Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Herr Scholz fährt fort:

Diese Pläne zur Zinsabgeltungsteuer sind fast genial. Sie sorgen dafür, dass der Saat mehr einnimmt, obwohl der Steuersatz für viele sinkt. Was soll man dagegen einwenden?

Fraktionsvorsitzender Müntefering sagte am 20. Mai wörtlich:

Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnt die SPD ab.

[Beifall bei der FDP – Doering (PDS): Wir sind tief beeindruckt, Herr Lindner!]

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Der Steuer werden zwei Effekte zugeschrieben: 1. Der Steuerhinterzieher holt sein Geld nach Deutschland zurück. Dem nichtversteuerten Kapitalstock wird die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit ermöglicht. 2. Der künftige Steuerhinterzieher lässt das Hinterziehen, weil das subjektive Gefühl größerer Steuergerechtigkeit gesteigert wurde. – So das Bild der FDP.

Herr Kollege Zackenfels, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Henkel?

Nein. – Herr Kollege Henkel, ich bitte um Verständnis. – Zum ersten Punkt, der sogenannten Brücke zur Ehrlichkeit: Die Überlegungen sind reine Spekulation. Wir wissen nicht, wie viel im Ausland ist. Das wissen auch Sie nicht, Herr Lindner. Wir wissen nicht, wie viel zurückkommt. Wir wissen jedoch, dass der Effekt einmalig sein wird. Ob das 25 Milliarden € sind, weil 100 Milliarden € zurückkommen, oder mehr oder weniger, ist egal. Es bleibt ein einmaliger Effekt, und die Höhe dessen, was zurückkommt, bleibt Spekulation.

Was den zweiten Aspekt betrifft, schaut man regelmäßig nach Österreich, wo durch die Einführung der sogenannten Kapitalertragsteuer 1993 die Akzeptanz des Systems durch die Steuerpflichtigen zu höheren Einnahmen geführt hat. Das ist richtig. Allerdings wird in dieser Diskussion immer beiseite geschoben, dass Österreich zuvor

1. Die Abgeltungsteuer in der vorliegenden Form durchbricht die verfassungsmäßig vorgegebene gleiche Besteuerung der sieben Einkunftsarten.

Ich denke, dass es auch in dem entsprechenden Verfahren auf Bundesebene zu weiteren Kompromissen kommen wird, egal, ob ein Kanzler basta sagt oder nicht; das ändert nichts an der Tatsache, dass es zu einem Kompromiss kommen muss und dass das auch ein guter Weg ist. Vor diesem Hintergrund, Herr Dr. Lindner, müssen wir Ihren sehr oberflächlichen und auf reine Polemik ausgerichteten Antrag ablehnen. – Ich bedanke mich herzlich.

Danke schön, Herr Kollege Zackenfels. – Das Wort für die Fraktion der CDU hat nunmehr der Kollege Goetze. – Bitte schön, Herr Goetze!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir eben gehört haben, wäre sicherlich ein eloquenter Vortrag auf der Konferenz der örtlichen Steuerberater und Betriebsprüfer gewesen, aber hier im Hause haben ihm vermutlich die wenigsten inhaltlich folgen können. Es war auch nicht weiter wünschenswert, dem Vortrag inhaltlich zu folgen, weil das Kernproblem, das hier politisch zur Debatte steht, verschleiert werden sollte.

die 30prozentige Quellensteuer, die wir in Deutschland seit Theo Waigel haben, nicht kannte. Die Steuereinnahmenerhöhung in Österreich war damit quasi logisch, während wir in Deutschland immer noch eine Absenkung von 30 auf 25 % haben werden.

Mit anderen Worten: Eine Voraussage, was nun geschehen wird per Jahresendsaldo 2004 durch die Rückführung auch der Kapitalertragsteuer auf 25 %, verbunden mit der Hoffnung auf ein größeres Bemessungsvolumen, das von den von plötzlicher Steuerehrlichkeit Geschlagenen ausgelöst wird, kann Ihnen seriös – der Schwerpunkt liegt auf dem Wort seriös – keiner sagen.

Abzuwägen ist also – da kommen wir zur Grunddebatte – die Staatsquoten- und Steuervereinfachungsdiskussion, der die FDP gerne anhängt, einerseits und die Verschärfung des Systembruchs im Steuerrecht andererseits. Hier, Herr Dr. Lindner, setzt übrigens genau die Bundessteuerberaterkammer an, die bekanntermaßen keine große Befürworterin von Rot-Grün ist. Diese schreibt, dass die mit der Abgeltungsteuer geplante pauschalierte Besteuerung auf Zinseinkünfte nur dann sinnvoll ist, wenn man sie in eine Neuorientierung aller Einkünfte, die nicht auf Arbeit beruhen, einbettet. Das beinhaltet auch Kapital, Vermietung, Veräußerungsgewinne und Altersbezüge. Nur dann macht sie Sinn.

Der Systembruch wird an drei Beispielen deutlich: 1. Unter dem Begriff „Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EstG“ werden wir von 2004 an das Halbeinkünfteverfahren bei Dividenden aus Aktien, die Abgeltung bei Zinserträgen aus Kapitalvermögen mit pauschal 25 % und die Individualbesteuerung in der regulären Einkommensteuererklärung mit Spitzensteuersatz bis zu künftig 42 % subsumieren.

2. Das Zinsabgeltungsteuergesetz sieht vor, dass sich die Abgeltungswirkung allein auf Einkommensteuer und Solizuschlag erstrecken soll. Die Kirchensteuer bedarf einer Sonderregelung, die wiederum die Erklärung der Einkünfte erforderlich macht und somit im Widerspruch zur Vereinfachung und anonymen Abgeltung steht, die Sie so sehr befürworten, Herr Dr. Lindner.

3. Das weitaus gravierendeste Beispiel – das müssen Sie sich vergegenwärtigen, Sie dürfen nicht nur über Modewörter surfen –: Wir sind vor dem Hintergrund einer unabgestimmten Vorgehensweise – die haben wir gerade festgestellt – im betrieblichen Bereich weiterhin in der äußerst misslichen Lage, den vollen Steuersatz auf Zinseinkünfte zahlen zu müssen. Es liegt nun auf der Hand, dass der Gestaltungsspielraum genutzt wird, um der unternehmerischen Sphäre Liquidität zu entziehen, um sie aus dem Privaten heraus in das Unternehmerische zu verleihen, weil dann der geringere Zinssteuersatz gilt. Und das, lieber Herr Dr. Lindner, bedeutet nichts anderes, als den Unternehmen einen Großteil des Geldes zu entziehen und in das Privatvermögen herüberzuziehen.

Zusammenfassend kann man also sagen:

2. Sie wird nicht halten, was die FDP uns verspricht.

[Ritzmann (FDP): Ihr Kanzler verspricht das, Herr Kollege!]

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Das Kernproblem, das hier politisch zur Debatte steht, ist, dass die SPD Berlin sich offensichtlich in ihrer Entscheidungsfindung gegen die Bundespartei und gegen den Bundeskanzler gestellt hat – siehe die Beschlüsse auf ihrem letzten Parteitag –,

[Dr. Lindner (FDP): So ist es!]

und sie verkennt auch, dass die Diskussion über eine Vermögensteuer, die von der SPD Berlin ebenfalls immer wieder aufgemacht wird, über dem Ganzen schwebt. Davon ist nicht gesprochen worden, das ist ganz klar, weil es für die SPD ein unliebsames Thema ist; aber man muss es mit berücksichtigen.

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Deswegen hatten die Begründungen, warum man es nicht machen will, die wir gerade über fünf Minuten gehört haben, erstens die argumentative Schwierigkeit in sich, dass man gegen eine Richtung der eigenen Partei argumentiert. Zweitens hatten sie das Problem, dass mein Vorredner sinngemäß endete mit den Worten: Aber das Ganze ist doch nicht so, wie ich es dargestellt habe, sondern man wird einen Kompromiss finden müssen. Und das ist auch gut so. – So, lieber Kollege Zackenfels, haben

ordnung dieser Besteuerung der Steuersatz bei der

Das Ganze wird sich bundespolitisch lösen. Es wird einen Kompromiss geben. Ich kann nur hoffen, dass dieser Kompromiss nicht so aussieht, wie die Sozialdemokraten in Berlin es fordern, nämlich dass die Vermögensteuer wieder eingeführt wird. Sie verkennen – und da wäre es wichtig gewesen, die Verfassungsmäßigkeit zu beleuchten –, dass verfassungsgerichtlich definiert ist, warum es sie nicht mehr geben soll, und es wurde vom Verfassungsgericht auch gesagt, welche Ansprüche an eine Neuregelung geknüpft werden sollen. Dabei wird von der SPD vernachlässigt, dass im Zusammenhang mit der Neu

Grunderwerbsteuer von 2 auf 3,5 % erhöht wurde, bestimmte Umgehungskonstruktionen bei der Grunderwerbsteuer jetzt verhindert sind, dass die Eigenheimzulage verändert wurde, dass die Einnahmen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer erhöht wurden etc. Das heißt, mit einer Wiedereinführung der Vermögensteuer, von Ihrer Fraktion und der Fraktion der PDS – ich glaube, zusammen mit den Grünen – im Hause schon längst beschlossen, käme man zu einer doppelten Besteuerung des gleichen Sachverhalts. Auch aus diesem Grund ist das abzulehnen. Deshalb wäre es an der Zeit gewesen, an diesen verquasten und verkrusteten Vorstellungen, die aus der ganzen Argumentation und auch aus diesem Parteitagsbeschluss sprechen, endlich abzulassen, sich den Gegebenheiten des Jahres 2003 zu stellen und dazu zu kommen, ein zielführendes System mit zu befördern und vielleicht auch noch zu beeinflussen.

Möglicherweise ist ein pauschaler Abgeltungssatz von 25 % zu niedrig. Das kann durchaus sein. Aber wenn man sich auf Ihren Standpunkt stellt, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, dann sind Sie außen vor; die Entwicklungen laufen an Ihnen vorbei; Sie sind an der Kompromissfindung nicht beteiligt – und das alles möglicherweise zum Schaden des Landes. Das wollen wir vermeiden. Deswegen: Trotz mancher Überlegungen, die zu diesen im FDP-Antrag geforderten 25 % anzustellen sind, werden wir heute für diesen Antrag stimmen; denn er beschreibt die richtige Richtung, und er beschreibt das, was in Kürze Bundesgesetz sein wird. Das wollen wir mit beeinflussen, mit einem Votum aus der Hauptstadt für die Entscheidungsfindung in der Hauptstadt – wir werden zustimmen.

Sie Ihre Rede beendet. Damit wurde alles, was Sie uns vorher bis hin zur Verfassungswidrigkeit zu erläutern versucht haben, deutlich relativiert.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die Situation ist kompliziert für die Sozialdemokraten. Da gibt es einen Antrag, der auf ihrem letzten Parteitag vor ein paar Tagen beschlossen wurde.

[Liebich (PDS): Was wollen Sie eigentlich?]

Er stellt zunächst einmal fest, dass man die Finanzprobleme des Landes nicht allein von der Ausgabenseite her lösen kann. Das ist schon mal eine Breitseite gegen den Finanzsenator, der seit eineinhalb Jahren durch das Land läuft und sagt: Wir müssen ausschließlich an der Ausgabenseite Änderungen vornehmen.

Dann wird festgestellt, dass die Armut der Kommunen und der anderen Bundesländer allgemein sei und es sich nicht um ein spezifisches Berliner Problem handele. Das ist auch richtig, allerdings hausgemacht, nämlich durch die Politik der Bundesregierung.

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Dann wird Kritik geübt an der derzeitigen Gewerbe- und Körperschaftsteuergesetzgebung – auch eine klare Sache: Die rot-grüne Bundesregierung, die zu vertreten hat, wird hier abgewatscht. Da ist es dann schwierig, hier entsprechend zu argumentieren.

Und zum Schluss wird gefordert, mit dem Hinweis darauf, man möge endlich eine Vermögensteuer einführen: Die Umkehr der Politik, die Umverteilung von unten nach oben, ist von größter Bedeutung und muss daher politische Praxis werden. – Schön! Darauf warten wir. Heute stand die Schulbuchfinanzierung auf der Tagesordnung; die Kürzung der Sozialhilfe wurde vom Senat angekündigt; die Einschnitte bei den Jugendlichen, bei der Seniorenbetreuung – all das ist Umverteilung von unten nach oben.

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Sie wollen, dass sich das umkehrt. Machen Sie es hier! Wir warten darauf, dass Ihr nächster Haushaltsplanentwurf eine Umkehr vorsieht. Aber belasten Sie uns bitte nicht weiter mit solchen verquasten Vorträgen, die von der eigentlichen Problemlage ablenken sollen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

[Zuruf der Frau Abg. Paus (Grüne)]

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Goetze! – Das Wort für die Fraktion der PDS hat nunmehr der Kollege Wechselberg. – Bitte schön, Herr Wechselberg! Sie haben das Wort!