Dieser Tag hat eine historische Dimension, das ist unbestritten. Diese historische Dimension ist in der Rede von Christoph Stölzl zum Ausdruck gekommen, auch wenn ich nicht alles teile, was Sie an Einschätzungen vertreten haben. Ich muss wirklich sagen – zu Herrn Müller und auch in Richtung von Harald Wolf –: Ich finde es ein wenig billig, darauf mit formaler Kritik zu reagieren, dass er als Vizepräsident dieses Recht nicht hätte. Ich finde, diese historische Dimension muss heute auch – darauf liegt die Betonung – zum Ausdruck kommen, und dieses Recht dazu haben wir in diesem Parlament.
Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Aufschrei in der Stadt über die Tatsache, dass es eine rot-rote Koalition gibt, ausgeblieben ist. Viele halten eine Regierungsbeteiligung der PDS für einen schlimmen Tabubruch und lehnen sie grundsätzlich ab. Einige jubeln, weil sie der PDS die ersehnte Machtoption gibt. Wenige fürchten die Regierungsbeteiligung der PDS, weil sie in der DDR geschunden und dort geknechtet wurden und weil sie dies einfach nicht vergessen werden. Die große Mehrheit übt sich allerdings derzeit in Fatalismus. Die
Befürchtung und bei einigen auch die Furcht müssen ernst genommen werden. Deswegen reicht es auch nicht aus, auf kritische Anmerkungen mit dem Vorwurf zu reagieren, dies würde allein der Blockkonfrontation der 50er Jahre entstammen.
Ich sage aber auch: Die Koalition zwischen SPD und PDS entstand auf der Basis demokratischer Wahlen und des Willens beider Parteien, miteinander zu regieren. Wir finden, das ist zu respektieren, auch wenn es uns als Bündnis 90/Die Grünen nicht gefällt. Deswegen werden wir eine faire und eine differenzierte, aber auch eine schonungslose Oppositionspolitik machen. Nach der Vorstellung der letzten vier Wochen gibt es für Schonung auch gar keinen Grund mehr.
Zur Fairness – das sei mir noch gestattet; bezogen auf die unterschiedlichen Einschätzungen der Ampelverhandlungen; ich hoffe, das ist heute wirklich das letzte Mal, dass wir uns darüber unterhalten – gehört aber auch, dass ich sie von den Regierungsparteien erwarte. Deswegen – Michael Müllers Worte, die ich ernst nehme, noch im Ohr – habe ich mich sehr geärgert über einen Brief von Peter Strieder an alle SPD-Mitglieder mit der Aussage, die Ampel sei nicht gelungen, „... weil die Hälfte der Grünen eine Koalition mit der FDP ablehnte und weil die FDP die Bedienung ihrer Klientel vor die Interessen der Stadt stellte.“ Die SPD-Verhandlungsführung habe lange versucht, die beiden kleineren Parteien und ihre gegensätzlichen Positionen zusammenzuführen.
Aber am Ende sei klar gewesen, mit FDP und Bündnis 90/Die Grünen ginge es nicht. „Nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil sie nicht konnten.“ – Zitatende.
[Beifall bei der SPD – Dr. Rexrodt (FDP): Das ist unser Strieder! – Ritzmann (FDP): Das ist der „Schwarze Kanal“ von Strieder!]
Dies ist wirklich Geschichtsklitterung. In letzter Konsequenz hat zwar die FDP die Verhandlungen verlassen. Auch wir Grünen haben in diesen Verhandlungen sicherlich Fehler gemacht. Aber auch die Verhandlungsführung der SPD hat ihren ganz eigenen und eigenwilligen Beitrag dazu geleistet, und dies hat letztlich zum Scheitern geführt. Das Zusammenführen, wie es in diesem Brief behauptet wurde, war nun wirklich nicht die Stärke der SPD-Verhandlungsführung. Wenn heute das Verhältnis der Berliner SPD durch Rot-Rot ihrem Verhältnis zur Bundesregierung schadet oder dieses Verhältnis ein wenig getrübt ist, dann ist das bedauerlich, aber das Resultat ihrer Entscheidung. Und damit ist es auch ein Problem der SPD, und das lassen wir uns als Grüne nicht in die Schuhe schieben. – So viel dazu und zur Vergangenheit.
Für die Gegenwart will ich sagen, dass sie sich in den letzten Wochen durch tägliche Bekundungen – wir haben es heute wieder erlebt – vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS und Händeschütteln ausgezeichnet hat. War waren aber gleichzeitig – jetzt 14 Tage lang – Zeugen eines Senatsfindungsprozesses, der sowohl bezüglich der Zahl der gehandelten Namen als auch der Absagen guinnessbuchverdächtig ist. Das Vertrauen der Angefragten in Rot-Rot ist offensichtlich nicht so groß wie das Vertrauen der beiden Regierungspartner zueinander. Es gab erste, zweite und dritte Besetzungen bei der PDS. Es gab Selbstnominierungen, Absagen und hektische Telefonate in letzter Minute bei der SPD.
Messen wir das das Gesamtergebnis an den eigenen Ansprüchen von SPD und PDS; das ist ja wohl legitim. – Ein Senat der Besten sollte es sein, ein Senat der inneren Einheit sollte es sein,
und nicht zuletzt ein Senat, in dem die Frauen nicht am Katzentisch sitzen. Ich sage: In allen drei Punkten haben Sie Ihr selbst gesetztes Ziel verfehlt, und das ist nicht gut so!
Und so haftet dem Arrangement der heute zu wählenden Personen – das gilt nicht für jede einzelne, aber für die Gesamtkonstellation – schon der Geruch einer Notlösung an, noch ehe der Senat im Amt sind. Das ist kein guter Start für die Koalition, die aus einer rechnerischen Mehrheit hier im Parlament eine gesellschaftliche Mehrheit machen, die auch mit ihren Politikangeboten überzeugen muss. Ein Senat der Besten wird es ganz bestimmt nicht, weil diese abgesagt haben. Mit zwei Frauen am Kabinettstisch zieht Berlin nun gleich mit Bayern. Eine Frau, die in der DDR groß geworden ist, sucht man in diesem Senat vergebens. Auch in Schlüsselressorts sind Frauen nicht mehr zu finden. Ich sage ganz klar: Das ist ein Rückschritt gegenüber dem rot-grünen Übergangssenat. Es ist auch unter demokratischen Gesichtspunkten kein gutes Signal!
Wenn das hier bedauert wird, lieber Harald Wolf, muss ich sagen, dass ich an dieser Senatsbildung nicht beteiligt war.
Es ist kein Naturereignis, das über uns gekommen ist, sondern war sozusagen eine freie Entscheidung beider Koalitionspartner, es so zu tun. Insofern ist es auch Ihre Verantwortung, dafür geradezustehen. Es ist ernüchternd, dass die Frauen von der SPD und gerade die der PDS dies so stillschweigend mitgetragen haben! Es bestärkt mich in dem Gefühl, dass hier zwei sozialdemokratische Kulturen zusammentreffen.
Wenn die fehlenden Senatorinnen dadurch ausgeglichen werden sollen, dass mehr Staatssekretärinnen berufen werden, kommt das sozialdemokratische Verständnis von Gleichberechtigung uns auch noch teuer zu stehen. Dafür werden Sie auf unsere Unterstützung nicht zählen können.
Der Ostteil der Stadt wird künftig – jetzt spreche ich mit Wolfgang Wieland und zitiere ihn – „personell von zwei Söhnen der Nomenklatura repräsentiert, von denen der eine schon so gottgleich scheint, dass es auch auf sein Geschlecht nicht mehr ankommt und er sich in die Rolle einer Frau versetzen kann.“
Damit wir uns nicht missverstehen: Jeder Mann und schon gar jeder in einer Regierung, der etwas für die Gleichstellung tut, ist herzlich willkommen. Dass aber Frauen ihre Interessen jetzt nicht mehr selbst vertreten können und sozusagen ein Mann als Sprachrohr gewählt wird, das uns faktisch wieder stellvertretend übernimmt, hätten wir – so dachte ich – längst überwunden.
Am Bedenklichsten ist jedoch der fehlende Zukunftsentwurf, die fehlende Idee, wohin die Reise mit Berlin eigentlich gehen soll. Nun ist einiges von Herrn Müller und Herrn Wolf dazu gesagt worden. Ich teile auch die Einschätzung von Herrn Dr. Rexrodt nicht, dass ein Koalitionsvertrag höchstens 3 Seiten lang sein muss und man irgendwie sagt, man wolle die Wirtschaftskraft in dieser Stadt stärken. Das halte ich für nicht ausreichend. Sie, die Regierungskoalition, müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass viele, die diesen Koalitionsvertrag gelesen haben, dass Journalisten, die darüber geschrieben haben, dieser Zukunftsentwurf fehlt. Die Idee fehlt, wohin es mit dieser Stadt gehen soll. Wenn Sie für den Koalitionsvertrag genauso viel Zeit und Zeilen – sie wurden ausgezählt, habe ich mir sagen lassen – in der Präambel zur Zukunftsentwicklung wie zur Vergangenheit verwendet hätten, dann wäre das ein Signal gewesen. Sparen bis es quietscht, ist kein Konzept für eine 31⁄2Millionen-Stadt. Es ist auch kein Konzept für die Finanzpolitik. Gestalten und Sanieren, das muss die Prämisse für die Haushaltspolitik der nächsten Jahre sein. Dazu gehört es, Gestaltung
und Haushaltseinsparungen mit klaren politischen Schwerpunkten zu verknüpfen. Der rot-grüne Senat hatte hierzu einen Anfang gemacht, indem er die Bildung verbessert, die Hochschulverträge verlängert und die Kulturfinanzierung abgesichert hatte. Rot-rot stellt nun zwei dieser Schwerpunkte in Frage: die Wissenschaft und die Kultur, und kündigt an, die Hochschulverträge mit der Schließung des Uni-Klinikums Steglitz zu brechen. Das gefährdet die Zukunftsfähigkeit Berlins. Es ist übrigens auch kein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung, weil es letztlich und mittelfristig betrachtet finanzpolitisch unsinnig ist.
Dabei brauchten wir gerade auch in Erinnerung an das, was wir hier erlebt haben, eine langfristige Planung zur Haushaltskonsolidierung, aber auch die Hilfe des Bundes. Unter neuer Finanzkultur verstehen wir die absolute Transparenz der Finanzplanung und – das ist genauso wichtig – eine öffentliche Verständigung über die Ziele, die diese Stadt haben muss. Sparen kann man nur, wenn man weiß, wofür. Was ist Sinn und Zweck des Sparens? Und nicht nur, was Sinn und Zweck der Hauptstadt ist. Es reicht dauerhaft auch nicht, immer wieder auf die Verantwortung der CDU für die Haushaltskrise und die Bankensituation zu verweisen, wobei es – das gebe ich gern zu – nach so manchem Redebeitrag der CDU hier immer wieder herausgefordert wird. Es reicht aber allein nicht aus.
Um eine Finanzplanung zu machen, muss man wissen, welche Stadt man will. Nur wer seine Ziele geklärt hat, kann letztlich auch über die Finanzmittel dafür reden.
Die Zukunft der Stadt liegt – darin waren sich während des Wahlkampfes alle hier im Haus vertretenen Parteien einig – in der Entwicklung der Stadt zu einer Stadt des Wissens und der Forschung. Die Kultur muss eine Perspektive bekommen. Eigeninitiative und Selbsthilfepotentiale müssen gestärkt werden. Eine radikale Reform der Verwaltung ist überhaupt die Voraussetzung, um finanziell und wirtschaftlich wieder auf die Füße zu kommen.
Berlin braucht Zuwanderung und einen Plan, damit die Chancen der EU-Osterweiterung nicht gerade an dieser Stadt vorbeigehen. Sich auf neue Technologien zu konzentrieren, beispielsweise im Umweltschutz oder in der Medizintechnologie und damit interessant für den osteuropäischen Markt zu werden, ist die wirkliche Voraussetzung, um sich aus der Schuldenfalle zu befreien!
Dass das wichtigste Ressort, die Finanzen, erst nach langem Suchen besetzt werden konnte, spricht Bände. Es spricht nicht nur Bände über die schwierige Haushaltssituation des Landes. Wir bedauern den Weggang von Christiane Krajewski, die ein wirklicher Gewinn für Berlin war, auch wenn manches, was sie sich und was sich auch der Übergangssenat vorgenommen hatte, in dieser kurzen Zeit nicht umgesetzt werden konnte.
Eigentlich hätte man heute darüber nicht mehr reden müssen, wie ihre Absage wirklich motiviert war. Aber wenn ich gestern im Radio auf allen Kanälen höre, dass sowohl Klaus Wowereit als auch Peter Strieder auf die Frage, ob Frau Krajewski von den SPD-Spitzen wirklich so allein gelassen worden sei, antworten: Sie sei im Senatsgästehaus sicher sehr einsam gewesen, ohne Mann und ohne Familie, dann ist dies an Chauvinismus nicht mehr zu toppen! Die SPD braucht sich wirklich nicht mehr zu wundern, wenn Sie keine Frauen für diesen Senat findet!
Ob Herr Sarrazin erfolgreich in seinem Amt sein wird, bleibt abzuwarten. Der Ruf, der ihm vorauseilt, ist widersprüchlich. Er soll kompetent, neoliberal mit rotem Parteibuch, ein Querdenker und Exzentriker sein.
So lautet der ihm vorauseilende Ruf. Das ist eine interessante Mischung. In jedem Fall hat er die Aufgabe, einen verfassungswidrigen Haushalt für das Jahr 2002 und eine unseriöse Finanz
planung durchzusetzen, denn – auch das ist eine Enttäuschung – Rot-Rot hält an der Fiktion fest, bis zum Jahr 2009 die NettoNeuverschuldung auf Null zu senken, sagt aber nicht, wie. Dieses Ziel umzusetzen, ist unrealistisch. Es würde die Stadt die Luft zum Atmen kosten – das sage ich hier in aller Deutlichkeit!
Ein Versprechen – ich habe es schon einmal angeführt –, das alle Parteien den Wählern gegeben haben, ist es, Wissenschaft und Kultur zu stärken. Das ist nicht nur wichtig, weil wir die Opern, die Theater und Universitäten in dieser Stadt Berlin schätzen, sondern auch aus ganz beinharten wirtschaftspolitischen Erwägungen. Das Uniklinikum Steglitz schließen zu wollen, ist die erste wirklich folgenschwere wirtschaftspolitische Fehlentscheidung, die dieser Senat getroffen hat.
Berlin wird nie wieder Industriemetropole werden. Das wissen wir doch alle. Die neuen Arbeitsplätze entstehen im Dienstleistungsbereich und gerade im Umfeld von Universitäten und Forschungseinrichtungen. Da entstehen auch wirtschaftliche Netzwerke, so wie in Steglitz mit Hunderten von Arbeitsplätzen, besonders an diesen Schnittstellen zu Wissenschaft und Forschung. All das soll mit einem Federstreich kaputtgemacht werden, ohne mit den Betroffenen zu reden, ohne das Votum der Experten abzuwarten, ohne wirklich nach Alternativen gesucht zu haben.
Nein, das ist kein Unsinn! Gut! Darauf gehe ich gern ein. Der Zwischenruf von Benjamin Hoff von der PDS war, dass dies Unsinn sei. Es ist eine Entscheidung, die die rot-rote Koalition in den Verhandlungen getroffen hat. Der Präsident der Freien Universität, Herr Prof. Gaehtgens – er sitzt übrigens oben bei den Zuhörern, Sie sind herzlich willkommen hier als Gast, das erlaube ich mir jetzt, Herr Präsident –