Protokoll der Sitzung vom 09.09.2004

[Beifall bei der PDS – Zurufe der Abgn. Ratzmann (Grüne) und Frau Senftleben (FDP)]

[Zurufe von den Grünen]

Ich habe im Übrigen sehr viele Dokumente gelesen, und zwar im Wortlaut – das, was tatsächlich in den EUVerfügungen steht, was auch der EuGH gesagt hat. Es ist ganz klipp und klar, einen Ausschreibungszwang, wie Sie ihn uns seit Jahren vortragen, gibt es nicht.

[Zurufe der Abgn. Ratzmann (Grüne) und Frau Senftleben (FDP)]

Im Gegenteil! Die EU hat ganz klar gesagt, dass es

[Dr. Lindner (FDP): Monopole geben soll!]

Wettbewerb auch beim ÖPNV geben soll. Dieser Wettbewerb ist EU-rechtskonform durch Ausschreibungen möglich, aber genauso EU-rechtskonform durch eine marktorientierte Direktvergabe.

[Beifall bei der SPD – Gelächter bei den Grünen und der FDP]

Und diese marktorientierte Direktvergabe ist im Übrigen – auch das steht dort – für die Kommunen gerade in Fällen, wenn es sich um ein Verkehrsnetz handelt, wenn es sich um einen Verkehrskomplex handelt, der eine große Struktur hat, der im Übrigen eine Taktverknüpfung hat, der ein integriertes Netz verschiedener Verkehrsträger beinhaltet, dass in diesem Fall die Direktvergabe das kostengünstigere Wettbewerbsinstrument ist. Denn ein Ausschreibungsverfahren ist immer teuer. Ein Ausschreibungsverfahren ist sehr teuer. Es ist ein juristisches Verfahren, das sehr viel Bürokratie verlangt. Die marktorientierte Direktvergabe ist der Weg, den die EU vorschlägt, um überflüssige oder nicht vorhandene Bürokratie gar nicht erst aufbauen zu müssen.

[Gelächter bei der FDP – Zurufe von der FDP]

Die EU sagt ganz klar, die marktorientierte Direktvergabe soll sich darauf richten, dass ein durchschnittlich gut geführtes Unternehmen als Vergleichsmaßstab herhält.

[Dr. Lindner (FDP): Das ist so dreist, ein Monopol wegen angeblicher Bürokratie- freundlichkeit zu zementieren!]

und was es letztlich brächte. Sie verursachen Kosten, die mit den Mitteln abgedeckt werden müssten, die wir in den öffentlichen Verkehr, in die Verkehrsleistung stecken wollen und nicht in den Aufbau überflüssiger Bürokratie.

Dann sagen Sie: Es soll aber auf keinen Fall zu Fahrpreiserhöhungen kommen. – Das widerspricht Ihrem Anspruch, den Vergleich zu gut geführten Unternehmen heranzuziehen. Da muss man über die Erlössituation in den verschiedenen Unternehmen nachdenken. Da kann ich nur sagen: Dann gute Nacht, Marie! – Das sollen Sie mir einmal erklären, wie Sie das ohne Fahrpreiserhöhungen oder Angebotsreduzierungen machen, ein Einnahmeniveau wie z. B. in Frankfurt zu erreichen.

Zum Sozialticket möchte ich noch einiges sagen: Das mit dem Sozialticket finde ich nun wirklich schon perfide. Da wird ein Modell in die Welt gesetzt, den Betroffenen aber nur die halbe Wahrheit mitgeteilt. Bei den Grünen darf ein Sozialticket 20 € kosten, aber in ähnlicher Weise wie das Semesterticket, also als Zwangsticket für alle sozial Schwachen. Erst wenn das nicht reicht, soll die öffentliche Hand etwas zugeben. – Das finde ich perfide, dass man ausgerechnet den sozial Schwachen sagt: Ihr müsst es nehmen auf Teufel komm raus, ob ihr es wollt oder braucht, spielt keine Rolle. – Aber die öffentliche Hand, die nach dem EU-Recht, wie Sie es verstehen, gar keine Zuschüsse geben darf, soll das dann in voller Summe deckeln, sie soll das finanzieren. Sie behaupten, ein Modell ohne die Finanzierung darzulegen, die im Landeshaushalt abgedeckt werden soll, ohne zu sagen, dass genau das dem EU-Rechtsrahmen widerspricht, was Sie verlangen.

Die EU sagt nicht, was ein gut geführtes durchschnittliches Verkehrsunternehmen ist.

[Gelächter bei den Grünen]

Die EU sagt nicht, welcher Kostenvergleich heranzuziehen ist. Die EU sagt nicht, welches Benchmarkingverfahren Grundlage ist. Und sie sagt auch nicht, dass ein Qualitätsverfahren ein wettbewerbsfeindliches sei. Das sagt die EU alles nicht. Das ist aber der Handlungsspielraum, den wir in der Kommune, im Land Berlin haben und auszunutzen gewillt sind.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Zu der Konzeption, das die Grünen vorlegen: Als Erstes wollen Sie die Planungskompetenz aus der BVG herausbrechen. Das sagt sich so schnell dahin. Das stelle ich mir lustig vor, wenn am Reißbrett geplant wird und nicht, wie es jetzt üblich und möglich ist, dass man schnell im kurzen Dienstweg nachfragt: Kann der Bus da eigentlich um die Ecke fahren, wie es der Planer am Reißbrett denkt? Oder ist da vielleicht eine Weiche vorhanden, die man brauchte, oder nicht? – Das sind Schnittstellen, die zerrissen werden, wenn man die Planungskompetenz aus einem integrierten Verkehrsunternehmen herausbricht.

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

Das hat nichts mehr mit Zukunft des Nahverkehrs zu tun.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Das Zweite, was Sie vorschlagen, ist das Herausbrechen der Infrastruktur, sinnigerweise in eine Anstalt öffentlichen Rechts. Wir haben eine Anstalt öffentlichen Rechts für Erhaltung, Ausbau und Pflege der kommunalen Infrastruktur im Nahverkehr. Das ist die BVG. Aus der einen Anstalt öffentlichen Rechts die Infrastruktur herausbrechen und eine neue Anstalt gründen und die Infrastruktur hineinsetzen – da soll mir jemand sagen, wo der Effizienzgewinn ist und woher die Zukunftsvision kommt.

[Zurufe von den Grünen]

Das hat nichts mit der Zukunft des Nahverkehrs zu tun.

[Beifall bei der PDS – Brauer (PDS): Genau!]

Das Dritte, was Sie vorschlagen, ist die Sache mit dem Spartentarif. Dazu hat Herr Gaebler schon einiges gesagt. Da halte ich mich jetzt kurz.

Dann kommen Sie zu der Dissenslösung. Das sei dann die Rechtsformumwandlung. Das widerspricht Ihrem selbst gesteckten Anspruch, Kosten für die öffentliche Hand zu minimieren. Bei Ihrer Konzeption ist auffällig, dass Sie an keiner Stelle eine Kostenübersicht aufstellen, was das vorgeschlagene Verfahren mit Aufbau neuer Unternehmen der öffentlichen Hand, Aufbau nicht vorhandener Kompetenz bei der öffentlichen Hand und Schaffung neuer Schnittstellen für Kosten verursacht

[Zuruf der Frau Abg. Jantzen (Grüne)]

[Brauer (PDS): So sind die Grünen nun mal!]

[Zurufe von den Grünen]

Es tut mir Leid, dass ich jetzt nicht mehr die Zeit habe, um über den Sanierungsstand der BVG im Einzelnen zu sprechen. Das machen wir demnächst im Ausschuss. Aber ich will noch einen letzten Satz sagen: Das Land Berlin wird sich seiner Aufgabe stellen.

[Frau Senftleben (FDP): Und was, wenn nicht?]

Das Land Berlin wird die Option einer marktorientierten Direktvergabe mit der BVG genauestens prüfen und ins Auge fassen. Und das Land Berlin wird im Gegensatz zu allen anderen hier sagen müssen – das werden wir auch tun –: Welchen Nahverkehr wollen wir haben? – Welche Bedienungs- und Qualitätsstandards, das werden wir im Nahverkehrsplan festlegen. Und wir werden sagen, wie viel Geld aus den öffentlichen Haushalten wir in den öffentlichen Nahverkehr stecken wollen.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Um diese Frage haben Sie sich – von den Grünen bis zur FDP – herumgemogelt. Das ist die Aufgabe, die hier besteht. Sonst redet man dummes Zeug. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Das Thema wird ausgeblendet, weil es die Staatswirtschaft in Berlin berührt. Das ist der Grund. Es wird ausgeblendet, weil es das Kartell aus Gewerkschaften, Personalvertretungen und parteipolitischen Interessenfilz im Kern berührt, deshalb wird dieses Thema hier verschwiegen und nicht diskutiert.

Die Reformen müssen aus unserer Sicht bei zwei Punkten einsetzen, nämlich beim Unternehmen BVG und dann bei Organisation und Betrieb des ÖPNV. Wir haben diverse Anträge gestellt, zuletzt in der Plenarsitzung am 13. Mai zum Thema der Betriebs- und Angebotsreform. Die haben Sie alle weggewischt, wie Sie das immer so machen.

Danke schön! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter von Lüdeke das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Rede von Frau Matuschek frage ich mich die ganze Zeit: Was hatte Herr Gaebler eigentlich in seinem Kännchen? Hier sind Reden gehalten worden, dass man sich fragt, ob einige Leute an dem Kännchen genippt haben.

[Heiterkeit]

Wir sollten doch hier über die Haushaltslage Berlins und die durchgreifende Reform reden, die wir im öffentlichen Personennahverkehr durchführen müssen, damit wir dieser katastrophalen Haushaltslage Rechnung tragen. Ich komme noch einmal auf das Kännchen: Wir haben gestern alle die 75 Jahre BVG gefeiert. Ich habe mich übrigens gewundert, dass der Wirtschaftssenator nicht da war,

[Zuruf von Bm Wolf]

denn er hat die Hälfte seines Etats für die BVG aufzuwenden, insofern hat er den größten Grund, da einmal durchzugreifen.

[Doering (PDS): Sie haben ja Vorstellungen!]

Aber ich will nicht verschweigen, dass Frau Junge-Reyer und Frau Knake-Werner da waren.

75 Jahre BVG, das waren 75 Jahre Nostalgie. Es gab einen Film, der mit Ernst Reuter 1929 begann und die Verdienste der BVG hervorhob. Ich möchte sie nicht schmälern. Die BVG hat bei entscheidenden Situationen in der Stadt viel dazu beigetragen, dass Probleme gelöst wurden. Das ist nicht die Frage. Aber worüber wir heute reden, ist etwas ganz anderes, nämlich über den Sanierungsfall BVG. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die BVG jährlich eine halbe Milliarde € Zuschuss bekommt und über eine Milliarde € Schulden angehäuft hat. Und dann tun wir hier so, als wäre das hier gar nichts und wir könnten das alles so lassen. Und dann strickt man einmal ein bisschen da und dann ein bisschen dort, dann regele sich das alles von selbst – das kann wohl nicht sein. – Ich komme gleich zu den Grünen. –

[Pewestorff (PDS): Kommen Sie doch einmal zur FDP!]

Wird die überfällige Reform des ÖPNV weiter verschleppt, kommt der Berliner ÖPNV und damit die Mobilität demnächst buchstäblich unter die Räder. Damit müssen wir rechnen, denn das ist nicht mehr finanzierbar.