Protokoll der Sitzung vom 17.01.2002

Über Gregor Gysi haben bereits die Gauck-Behörde und der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages ein eindeutiges Urteil gefällt, übrigens mit den Stimmen der Sozialdemokraten. Wörtlich heißt es in diesem Bericht des Immunitätsausschusses:

Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeiten Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen.

Sehr beflissen, Herr Gysi! –

Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die

politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben.

[Gram (CDU): Bleiben Sie hier, Herr Wowereit! Hören Sie sich das ruhig an!]

Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR.

So weit der Bericht des Immunitätsausschusses des Deutschen Bundestages! – Wir wissen alle, dass Herr Dr. Gysi gegen diese Feststellungen geklagt hat und immerhin vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, gescheitert ist.

Ich könnte jetzt viele weitere Einzelbeispiele nennen. Drei Komplexe hat die Gauck-Behörde besonders hervorgehoben, und zwar betreffend Rudolf Bahro, Robert Havemann und Bärbel Bohley. In der Zusammenfassung führt die Gauck-Behörde aus – ich zitiere –:

Diese Unterlagen belegen, dass Dr. Gysi von 1978 bis 1989 inoffiziell mit der HA XX/OG bzw. XX/9 zusammengearbeitet hat.

In dieser Zeit lieferte er mandantenbezogene Informationen an das MfS. Er hat sich mit seinen Führungsoffizieren Lohr bzw. Reuter sowohl in seiner Privatwohnung als auch in der konspirativen Wohnung „Ellen“ getroffen. Zwischen Dr. Gysi und der HA XX/OG bzw. der HA XX/9 hat ein dauerhaftes Verbindungssystem bestanden. Seine inoffizielle Tätigkeit hat sich nicht in der Informationslieferung erschöpft. Gegenüber seinen Führungsoffizieren entwickelte er selbst Vorschläge hinsichtlich der Einflussnahme des MfS auf seine Mandanten.

[Wellmann (CDU): Bravo!]

Dr. Gysi hat in der Planung des MfS als verfügbar und einsetzbar gegolten. Die inoffizielle Tätigkeit Dr. Gysis ist vom MfS nachweislich so genannter Operativgeldabrechnung mehrfach durch Präsente und Zuwendungen belohnt worden.

So weit wörtliche Zitate aus dem Bericht der Gauck-Behörde.

Nun liegt die gutachterliche Stellungnahme der Gauck-Behörde schon fast sechs Jahre zurück. In letzter Zeit sind weitere Vorwürfe – darauf hat Herr Cramer hingewiesen – erhoben worden, insbesondere von dem Schriftsteller Lutz Rathenow. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf zu wissen, mit wem die charakterlosen Sozialdemokraten ins Bett steigen – oder besser: die Stadt moralisch ruinieren wollen.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Nur ergänzend: Eine Verpflichtungserklärung wurde nicht gefunden, aber das war bei SED-Mitgliedern nicht üblich.

Aber es geht nicht nur um „Mephisto“ Dr. Gysi. Uns interessieren auch die möglichen Verstrickungen von Westpolitikern. Der veröffentlichte Lebenslauf von Frau Knake-Werner ist bemerkenswert:

[Zurufe von der FDP]

Bis 1981 Mitglied der SPD, dann in die DKP eingetreten, dem bekanntermaßen stalinistischen Standbein der SED im Westen; dann in der Sowjetunion ausgebildet; 1989 aus der DKP ausgetreten und seitdem Mitglied der PDS, versehen mit verschiedenen Führungsaufgaben. Jeder von uns weiß um die Abhängigkeit der DKP vom ehemaligen Staatsapparat der DDR. Ich möchte wissen, ob und in welchem Umfang Maßnahmen der DDR gegen unser freiheitliches System von dieser Frau Knake-Werner unterstützt wurden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Der gerade gewählte Kultur- und Wissenschaftssenator Flierl ist als zynischer „Betonpolitiker“

[Heiterkeit bei der PDS]

im wahrsten Sinne des Wortes bekannt.

[Zurufe von der PDS]

Seine Liebe zum sozialistischen Realismus – jedenfalls in der Architektur –, der notwendige Veränderungen in der Berliner Stadtmitte verhinderte, ist bekannt. Er soll offenlegen, ob und gegebenenfalls wie weit er „Liebesbeweise“ für den Staatsapparat der DDR erbrachte. Er wird für die Zerschlagung wichtiger Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen wie das UKBF verantwortlich sein. Mich interessiert, welche Geisteshaltung dieser Mann hat, der sich jetzt bei den herausragenden Berliner Kulturund Wissenschaftseinrichtungen dafür rächt, dass der Sozialismus gescheitert ist.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Gelächter bei der PDS – Zurufe von der PDS]

Ich persönlich kann nicht verstehen, dass im Ostteil der Stadt nahezu 50 % ihre Peiniger von früher gewählt oder – wie es Wolf Biermann ausdrückte – „mit der letzten Wahl ihre Peitsche geküsst haben“.

[Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Ich will aber nicht, dass anschließend wieder alle sagen können: „Wir haben nichts gewusst.“ Wir wollen Aufklärung und Information.

[Zuruf des Abg. Krestel (FDP)]

Die Schlüsse hieraus wird schon jeder selbst ziehen.

Wir unterstützen den Antrag der Grünen. Er ist ein Beitrag zur Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst.

[Zurufe von den Grünen]

Jeder Bedienstete dort hat sich einer Überprüfung zu unterziehen, warum also nicht auch die Spitzen der Verwaltung?

Eine letzte Bemerkung:

[Unruhe]

Frau Präsidentin, könnten Sie bitte für Ruhe sorgen? – Kein Mensch ist unfehlbar. Um mit Kurt Hiller zu sprechen: „Jeder hat ein Recht auf Entwicklung, aber sie muß glaubwürdig sein.“ Ich kann die Schandtaten der PDS/SED nicht vergessen: die Spaltung des Landes, jahrzehntelange erstickende Diktatur, Unterdrückung der politischen und geistigen Freiheit, Vernichtung der Lebenschancen von Generationen, fast 1 000 Tote an den Grenzen. Wer das Parteiprogramm der PDS liest, wird schnell feststellen: eine Distanzierung, ein Bruch mit der Geschichte, allenfalls taktische Überlegung, neues Design für alte Inhalte. Das Verlangen nach einer Entschuldigung hierfür erscheint lächerlich,

[Beifall bei der SPD]

geradezu eine Petitesse, die in ihrer Nichtigkeit nur beleidigend gegenüber den Opfern wirkt. Für derartige Verbrechen einer Partei helfen nur Auflösung der Partei und Herausgabe des unrechtmäßig erworbenen Riesenvermögens.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Allein durch diese Maßnahmen hätte die PDS unter Beweis gestellt, dass sie nicht die Fortsetzung der stalinistischen SED ist. Aber das wollte sie nicht. Und deshalb werden wir sie auch nicht aus ihrer Verantwortung für die Schandtaten der SED entlassen. – Die CDU-Fraktion besteht auf Sofortabstimmung über die heute gestellten Anträge.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Krestel (FDP) – Zuruf des Abg. Liebich (PDS)]

Das Wort für die PDS-Fraktion hat der Abgeordnete Nelken. – Bitte schön!

(A) (C)

(B) (D)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werter Vorredner Herr Braun! Inwiefern das, worüber Sie hier gesprochen haben, mit den uns vorliegenden Anträgen zu tun hat, ist mir verschlossen geblieben. Ich will nicht auf die ganze Litanei eingehen, die Sie hier vorgeführt haben. Heute ist schon viel über historische Bedeutung gesprochen worden; manchmal hatte ich aber den Eindruck, dass die Debatten, die wir im Laufe des Abends geführt haben, diese historische Dimension vermissen ließen. Es wurde sehr viel Parteitaktik betrieben, und ich glaube, auch in der jetzigen Debatte.

Zunächst einmal, Herr Cramer: Ich kann gar nicht feststellen, woraus sie geschlossen haben, dass jemand die Stasiüberprüfung für die Abgeordneten abschaffen will. Wir haben einen Antrag, der von allen Fraktionen getragen wurde, im gleichen Wortlaut wie der zu Beginn der letzten Wahlperiode gestellte Antrag.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Das muss auch so sein, weil eine neue Legislaturperiode angefangen hat!]