Protokoll der Sitzung vom 18.08.2005

Berlin muss investieren statt konsumieren.

Der öffentliche Haushalt ist in einer bemerkenswerten Schieflage. Während viele kleine Spielwiesen wie das

Stadtforum oder die Architekturwerkstatt trotz extremer Haushaltsnotlage finanziert werden,

[Liebich (Linkspartei.PDS): Damit sanieren Sie den Haushalt jedes Jahr!]

kürzt der Senat bei den Investitionen. Diese Entwicklung, sehr geehrter Herr Liebich, muss wieder umgekehrt werden. Das wird Ihnen auch Herr Lafontaine sagen. Dort, wo Geld eingesetzt wird, müssen wieder reale Gegenwerte geschaffen werden. Statt Gesprächskreise über das Bauen zu finanziere, muss wieder gebaut werden. Der Haushalt braucht mehr Investitionen und weniger konsumtive Ausgaben.

Was dieser Haushalt und dieses Land auch brauchen, ist fairer Wettbewerb für den Mittelstand statt Mauschelei. Die Berliner Verwaltung – wir haben es an vielen Beispielen in den letzten Monaten erfahren müssen – vergibt Aufträge am Vergaberecht vorbei. Damit werden oft nicht nur zu hohe Preise bezahlt, sondern auch der Wettbewerb ruiniert. Wenn immer die gleichen Firmen beauftragt werden, ohne dass Konkurrenten die Möglichkeit erhalten, ihre Leistung anzubieten, fehlt der Anreiz, sich zu verbessern. Das geht letztlich auch zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Wirtschaft. Außerdem werden Firmen erpressbar, wenn es um das Bezahlen der Rechnung geht. Deshalb muss das Vergaberecht durch den Senat endlich wieder ordnungsgemäß beachtet werden. Offene Rechnungen müssen auch von der Verwaltung schnell bezahlt werden.

Die bauliche Infrastruktur muss unterhalten statt verschlissen werden. Für eine Metropole wie Berlin ist die Infrastruktur ein wesentlicher Standortfaktor. Das gilt für die Verkehrsinfrastruktur wie Flughäfen, Bahnstrecken oder Straßen ebenso wie für die Bildungs- oder Kultureinrichtungen. Wegen der Haushaltsmisere verfällt diese Infrastruktur immer mehr. Unsere Schulen verkommen, die Hörsäle der Universitäten platzen aus allen Nähten und kaum eine Straße ist ohne tiefe Schlaglöcher. Das Beispiel DDR hat gezeigt, dass man nicht auf Verschleiß fahren sollte, weil die Reparatur letztlich immer teurer wird. Man sollte die Potentiale rechtzeitig pflegen. Liebe Frau Spranger, die weiße Salbe von vermeintlichen Mindeststandards und Minisonderprogrammen können eine auskömmliche Finanzierung der Bezirke in keinem Fall ersetzen.

[Beifall bei der CDU]

Wir müssen den Bürgersinn fördern, statt die Bürger zu bevormunden. Berlin hat kein Geld, um in Schulen zu investieren. Das Betreuungsangebot öffentlicher Kindertagesstätten wird immer schlechter. Hingegen gibt es gemeinnützige Träger, die auch Schulen oder Kindertagesstätten betreiben können und wollen. Diesen werden jedoch große Hürden in den Weg gestellt: Zuschüsse werden gekürzt, die Übertragung von Kindertagesstätten findet nur schleppend statt. Berlin könnte viel Geld sparen, wenn das Engagement seiner Bürger endlich genutzt werden würde. Mehr private und gemeinnützige Schulen und Kitas braucht dieses Land.

Wir brauchen mehr Bürgernähe statt zentralistischer Wasserköpfe. Frau Spranger, Sie haben ja schreckliche Angst vor diesem Vorschlag gehabt und gefragt, ob wir das politisch durchhalten.

[Zuruf der Frau Abg. Spranger (SPD)]

Selbstverständlich halten wir das politisch durch, und Sie wären gut beraten, diesen Vorschlag aufzugreifen. Wir wollen die Wasserköpfe in den Verwaltungen abbauen und die Beamten da einsetzen, wo sie tatsächlich nötig sind. Wir brauchen die öffentlich Bediensteten dort, wo der Bürger wartet, und nicht dort, wo der Senator sitzt.

[Beifall bei der CDU]

Wir müssen den Stellenkegel wieder vom Kopf auf die Füße stellen, und das sollte eine gemeinsame Aufgabe sein.

Wir brauchen ein sauberes und transparentes Finanzgebaren. Herr Senator Sarrazin ist leider ein Freund der Schattenhaushalte. Rechtswidrig am Parlament vorbei hat er die Kapitalzuführung an die IBB durchgeführt. In der Begründung zu diesem Verfahren versteigt er sich zu der Behauptung, für rechtlich festgelegte Zahlungen brauche man keine Veranschlagung im Haushalt. – Herr Sarrazin! Das ist eine ganz neue Interpretation. Dazu kann ich nur sagen: Na prima! Wenn der Senat das so sieht und auf der anderen Seite behauptet, alle Ausgaben in diesem Haushalt seien rechtlich zwingend – das behaupten Sie ja –, dann können wir in Zukunft auf einen Haushalt gänzlich verzichten. Wir beschließen dann nur noch einen Saldo. Wahrscheinlich ist Ihnen das auch am liebsten.

[Heiterkeit]

Der Rechnungshof hat auf der anderen Seite dem Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen bescheinigt, dass er 15 Millionen € rechtswidrig an die Messe Berlin ausgezahlt hat. Und nun kommt Herrn Sarrazins neuester Streich: Er versucht nunmehr, 2 Milliarden € an zusätzlicher Netto-Kreditaufnahme am Haushalt vorbeizuleiten, damit seine Gesamtbilanz etwas fröhlicher aussieht.

[Zuruf von der CDU: Pfui!]

Gestern war die Mehrheit im Hauptausschuss nicht bereit, eine rechtliche Prüfung dieses zweifelhaften Verfahrens zu beschließen. Damit haben Sie eine Chance für Transparenz und Klarheit vertan.

Transparenz und Klarheit scheuen Sie. Das ist beileibe kein Feinschmeckerthema, sondern eine Frage des Selbstverständnisses dieses Parlaments. Nehmen Sie, liebe Kollegen von der Koalition, das vornehmste Recht des Parlaments, das Budgetrecht, wirklich wahr, oder lassen Sie sich vom Senat an der Nase herumführen?

Schuldenmachen ist unsozial. Defizite belasten zukünftige Generationen, und Zinsausgaben fressen die politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Deshalb bleibt die Haushaltskonsolidierung Hauptaufgabe der Landespolitik. Dieser Aufgabe hat sich der Senat mit diesem Haushalts

entwurf nicht ernsthaft gestellt. Die Kraft des rot-roten Senats ist erschöpft und reicht nur noch zu Fortschreibungen, die von Herrn Sarrazin mit der Behauptung übertüncht werden, man hätte eben schon alles Wesentliche beschlossen. Von wegen! Die Schuldenlawine wächst stündlich, und Sie feiern einen Phantomüberschuss für das Jahr 2007. Ein Trost bleibt jedenfalls: Senate lassen sich durch Wahlen verändern und Haushalte durch Nachtragshaushalte. Wir freuen uns schon auf den Herbst 2006. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Die Restzeit beträgt 7 Minuten. – Für die Fraktion Linkspartei hat jetzt der Abgeordnete Liebich das Wort. – Bitte schön!

[Frau Dott (Linkspartei.PDS): „PDS“ hat sie nicht gesagt!]

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vom Senat zur Debatte vorgelegte Entwurf eines Doppelhaushalts 2006/2007 hat eine Aussage, die sich durch alle Einzelpläne zieht: Wir halten Kurs. – Wir werden unsere Arbeit erledigen. Wir machen das kompetent und kommen dabei gut voran. Wir werden die Ausgaben an den Einnahmen orientieren, und wir werden bis zum Jahr 2007 das Primärdefizit abgebaut haben. Das sichert die Chance auf einen Erfolg beim Bundesverfassungsgericht und damit auf eine Teilentschuldung des Landes Berlin. Das ist die zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt und haben übrigens auch vor, die fünf Jahre Arbeit, die uns die Wähler und Wählerinnen aufgetragen haben, zu Ende zu bringen, ehe wir uns erneut dem Votum stellen. Wir haben nicht vor, nun zu kneifen, ein Abkürzung zu nehmen oder – noch schlimmer – von Bord zu gehen, weil der Gegenwind so heftig bläst. Das ist mit Rot-Rot in Berlin nicht zu machen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Schruoffeneger (Grüne): Dafür habt ihr Gysi – das reicht!]

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen! Wir haben vor schwierigen Entscheidungen nicht die Segel gekappt. Wir haben Berlin reformiert, wie es keine andere Regierung zuvor gewagt hat, und dieser Haushaltsentwurf macht deutlich, dass wir genau diesen Weg auch weiter gehen werden.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Frau Klotz hat gefragt, welche Unterschiede es zwischen Landespolitik und Bundespolitik, zwischen Rot-Rot und Rot-Grün gibt, und deshalb möchte ich darauf auch Bezug nehmen: Wir setzen Prioritäten. Trotz Haushaltskonsolidierung werden wir die Schwachen in dieser Stadt auch weiterhin schonen und dafür sorgen, dass starke Schultern mehr tragen müssen. Denn genau deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen,

wurden in Berlin die Kitagebühren nicht – wie Sie immer behaupten – allgemein um 43 % erhöht, sondern differenziert. Sie wissen genau – das können Sie auch dazu sagen, und das ist ein tatsächlicher Unterschied zu Ihrer Politik auf der Bundesebene –, dass 50 % der Eltern, nämlich die einkommensschwachen Eltern, von höheren Gebühren ausgenommen wurden. Das ist eine richtige Entscheidung in einer Stadt wie Berlin mit dieser Sozialstruktur.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Niedergesäß (CDU): Unerhört, was Sie da sagen!]

Dass die CDU es unerhört findet, wenn die Schwächeren von Belastungen ausgenommen werden, ist nur konsequent bei ihrer Politik. Wir machen das aber anders.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Wir glauben nicht, dass alle BVG- und S-Bahntickets schon allein deshalb Sozialtickets sind, weil wir BVG und S-Bahn hoch subventionieren, und wir finden auch nicht, dass Empfänger des Arbeitslosengeldes II und andere arme Menschen in der Stadt besser zu Fuß gehen sollten. Deshalb gibt es im Haushaltsnotlageland ein Sozialticket, obwohl das in einem Land wie Berlin sehr schwer zu machen ist. Das gibt es in anderen Bundesländern so auch nicht – ein Sozialticket, das das Fahren zum halben Umweltkartenpreis ermöglicht. Und weil Kultur und Bildung nicht an den sozialen Status gebunden sein sollen, sind wir gegen Studiengebühren und dafür, dass man mit 3 € an Kunst und Kultur teilhaben kann, wenn man nicht so zahlungskräftig ist.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Es kommt in schwierigen Zeiten nicht darauf an, dass es bei allen gleichermaßen quietscht, sondern darauf, dass die Starken mehr tragen als die Schwachen. Gerechtigkeit und Solidarität – dafür steht Berlin, und dafür stehen auch wir!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Ich möchte nun etwas zum Rahmen dieses Haushalts sagen. Die Senatorinnen und Senatoren von SPD und Linkspartei.PDS hatten bei seiner Aufstellung – um im maritimen Bild zu bleiben – mächtig gegen die Strömung zu rudern. Denn wer bei der Beratung dieses Hauses am 16. Juni unserem Finanzsenator Thilo Sarrazin aufmerksam zugehört hat, dem dürfte folgender Satz noch in den Ohren klingen. Ich zitiere ihn:

Wir haben relativ zu unserer Wirtschaftsleistung weniger Steuereinnahmen, als wir sie in der Geschichte der Bundesrepublik jemals hatten.

Insbesondere denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die Parteien angehören, die die Ursache für diese Entwicklung auf der Bundesebene beschlossen haben, dürften solche Worte schmerzen. Rot-Grün – immer mit Unterstützung von Schwarz-Gelb, Herr Kaczmarek – hat in den letzten fünf Jahren die Einkommen- und Unternehmensteuern gesenkt wie nie zuvor. Das hat natürlich Konsequenzen.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]

Kaczmarek

Im Doppelhaushalt 2006/2007 – – Da schreien Sie bei den Grünen. Das verstehe ich.

[Eßer (Grüne): Ihr seid solche Spinner!]

Schreien Sie! – Die Vermögensteuer, die Sie bei den Grünen immer wieder gefordert haben, gibt es bis heute nicht. Sie haben zu Steuersenkungen beigetragen, und das hat Konsequenzen in diesem Landeshaushalt, und das müssen Sie sich hier auch anhören.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Im Doppelhaushalt 2006/2007 fehlen gegenüber der Finanzplanung 2003 bis 2007 900 Millionen € pro Jahr. Angesichts eines Haushalts von 20 Milliarden € ist 1 Milliarde € eine Menge Geld.

[Zuruf des Abg. Eßer (Grüne)]