Protokoll der Sitzung vom 15.09.2005

Es wurden alte Ressentiments bedient, die unter der Überschrift laufen: „Alle zahlen für Berlin“. Daran hat sich leider auch die FDP im Bundestag beteiligt. Die FDP hat nämlich die Ausgaben für die von Bund und Ländern gemeinsam getragene Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder für die Deutsche Welle einfach zur Förderung der Hauptstadtkultur zugerechnet. Offenbar geht es auch der FDP im Bundestag nicht um Fakten, sondern um Vorurteile, und deswegen finde ich, von Schwarz-Gelb hätte die Kultur in der Hauptstadt nach dem 18. September keinen Vorteil.

Dabei wird einer der besonderen Verdienste des rotroten Senats und ganz besonders seines Kultursenators Thomas Flierl massiv in Frage gestellt. Er hat es geschafft, das Verhältnis zwischen dem Land Berlin und dem Bund auf eine vernünftige Basis zu stellen. Rot-Rot hat – wie wir es im Koalitionsvertrag versprochen haben – mit dem Bund und den Ländern aktiv den Dialog über die Finanzierung der kulturellen Hauptstadtaufgaben und die gesamtstaatlichen Kulturaufgaben des Bundes geführt. Was dabei erreicht wurde, wirkt weit über diese Stadt und dieses Land hinaus. Der Hauptstadtkulturfonds ist keine milde Gabe, die die rot-grüne Bundesregierung als Entschädigung dafür spendiert, dass sie die Haushaltsnotlage des Landes Berlin nicht sieht und wir daher vor das Verfassungsgericht ziehen müssen. Nein, mit der Fortführung des Hauptstadtkulturvertrages hat sich der Bund entschieden, seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für das kulturelle und historische Erbe aus der Zeit Preußens, des deutschen Reichs und der deutschen Teilung stärker als zuvor nachzukommen. Dazu haben wir die Bundesregierung auch nachdrücklich eingeladen und aufgefordert. Senator Flierl und Kulturstaatsministerin Weiß ist an dieser Stelle ausdrücklich zu danken, dass es diese guten und verbindlichen Verabredungen gibt.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Richtlinienkompetenz!]

Mit dem Vertrag zwischen dem Bund und dem Land Berlin, der das kulturelle Engagement des Bundes für zentrale Einrichtungen dieser Stadt dauerhaft festschreibt, wurden nicht nur international anerkannte Projekte gefördert und Einrichtungen gesichert, es wurde der haushaltsnotleidenden Stadt endlich auch ermöglicht, überfällige Strukturreformen vorzunehmen, an denen bislang jeder Vorgängersenat gescheitert ist. Reaktionen und nicht zuletzt Touristenströme aus aller Welt zeigen, dass es lohnt, die Stiftung Jüdisches Museum in gesamtstaatlicher Verantwortung, die Festspiele, das Haus der Kulturen der Welt, die Berlinale und den Gropiusbau zu sichern und den Handlungsspielraum der Akademie der Künste und der Stiftung Deutsche Kinemathek zu erweitern. [Frau Ströver (Grüne): Nee!]

Ein so ambitioniertes Vorhaben wie die Sanierung von Museumsinsel und Staatsbibliothek kann unabhängig von den Gefahren des Berliner Landeshaushalts realisiert werden, und erst auf der Basis einer vernünftigen Zusammenarbeit mit dem Bund war es möglich, auch andere Dinge für die Berliner Kulturlandschaft zu stützen und neu zu ordnen. Die Stiftung Oper in Berlin wurde ermöglicht, die die Schließung einer Oper verhindert und das Angebot von Staatsoper, Deutscher Oper und Komischer Oper gesichert, und das war ja nicht immer klar.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Aber auch kleine Institutionen – wie z. B. das CarousselTheater in Lichtenberg – können weiterspielen.

[Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]

Parallel dazu erlebt die Kulturwirtschaft einen Aufschwung und stellt mit ihren über 90 000 sozialversiche

rungspflichtig Beschäftigten einen relevanten Arbeitsmarktfaktor in Berlin dar. Die Anzahl der selbständigen Künstler in Berlin ist seit 2000 um über 40 % angestiegen. Eine solche Dichte gibt es nirgendwo in der Bundesrepublik. Um diese Effekte zu verstärken, haben zwei Senatoren der Linkspartei.PDS – Harald Wolf und Thomas Flierl – erst im letzten Jahr eine Kulturwirtschaftsinitiative gestartet.

[Frau Ströver (Grüne): Aber nichts davon ist etwas geworden!]

Eine Regierung, Frau Ströver, an der wir beteiligt sind, denkt natürlich auch daran, dass Kultur auch ein Lebensmittel für diejenigen ist, die nur sehr wenig haben. Daher ist es gut, dass dank unseres Kultursenators ein 3-EuroTicket für die sozial benachteiligten Berlinerinnen und Berliner angeboten wird.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Beifall der Frau Abg. Lange (SPD)]

Die Ernsthaftigkeit eigener Anstrengungen zur Veränderung, zum verantwortungsvollen Umgang mit Finanzen haben wir auch im Kulturbereich mehr als unter Beweis gestellt. Wenn ich mich zurückentsinne, wie gerade auch in diesem Haus und gerade auch von Frau Ströver und allen Parteien um jede Bühne, jedes Orchester in dieser Stadt gestritten wurde, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ja auch von der FDP und den Grünen, uns erst verklagt haben, weil wir zu wenig sparen würden, und dann Zeter und Mordio geschrieen haben, wenn wir tatsächlich gespart und Strukturen geändert haben, dann kann ich Ihre gegenwärtige Zurückhaltung mit Blick auf Herrn Lammert wirklich nicht verstehen. Vielleicht weiß es Herr Lammert ja nicht besser, aber klären Sie ihn doch einfach auf. Dass wir Dinge auf den Prüfstein stellen, war in der Tat viele Jahre in Berlin keine Selbstverständlichkeit. Da hat sich unter Rot-Rot vieles verändert, und erfreut nehmen wir zur Kenntnis – und ich finde das wirklich gut –, dass das Bedürfnis in der Stadt gewachsen ist, noch einmal genauer nachzufragen und nachzudenken, bevor ein Projekt umgesetzt wird.

Jüngstes Beispiel ist die Debatte zum Humboldtforum in der Mitte Berlins. Da sind durchaus noch einige Fragen zu beantworten, denn: Ist es tatsächlich mit dem durch den Bundestagsbeschluss zum Wiederaufbau des Schlosses gewollten städtebaulichen Bild der historischen Mitte vereinbar, dass ein großer Teil des Geländes, der bisher für zumindest kulturnahe Kommerzaktivitäten geplant war, nun von einem Hotel und Tiefgaragen eingenommen werden soll? Und wollte der Bundestag tatsächlich, dass die weltbekannten außereuropäischen Sammlungen vor allem in Tiefkellern gezeigt werden sollen? – Natürlich muss sich auch der Senat fragen, ob es sich ein Land in einer Haushaltsnotlage leisten kann, über die Grundstückseinbringung hinaus weitere Finanzierungen zu tätigen, die nach bisherigen Schätzungen mindestens 7,5 Millionen € pro Jahr bei dreißigjähriger Laufzeit bedeuten würden – also weit mehr als 200 Millionen €. Das Geld haben wir nicht, und hätten wir es, dann könnten wir es auch sinnvoller einsetzen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Beifall der Frau Abg. Lange (SPD)]

Die Debatte über die Gegenfinanzierung des rot-roten ersten Schritts zur Beitragsfreiheit von Kitas könnten wir uns dann sparen. Kostenfreie Kitaplätze oder barocke Luftschlösser – das wäre eine Alternative, bei der uns von der Linkspartei die Entscheidung leicht fiele.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS]

Beim Humboldtforum sollte Berlin die gleichen Maßstäbe hinsichtlich Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit wie bei anderen Projekten anlegen. Deshalb plädiert unsere Fraktion für ein Abrissmoratorium der asbestsanierten Palastruine, bis klar ist, was an dieser Stelle kommt und was uns der Spaß kosten soll. Ich bin auch zuversichtlich, dass unabhängig davon, wie sich eine neue Regierung zusammensetzt, im Bundestag eine Fraktion – nämlich die unserer Partei – die Diskussion befördern wird.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Frau Präsidentin! Auch wenn sich unter Rot-Grün und wegen des Engagements unseres Kultursenators grundlegende Dinge mit Blick auf die Hauptstadtkultur zum Besseren entwickelt haben, sind Baustellen geblieben, die vor allem mit einem Problem zu tun haben: Es ist uns nach wie vor nicht gelungen, die Hauptstadtfrage zu klären. Stünde in dieser Bundesrepublik endlich fest, was der Sinn und Zweck ihrer Hauptstadt als Ergänzung des Föderalismus wäre, hätte ein Herr Lammert auch außerhalb von Berlin in diesem Wahlkampf kein so leichtes Spiel. Dann hätten wir vielleicht längst eine Möglichkeit, ernsthaft über eine Finanzierung für das von Senator Flierl vorgeschlagene Gedenkstättenkonzept zu verhandeln. Orte wie der jüdische Friedhof in Weißensee würden auf Grund ihrer kulturhistorischen Bedeutung und Einmaligkeit gesamtstaatlich unterstützt werden können. Die Klärung der Stellung Berlins wird für uns alle eine Herausforderung sein; dafür müssen wir uns in der Stadt engagieren, dafür wird die Linkspartei.PDS nach dem 18. September auch im Bundestag kämpfen und zwar unabhängig davon, wer im Bund regiert. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Beifall der Abg. Frau Lange (SPD)]

Danke schön! – Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Grütters von der CDUFraktion das Wort. – Bitte sehr!

[Gaebler (SPD): Und Frau Grütters! Das Kulturtandem!]

Sind Sie neidisch darauf, Herr Gaebler?

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Liebich und Frau Fugmann-Heesing! Fakten und Vorurteile, haben Sie gerade gesagt – es ist schon ein buchstäbliches Kabinettstück, dass Sie sich als Vertreterin der Regierung in Bund und Land hier hinstellen und glauben, die Berliner Kulturwelt vor vermeintlichen CDU-Plänen warnen zu müssen. Ihre Verzweiflung muss reichlich groß

sein, dass Ihnen kein aktuelles Thema einfällt, mit dem Sie sich darstellen könnten. Ich finde es auch einigermaßen unverfroren, dass Sie einen Mann, der nicht einmal im Amt ist, als Gefahr hinstellen.

[Oh! von der SPD und der PDS – Gaebler (SPD): Vorsicht!]

Allerdings, Sie, die SPD, die Grünen, die Linkspartei – Sie alle haben kein Mitglied in Ihrer Regierung oder in Ihrem Kompetenzteam, das sich mit Kultur beschäftigt.

[Beifall bei der CDU – Gaebler (SPD): Haben Sie einmal etwas von Frau Weiss gehört?]

Da bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, Herr Gaebler, als sich an uns abzuarbeiten.

[Zuruf des Abg. Klemm (Linkspartei.PDS)]

An der Regierung allerdings, Herr Gaebler, sind Sie, im Bund wie im Land. Und wenn sich jemand aus der Regierungskoalition ernsthaft hier hinstellt und den Retter der Hauptstadtkultur mimt, dann ist das schon eine Groteske ersten Ranges.

[Beifall bei der CDU – Gaebler (SPD): Und was ist jetzt mit Herrn Lammert?]

Wer eigene Kürzungskonzepte verschweigt, Herr Gaebler, ganze Streichkonzerte organisiert und gleichzeitig vor einem vermeintlichen Finanzkahlschlag der Opposition warnt, der hat maximal einen Preis als bester Schauspieler in Polittragödien verdient. – Bleiben wir also bei den Fakten.

[Beifall bei der CDU]

Wer als Berliner die „Tagesschau“ und das „HeuteJournal“ vorgestern verfolgt hat, wird dankbar sein, dass das Fernsehen – übrigens auch alle Printmedien – aufgedeckt hat, wer der eigentliche Streichmeister ist: der Bundesfinanzminister, der Lehrer aus Kassel, Herr Eichel. Im Bundesministerium der Finanzen ist eine so detaillierte Streichliste Berliner Einrichtungen, und zwar vornehmlich Berliner Kultureinrichtungen, Herr Liebich, ausgearbeitet worden, dass ich an Ihrer Stelle auch nervös würde. Und den kleinen Taschenspielertrick, Frau FugmannHeesing, den rot-roten Spieß gegen uns umdrehen zu wollen, sehen wir Ihnen in Wahlkampfzeiten nach. Es ist auch gut, dass wir das heute diskutieren, denn über die unverschämte Streichliste aus dem Hause Eichel sollte die Öffentlichkeit allerdings informiert werden.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Eichel streicht und schweigt, aber nicht wir. Dabei haben nämlich besonders fleißige Beamte im BMWF besonders fleißig die Kultur ins Sparvisier genommen.

[Zuruf des Abg. Krug (SPD)]

Grundlage für die Kürzungsvorschläge ist ein Auftrag des Kabinetts Schröder, nicht irgendwelcher Hinterzimmerbeamter, denen man nachher CDU-Nähe nachsagt, in

einer Höhe von jährlich 25 Milliarden €, Kabinettsvorlage vom 8. Juli beim Bund.

[Klemm (Linkspartei.PDS): Aber Eichel streicht nur noch drei Tage! Was machen Sie danach?]

Immerhin waren es Referatsleiter des Finanzministeriums, die aufgeschrieben haben, woher diese 25 Milliarden € herkommen sollen: komplette Streichung der Filmfonds, Kürzung der Baumaßnahme auf der Museumsinsel um 55 Millionen € in den nächsten vier Jahren, Herr Liebich, Streichung des Neubaus der Deutschen Bibliothek in Leipzig, Ausstieg des Bundes aus der ROC GmbH – da freut sich Herr Sarrazin, der will das auch –,

[Zuruf des Abg. Krug (SPD)]

Kürzung bei der Stiftung für das sorbische Volk, Auslaufen der – man höre und staune – Bundeskulturstiftung, dieses Lieblingskindes von Rot-Grün, was Herr NidaRümelin noch schnell ins Leben gerufen hat, damit auch er eine kleine Spur im Bundeskulturleben hinterlässt.

[Frau Ströver (Grüne): Sind Sie dagegen?]

Die Bundeskulturstiftung übrigens soll nach Plänen der Beamten deshalb verlassen werden – ich zitiere aus der Begründung:

... weil es sich vielfach um Förderungen unbedeutender Einzelprojekte handelt.

Aber kommen wir zurück nach Berlin.