Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Gram (CDU): Ich bin auch für das Pilskonzept! Schmeckt gut!]

Danke schön! – Für die CDU hat der Abgeordnete Herr Kaczmarek das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was sind wir doch für Miesepeter in Berlin!

[Och! von den Grünen]

Was ist denn eigentlich Sache? – Da haben sich die Steuerzahler in ganz Deutschland zusammengetan – die Bayern, die Baden-Württemberger, die Hessen, die Nordrhein-Westfalen und die Schleswig-Holsteiner – und haben ganz tief in die Tasche gegriffen und gesagt: Wir spendieren unserer Hauptstadt einmal ein richtig

Und was steht nun da und wird demnächst eröffnet? – Wir werden einen zentralen Bahnhof in der Stadt haben, etwas, von dem Verkehrsplaner in dieser Stadt seit Jahrzehnten, seit über einem Jahrhundert geträumt haben: eine Nord-Süd-Durchwegung durch die Stadt für die Fernbahn als Ergänzung zur Ost-West-Stadtbahn. Wir werden nicht nur diesen zentralen neuen Bahnhof haben, der von seiner Architektur her bemerkenswert ist – und sicher auch bemerkenswert teuer war, aber das mussten ja alle Steuerzahler Deutschlands bezahlen –, sondern der auch einmalige Umsteigemöglichkeiten zwischen Ost-West- und Nord-Süd-Verkehr bietet. Wir kriegen noch dazu neue Fernbahnhöfe an der Papestraße für die Berliner im Süden der Stadt. Wir kriegen – wenn auch ohne Empfangsgebäude – einen Bahnhof am Gesundbrunnen für die Nordberliner. Das alles – eine leistungsfähige Regionalverbindung quer durch die Stadt, so dass man in wenigen Minuten von „Kyritz an der Knatter“ direkt bis zum Potsdamer Platz fahren kann – bekommen wir. Und was fällt uns dazu ein? – Wir sagen: Es ist aber schade, dass dies und jenes nicht mehr bedient wird – und: Eigentlich ist das auch nicht so schön, und einen Zentralbahnhof haben wir eigentlich nie so gewollt – und: Muss der denn wirklich Hauptbahnhof heißen?

Meine lieben Damen und Herren, bei aller Kritik – und ich weiß, in einer Stadt, wo das Maximumlob lautet: Da kannst du nicht meckern!, ist das vielleicht gang und gäbe –: Wir sollten die Kirche im Dorf lassen, den Zug auf dem Gleis!

[Beifall bei der CDU, der SPD und der Linkspartei.PDS]

Es ist für Berlin ein großer Erfolg, dieses Bahnkonzept durchgesetzt zu haben.

Das ist kein leichter Erfolg gewesen. In vielen Jahren haben viele Verkehrssenatoren – übrigens auch von der CDU – daran gewirkt, den Bund davon zu überzeugen. So leicht ist das auch nicht. Die Baden-Württemberger geben ihr Geld auch lieber in Stuttgart 21 aus, stecken es in irgendwelche Bundesstraßenumgehungen oder in den zweiten Alpaufstieg. Das hätten sie alles sehr gut verbauen können, aber letztendlich hat sich Berlin durchgesetzt, und ich bin froh darüber, dass wir das geschafft haben. Man darf an dieser Stelle auch einmal sagen, selbst vor leerem Haus: Es ist ein großer Erfolg der Berliner Politik gewesen, und darauf können wir als Berliner stolz sein.

Bei allem Ärger über die Details: Es wird so sein, dass die Berlinerinnen und Berliner stolz auf ihren neuen Hauptbahnhof sein werden, ob er nun Hauptbahnhof oder Lehrter Bahnhof heißt. Aber die Leute werden dorthin kommen, um ihn sich anzugucken. Es werden fast mehr Leute dorthin gehen, um ihn nur anzugucken, als mit der Bahn zu fahren, fürchte ich fast. Das ist ein neues Wahrzeichen dieser Stadt, ein Wahrzeichen Deutschlands und ein Bahnhof, der einer Hauptstadt würdig ist, und das sollten wir auch einmal würdigen.

[Beifall bei der CDU, der SPD und der Linkspartei.PDS]

Lieber Herr von Lüdeke, es gibt unendlich viel zu kritisieren. Das tun wir auch gemeinsam im Ausschuss. Natürlich ist es peinlich, dass es einen neuen Südbahnhof, ein Südkreuz geben wird. Die S-Bahnhalle ist architektonisch gigantisch. Schwaben darf man gar nicht dort entlang fahren lassen. Die denken: Was ist denn das hier? Unser ganzes Steuergeld steckt in einer riesigen lichten SBahnhalle. So etwas haben die in Schorndorf oder Rudersberg – oder wie die Orte heißen – natürlich nicht. Wir müssen doch einmal ehrlich sein: Das ist eine Riesensache für die Stadt!

Aber natürlich ist es peinlich – ich komme auf den Punkt der Kritik zurück –, dass man damit rechnen muss, dass man am Bahnhof ankommt, aussteigt, durch die wunderbar lichtdurchflutete Halle vor die Tür geht und auf einem Acker steht, weil sich das Land Berlin leider nicht mit der Bahn einigen konnte, wer den Bahnhofsvorplatz befestigt. Das hat allerdings typisch Berliner Züge. So etwas muss bei so einer Geschichte wahrscheinlich auch sein. Das sollte man dringend, liebe Frau Senatorin, regeln. Vielleicht kann man sich irgendwann einmal einigen, wer dafür zuständig ist, der Bezirk, das Land oder die Bahn. Es wäre gut, wenn man es bis zur Eröffnung geregelt hätte. Natürlich kostet das Geld, aber das Geld, das wir insgesamt vom Bund bekommen haben, ist es wert, einmal einen Bahnhofsvorplatz zu pflastern – einmal unter uns gesagt.

Sehr geehrter Herr von Lüdeke! Natürlich ist es peinlich, wenn man am Hauptbahnhof aussteigt, diese wunderbare GMP-Halle durchschreitet, diese Kathedrale des Verkehrs und dann kommt man zum U-Bahnhof und denkt z. B. als Tourist: Jetzt fährst du einmal in die Stadt! – Dann steigt man ein, wundert sich darüber, dass der Zug nur aus zwei Wagen besteht, denkt aber, dass es in Berlin vielleicht so ist, und dann fährt man los, und am Brandenburger Tor heißt es: Bitte aussteigen!, und dann darf man sich seinen Weg weiter suchen. Natürlich ist es peinlich, dass es dort nur so eine Stummel-U-Bahn gibt, natürlich hätte man alles anders machen können, sollen und müssen. Das ist gar keine Frage. Darüber sind wir uns einig.

[Beifall bei der CDU]

Natürlich ist es auch ein Unding, dass wir einen Hauptbahnhof haben, der die exzellentesten Bahnverbindungen – ich glaube, das kann man ohne Berliner Großmannssucht sagen – in Europa schaffen wird. Wo hat man das schon mit dieser Umsteigebeziehung, mit dieser wirklich günstigen Situation, mit dem Zug aus Hannover anzukommen und von einem Stockwerk in das andere in den Zug nach Dresden umsteigen zu können? Aber natürlich ist es peinlich, dass man bei dieser sehr guten Erreichbarkeit dieses Bahnhofs feststellen muss, dass er zwar bahnmäßig ausgezeichnet erreichbar ist, dass er aber weder einen vernünftigen U-Bahnanschluss haben wird noch einen Straßenbahnanschluss noch einen richtigen Nord-Süd-S-Bahnanschluss. Man kann ankommen, um

steigen und die Stadt wieder verlassen, aber in die Stadt hineinzukommen, ist etwas schwieriger. Das ist ein Versäumnis, das sich dieser Senat hätte nicht leisten sollen. Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht.

Ich komme zu unserem geliebten Bahnhof Zoo. Ich bin Westberliner und sehe es durchaus als Ehrentitel an. Das muss ich einmal ehrlich sagen, weil diese Geschichte, dass man sich als Westberliner verstecken muss und nur die Ossis ihre Befindlichkeiten haben dürfen, nicht stimmt. Nein, wir Westberliner haben die auch. Ich bin auch ein wirklich emotionaler Anhänger des Bahnhofs Zoo.

[Zuruf des Abg. Mutlu (Grüne)]

Nee, Wessis sind was anderes, da merkt man, dass Sie die Terminologie nicht beherrschen. Die Wessis sind alle die, die da jenseits leben, ob das nun Bayern ist oder Schleswig-Holstein. Das sind die Wessis; wir schreiben Ihnen das mal auf, ja?

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Das ist aber nun nicht der eigentliche Kernpunkt. Da hängen viele Erinnerungen dran – natürlich bin ich damals auch mit dem Transitzug gefahren, und da brauchte man 11 Stunden bis nach Speyer mit fünfmaligem Umsteigen, und alles war ganz wunderbar und spannend. In Griebnitzsee kamen die Kontrolle und die Wachhunde, die unter dem Zug entlang krochen. Aber das kann heute ja nicht ernsthaft der Maßstab für verkehrspolitische Entscheidungen sein.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Herr Gaebler, ich komme gleich drauf. Ich weiß, dass Sie Kreisvorsitzender in Charlottenburg-Wilmersdorf sind. Aber jetzt machen wir für kurze Zeit mal keine Kirchturmspolitik. – So, deswegen hängen wir sicherlich alle an diesem Bahnhof.

Aber wie sieht es denn heute dort aus? – Kommen Sie mal mit dem ICE am Bahnhof Zoo an und steigen dort aus. Wenn Sie Glück haben, können Sie aussteigen, wenn Sie Pech haben, stehen die Leute so dicht vor den Türen, dass Sie gar nicht aus dem Zug herauskommen, sondern gleich bis zum Ostbahnhof weiterfahren können.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Die Situation ist – um es mal klar zu sagen – unzumutbar. Wenn man das tatsächlich als Entree einer Hauptstadt eines nicht ganz unbedeutenden europäischen Landes annehmen will, kann ich nur sagen: So klein sollten wir uns vielleicht doch nicht machen, wie es der Bahnhof Zoo ist.

Es ist nicht richtig, was der eine oder andere von der Deutschen Bahn behauptet, der Bahnhof Zoo sei immer nur ein Regionalbahnhof gewesen. Nein, der hatte schon Fernbahnhoffunktion, aber er war doch nie ernsthaft der Hauptbahnhof der Stadt Berlin insgesamt. Das kann er von seiner Auslegung nicht sein, das kann er von seiner Lag her nicht sein, und wer sich das zurück wünscht, der

lebt wirklich im vorigen Jahrhundert oder vielleicht noch etwas davor.

Der Bahnhof Zoo wird das sein, was er leisten kann. Er wird ein wichtiger Regionalbahnhof sein, und ich hoffe, dass die Deutsche Bahn ihre etwas ideologische Haltung – da darf überhaupt gar kein Fernzug mehr halten – noch einmal überdenkt und feststellt, dass man pragmatisch mit den Dingen umgehen muss. Wenn Herr Mehdorn dort mal irgendwann nicht mehr regiert, entwickeln sich ja auch wieder ein paar Freiheitsgrade für die Mitarbeiter. Und vielleicht kommt man dann zu der Lösung, dass Fernzüge, die weiterhin auf der Stadtbahn fahren werden – und das werden ja die Züge sein, die in OstWest-Richtung unterwegs sind –, selbstverständlich am Bahnhof Zoo halten. Wir hoffen ja, dass der Verkehr in Richtung Osten in Zukunft mehr Zuspruch erhalten wird. Und so wird auch derjenige, lieber Herr Gaebler, der in Charlottenburg-Wilmersdorf seine Wohnung hat – auch der Regierende Bürgermeister wohnt ja wohl dort –, dann dort aussteigen können.

Das wird aber natürlich für viele Verkehrsverbindungen nicht mehr der Fall sein. Für all die, die in Nord-SüdRichtung die Stadt durchqueren, sind wir froh, dass wir den Tunnel haben und er tatsächlich auch mal fertig wird, viele Jahre, nachdem diese Strecke eigentlich fertig sein sollte. Wir werden dann damit leben müssen, dass sich die Verkehrsströme ändern, alles ändert sich, und dieser Stadt, die modern sein will, die sich selbst ständig verändert, steht das gut an.

Es ist auch an der Bahn, Entscheidungen zu treffen, die kundenfreundlich sind. Lieber Herr von Lüdeke: Die empfinden sich ja als ein privates Unternehmen. Sie behaupten ja immer, sie seien eine Aktiengesellschaft, und so verhalten sie sich auch.

Herr Abgeordneter! Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Letzter Satz, Frau Präsidentin! – Weisungen aus der politischen Ebene nehmen die ja nicht mehr entgegen. Das haben die auch nicht nötig, da Herr Mehdorn gut bekannt ist mit dem Noch-Kanzler und sich deswegen solchen Weisungen immer entziehen konnte. Man muss abwarten, dass sie selbst merken, dass sie einen Fehler gemacht haben, dann sind sie auch dazu bereit, diesen zu korrigieren.

Berlin kann sich auf das Jahr 2006 freuen – nicht nur wegen der Wahl, sondern auch wegen einer neuen und – wie ich finde – beispiellos guten Verkehrsanbindung. Darüber sollten wir uns am Ende auch freuen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete von Lüdeke!

Werter Kollege Kaczmarek! Sie haben natürlich versucht, einen Popanz aufzumachen. Was Sie mir unterstellt haben, habe ich überhaupt nicht gesagt. Lesen Sie meine Rede mal nach! Ich bin natürlich genau so wie Sie darüber erfreut, dass es den Lehrter Bahnhof gibt,

[Kaczmarek (CDU): Dann sagen Sie es doch mal!]

und das habe ich auch betont, das ist doch gar keine Frage. Im Übrigen habe ich darauf hingewiesen – und das haben Sie in Ihrer Rede alles nachvollzogen, insofern waren wir ja auf einer Wellenlänge –, dass die Stadtentwicklung nicht Schritt gehalten hat mit dem Bahnkonzept, dass die Stadtentwicklung versagt hat und daran schuld ist, dass der Lehrter Bahnhof heute in der Pampa steht und die Leute, wenn Sie auf den Bahnhofsvorplatz kommen, ernüchtert sind. Nichts anderes habe ich gesagt. Gleiches gilt für die Papestraße.

Die Frage, am Zoo zu halten, haben Sie am Schluss ja auch beantwortet, indem Sie genau das gesagt haben, was wir verlangen, dass beim Ost-West-Verkehr die Züge, die durch den Bahnhof Zoo fahren, dort halten sollen. Warum sollten sie denn nicht die paar Minuten halten? Nichts anderes fordern wir.

[Zuruf der Frau Abg. Hämmerling (Grüne)]

Aber unterstellen Sie mir nicht, dass ich irgendetwas gegen den Lehrter Bahnhof als Bahnkreuz, das Berlin wirklich braucht, gesagt hätte. Wir wissen doch alle, dass die Bahn in der heutigen Situation dieses Bahnkreuz nicht noch einmal bauen würde – das ist ja noch in einer euphorischen Stimmung passiert, dass die Steuergelder so enorm geflossen sind.

[Beifall bei der FDP]

Danke schön! – Eine Erwiderung wird nicht erwünscht. So hat nun für die Linkspartei.PDS Frau Abgeordnete Matuschek das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr von Lüdeke! Das ist ja gerade das Problem, dass Sie sich hier noch einmal hinstellen, um wieder zurückzunehmen, was Sie vorher erzählt haben. Vorher haben Sie die Bahn schlecht geredet.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – von Lüdeke (FDP): Ich habe mich überhaupt nicht zurückgenommen, das ist ja lächerlich! – Gaebler (SPD): Lesen Sie doch das Protokoll!]

Sie haben die Bahn schlecht geredet – allein mit Ihrer Wortwahl „Endbahnhof Berlin“ projizieren Sie ein Bild, das nicht stimmt. So kann ich mich meinen Vorrednern Herrn Gaebler und Herrn Kaczmarek nur anschließen, dass die Fertigstellung des Lehrter Bahnhofs und damit die Fast-Fertigstellung des Pilzkonzepts natürlich dazu führen wird, dass Berlin ein exzellentes Fernbahnsystem bekommt, das auch eine Entwicklungschance mit sich

bringt. Wir brauchen heute nicht mehr darüber zu diskutieren, welche Anfangsprognosen beim Pilzkonzept unterstellt wurden. Nun haben wir es, und die Zukunft geht dahin, dieses Fernbahnsystem besser ausnutzen zu können. Da fehlt es noch an dem einen oder anderen Stück, z. B. an der leistungsfähigen schnellen Schienenverbindung nach Rostock, auch an der nach Warschau und in andere osteuropäische Staaten. Da wird hoffentlich der tatsächliche Verkehrseffekt einsetzen, der den Lehrter Bahnhof zu dem Umsteigeknoten macht, der er sein kann und in einigen Jahren sein wird.

Herr Gaebler hat einen richtigen Satz gesagt, und, Herr von Lüdeke, ich bin auch in Ihren Ausführungen darüber gestolpert: Sie als FDP rufen immer nach marktwirtschaftlichem Verhalten, Sie rufen als FDP nach einem schnellen Börsengang der Bahn, Sie rufen nach einer Trennung von Netz und Betrieb der Bahn, und das sind genau die Ursachen dafür, dass die Bahn sich manchmal so verhält, wie sie sich verhält. Der Druck eines bevorstehenden Börsengangs macht Bahndenken fast unmöglich. Es kommt nur noch zu einem Finanzdenken, zu einem Denken in Kosten und Bilanzen und nicht mehr im System Bahn.