Protokoll der Sitzung vom 18.08.2005

dann noch weitere Einsparungen bis zum Jahr 2019. Das sind Dinge, die man durchhalten muss.

Ein anderes Beispiel ist das Personal. Herr Lindner, das eine ist, dass man sagen kann, ich könnte mir theoretisch eine Landesverwaltung vorstellen, die statt mit 140 000 nur mit 80 000 auskommt. Ich kann mir das, ge

Sen Dr. Sarrazin

nauso wie Sie, auch vorstellen – theoretisch. Sie wird eines Tages auch kommen. Nur was die konkreten Ausgabeeinsparungen angeht, sind wir in einer Welt, die beherrscht ist von Beamten und dem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, was ich als Tatsache zur Kenntnis nehme, darauf angewiesen, dass wir nur in dem Umfang tatsächlich Personalausgaben einsparen können, in dem Personal ausscheidet und nicht ersetzt wird.

In diesem Punkt hat der Senat eine beispiellos rigide Politik betrieben. Es sind im Durchschnitt der letzten Jahren pro Jahr 3 500 bis 4 000 Arbeitnehmer ausgeschieden. Wir haben durchschnittlich nur 700 bis 1 000 eingestellt. Erfolg: 12 000 Vollzeitarbeitsplätze wurden eingespart, und zwar in der Ist-Beschäftigung in den vergangenen vier Jahren 2001 bis 2005. Genau dieselbe Einsparrate legen wir auch für die nächsten vier Jahre zugrunde. Die Einstellungen, die wir unterstellen, sind im Senat abgestimmt bis zum Jahr 2009. Sie bedeuten, wenn der Rest in Abgang gestellt wird, dass wir auch in den nächsten vier Jahren 12 000 Mitarbeiter einsparen. Der Umstand, dass man dies nicht so in den Zahlen sieht, Herr Lindner, hat einen Grund: Wir veranschlagen vorsichtig. Wir gehen von einem Lohndrift, von sehr maßvollen Tarifsteigerungen aus. Wir legen nicht alle Reserven offen, weil man nie weiß, was kommt. Deshalb ist die Ist-Zahl der vergangen vier Jahre besser – es kamen andere Dinge hinzu, z. B. der Solidarpakt – als die Soll-Zahlen der nächsten vier Jahre.

Außer dass Sie fordern, wir stellen keinen einzigen Lehrer mehr als Ersatz für ausscheidende Lehrer ein und wir stellen keinen einzigen Polizisten mehr ein und keinen einzigen Staatsanwalt – damit könnte ich noch am ehesten leben – und keinen Richter mehr – das werden Sie nicht im Ernst fordern –, kann nicht mehr Personal eingespart werden, als diesem Haushalt zu Grunde liegt. Das geht physisch und rechtlich nicht, es sei denn, Sie streuen Rattengift auf den Gängen. Aber das wollen Sie wohl nicht.

[Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS]

Es geht einfach nicht. Damit sollte, Herr Lindner, auch endlich einmal mit der Behauptung Schluss sein, Sie hätten das große Geheimnis, mit dem man noch mehr Personal einsparen kann, als wir es jetzt bereits tun.

In einem Punkt gebe ich Ihnen Recht: Es muss durch Verwaltungsreformansätze untermauert werden, was wir auch in wachsendem Umfang tun.

[Dr. Lindner (FDP): Nein!]

Dazu werden wir demnächst auch berichten. Es ist beachtlich, was wir mittlerweile angestoßen haben. Aber ich gebe auch zu: Die Notwendigkeit, dies zu tun, wird sich noch verstärken.

Aber Anschlussförderung und Personalabbau waren nicht alles. Wir haben einen gewaltigen Fortschritt bei der Begrenzung der Transferausgaben erzielt, nicht nur durch Hartz IV. Bei den Hilfen zur Erziehung, der übrigen Sozialhilfe und den Kitas ist es uns gelungen, vergangene

Ausgabentrends abzubremsen, und zwar ohne dass wir die Bezirke weiter im Übermaß belastet hätten. Wir haben wirklich bei den Transferausgaben aus einem ungebremsten Anstieg eine Trendwende in einen jetzt maßvollen Anstieg hinbekommen. Wir haben bei unseren Landesbeteiligungen gewaltige Sanierungserfolge. Wir hatten noch im Jahr 2002 von allen Unternehmen mit Landesbeteiligung zusammengerechnet 1,4 Milliarden € Verluste. Im letzten Jahr lag die vergleichbare Zahl bei 200 Millionen €. Sie wird in diesem Jahr bei Null liegen, und im nächsten Jahr werden wir einen Überschuss haben.

Übrigens: Die BVG, Frau Klotz, ist immer noch ein Haushaltsrisiko, aber das wir werden an anderer Stelle noch einmal vorrechnen.

[Zuruf von Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Mit diesem Tarifabschluss, den ich ausdrücklich mitverhandelt habe und den ich auch vollinhaltlich als Kompromiss mit trage, haben wir einen beachtlichen Kostenblock auf Dauer beseitigt, und das lässt die BVG-Perspektiven mittelfristig in einem anderen Licht erscheinen.

[Eßer (Grüne): Das dauert doch viel zu lange!]

Das werden wir im Unterausschuss „Beteiligungen“ erörtern, und dann können wir das gern im Einzelnen darstellen. In der Summe aber bitte ich zur Kenntnis zu nehmen: 1,4 Milliarden € Verluste bei den Landesbeteiligungen im Jahr 2002. und im nächsten Jahr werden wir keine mehr haben. Auch das in drei Jahren –

[Beifall des Abg. Liebich (Linkspartei.PDS)]

eine gewaltige Trendwende! Es ist nicht so, dass der Staat im Prinzip nicht gut wirtschaftet, sondern Menschen wirtschaften schlecht. Das muss man immer sehen. Vielleicht wirtschaften sie eher beim Staat schlecht als woanders, Herr Liebich – wenn Sie schon klatschen! Es gibt keinen systembedingten Zusammenhang, dass Unternehmen in privatem Eigentum automatisch gut laufen und staatliche Unternehmen automatisch schlecht.

[Dr. Lindner (FDP): Doch!]

Wir beweisen, dass wir das auch beim Staat können,

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

auch wenn ich mich persönlich gern von der einen oder anderen Beteiligung trennen würde.

Aber damit man sich gut trennen kann, muss sie schwarze Zahlen schreiben, und da sind wir dabei. Wir haben durch das neu eingeführte Facility-Management in der Hauptverwaltung bereits jetzt pro Jahr 15 Millionen € eingespart. Langfristig werden es 100 Millionen € jährlich sein, die wir dadurch einsparen. Wir sparen dies, obwohl wir die Infrastruktur in diesen Beständen besser erhalten als in der Vergangenheit, bei unveränderten Ausgaben für den Bauunterhalt.

Ich könnte diese Liste fortsetzen. Wir haben bei den Hochschulen, bei der Universitätsmedizin, bei den Opern und bei zahlreichen anderen Aufgabengebieten mittelfris

Sen Dr. Sarrazin

tige Ausgabenkorridore entwickelt, die wir bis zum Jahr 2009 und teilweise auch länger verbindlich vereinbart haben, an die sich alle halten können und die uns von Jahr zu Jahr wachsende Einsparungen bringen – natürlich nicht automatisch. Die Einsparungen bei der Universitätsmedizin sind zwar im Jahr 2003 politisch entschieden worden, sie müssen aber jetzt hart erarbeitet werden, und sie werden auch erarbeitet, und wir werden sie auch erzielen. Insofern wird diese Politik mittelfristiger Einsparungen, die wir im Jahr 2003 eingeleitet haben, überall fortgesetzt und ist der eigentliche Inhalt unseres staatlichen Handelns und weniger die Aufstellung eines einzelnen Haushalts.

Im Übrigen gilt: Auf den Gebieten, die der Senat für besonders wichtig hält, die das ganze Abgeordnetenhaus für wichtig hält – Bildung, Wissenschaft, Kitas –, tut Berlin trotz aller Einsparungen, was die finanziellen Inputs angeht, nach wie vor wesentlich mehr als alle anderen Länder. Bei den Kitas haben wir bezogen auf das einzelne Kind gegenüber dem Bundesdurchschnitt nach wie vor Mehrausgaben in Höhe von 40 %, bedingt durch höhere Anteile von Besuchen und auch durch Ganztagsbetreuung, Krippen usw. In der Summe sind das 40 % Mehrausgaben, und das bei den bundesweit niedrigsten Beiträgen. Wir haben in den Schulen 18 % mehr Lehrer pro Schüler als im Bundesdurchschnitt und 22 % mehr als in Bayern. Wir haben bei den Universitäten und Hochschulen nach wie vor pro Einwohner 70 % Mehrausgaben im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt.

Damit haben wir die materiellen Voraussetzungen, um auf der ganzen Linie der Bildungspolitik von der Krippe bis zum Zweiten Staatsexamen Exzellenz zu schaffen. Finanziell ist Berlin in keiner Weise daran gehindert, PISA-Ergebnisse zu haben, die besser sind als die von Bayern, Herr Kollege Bildungssenator. Die Inputs sind da. 22 % mehr Lehrer als in Bayern sollten ausreichen, um bayerische Resultate zu erreichen, zumal die neueren Untersuchungen sagen, dass auch der Ausländeranteil in Berlin genau auf der Mitte zwischen Bayern und BadenWürttemberg liegt. Mit einem Wort: Wir können hier etwas tun. Wir haben die Mittel, und niemand kann sagen, dass diese Bereiche nicht ausreichend bedient werden. Sie werden weit über dem Durchschnitt bedient.

[Zuruf des Sen Böger]

Ich komme zu den Investitionen: Es wird immer wieder gesagt – und ich unterstütze das –, dass Investitionen in die Köpfe wichtiger sind als Investitionen in Stein.

[Beifall bei der SPD]

4,1 Milliarden € – die Zahl wurde von Frau Spranger schon genannt – geben wir für Bildung und Wissenschaft aus. 174 Millionen € davon fallen unter den klassischen Investitionsbegriff. Dass wir dann als Haushaltsnotlagenland unter dem klassischen Investitionsbegriff nur weniger investieren können, ist doch klar. Aber auch dieses ist gemessen an der Nachfrage keineswegs so, dass es unauskömmlich wäre.

Die Wirtschaftsförderprogramme werden auch zu meinem persönlichen Bedauern meistens nicht ausgeschöpft. Sie werden teilweise in andere Maßnahmen umgewidmet, weil die Unternehmen nicht in dem Umfang nachfragen. Es liegt jedenfalls nicht am Geld. Im Bereich des Tief- und Hochbaus haben wir Beträge von 89 Millionen € pro Jahr für den Hochbau und für den Tiefbau pro Jahr 130 Millionen. Zugegeben, sie sind niedrig, aber sie sind gemessen am Gebäudebestand in Berlin durchaus auskömmlich, zumal die Berliner Verwaltung, was den Umfang ihrer Hochbauten angeht – die Bezirke einbezogen –, etwa 20 % mehr an Hochbauten vor sich her wälzt, als sie langfristig gebrauchen kann. Das Thema für die Zukunft wird sein, nicht neu zu bauen, sondern sich von Infrastruktur gezielt zu trennen, und diejenige, die man behält, so auszustatten, dass man mit ihr langfristig vernünftig leben kann.

Vorhin war als eine Altlast der Steglitzer Kreisel genannt worden. Ich persönlich mache die Prognose – es ist noch nicht entschieden, es läuft ein Verfahren, wo sich denkbare Investoren um den Steglitzer Kreisel bewerben können –, wir werden am Ende zu einer Abrissentscheidung kommen. Das ist genau diese Art qualifizierter Bereinigung von Infrastruktur, die wir brauchen. Denn damit haben wir weniger zu verwalten, und wir werden die Verwaltung, die dort drin ist, an anderer Stelle besser unterbringen, als sie jetzt untergebracht ist. Dies nur als Beispiel.

Für die Bezirke gilt: Die Bezirke waren in der Tat bei meiner Amtsübernahme im Jahr 2002, als dieser Senat begann, in einer kritischen Finanzlage. Dies hat sich geändert. Die Bezirke haben seit dem letzten Jahr bis auf zwei keine laufenden Defizite mehr. Bis auf einen werden sie in diesem Jahr alle Überschüsse erwirtschaften. Wir haben auch noch kaum Mehrausgaben bei den Transferausgaben gehabt. Der Fehlbetrag bei den Transferausgaben der Bezirke betrug im Jahr 2002 150 Millionen €, 2003 70 Millionen € und 2004 15 Millionen €; in diesem Jahr werden wir keinen mehr haben. Die Bezirkshaushalte fahren in der Summe geradeaus, mit 5,26 Milliarden €. Sie sind in der Summe auch auskömmlich ausgestattet.

Wie geht es mittelfristig weiter? – Mittelfristig geht es darum, dass wir den Kurs des Ausgabenabbaus fortsetzen. Wir hatten noch im Jahr 1995 bei den Primärausgaben pro Einwohner ein Niveau, das um 27 % über dem von Hamburg lag. Dieser Ausgabenvorsprung gegenüber Hamburg beträgt heute im Jahr 2005 noch 6 %, und er wird bis 2007/2008 auf Null geschrumpft sein. Wir hatten allerdings – und das zeigt unsere Haushaltsnotlage – im Jahr 1995 pro Einwohner 38 % weniger Zinsausgaben als Hamburg, im Jahr 2007 werden wir pro Einwohner 20 % mehr an Zinsen ausgeben als Hamburg. Das ist genau der Punkt, wie sich die Dinge hier verschieben. Wir müssen auch etwas anderes sehen. Alle Vergleiche tragen nur begrenzt. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist in Hamburg doppelt so hoch wie in Berlin. Wir haben aber noch höhere Einnahmen pro Kopf in Berlin als in Hamburg.

Sen Dr. Sarrazin

Wir haben in Hamburg eine kommunale Steuerkraft, die mit 880 € je Einwohner doppelt so hoch ist wie in Berlin. Unsere kommunale Steuerkraft liegt zwischen Duisburg, Dortmund und Essen – nach wie vor. Für die Zukunft gilt für die kommunalen Ausgaben: Entweder werden wir bis 2020, bis die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen abgebaut sind, das Wirtschaftsniveau von Hamburg erreicht haben; dann können wir uns auch kommunale Ausgaben wie Hamburg leisten. Oder wir werden es nicht erreicht haben; wenn wir auf dem Niveau von Dortmund bleiben, können wir uns auch irgendwann nur noch die Ausgaben von Dortmund leisten.

Berlin ist bei all dem, was es geschafft hat, auf eine Teilentschuldung durch den Bund weiterhin dringend angewiesen. Ich will das kurz an einigen Zahlen zeigen. Trotz des Abbaus unseres Primärdefizits bedeuten die aufgelaufenen Schulden, dass wir 22 % unserer Steuereinnahmen für Zinsen ausgeben – gegenüber 11,5 % im Bundesdurchschnitt. Wir sind mit unserer Ausgabenbegrenzungspolitik radikal und ehrlich, ich wiederhole es, Herr Lindner, auch bundesweit einmalig vorgegangen. Sie haben leider mit Ihren Zahlen erst im Jahr 2003 angefangen; zum andern nehmen Sie die Planungen anderer Länder für bare Münze. Das dürfen Sie nicht. Normale Finanzplanungen sind irgendwo zwischen Roman und Lyrik angesiedelt.

[Ritzmann (FDP): Nur nicht bei Ihnen!]

So war es auch in der Vergangenheit in Berlin. Es gibt ganz wenige Ausnahmen von Ländern, die ihre Finanzplanungen einhalten. Berlin gehört dazu.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Ich will Ihnen mal die Zahlen für die Vergangenheit nennen. Von 1995 bis 2004 sind im Durchschnitt der Länder und Gemeinden die Primärausgaben pro Kopf um 3,3 % gestiegen. Das heißt, auch die anderen haben durchaus gespart, das sieht man. Die Länder und Gemeinden hatten kaum einen Ausgabenanstieg in diesen Jahren. In Berlin sind die Ausgaben im vergleichbaren Zeitraum um knapp 11 % gesunken.

[Dr. Lindner (FDP): Ach, lieber Herr Sarrazin!]

Noch etwas war falsch bei Ihren Zahlen, Herr Lindner. Wenn Sie mit Berlin vergleichen, müssen Sie immer Länder- und Gemeindeebene zusammennehmen. Dann haben Sie auch andere Zahlen.

[Dr. Lindner (FDP): Wir reden von der Entwicklung!]

Wir liegen für die Vergangenheit mit Ländern und Gemeinden zusammen in der Tat mit unserem Ausgabenanstieg weit unter dem anderer Länder. Dies gilt auch für die Zukunft. Ich kann Ihnen aber gern vorlesen, da Sie Sachsen-Anhalt positiv erwähnt haben, Herr Lindner – klar, dort regiert ein FDP-Finanzminister –, wie das Primärdefizit pro Kopf sich in Sachsen-Anhalt entwickelt hat, und zwar Länder und Gemeinden zusammen. Das waren 2001 60 € Defizit, 2002 – das war das Jahr, in dem dort die Regierung wechselte – waren es schon 158 € Defizit, 2003 211 € Defizit – alles Ist-Zahlen –, 2004 164 €;

für 2005 gehen die aktuellen Planungen von Ländern und Gemeinden in Sachsen-Anhalt von einem Primärdefizit von 196 € aus. Das heißt, in Sachsen-Anhalt hat sich das Primärdefizit erst stark erhöht und dann ganz minimal abgebaut. Ich wünsche dem Kollegen Paqué, den ich schätze, alles Gute bei seinen Erfolgen. Nur, bisher waren sie nicht so wahnsinnig beeindruckend. Wir haben aber diese Dinge, Herr Lindner, für die Zwecke unseres Verfahrens in Karlsruhe auf großen Excel-Tabellen für alle Länder im Einzelnen mit gewichteten und ungewichteten Durchschnitten in Zeitreihen seit dem Jahr 1991 aufbereitet. Wir stellen Ihnen das gern zur Verfügung. – Doch, wenn er widerspricht, komme ich nachher und lese das vor.

[Heiterkeit]