neuen Bundesländern nicht. Deshalb ist es gut, dass auf Druck vieler hier nachgebessert wurde. Ein veraltetes Familienbild mit grundsätzlichen männlichen Haushaltsvorständen darf und wird es bei der Vermittlung nicht mehr geben.
Nachdem wir erreichen konnten, dass der Familienvater in Wolfsburg blieb und die Kinderbetreuung als Aufgabe der Jobcenter in die Vermittlung mit einbezogen wurde, darf ich an der Stelle, verehrte Frau Freundl, noch einmal daran erinnern, dass Rot-Grün es war, die im Job-Aqtiv-Gesetz gesetzlich verankert haben, dass es keine Frauendiskriminierung mehr beim Zugang zu den Instrumenten des aktiven Arbeitsmarktes geben darf. Es war Rot-Grün, die gesetzlich verankert haben, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr benachteiligt werden dürfen, dass die Bedingungen für Berufsrückkehrerinnen verbessert wurden.
Rot-Grün hat auch – darüber haben wir uns gestern im Ausschuss Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen unterhalten – dafür gesorgt, dass Gender-Mainstreaming als gesetzliche Aufgabe fest verankert wird. Und ich füge hinzu: Dies gilt ohne Wenn und Aber auch bei der Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission. Dahinter werden wir keinesfalls zurückfallen. – Ich füge nur hinzu: Hilfreich wäre es, wenn auch die Bundesregierung diesen Gender-Mainstreaming-Gedanken künftig bei der Besetzung von Expertenkommissionen vorher beachten würde.
Bei der Beratung der Gesetzesvorhaben im Bundesrat erwarten wir, nachdem uns der Frauenversteher Gregor Gysi nun vorzeitig abhanden gekommen ist, dass jetzt der Frauensenator Harald Wolf genau an diesem Punkt seine Stimme erhebt und in diesem Sinne auch aktiv wird. Denn jetzt kommt es darauf an, sich in die konkrete Ausgestaltung der Hartz-Vorschläge einzumischen. Vergessen wir nicht: Die Umsetzung etlicher Kommissionsvorschläge bedarf der parlamentarischen Beratung und Zustimmung. Gleiches gilt für den Bundesrat.
Und so positiv ich die grundsätzliche Richtung der Hartz-Vorschläge finde, sage ich für meine Fraktion: Eine uneingeschränkte Solidarität ist falsch am Platz, auch weil parlamentarische Beratungen und Entscheidungen zwar durch Expertenkommissionen vorbereitet, aber mitnichten ersetzt werden können. Das ist auch keine Rosinenpickerei, Frau Grosse, sondern es ist parlamentarische Verantwortung und die Aufgabe, für die wir, aber auch die Abgeordneten im Deutschen Bundestag gewählt wurden und wofür wir auch bezahlt werden. Das sollten wir auch tun.
Noch zwei Sätze zu Mini-Jobs und Zeitarbeit: Die Mini-Jobs, die eingeführt werden sollen und mit denen die Schwarzarbeit bekämpft werden soll, soll es ausschließlich in den haushaltsnahen Dienstleistungen geben. Es ist eine Regelung, die für drei Jahre befristet ist. Es wird hier niemand bestreiten wollen, dass es gerade bei den haushaltsnahen Dienstleistungen ein hohes Potential an Schwarzarbeit gibt und dass es zumeist Frauen sind, die sich mit diesem Jobs über Wasser halten. Den Vorschlag, diese Jobs zu legalisieren, sollten wir ernsthaft prüfen. Was wir aber nicht gebrauchen können, ist die Umwandlung regulärer Beschäftigungsverhältnisse in nicht versicherungspflichtige Arbeitsplätze. Das kostet die Betroffenen die soziale Sicherung und die Sozialkassen Milliardenbeiträge. Deswegen wäre es auch falsch, wieder zu den Zuständen von CDU und FDP, nämlich massenhaft ungesicherter Beschäftigung, zurückzukehren. Das wollen wir nicht, und das wird es auch nicht geben.
Ganz zum Schluss, verehrter Herr Steffel: Ich hätte mir auch gewünscht, dass die rot-grüne Bundesregierung eine noch bessere Bilanz in der Arbeitslosigkeitsbekämpfung hat. Aber sich hinzustellen und so zu tun, als sei das Abschlussresultat dasselbe wie von Gelb-Schwarz, das ist schlicht falsch. Wir haben derzeit ca. 4 Millionen Arbeitslose. Sie haben 4,8 Millionen hinterlassen. Wir haben die Steuerentlastung zu 60 % an die kleinen und mittleren Unternehmen weitergegeben.