Protokoll der Sitzung vom 25.09.2003

Dass die BVG im Konzert der nationalen und europäischen Verkehrsunternehmen auch nach 2007 mitspielt. Dazu hat die BVG auf Grund ihrer Größe, ihrer Kompetenz und ihres Charakters als Verkehrssystemanbieter beste Chancen. Wir wollen die BVG nicht zur Filettierung in Kleinunternehmen vorbereiten und auch nicht zur Übernahme durch Private, wie es offenbar FDP und Grüne beabsichtigen.

Ich möchte über die Leistungen der BVG reden. Die BVG ist ein überaus komplexer und großer Verkehrsbetrieb, der in den letzten Jahren einen gewaltigen Produktivitätsschub vollbracht hat. Die Verkehrsleistung pro Mitarbeiter hat sich verdoppelt; die Fahrgastzahlen sind entgegen der Behauptung von Herrn Cramer seit 1997 um 14 Millionen pro Jahr gestiegen; die Umsatzerlöse stiegen von 1997 bis 2001 um 110 Millionen €. Die BVG besitzt einige wirkliche Schätze, die ich nur in Stichworten benennen möchte. Das sind natürlich die Beschäftigten; das ist das Tag und Nacht arbeitende Callcenter; das ist auch die Internetseite mit einem hervorragenden Fahrplanauskunftssystem;

[Zuruf von der CDU: Das hat Ihnen Ihr Sohn gesagt!]

das ist die Managementzentrale, die den öffentlichen Nahverkehr bei Demonstrationen, Groß- und Kleinveranstaltungen, bei Bauarbeiten und anderem mehr gewährleistet. Die Busse und Bahnen der BVG fahren immer – auch nachts, zu Weihnachten und zu Silvester, meist sogar mit Sitzplatzgarantie. Um dieses Verkehrsunternehmen wird Berlin beneidet. Wir sollten es nicht klein reden, wir sollten es würdigen.

[Beifall bei der PDS]

Die BVG hat einen Unternehmensvertrag. Dieser Vertrag wurde 1999 unmittelbar vor der Abgeordnetenhauswahl nach heftigen Auseinandersetzungen um eine beabsichtigte Übernahme durch die DB AG – und auch aus politischem Kalkül – unterzeichnet. Einige Zahlen waren von Anfang an Traumzahlen. Die Zahlungen des Landes Berlin waren hingegen keine Traumzahlen. Sie sind seitdem wie vereinbart geflossen.

Zu den Traumzahlen einige Erläuterungen. Nach BSU sollte es 2000 im ersten Jahr des Sanierungsprogramms 751 Millionen Fahrgäste geben. Tatsächlich hatte die BVG schon damals 45 Millionen Fahrgäste mehr. Die Verkehrsleistungen sollten unter Einbeziehung der U 5 und des Straßenbahnerweiterungsprogramms jährlich 254 Millionen Nutzwagenkilometer betragen. – Tatsäch

lich fährt die BVG 10 Millionen Nutzwagenkilometer pro Jahr mehr.

Der Unternehmensvertrag hatte drei Grundannahmen:

[Eßer (Grüne): Ja, wegen der Auflagen!]

Die BVG hat kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem!

Die dritte Annahme, dass durch die Rationalisierungseffekte die Sachausgaben sinken werden, ging auch nicht auf. Im Gegenteil: Die Sachausgaben liegen weit über dem Plan, nicht nur wegen der Ökosteuer – wie der Vorstand immer wieder gerne behauptet –, sondern auch wegen der Ausgaben für externe Beraterleistungen in zweistelliger Millionenhöhe.

Im Ergebnis arbeitet die BVG inzwischen vornehmlich kreditfinanziert. Durch diese Kreditbelastung rast sie in die Schuldenfalle und frisst ihr Eigenkapital auf.

Obwohl kein anderes landeseigene Unternehmen so sehr im Fokus politischer Kontrolle liegt – mit halbjährlichem Monitoring usw. –, ist es bisher nicht gelungen, diese Talfahrt der BVG aufzuhalten.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Ursache, sehr verehrter Herr Kollege Niedergesäß, war in erheblichem Maße das Agieren der großen Koalition.

[Oh! von der CDU]

Die große Koalition hat nach der Unterzeichnung des Unternehmensvertrags die BVG im Regen stehen lassen.

[Czaja (CDU): Mit wem regieren Sie heute?]

Sie versäumte die Abarbeitung der im Unternehmensvertrag ignorierten Altlasten, zum Beispiel der Pensionslas

Und jetzt nimmt die BVG mit Volldampf Kurs auf das elektronische Ticketing. Ausgerechnet die Fahrpreisdiskussion, die wir führen wollen und müssen, soll dafür

herhalten, die Einführung des Ticketings als angeblich unvermeidbar darzustellen. Ich kann davor nur warnen. Das wird nach dem jüngsten Versuch der DB AG, die Kunden durch ein Preissystem zu erziehen, und nach den Erfahrungen mit der technischen Zuverlässigkeit solch komplexer Systeme wie z. B. bei der Lkw-Maut ein unkalkulierbares Risiko. Dieses Ticketing entwertet die jüngst getätigten millionenschweren Anschaffungen von Fahrscheinautomaten und automatischen Zählgeräten. Das elektronische Ticketing wird die Kosten der Verkehrsleistung verteuern, und auch in diesem Fall spekuliert die BVG mit erheblichen Zuschüsse des Landes. Das werden wir nicht mitmachen. Der Kurs auf das elektronische Ticketing ist die Verschärfung der Probleme der BVG und nicht deren Bewältigung.

Zur Kundenorientierung greife ich nur ein Beispiel heraus. Die Linienbestimmung und deren Veränderung ist für die Kunden ein Buch mit sieben Siegeln. Wo können Kunden ihre Wünsche und Ansprüche an das Liniennetz einbringen und formulieren? Dass das eine Behörde übernehmen kann, das ist ja wohl nicht zu erwarten. Die BVG muss endlich erkennen, dass alle Beschäftigten mit Kundenkontakten die Augen und Ohren des Unternehmens für Kundenwünsche sind. Die Beschäftigten ohne Kundenkontakte müssen diese Informationen der „Augen und Ohren“ im Interesse der Kundenoffensive aufnehmen. Auf diese Weise kann der Personalabbau mit Erhöhung der Kundendienstqualität verbunden werden.

ten der alten BVG und der notwendigen Sanierung der U-Bahninfrastruktur, die erst jetzt von Rot-Rot finanziert wurde. Es war der CDU-Senator Klemann, der einen für die BVG nachteiligen Einnahmeaufteilungsvertrag mit der DB AG unterzeichnet hat, der mühevoll durch Zahlung einer hohen Summe abgelöst werden musste.

Der seitdem tobende Vertriebswettbewerb zwischen BVG und S-Bahn, der keine Neukunden hervorbringt, sondern dem jeweils anderen Verkehrsbetrieb die schon vorhandenen zahlenden Kunden abzuwerben bezweckt, hat der BVG jährliche Einnahmeverluste in zweistelliger Millionenhöhe beschert.

Die Geschäftsberichte der BVG für die Jahre 2000 und 2001 – für 2002 liegt der Geschäftsbericht noch nicht vor – vermitteln den Eindruck, alles sei gut. Die Wirtschaftsprüfer haben die Geschäftsberichte jeweils bestätigt, und der Aufsichtsrat hat den Vorstand Jahr für Jahr entlastet, obwohl es Zweifel gab. Erst die Gewährträgerversammlung hat jetzt die Reißleine gezogen. Das ist zu würdigen, und deswegen führen wir heute diese Debatte. Erst jetzt, unter Rot-Rot, zieht Ehrlichkeit ein,

[Oh! von der CDU und den Grünen]

und zu dieser Ehrlichkeit gehört auch, dass die BVG nicht nur Zahlungen aus dem Unternehmensvertrag bekommt, sondern auch Zuschüsse für den Schülerverkehr, Ersatz für Fahrgeldausfälle für die Schwerbehinderten und Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz.

[Eßer (Grüne): Und deswegen sind die Verkehrserträge gestiegen!]

Das waren im Jahr 2002 zusammen mehr als 200 Millionen €.

[Beifall bei der PDS]

Unsere Forderungen an die BVG – außer dem schwierigen Personalproblem, zu dem ich noch komme – auten: l 5. Kostendisziplin,

6. Kundenoffensive,

7. Marketingverbesserung.

Zum 1. Punkt: Die BVG leistet sich Projekte in erheblichem Umfang, ohne im Einzelfall deren Wirtschaftlichkeit genügend zu belegen. Genannt seien das U-BahnFernsehen, die fahrerlose U-Bahn, das personalbediente Verkaufssystem, PVS genannt. Letzteres wurde eingeführt, obwohl es technisch nicht ausgereift war. Ursprünglich ging man von nötigen Investitionen von ca. 7 Millionen € aus, tatsächlich kostete der Spaß 23 Millionen €. Um das System ordentlich abschreiben zu können, müssten die Geräte 10 Jahre in Betrieb bleiben, was bei einer realistischen Nutzungsdauer von 5 Jahren unmöglich erscheint.

[Beifall bei der PDS]

Zum Marketing: Es ist – gelinde gesagt – miserabel. Das Image dieses Verkehrsbetriebs ist schlechter als sein Leistungsprofil, und das will etwas heißen in Zeiten, in denen Werbung Lebensstile prägt. Marketingaktionen richten sich bestenfalls an schon vorhandene Kunden. Zürich macht das anders und hat dabei Erfolg. Die Kunden als Motor für Verbesserungen im Verkehrsangebot zu begreifen und auch so zu behandeln, das ist die Herausforderung der Zukunft. Was wir von der BVG verlangen, ist eine eindeutige Kundenoffensive und das Umdenken vom Behördenverkehr, der sich mit den Kunden, die bereits da sind, begnügt, zum Dienstleistungsanbieter, der ständig auf der Suche nach neuen Kunden und höherer Kundenzufriedenheit ist.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Frau Kollegin, die Zeit ist schon längst vorbei!

Dieser Satz sei mir bitte noch gestattet. – Die Fahrpreise wie auch das Fahrpreissystem sind Kernstücke der Kundenorientierung, und die Pläne, eine 14-prozentige Fahrpreissteigerung durchzusetzen, sind dabei kontraproduktiv. Sie werden weitere Kunden vertreiben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Matuschek! – Für die FDP erhält das Wort Herr Kollege von Lüdeke – bitte schön!

Denn der FDP-Antrag vom 14. September 1993 Drucksache 12/4773, der schon damals die aus Wettbewerbsgründen unvermeidliche Aufgliederung der BVG in Teilgesellschaften vorsah, wurde auch von den Grünen abgelehnt. Heute stellen sich die Grünen als großen Privatisierer dar. Wir werden im Rahmen der Beratung unserer BVG-Anträge, von denen wir einige zu beraten haben, demnächst sehen, ob und wie viel sie dazugelernt haben.

Von der PDS erwarten wir in dieser Sache ohnehin nichts.

Nach dem Zustandekommen des Betriebegesetzes konnte die BVG und ihr Personal noch einige wenige Jahre halbwegs ungestört in der Sonne staatlicher Alimentation auf der betriebseigenen Bowlingbahn verbringen. Aber gerade diese scheinbare Ruhe beruht auf einer Fehleinschätzung. Berlin konnte sich auf Dauer unmöglich an den haushaltspolitischen Risiken eines staatlichen Monopolbetriebs wie der BVG vorbeimogeln. Die Schulden Berlins stiegen, also musste sich die BVG zu einem Unternehmensvertrag herablassen, der bis zum Jahr 2007 die Rettung bringen soll. Aber auch dieser so genannte Unternehmensvertrag ist eine einzige Fehleinschätzung. Wie konnten die Verantwortlichen ernsthaft daran glauben, dass sich die öffentlich-rechtliche BVG, die im Grunde genommen eine Gewerkschaftsfiliale mit angeschlossenem Personenbeförderungsunternehmen ist, aus eigener Kraft sanieren könnte?

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den „Schätzen“ der BVG, die meine Vorrednerin so blumenreich geschildert hat, nun vielleicht zu den Fehleinschätzungen, denen wir mit der BVG aufliegen.

Der Finanzsenator hat dieser Tage gegenüber einer Berliner Tageszeitung gesagt, dass die Finanzlage der BVG auf eine Kette von Fehleinschätzungen zurückzuführen sei. In einem anderen Blatt war zu lesen, dass die BVG sich auf Geisterfahrt befände. In der Tat, die meisten Geisterfahrer geraten auf Grund einer Kette von Fehleinschätzungen in ihre Lage. Es ist daher zu fragen, welcher Art die Fehleinschätzungen waren und wer dafür die Verantwortung trägt. Angesichts des BVG-Disasters ist auch zu fragen, wann die Fehleinschätzungen erfolgten. Der Vergleich der aktuellen Lage der BVG mit einer Geisterfahrt hinkt, denn der Geisterfahrer erkennt in der Regel die Gefahr nicht oder zu spät. Die BVG jedoch weiß seit Jahren, dass sie sich auf Geisterfahrt befindet, denn ihre prekäre Lage ist bekannt. Man müsste also eher sagen, dass die BVG und mit ihr die Verkehrspolitik des Senats von allen guten Geistern verlassen ist.

[Beifall bei der FDP]

Juristisch gesprochen ist hier mindestens grobe Fahrlässigkeit im Spiel. Und die Berliner Staatsanwaltschaft wird sich vielleicht mit dem Vorwurf des vorsätzlichen Handelns auseinander zu setzen haben. Entsprechende Ankündigungen haben wir in der Presse gelesen.

Nun zu den Fehleinschätzungen: Es wird gelegentlich gesagt, das Problem BVG sei erst in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit dem Unternehmensvertrag entstanden. Das haben wir heute hier auch gehört. Nein, meine Damen und Herren, am Anfang dieses Horrortrips steht ein klar zu benennendes Datum: 9. Juli 1993. An diesem Tag wurde vom damaligen Regierenden Bürgermeister Diepgen das Berliner Betriebegesetz unterschrieben und damit der Eigenbetrieb BVG in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt. CDU und SPD wollten damals auch für BVG-Mitarbeiter das Füllhorn des öffentlichen Dienstrechts ausschütten.

[Dr. Lindner (FDP): So ist es!]