Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

doch, wie lange sie am Wochenende in der Klinik warten müssen, bis sie notfallversorgt werden können. Dieses Problem kann man durch solche Erste-Hilfe-Zentren lösen. Wir haben es vorgeschlagen – Sie gehen nicht darauf ein.

[Frau Jantzen (Grüne): Sie können ja das Alphateam nach Berlin holen! Die machen das perfekt!]

Das Alphateam können Sie gern hierherholen, Frau Kollegin! – Die stärkere Kooperation zwischen niedergelassenen Ärzten wird gerade durch solche Konstrukte wie Vivantes beschädigt; denn die örtlichen Krankenhausleitungen gibt es nicht mehr. Die Chance zur Kooperation mit niedergelassenen Ärzten ist nicht mehr da, und die Förderung von Kooperation wird dadurch eher zerstört, als dass sie stattfindet. Von Ihrem lokalen Gesundheitszentrum keine Rede! Die Gesundheitszentren werden eher aufgelöst, weil die Verwaltungsleiter beseitigt und die lokalen Strukturen aufgelöst sind.

Die Versorgung von chronisch kranken und multimorbiden Patienten wird durch die DRGs ebenfalls nicht widergespiegelt. In Berlin leben mehr als 20 % aller Aids-Patienten Deutschlands. Vor einem Jahr war die Stadt noch an erster Stelle bei der Häufigkeit von Tbc-Erkrankungen. Bei vielen anderen chronischen Erkrankungen ist Berlin ebenfalls führend. Gerade deswegen wäre es die Aufgabe des Berliner Senats, die deutsche Krankenhausgesellschaft auf der Bundesebene darin zu unterstützen, dass die Versorgung dieser Patienten gesondert vergütert wird. Dazu habe ich heute aber leider auch wenig gehört.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Früher konnte man sich chronisch Kranke in Krankenhäusern gut leisten, weil man nach Pflegetagen bezahlt wurde. Dieses wird sich danach ändern. Der Slogan heißt dann: „Quicker and sicker“, und die chronisch Kranken in Berlin werden auf der Strecke bleiben.

Mit einem solchen System der prospektiven Finanzierung wird flächendeckend eine Unterversorgung gefördert. Der Marburger Bund hat auf seiner letzten Hauptversammlung deswegen vor der flächendeckenden Einführung der DRGs gewarnt. Sie wollen die DRGs so schnell wie möglich einführen, mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft konnte man sich jedoch nicht einigen.

Welche Folgen die Einführung des DRG-Systems aus ärztlicher Sicht hat, wird auch kaum erläutert: Die Vergütung wird vom Schweregrad der Behandlung abhängen, das haben Sie beschrieben, und von der durchgeführten definierten medizinischen Leistung. Das Befinden des Patienten, eine menschliche Betreuung und ärztliche Zuwendung werden in diesem System jedoch nicht widergespiegelt. Diese lassen sich nicht durch DRGs verschlüsseln und werden deswegen auch nicht mehr den Platz in der Versorgung haben.

Erlauben Sie mir abschließend, die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte aufzuzeigen. Wir glauben, dass für die gesundheitliche Versorgung, die dann im Krankenhaus nicht mehr stattfinden soll, in einer Stadt der Singles und der vielen immer älter werdenden Menschen, die Förderung von Nachbarschaftsheimen, Sozialstationen und ehrenamtlicher Arbeit umso notwendiger wäre. Aber gerade das wurde durch diesen Haushalt konterkariert.

Wir fordern, −dass die Versorgungsdiskussion nicht mehr „in Betten“ geführt wird, sondern an Qualitätsmerkmalen; −dass die stärkere Vernetzung von niedergelassenen Ärzten zwischen der ambulanten Pflege und den Kliniken gefördert wird; −dass immer stärker werdende ambulante Bereiche mehr Qualitätskontrollen erhalten und die unabhängige Schiedsstelle, die wir gefordert haben, schnell gegründet wird; −dass die Gründung von Erste-Hilfe-Zentren die bessere Erstversorgung gewährleistet und auch im Notfall, im Katastrophenfall in der Stadt, mehr ermöglicht als nur

1 400 scheinbar bereitgestellte Betten – die in diesem Fall gar nicht abgerufen wurden; −dass die Versorgung von chronisch Kranken außerhalb der DRGs organisiert wird.

Frau Senatorin, ab dem 23. September werden Sie sehen, wie man gute Gesundheitspolitik macht.

[Frau Jantzen (Grüne): Und first class!]

Horst Seehofer wird Ihnen viel vormachen. Schauen Sie sich’s dort ab! Herr Schulte-Sasse, Sie ebenso! Sie kennen sich gut, Sie haben viel von ihm zu lernen. Wir hoffen, dass es dann besser wird für diese Stadt.

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Matz (FDP)]

Vielen Dank, Herr Kollege Czaja! – Für die Sozialdemokratische Partei ergreift das Wort Herr Pape! – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift dieser Großen Anfrage legt zunächst den Schluss nahe, es gehe der CDU um eine grundsätzliche Diskussion der Chancen und Risiken der Einführung von Fallpauschalen im deutschen Krankenhauswesen. Dieser Eindruck erweist sich leider als falsch, wenn man sich die einzelnen Fragen einmal genauer anschaut. Im Wesentlichen geht es Ihnen augenscheinlich nur darum, dem Senat Informationen über die Ziele und den Stand der Dinge bei der Fortschreibung des Krankenhausplans zu entlocken. interjection: [Czaja (CDU): Richtig!]

Diese eigentliche Kernfrage Ihrer Anfrage vermischen Sie mit einigen recht oberflächlichen Fragen zu den DRGs. Mir ist bei der Vorbereitung auf diesen Tagesordnungspunkt eher die Frage aufgetaucht: Was will die CDU eigentlich im Zusammenhang mit den DRGs? – Aus Ihrer Anfrage ergibt sich eigentlich eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dieser Regelung. Wenn ich mich recht entsinne, war aber genau Herr Seehofer derjenige, der erste Überlegungen in diese Richtung getätigt hat.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

In Ihrem Wahlprogramm zu dieser Bundestagswahl steht kein Wort zu DRGs. Herr Seehofer sagt jetzt: So wird es die DRGs mit mir nicht geben! Also stellen sich die Patienten und Patientinnen die Frage, was die CDU in Richtung DRGs will. – Dunkel ist der Rede Sinn!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Natürlich hängen beide Sachverhalte doch zusammen und sollten auch gemeinsam betrachtet werden. Aber diese größte Reform der Krankenhausfinanzierung in Deutschland seit Jahrzehnten – 16 Jahre Zeit – hat es verdient, ausführlicher gewürdigt zu werden. Diese Gelegenheit nutze ich hier.

Mit dieser umfangreichsten Reform seit Jahrzehnten im deutschen Gesundheitswesen zeigt die rot-grüne Bundesregierung ihre Handlungsfähigkeit auf diesem Gebiet, unabhängig von den Interessen einzelner Lobbygruppen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Dabei ist die Reform von zwei Grundsätzen geprägt, die überhaupt Leitgedanken rot-grüner Gesundheitspolitik sind:

1. Im Mittelpunkt steht der Patient, eine an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Versorgung, die allen – unabhängig vom Einkommen – die Versorgung zukommen lässt, die sie benötigen; eine Reform, die die Rechte des Patienten gegenüber Ärzten und Kassen stärkt und die die Strukturen des Gesundheitswesens transparenter macht und somit dem Patienten die Mitwirkung am Prozess seiner Behandlung und Gesundung erleichtert. [Czaja (CDU): Wie in Moabit!]

2. Mehr Wirtschaftlichkeit im Krankenhauswesen, um so Ausgaben in diesem Bereich zu senken, die Beiträge zur Krankenversicherung stabil zu halten und damit die Lohnnebenkosten in

Deutschland auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau zu halten. Schließlich war der Krankenhaussektor mit rund 87 Milliarden DM im Jahre 2001 der größte Ausgabenblock der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit der Einführung des Fallpauschalensystems wird auch die Ressourcenkalkulation für die einzelnen Krankenhäuser selbst verbessert; denn es wird die konkrete Leistung bezahlt. Durch den erhöhten Anreiz zur Prozessoptimierung in den Häusern und die zu erwartende Verweildauerverkürzung werden zusätzliche Leistungsreserven erschlossen.

Darum eben geht es bei einer verantwortlichen Gesundheitspolitik in Deutschland: die Reserven innerhalb des Versorgungssystems zu aktivieren, statt den Rufen der Lobbygruppen nach immer mehr Geld nachzugeben. Dass hier noch Möglichkeiten zu Effizienzsteigerungen vorhanden sind, zeigt der internationale Vergleich der Liegezeiten im Krankenhaus: Während Patienten in Belgien 8,8 Tage, in Italien 7,3 Tage, in Österreich 6,8 Tage und in Frankreich nur 5,6 Tage im Krankenhaus liegen, sind es in Deutschland immer noch durchschnittlich 9,9 Tage akutstationärer Behandlung. Die Bundesregierung rechnet hier mit einer Absenkung von ca. 20 bis 30 %. Vergleiche mit den USA oder mit Australien, wo noch weit niedrigere Werte üblich sind, hinken aber, da hier die ambulanten Angebote im Krankenhaus ganz anders ausgebaut sind als bei uns.

Die in diesem Zusammenhang geäußerte Befürchtung, Patienten würden dann zu früh und ungeheilt entlassen, sind unbegründet. [Frau Jantzen (Grüne): Nicht ganz!]

Durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Qualitätssicherung – ich komme jetzt darauf – wird dem entgegengewirkt. Erstens haften die Krankenhäuser weiterhin für die ordnungsgemäße Leistungserbringung. Durch zusätzliche Qualitätskontrollen, die auch das Entlassungsverhalten betreffen, unterliegt das Krankenhaus einer permanenten öffentlichen Kontrolle, so dass sich kein Krankenhaus leisten kann, Patientinnen und Patienten nicht fachgerecht zu behandeln. „Quicker but sicker“ darf es nicht und wird es auch nicht geben!

[Czaja (CDU): Quicker a n d sicker!]

Überhaupt werden die Patienten erheblich von den mit der Einführung der DRGs einhergehenden verbesserten Qualitätssicherungsmaßnahmen profitieren. Die Festlegung von bundeseinheitlichen Mindestanforderungen an die Struktur- und Ergebnisqualität, Verpflichtungen zur Veröffentlichung von Qualitätsberichten und die Empfehlung von Mindestmengen für bestimmte Leistungen trägt entscheidend zur Transparenz für Patientinnen und Patienten bei. Jeder Patient wird sich in Zukunft viel leichter über schlechte bzw. gute Krankenhäuser und Abteilungen informieren können. Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit der Krankenhäuser mit vor- und nachgelagerten medizinischen Versorgungseinrichtungen erleichtert werden. Die Übergänge von stationär zu ambulant werden weiter verbessert werden. Die Schaffung solcher integrierten Versorgungszentren wird ganz besonders in Berlin von großer Bedeutung sein, da die Bevölkerungsstruktur hier mit sehr vielen Singlehaushalten – auch gerade bei älteren Menschen – einen Rückgriff auf pflegende Familienangehörige oft nicht ermöglicht. Hierauf hat der Senat bei der Krankenhausplanung besonders zu achten. Wie wir von der Frau Senatorin eben hören konnten, tut er das auch.

Insgesamt wird die Einführung der DRGs große Anforderungen an alle Beteiligten im Krankenhausbereich stellen. Deshalb ist für die Einführung ein längerer Zeitraum eingeplant, der über einzelne Stufen bis zum Jahr 2007 zum Ziel führen soll. Damit wird allen Beteiligten, seien es die Krankenhausträger und -verwaltungen, die Ärzte und das Pflegepersonal sowie ambulante Versorger, aber auch die Patienten selbst, genug Zeit gegeben, sich auf das neue System einzustellen.

Nun noch einige Bemerkungen zu den Fragen der CDU-Fraktion. Insgesamt stelle ich fest, dass Sie immer noch in den Kategorien der Vergangenheit denken.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Niedergesäß (CDU): Ha, ha!]

Sie haben uns zwar gerade gesagt, Sie wollten die Bettenzählerei nicht mehr betreiben, aber wenn ich mir Ihre Anfrage ansehe, stelle ich fest, dass in 6 von 14 Fragen immer noch nach Bettenreduzierung gefragt wird. Da stimmen Wort und Wirklichkeit nicht ganz überein.

[Zuruf des Abg. Gram (CDU)]

Daran, dass die Bettenzählerei der Vergangenheit angehört, kommt auch der Krankenhausplan nicht vorbei. Der Staat hat in Zukunft die Aufgabe, einen Rahmenplan zu entwerfen, der der jeweiligen Bedarfssituation der Bevölkerung angemessen ist. Die bisher in den Krankenhausplänen der Vergangenheit vorgenommene sehr trennscharfe Planung bis in die einzelnen Stationen hinein ist in Zukunft nicht mehr notwendig, denn die konkreten Leistungen werden allein zwischen den Krankenhäusern und den Kassen ausgehandelt werden. Die Fortschreibung des Krankenhausplanes in diesem Jahr muss insbesondere der Tatsache Rechnung tragen, dass wir in Berlin nicht zu viele, sondern im Vergleich zum Bundesdurchschnitt zu viele teure Betten haben. Dabei verursachen gerade die Uniklinika wesentlich zu hohe Kosten und müssen deshalb einen Beitrag zur Kostensenkung im Berliner Krankenhauswesen leisten. Ihre feste Einbeziehung in den Landeskrankenhausplan ist unabdingbar. Eine bloße Mitteilung über die dort vorgehaltenen Leistungen wie bisher reicht nicht mehr aus. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Vorschläge der Expertenkommission zur Hochschulmedizin diesem Anspruch Rechnung tragen werden. Der Krankenhausplan hat in den nächsten fünf Jahren einen Prozess zu gewährleisten, der den Aufbau von Schwerpunkt- beziehungsweise von Kompetenzzentren fördert, damit die positiven Effekte der Einführung der DRGs sich durchsetzen können, dabei aber die Grundversorgung der Bevölkerung zu jedem Zeitpunkt erhalten bleibt. Dieser Prozess sollte meiner Ansicht nach regelmäßig durch den Krankenhausbeirat begleitet und überprüft werden, und darüber hinaus ist über die Einführung einer periodischen Krankenhausberichterstattung nachzudenken. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank Herr Kollege Pape! – Für die FDP-Fraktion erhält das Wort der Kollege Matz – bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich höre aus dem Rund das der eine oder andere mit dem Thema gar nicht viel anfangen kann und sich vielleicht auch fragt, weshalb wir darüber so lange debattieren. Dennoch bin ich der Auffassung, dass wir über eine Frage sprechen, die vielleicht erst die Fachpolitiker und Spezialisten im Gesundheitswesen richtig durchdrungen haben, die aber dennoch innerhalb kürzester Zeit große Auswirkungen auf die Krankenhausversorgung haben wird. Dann wird es jeden interessieren, denn jeder ist schließlich auch einmal Patient – und nicht immer nur berufstätig oder Student oder was immer man sonst sein kann im Leben.

Ich denke, dass wir nach der Einführung der Fallpauschalenvergütung, der DRGs, wirklich harte Konsequenzen im Krankenhauswesen werden beobachten können. Nach Einschätzung von vielen Experten bedeutet das vor allen Dingen für die heute unwirtschaftlich arbeitenden Krankenhäuser, dass sie sich umsehen werden und dass es hier wahrscheinlich zu einem Ausleseprozess kommen wird.

[Frau Jantzen (Grüne): Das gefällt aber doch der FDP, Herr Matz!]

Frau Jantzen! Ich komme gleich dazu. Ich werde gleich einige Worte dazu sagen, was unter der Überschrift Ökonomisierung des Gesundheitswesens sehr kritisch in dieser Stadt diskutiert wird – gerade auch bei den Ärzten. Sie haben, glaube ich, wieder einmal zu schnell unterstellt, dass sich Ihre Kollegen von den anderen Fraktionen nicht auch mit den Themen beschäftigen, mit denen Sie sich befassen. Dass diese Diskussion geführt und in der Ärzteschaft sehr kritisch beäugt wird, das ist verständlich. Aber es ist auf der anderen Seite auch so, dass sich auch das Gesundheitswesen kritische Fragen stellen lassen muss, wenn

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es unwirtschaftlich arbeitet. Effizienz grundsätzlich immer gleichzusetzen mit schlechterer Qualität, wird diesem Begriff ohnehin nicht gerecht. Es geht hier nicht um das Einsparen, sondern es geht darum, Prozesse zu optimieren, es geht darum, Krankenhäuser effizienter arbeiten zu lassen und dabei kann das Ergebnis sogar eine qualitativ bessere Versorgung sein. Weil es so aktuell ist und Frau Jantzen ganz besonders darüber etwas wissen möchte, wie sie eben durch den Zwischenruf gezeigt hat, möchte ich aus der „FAZ“ von heute zitieren, wo ein Vergleich unter 105 Kliniken beschrieben und als Fazit unter anderem gezogen wird:

Das Festpreissystem mit seiner leistungsbezogenen Vergütung wird einen heilsamen marktwirtschaftlichen Zwang zur Qualitätssteigerung auslösen.