Auch haben Sie erlebt, dass sich diese FDP-Fraktion vor einigen Wochen ein Fraktionsfahrrad für die Fahrten in der Innenstadt zugelegt hat. Sie sehen, wir bringen viel Neues ein.
Nun jedoch im Ernst: Ich habe einmal den Spruch gelesen: Individualverkehr ist Egoismus auf Rädern. Das ist so, und das gilt für den Autoverkehr genauso wie für den Fahrradverkehr. Jemand wie ich kann das bestätigen. Ich bin nicht einseitig auf das Fahrrad angewiesen. Ich fahre sehr viel Fahrrad, ich fahre aber auch sehr viel Auto, und diesen Wechsel erlebe ich dann auch mit den Egoismen der Einzelnen immer wieder neu. Man verhält sich nämlich unterschiedlich je nachdem, mit welchem Gefährt man sich bewegt.
Jetzt komme ich zu dem Unterschied für uns Liberale – vielen Dank, Herr Gaebler, dass Sie unseren Antrag so gewürdigt haben: Für uns ist das Fahrrad ein Verkehrsgefährt mit einer bestimmten Eignung. Aber für Rot-RotGrün ist die Mobilitätswelt und das Fahrrad Teil eines sozialen Glaubensbekenntnisses. Das machen wir nicht mit. Das ist der Unterschied, und das sehen Sie auch in den Anträgen.
Die Große Anfrage und der Antrag der PDS-SPD auf Förderung des Fahrradverkehrs zeigen es nämlich, dass es nicht die Verkehrspolitik ist, die Sie in den Vordergrund stellen, sondern Sie stellen die Verkehrerziehung in den Vordergrund. Alle wollen Sie vereinnahmen: Wohnungsbauunternehmer, Haus- und Grundeigentümer, Sanierungsträger und wahrscheinlich alle Mieter, alle Initiativen und Initiativchen – kurzum: Keiner soll verschont werden. Wovor? – Vor Kampagnen, vor Aktionstagen, politischer Agitation und all diesem Klimbim.
Das Fahrrad wird in Ihren Anträgen zum Kampfmittel gegen einen altbekannten Gegner, den Autofahrer, der im Übrigen auch gelegentlich Radfahrer ist. Der Antrag von SPD und PDS sowie die Große Anfrage stellen das Fahrrad ganz klar und deutlich gegen den Autoverkehr. Es gibt undifferenzierte Forderungen nach Radstreifen und Fahrradstraßen, bauliche Anpassungs- und Begleitmaßnahmen und Ähnliches. Die Förderung des Fahrradverkehrs ist in Wahrheit eine Knebelung des Autoverkehrs. Seriöse Verkehrspolitik aus unserer Sicht bedeutet nicht die Bekämpfung eines Verkehrsmittels, sondern ein bedarfsgerechtes Miteinander. Das ist der gravierende Unterschied.
Zu den finanziellen Rahmenbedingungen: Da leiden die Motorisierten und Pedaltretenden gleichermaßen. Wir kennen den Zustand unserer Straßen, wir kennen auch den Zustand unserer Radwege: Ihre Träume von der schönen neuen Fahrradwelt entbehren jeglicher finanzieller Grundlage.
Berlin braucht aus unserer Sicht ein Fahrradkonzept, und dazu bedarf es einiger dringender Bausteine.
Zum Ersten ist ein schrittweise zu realisierendes Sicherheitsprogramm für den Fahrradverkehr nötig. Wir müssen die vielen bestehenden Unfallschwerpunkte beseitigen. Wir müssen die Schwachstellen im Netz herausfinden und beseitigen. Der SPD-PDS-Antrag hat da zugegebenermaßen einige tragfähige Vorschläge. Er hat aber auch Übertreibungen wie zum Beispiel die generelle Freigabe von Fahrradverkehr in Grünanlagen. Damit haben wir ein Problem, weil wir damit eine Gruppe von Leuten beeinträchtigen, die auch Schutzansprüche genießen, nämlich die Fußgänger. Solche Forderungen haben mit Sicherheit im Verkehr wenig zu tun. Radstreifen können sicher nützlich sein, ob sie aber überall sein müssen, ist die Frage.
Zudem – meine Vorredner haben es schon betont: Fahrradverkehr wird selbst zunehmend zur Gefahrenquelle im Straßenverkehr. Viele Radfahrer, und nicht nur Autofahrer, verhalten sich rücksichtslos und undiszipliniert und definieren selbst, welche Ampel sie benutzen und auf welche Weise sie Kreuzungen passieren. Sie ignorieren rote Ampeln. Sie ignorieren Fußgänger auf Fußwegen. Da helfen nur Verkehrskontrollen in stärkerem Maße, als sie zurzeit stattfinden.
Zweiter Baustein ist die Entwicklung eines tourismus- und damit wirtschaftsbezogenen Hauptroutennetzes. Kaum jemand fährt mit dem Fahrrad quer durch die Millionenstadt zur Arbeit.
Ausnahme ist vielleicht Herr Cramer. Da komme ich auf das, was Herr Gaebler bereits erwähnt hat: Die Homepage von Herrn Cramer weist aus, dass er 20 Jahre ohne Auto mobil ist. Heute Morgen im Inforadio haben Sie sogar von 25 Jahren gesprochen. Es ist jedenfalls klar, dass daraus eine gewisse Wirtschaftsferne in Ihrem Mobilitätsprofil entstanden ist.
Sie haben nämlich nicht den Unterschied mitbekommen, mit welchen anderen Hindernissen die Autofahrer zu kämpfen haben.
Sie kennen seit 25 Jahren nur den Blickwinkel des Radfahrers, und Ihnen fehlt damit der Blickwinkel des Autofahrers.
Wenn Sie sagen, dass Autofahren bei Ihnen hauptsächlich in Taxifahren besteht – wogen ich nichts habe –, muss ich die Feststellung treffen, dass Sie eine Methode entwickelt haben, immer am Stau vorbeizufahren. Ich weiß nicht, für wie viele Staus Sie zuständig sind, aber Sie haben offensichtlich die richtige Technik entwickelt, an ihnen vorbeizufahren.
Ich komme jetzt zum Ende. – Ich hoffe, dass Sie im Europäischen Parlament zum Realo werden. Kleine Ansätze dafür haben Sie heute Morgen im Interview gezeigt, als Sie sagten, Sie würden das Flugzeug nehmen, weil die Bahn acht Stunden unterwegs ist.
Deshalb ist Ihre Entscheidung gegen den Flughafen Tempelhof falsch gewesen. Ich glaube, dass Sie im Europäischen Parlament zum Realo werden und vielleicht lernen, dass die freie Wahl des Verkehrsmittels kein pädagogisches Problem ist, sondern das Recht des Einzelnen. – Vielen Dank!
Danke schön! – Jetzt kommen wir zu dem Highlight. Das Wort hat der gewählte Europaabgeordnete und das immer noch Mitglied unseres Abgeordnetenhauses, Herr Cramer. Bitte sehr, wir sind alle gespannt auf Ihre Rede, Sie haben es gemerkt. In mehreren Reden sind Sie schon angekündigt worden. Jetzt haben Sie das Wort – bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat, dies ist meine letzte Rede im Abgeordnetenhaus von Berlin, wobei der Blick natürlich zurück geht. Bereits in einer meiner ersten Reden ging es um Verbesserungen im öffentlichen Personennahverkehr. Die Große Anfrage war von SPD und AL eingebracht worden und wurde am 28. September 1989 mit einer Aktuellen Stunde verbunden. In dieser Debatte wurde zum Fahrradverkehr Folgendes ausgeführt:
Wenn ich die Verkehrmittel miteinander vergleiche, ist das Fahrrad unter ökologischen Gesichtspunkten in jeder Hinsicht an die erste Stelle zu setzen.... Der Fahrradverkehr wird ein wesentlich höheres Gewicht in einer zukunftsgerichteten Verkehrpolitik haben müssen als bisher. Das heißt natürlich auch, dass er nicht auf die kleinen Randstreifen am Bürgersteig beschränkt werden kann, sondern dass wir wirklich auch mit einem System von Fahrradstraßen quer durch diese Stadt dafür sorgen müssen, dass ein wesentlich größerer Prozentsatz von Bürgern als bisher Fahrten mit dem Fahrrad absolvieren kann. Ich will einmal so sagen: Jeder Fahrradfahrer, der unterwegs ist, erspart dieser Umwelt eine Menge an Belastungen.
Dieses Zitat stammt nicht – wie Sie vielleicht vermuten – von mir, sondern von meinem damaligen sozialdemokratischen Koalitionskollegen Joachim Niklas. Wie aktuell ist das auch nach 15 Jahren!
Die damalige rot-grüne Koalition hat unwiderrufliche Maßnahmen zur Förderung des Fahrradverkehrs durchgesetzt. Über 70 % aller Stadtstraßen wurden zu Tempo-30Straßen erklärt, die Bauordnung wurde fahrrad- und kinderwagenfreundlich verändert, ein Fahrradstraßennetz in Auftrag gegeben. Die lebensgefährlichen Gehwegradwege wurden bekämpft, am Südwestkorso – hören Sie gut zu, Herr Lüdeke – wurde der erste abmarkierte Fahrradstreifen auf der Fahrbahn in Berlin realisiert. Der Fahrradverkehr auf Busspuren wurde zugelassen, später wurde dies dann in die Straßenverkehrsordnung übernommen.
Seitdem ist viel passiert. Unter der großen Koalition zunächst einmal gar nichts. Da wurden auf Direktive des Regierenden Bürgermeisters Diepgen alle Maßnahmen zum Fahrradverkehr gestrichen, die haushaltswirksam waren. Man glaubte Besseres, vor allen Dingen Größeres tun zu müssen, wofür jede Mark gebraucht wurde. Fahrradverkehr – so Diepgen – sei nichts für die Großstadt. Punkt, fertig, Aus.
Umso mehr freut es mich, dass sich heute alle Fraktionen grundsätzlich positiv zum Fahrradverkehr bekennen, ja sogar die Autofahrerpartei FDP das Fahrrad entdeckt hat. Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren!
[Beifall bei den Grünen und der SPD – Beifall der Frau Abg. Simon (PDS) – Zuruf von der FDP: Hauptsache Verkehr!]
Nach zehnjährigem Tiefschlaf der großen Koalition ist Bewegung in die Fahrradpolitik gekommen. Nicht zuletzt auch durch die zugewanderten fahrradfreundlichen Bonner Ministerialbeamten und -beamtinnen. Es ist ein eigenständiger Fahrradhaushalt in Berlin ausgewiesen, der heute 5 Millionen € pro Jahr umfasst. Die Fahrradmitnahme ist in allen U-, S- und Straßenbahnen ohne Sperrzeiten möglich. Wir begrüßen den Versuch der BVG, diese Möglichkeit auch auf einzelne ausgewählte Nachtbuslinien auszudehnen. Wichtig in den vergangenen 15 Jahren ist auch – noch unter der Kohl-Regierung – die Novellierung der Straßenverkehrsordnung gewesen.
Unter anderem sind dabei die Radwegebenutzungspflicht erheblich eingeschränkt, das Befahren von Einbahnstraßen in Gegenrichtung erlaubt und Fahrradstraßen gesetzlich verankert worden.
Die Möglichkeiten dieser Novelle, die Berlin im Bundesrat übrigens abgelehnt hat, Herr Kaczmarek, wurden in Berlin nur unzureichend genutzt. Die rechtswidrige Praxis der Benutzungspflicht konnte erst durch zahlreiche Klagen gestoppt werden. Dem Rechtsanwalt Andreas Volkmann gebührt für sein Engagement der Dank der Fahrrad fahrenden Bevölkerung.
Kritisiert wird von uns aber Folgendes – und das, Frau Senatorin, können Sie auf dem Weg Ihres neuen Amtes mitnehmen –: Im STEP Verkehr ist festgelegt worden, den Fahrradverkehr im Haushalt bis zum Jahr 2015 mit fünf € pro Einwohner auszuweisen. Damit muss heute begonnen werden, sonst schaffen Sie es nicht. Warum die Benutzung der Rolltreppen für Fahrräder verboten ist – für Kinderwagen übrigens auch –, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Ändern Sie es bitte sofort.
Von 800 Einbahnstraßen dürfen nur 200 – das ist nur jede vierte – in Gegenrichtung befahren werden. Dieses Verhältnis muss mindestens umgekehrt werden, das gilt auch für baustellenbedingte Einbahnstraßen. Da tut sich überhaupt nichts. Das Schild „Radfahrer absteigen“ an Baustellen – Sie sehen es in der Stresemannstraße – ist rechtswidrig. Das gibt es überhaupt nicht. Es wird in Berlin aber immer noch angebracht. Fahrradstraßen gibt es nur eine einzige in Berlin, die Albrechtstraße in Marzahn. Die Nebenfahrbahn der Heerstraße als Fahrradstraße auszuweisen, ist vom rot-roten Senat abgelehnt worden. Ich weiß nicht, weshalb, aber das ist wirklich nicht akzeptabel. Fahrradstationen an Bahnhöfen, in denen man das Rad reparieren lassen, überwacht abstellen und ausleihen kann, erfreuen sich in allen holländischen Städten, in Basel, Münster und Freiburg sehr großer Beliebtheit. Am Lehrter Bahnhof und auch am Bahnhof Papestraße werden zwar millionenschwere Autostellplätze gebaut, der Bau von Fahrradstationen ist aber vergessen worden. Auch hier muss nachgebessert werden.
Frau Senatorin! Liebe Ingeborg! In der Tat haben wir beide am Reichenbach-Gymnasium das Abitur gemacht und in Ennepetal beziehungsweise Breckerfeld das Fahrradfahren gelernt. Kein Wunder, dass Ihre Antwort auf die Große Anfrage zum Fahrradverkehr so positiv gewesen ist. Meine Nachfolgerin als verkehrspolitische Sprecherin, Claudia Hämmerling, wird Sie kritisch-solidarisch beobachten, ob und wie aus Ihren Worten Taten folgen. Ich wünsche uns allen dafür viel Erfolg.
Positiv entwickelt hat sich in Berlin der FahrradTourismus. Beim Senat sind die Untersuchungen bekannt, dass der Tourist, der mit dem Fahrrad unterwegs ist, mehr Geld ausgibt als andere. Wer den ganzen Tag gestrampelt ist, schaut abends nicht auf das Portemonnaie. Deshalb fördert der Wirtschaftssenator mit GA-Mitteln des Bundes und der EU auch die Velorouten Berlin-Kopenhagen, Berlin-Usedom und Wannsee-Erkner als Bestandteil des europäischen Radwanderwegs Calais-Warschau.
Der von mir angeregte Berliner Mauerweg erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Er zieht Fahrrad-Touristen aus aller Welt an. Die Berlin Tourismus Marketing GmbH wirbt dafür mit dem Flyer „Ausflug ins Stadtgedächtnis“ – mit großem Erfolg.
Positiv sind auch die Anstrengungen für den Radweg entlang von Spree und Havel. Leider spielt hier die Stiftung Schlösser und Gärten verrückt, anders kann ich es nicht ausdrücken. Es war möglich, den Spreeweg am Deutschen Bundestag, am Bundeskanzleramt und am Bundespräsidialamt vorbei zu führen. Aus dem Schlosspark Charlottenburg soll der Fahrradverkehr verbannt und über Hauptstraßen mit zweimaligem Treppensteigen umgeleitet werden. Das Abgeordnetenhaus hat sich im Verkehrsausschuss einstimmig für den attraktiven Fahrradverkehr auch im Schlosspark Charlottenburg ausgesprochen. Es ist an der Zeit, dass der Senat, insbesondere der Kultursenator – der gerade kommt – das durchsetzt.
Liebe Jutta Matuschek! Mit dem Ampelmännchen aus der DDR habe ich trotz meiner DDR-kritischen Grundposition keine Probleme. Insbesondere das in großen Schritten dynamisch voranschreitende Ampelmännchen gefällt mir sehr. Ich werde auch in Europa dafür werben, nicht zuletzt deshalb, weil das rote Ampelmännchen Stillstand bedeutet und mir die Farbe Grün unheimlich gut gefällt.