Protokoll der Sitzung vom 13.05.2004

[Zurufe von der CDU]

Das kann keiner wollen, und wir werden das auf keinen Fall tun!

[Beifall bei der PDS]

Aber auch der Verlust ist nicht hinnehmbar. Gerade die FDP, die doch so für Wirtschaftskompetenz stehen will, sollte doch einmal bitte einem Unternehmer erklären, weshalb er gezwungenermaßen ein Verlustgeschäft fortführen soll. Das macht kein Unternehmer. Wenn aber die Verluste letztlich vom Steuerzahler getragen werden sollen, kennen FDP und CDU offensichtlich keine Grenzen. Die rot-rote Koalition wird ein bewusstes Ausplündern der Steuerkassen zu Gunsten einiger weniger Luftverkehrsgesellschaften nicht zulassen.

[Beifall bei der PDS]

Den in Tempelhof ansässigen Luftverkehrsgesellschaften wird mitnichten eine Einstellung ihrer Geschäftstätigkeit abverlangt. Ihnen werden Möglichkeiten in Tegel und Schönefeld angeboten bis hin zu Umzugshilfen. Dazu laufen im Übrigen auch die Gespräche mit den ansässigen Luftverkehrsgesellschaften. Die Kapazitäten sind dafür in Tegel und Schönefeld vorhanden. Wer etwas anderes behauptet, kennt entweder nicht die Flughäfen oder verbreitet wissentlich Unsinn.

Es wird behauptet, die Schließung von Tempelhof sei teurer als ein Weiterbetrieb. Das ist falsch. Bei Fortführung des Betriebes bis 2010 würde ein kumulierter Verlust von ca. 120 Millionen € entstehen. Die Schließung kostet aber nur – das ist auch viel Geld – 32 Millionen €, davon sind 24 Millionen € Sozialplankosten und 4 Millionen € Ausgleichskosten für die Airlines. Diese Kosten fallen an, egal wann der Flughafen geschlossen wird. Aber ein Weiterbetrieb heißt im Klartext: 70 bis 80 Millionen € Steuergroschen werden verbrannt. Das ist das Verwerfliche an der Position von FDP und CDU. Sie verlangen eine Steuerverschwendung auf hohem Niveau und jammern auch noch über die angebliche Unfähigkeit der Regierung!

[Beifall bei der PDS]

Es wird behauptet, es würden willige Investoren verschreckt. Dem steht gegenüber, dass es gar kein belastbares Angebot zur Übernahme von Tempelhof gibt. All den schönen Presseerklärungen lag niemals ein Konzept zur Übernahme der Betreiberfunktionen zu Grunde. Und auch das, was Sie zitiert haben, hat genau das ausgeschlossen. Zum Betreiben dieses Flughafens müsste nämlich eine behördliche Unternehmergenehmigung angestrebt werden. Es gibt diesbezüglich aber noch nicht einmal eine Anfrage, geschweige denn eine ernsthafte Absicht oder gar eine Kalkulation. Und, wie gesagt, eine Vervierfachung des Flugverkehrs an diesem Standort kommt aus stadtentwicklungspolitischen Erwägungen nicht in Frage.

Der Business-Plan und das Finanzierungskonzept werden in diesem Jahr vorgelegt werden. Für den Business-Plan wurden ebenfalls neue Prognosen der Verkehrsentwicklung, des Immobilienmarktes, der Einnahmeerwartung, der Wirtschaftlichkeit auf einer aktuellen Preisbasis und anderes mehr erarbeitet. Das sind alles Maßnahmen, um das Projekt BBI vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die positive Entwicklung des Flugwesens hat enorme Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung Berlins. Der Regierende Bürgermeister sprach davon. Es sei auch mir vergönnt, eine Zahl zu nennen.

Nach Angaben der Berlin Tourismus Marketing wenden Flugtouristen in Berlin, die hier mehrere Tage bleiben, pro Tag etwa 181 € einschließlich Übernachtung auf. Die zusätzliche Akquirierung von 2,3 Millionen Touristen pro Jahr, die die Low-Cost-Carrier jetzt anstreben, die jeweils geschätzt drei Tage bleiben, würden einen zusätzlichen Umsatz für Berlin von 1,3 Milliarden € erbringen. Das ist eine Entwicklung, die wir sehen. Wir werden diese Entwicklung nicht gefährden und im Übrigen die Anträge der FDP sowie den Antrag der Grünen, der etwas unqualifiziert war – er wurde auch im Ausschuss lange behandelt – ablehnen! Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Matuschek! – Für die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Cramer. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die große Debatte der Heuchler.

Die Konzentration auf einen Flughafen ist nicht nur wegen der Reduzierung der Lärm- und Schadstoffemissionen richtig und notwendig. Sie ist auch ein Gebot der finanziellen Vernunft. Im Geschäftsjahr 2003 schrieben, wie in den Jahren davor, 2 der 3 Flughäfen in Berlin tiefrote Zahlen. In Tempelhof stieg das Minus – Herr Regierender Bürgermeister, Sie haben es erwähnt – in einem

Jahr von 11 Millionen € auf 15,4 Millionen €. Deshalb wollen wir mit einem Single-Airport nicht nur große Teile der Bevölkerung vom Fluglärm befreien, sondern auch alle Berliner von einer schweren Finanzlast erlösen.

Seit 1991 verzeichnet Tempelhof einen Verlust von insgesamt 140 Millionen €. Wird weiter gewurschtelt wie bisher, kommen bis 2010 noch einmal 120 Millionen € hinzu. Wer wie CDU und FDP angesichts solcher Zahlen die Offenhaltung fordert, entpuppt sich als das größte Finanzrisiko Berlins seit dem Bankenskandal.

Wenn wir von der Schließung in Tegel und Tempelhof reden, dürfen wir aber nicht die Menschen in Schönefeld vergessen. Das sage ich auch an diejenigen, die im Süden wohnen, die zusätzlich belastet werden. Deshalb unterstützen wir Bundesumweltminister Jürgen Trittin in seinen Bemühungen, das Fluglärmgesetz im Interesse der Anwohner zu verbessern. Und da hoffe ich auf die Unterstützung auch der SPD, nicht nur hier, sondern auch im Deutschen Bundestag. Geben Sie die Blockade auf, das gilt auch für CDU und FDP. Die Anwohnerinnen und Anwohner haben einen Anspruch auf gesunde Nachtruhe, und das sollten wir ihnen auch an Flughäfen ermöglichen.

Wer sagt, aus wirtschaftlichen Erwägungen sei dies nicht möglich, dem sage ich: Was in Frankfurt am Main möglich ist, nämlich ein Nachtflugverbot auf dem größten deutschen Flughafen, das dürfen Sie in Schönefeld nicht verhindern.

Ich möchte Sie einmal daran erinnern, dass es ein Flugverkehrskonzept für die Region Berlin-Brandenburg gibt, das 1996 verabschiedet worden ist. Beteiligt waren die Bundesregierung und die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg. Unterschrieben haben diesen Konsensbeschluss für das Land Brandenburg der Ministerpräsident Stolpe sowie die Minister Platzeck und Dreher. Für Berlin unterschrieben Eberhard Diepgen, der Bausenator Klemann und der Wirtschaftssenator Pieroth. Für die Bundesregierung unterschrieben Herr Kohl als Bundeskanzler, Herr Wissmann als Verkehrsminister und Herr Rexrodt als Wirtschaftsminister. Wenn die alle blöde sein sollen, dann sagen Sie es! Damals ist jedoch der Beschluss gefasst worden. Man kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Günther Rexrodt hieß er. Vor 15 Jahren fiel die Berliner Mauer. Seitdem wird über das Flughafenkonzept Berlin und Brandenburg diskutiert. Ich kann mich noch gut an den Wahlkampf 1990 erinnern, als der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, in Reinickendorf verkündete, dass der neue Airport im Jahr 2000 betriebsbereit sei und Tegel und Tempelhof geschlossen würden. Seitdem ist viel Wasser die Spree hinuntergelaufen. Geändert hat sich bis heute – wir schreiben das Jahr 2004 – faktisch nichts.

Einiges hat sich aber doch geändert. Immerhin steht der Standort fest – das war eine lange Diskussion –, es wurde das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Das ist bei der Bürokratie in Berlin schon eine gewaltige Leistung. Jetzt steht es sogar kurz vor dem Abschluss. Grundlage dafür ist der

[Dr. Lindner (FDP): Nonsens-Beschluss!]

Konsensbeschluss. – Den Nonsens verantworten Sie – Warum haben Sie damals nicht Herrn Rexrodt gerügt? Warum ist Ihnen heute erst das Licht aufgegangen. Spätzünder können wir in der Politik nicht gebrauchen, Herr Lindner!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Wir, die Grünen, waren damals weder in der Landesregierung von Brandenburg noch von Berlin oder gar in der Bundesregierung. Trotzdem haben wir den Konsensbeschluss gestützt. Wir haben aber immer gesagt, dass die Vorstellung vom Großflughafen mit Drehkreuzfunktion ein Märchenschloss im märkischen Wald ist. Wir haben Recht behalten. Aber das Ziel haben wir immer unterstützt. Wir wollen den Single-Airport in Schönefeld und die schnellstmögliche Schließung von Tegel und Tempelhof.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei den Grünen]

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich habe zu wenig Zeit! – Bei der ganzen Diskussion über den Luftverkehr darf man die ökologische Dimension nicht aus den Augen verlieren. Die Schadstoffemissionen entstehen zu 80 % bei Starts und Landungen. Sie belasten insbesondere die Umgebung der Flughäfen. Über den Wolken werden sie in die Stratosphäre emittiert und zerstören dort die Ozonschicht, ein Garant für das Leben auf diesem Planeten. Diese Gefahren, so die neuesten Untersuchungen, sind viermal schlimmer als bisher angenommen. Auch deshalb darf der Flugverkehr nicht unermesslich wachsen. Er muss, so weit es geht, auf die Schiene verlagert und auf das Notwendige reduziert werden.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der SPD]

Von denen, die in Berlin und Brandenburg von gescheiterten Großprojekten noch immer nicht genug haben, wird immer wieder auf London verwiesen. Übersehen wird dabei jedoch, dass auf den fünf Londoner Airports jährlich 130 Millionen Fluggäste gezählt werden, in Berlin mit etwa 13 Millionen lediglich ein Zehntel. Wenn man Berlin wirklich mit London vergleichen will, dann reicht für die dünn besiedelte Region Berlin-Brandenburg gerade einmal ein halber Flughafen aus. Wir haben drei,

Natürlich geht mit dem Ende von Tempelhof eine lange und geschichtsträchtige Tradition zu Ende. Sie begann am 27. September 1909 mit der ersten Luftfahrt

ausstellung in Berlin, als der Franzose Hubert Latham den ersten deutschen Streckenflug von Tempelhof nach Johannisthal unternahm. Tempelhof war in den 20er Jahren Drehscheibe der europäischen Luftfahrt. 1948/49 war er der Flughafen der Luftbrücke, an deren Ende vor 55 Jahren wir gestern erinnerten.

Das Gebäude, von Sir Norman Foster zur „Mutter aller Flughäfen“ geadelt, steht unter Denkmalschutz. Die Nachnutzung als Park der Luftbrücke ist eine gelungene Planung. Sie zeichnet sich zum einen durch Geschichtsbewusstsein aus, indem die Start- und Landebahnen landschaftsarchitektonisch so gestaltet werden, dass sie auch in Zukunft erkennbar bleiben. Zum anderen zeugt diese Planung vom Verständnis modernster Umwelt- und Klimakenntnis – Sie, Herr Regierender Bürgermeister, wiesen darauf hin. Das Tempelhofer Feld ist nämlich eminent wichtig für das Klima in dieser Stadt. Hier findet der Luftaustausch statt, weshalb es auf keinen Fall bebaut werden darf.

Die Nachnutzung der frei werdenden Flächen am Rande ist noch nicht entschieden. Die 83 %, die davon dem Bund gehören, sollen zum Park werden, die 17 %, die dem Land gehören, sollen bebaut und kostenträchtig veräußert werden.

also die sechsfache Überkapazität. Diese auch noch zu finanzieren und dies als wirtschaftlich gebotene Vernunft zu bezeichnen, ist wirtschaftspolitischer Irrsinn, Herr Lindner.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Nach dem Scheitern der Privatisierung muss nun die öffentliche Hand den Flughafen bauen. Wir alle wissen: Der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg haben kein Geld. Wir wissen aber auch, dass die Flughafengebühr eine Lizenz zum Gelddrucken ist. Sie belastet diejenigen, die fliegen, also Verursacherprinzip im Luftverkehr. Deshalb ist sie nicht nur ökologisch geboten, sondern auch sozial gerecht.

[Frau Matuschek (PDS): Das ist doch nicht durchsetzbar!]

Sie sollte nicht leichtsinnig aus der Hand gegeben werden, und erst recht nicht zu Gunsten von Schulden.

Ganz wichtig ist auch die Bekämpfung von Korruption. Mir ist nicht nachvollziehbar, Herr Regierender Bürgermeister und auch Herr Müller, und erst recht nicht nach dem Tempodrom-Skandal, warum sich SPD und PDS eine aktive Antikorruptionspolitik nicht unterstützen wollen. Wir, die Grünen, wollen das jedenfalls! Und im Ausschuss haben Sie genau diese Passage unseres Antrags abgelehnt. Deshalb fordere ich Sie auf, die Empfehlung des Untersuchungsausschusses der 14. Wahlperiode „ Flughafen Schönefeld II“ zu befolgen. Diese lautet:

Der Ausschuss empfiehlt die Begleitung solcher Verfahren durch eine Antikorruptionsorganisation wie zum Beispiel Transparency International.

[RBm Wowereit: Ist schon längst in Arbeit!]

Das wollen wir, und wenn Sie unserer Meinung sind, dann sagen Sie es, aber schweigen Sie nicht dazu.

[Beifall bei den Grünen – RBm Wowereit: Das haben wir schon hundert Mal erklärt!]

Auch die Schienenanbindung muss überprüft werden. Die Völker hörten zwar die Signale von Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Platzeck aus Potsdam, wir wissen aber auch, dass der Standort Schönefeld nicht in das Eisenbahn-Pilzkonzept passt und der Bahnhof Schönefeld abgekoppelt werden soll. Deshalb sage ich: Entweder das Betriebskonzept der Bahn wird umgearbeitet oder aber das Ausbaukonzept. Unterirdische Geisterbahnhöfe ohne Züge, millionenschwer vom Steuerzahler bezahlt, können und wollen wir uns nicht leisten.

[Beifall bei den Grünen]