Protokoll der Sitzung vom 04.05.2006

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS]

Das Wort hat der Abgeordnete Ritzmann. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Ratzmann! Das mit dem Sargnagel ist so eine Sache: Wir waren damals schon in Verständigungsgesprächen, und die Grünen haben gesagt: „Wir probieren es einfach mal.“ Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Projekt nicht ganz widerspiegelt, und damit versucht, das Projekt zu instrumentalisieren. Das haben sie dann eingesehen und den Antrag zurückgezogen. Der Sargnagel ist wieder draußen, und heute haben wir ein lebendiges Projekt, das bunt und vielfältiger ist als das, was Sie damals vorgeschlagen haben. Aus Sicht meiner Fraktion ist es gerade deshalb gut, weil wir sowohl für mehr Demokratie als auch für die Richtlinienkompetenz und für die Stärkung der Einsichtsrechte der Abgeordneten sind. Wir sind mit dem Paket – das kann ich gleich vorneweg sagen – sehr zufrieden.

Wie viel trauen wir dem Bürger zu? – Das ist die Kernfrage für jeden, der sich mit direkter Demokratie beschäftigt. Als Liberale trauen wir dem Bürger sehr viel zu.

Die Skeptiker argumentieren vor allem emotional, und das kann man ihnen vielleicht auch nicht verübeln. Es ist ein neues Instrument und hat teilweise einen schlechten Ruf. Wenn man sich umschaut, sieht man, dass es in Bayern, in Nordrhein-Westfalen, in Hessen eine lebendige direkte Demokratie gibt und dass dort nicht Not und Elend herrschen. Es sind vielmehr die Bundesländer, die über den Länderfinanzausgleich das Land Berlin mit finanzieren. Wenn es also dort mehr an Demokratie als hier in Berlin gibt, ist auch die Angst, mit den Volksentscheiden könne etwas schief gehen und die Bürger würden dann mit ihren Entscheidungen das Land in das Elend stürzen, rational und objektiv nicht zu begründen. Die Horrorszenarien, die bemüht werden, haben keinen Bestand.

Nach einer gewissen Zeit müssen wir uns das gesamte Projekt noch einmal vornehmen, denn hinsichtlich der Volksentscheide bringt es nur eine Verbesserung des Status quo. Es ist keine optimale Lösung, sondern leider weit davon entfernt. Das Kernproblem liegt in den Abstimmungshürden – in den Quoren. Wer einen Volksentscheid durchführen möchte, der erfolgreich ist und die gleiche Bindungswirkung wie ein Gesetz oder ein Antrag entfaltet, die von diesem Haus beschlossen werden, der braucht 600 000 Ja-Stimmen – ich betone: nicht 600 000 Teilnehmer an der Abstimmung, sondern 600 000 JaStimmen. Das ist eine Hürde, die fast astronomisch ist. Wir müssen dabei aufpassen, dass die Bürger nicht den Eindruck bekommen, dass wir sie veräppeln wollen und nur simulieren, wir würden direkte Demokratie einführen, aber dann die Hürde so hoch setzen, dass es nicht zu reißen ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das hier der Fall ist, meine aber, dass wir hierbei gut aufpassen und dieses Thema gut kommunizieren müssen. Wir sollten dann vielleicht in der nächsten Legislatur diese Hürden noch einmal kritisch überdenken.

Wir verfolgen das Ideal der aktiven Bürgergesellschaft. Dazu gibt es u. a. klare Beschlüsse in Grundsatzprogrammen. Der Mensch soll so weit wie möglich in der Lage sein, eigenverantwortlich zu leben und zu handeln und Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen. Dazu muss der Staat Rahmenbedingungen schaffen. Wir sind den ersten Schritt gemeinsam gegangen und haben – in Ergänzung des bestehenden Systems – die Bürgerentscheide auf Bezirksebene eingeführt. Das war langwierig. Wir haben zwei Jahre zusammengesessen. Davon haben wir jetzt im Nachhinein profitiert. Wir hatten eine funktionierende Arbeitsebene.

Eines finde ich dabei spannend – Herr Henkel hat es bereits angesprochen: Die Union hat das Projekt abgelehnt, wenn nicht gar bekämpft, setzt es aber als Partei am engagiertesten ein. Gerade mit der Rudi-Dutschke-Straße in Kreuzberg wird mal so richtig Politik gemacht, und dabei kommt dann auch ein solcher Bürgerentscheid zum Einsatz. Das ist sehr beeindruckend. Erst das Ganze abzulehnen und es vier Wochen, nachdem es in Kraft getreten ist, anzuwenden, das zeigt, wie flexibel Sie in dieser Hinsicht sind.

Die Reform der Volksentscheide auf Landesebene ist eine Ergänzung der bestehenden parlamentarischen Demokratie. Das ist sehr wichtig. Die parlamentarische Demokratie wird wahrscheinlich weiterhin 95 oder 98 % der Entscheidungen treffen. Nur dann, wenn Abgeordnetenhaus oder Senat massiv am Willen der Berlinerinnen und Berlin vorbei regieren und vorbei entscheiden, besteht die Möglichkeit, dass die Berlinerinnen und Berliner direkt entscheiden, also ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und abstimmen.

Wir hatten in diesem Zusammenhang drei Ziele: Zum einen wollten wir die Abstimmungshürden absenken. Sie sind ja absurd und astronomisch hoch gewesen. Zweitens wollten wir ein weniger bürokratisches Verfahren. Das Thema „freie Sammlung“ ist bereits angesprochen worden. Das dritte Ziel hieß: „Kein Themenausschluss!“, weil es dem Bürger doch schwer zu vermitteln wäre, dass man ihn in der einen Frage für kompetent hält und abstimmen lässt, während man ihm dies in anderen Frage abspricht und dort wieder selbst entscheidet. Das lässt sich schwer durchhalten. Ich muss einräumen, dass wir uns dabei nur teilweise durchsetzen konnten.

Warum ist das so? – Kollege Lederer hat bereits darauf hingewiesen: Dadurch, dass die Union an diesem Projekt teilgenommen hat – was ich begrüße –, haben sich die Machtverhältnisse – so nenne ich es mal – in der Arbeitsgruppe etwas verändert. Beim letzten Mal – bei den Bürgerentscheiden auf Bezirksebene – haben wir wohl 95 % unserer Forderungen durchsetzen können, weil dem Projekt ohne die FDP die Mehrheit gefehlt hätte. Jetzt mit der großen Union ist das etwas anders und für uns schwieriger, unsere Forderungen durchzusetzen. Das zeigt sich leider sogleich. Es zeigt sich vor allem, dass gerade die beiden so genannten großen Volksparteien die größten

Probleme mit Volksdemokratie bzw. mit Volksentscheiden haben. Das ist bedenklich und bedauerlich, aber ich räume auch ein, dass es in jeder Fraktion und in jeder Partei Skeptiker in Bezug auf dieses Instrument gibt.

Ganz absurd wird es dann bei Verfassungsänderungen, denn dabei sind 1,2 Millionen Ja-Stimmen nötig. Sie sind sozusagen formal möglich, de facto aber ausgeschlossen. Auch hier gehört es zur Ehrlichkeit, dass wir darüber sprechen. Das ist gewissen skeptischen Herangehensweisen geschuldet. Nach dem Ablauf einer gewissen Zeit müssen wir uns dem Thema noch einmal zuwenden.

Mehr Mut, mehr Vertrauen in die Bürger! Das sollte uns hier leiten. Wir sind zumindest in die richtige Richtung gegangen.

Richtlinienkompetenz sehe ich überhaupt nicht als weniger demokratisch, sondern im Gegenteil als eine Klärung von Zuständigkeiten, als eine Transparenz, was die Verantwortlichkeit angeht. Es gibt nicht mehr diese komische Mischkonstruktion, in der das Abgeordnetenhaus die

Nach Absprache mit dem Präsidenten gibt es mit der elektronischen Abstimmungsanlage keine Abstimmung mehr. Deshalb muss jetzt die namentliche Abstimmung vorbereitet werden. Ich unterbreche die Sitzung für ein paar Minuten.

Senatoren wählt und abwählt und auch sonst sehr eng an die Regierung angebunden ist. Man versucht eher, das Parlament auf der einen Seite zu haben und die Regierung auf der anderen. Dass der Regierende Bürgermeister nach dem Kanzlerprinzip Senatoren entlässt und benennt, begrüßen wir und freuen uns im Wesentlichen über die Ausgestaltung – auch hier gibt es Kompromisse, aber wo gibt es die nicht?

Klar ist auch – dagegen hat wohl niemand etwas –, dass die Auskunftsregeln der Abgeordneten gegenüber dem Senat verstärkt werden. Das ist eine tolle Sache. Das musste gemacht werden.

Am Ende kommen wir aus Sicht meiner Fraktion in eine Win-Win-Win-Situation. Üblicherweise spricht man von Win-Win-Situationen, wo beide Seiten von einem Projekt profitieren, aber hier gewinnen alle, nämlich die Bürger, das Parlament, die Abgeordneten, der Senat. Dieses Projekt kann sich sehen lassen. Ich freue mich, dass wir das zusammen in einem Wahljahr geschafft haben. Ich bedanke mich bei allen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung beider Anträge an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung sowie an den Hauptausschuss. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe nun als Priorität der Fraktion der Grünen auf

lfd. Nr. 4 b:

Dringlicher Antrag

Der Senat muss jetzt Familie Aydin schützen!

Antrag der Grünen Drs 15/5063

Gemäß § 60 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung wurde von der Fraktion der CDU für die Aussprache der Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt. Ich lasse darüber abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit haben wir das beschlossen.

Ich bitte die Gäste auf der Tribüne und die Medienvertreter, den Saal zu verlassen. Bitte sorgen Sie auch dafür, dass die Kameras ausgeblendet werden. Ich weise die Abgeordneten darauf hin, dass auch die Handys nicht benutzt werden dürfen. Bitte schalten Sie sie aus.

[Nichtöffentliche Beratung von 16.43 bis 17.24 Uhr]

Die Öffentlichkeit ist wieder hergestellt. Damit können wir zur Abstimmung kommen. Wer dem Antrag der Grünen – der Senat muss jetzt Familie Aydin schützen – zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

[Zuruf]

Einen Moment, bitte! Eine namentliche Abstimmung ist bei mir nicht beantragt worden.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Natürlich!]

Nicht natürlich! –

[Dr. Heide (CDU): Wir sind in der Abstimmung! Mir wurde signalisiert, dass schon vor Einleitung meiner Worte der Geschäftsführer der Grünen nicht bei unserem Präsidium, sondern bei dem Plenar- und Ausschussdienst die namentliche Abstimmung beantragt hat. Ich schlage Ihnen vor, mir etwas Zeit zu geben, um abzusprechen, wie wir diese namentliche Abstimmung durchführen. Wir hat- ten uns fraktionsübergreifend geeinigt, keine elektroni- sche Abstimmung mehr vorzunehmen. Ich möchte Rück- sprache mit dem Präsidium halten. – Danke schön! [Unterbrechung der Sitzung von 17.28 bis 17.37 Uhr]

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen! Bevor wir in die Abstimmung eintreten, bitte ich Sie um erhöhte Aufmerksamkeit für das neue Verfahren, das im Ältestenrat beschlossen worden ist. Setzen Sie sich bitte auf Ihre Plätze!

[Unruhe]

Ich bitte alle Abgeordneten, Platz zu nehmen! Es bedarf jetzt erhöhter Aufmerksamkeit!

[Unruhe]

Ich bitte auch die Damen und Herren der Linkspartei.PDS darum, sich hinzusetzen!

[Dr. Lindner (FDP): Los jetzt!]

Nein, nicht los! Wir wollen ein Verfahren haben, das zu einem Ergebnis führt, das nicht wiederum Diskussionen auslöst.

Ich erkläre zunächst noch einmal, weshalb wir nicht mit der Abstimmanlage abstimmen. Ich bin seitens der Präsidiumsmitglieder darum gebeten worden, darauf hinzuweisen. Da es häufiger zu Beanstandungen gekommen ist und wir nicht ausschließen können – –

[Unruhe]

Können wir uns jetzt in Ruhe darüber verständigen? Auch Herr Steffel, ich bitte um Ruhe! – Da es häufiger Schwierigkeiten im technischen Ablauf gegeben hat und auf Grund von Überalterung nicht hundertprozentig die Hand dafür in das Feuer gelegt werden kann, dass die Anlage in Ordnung ist, gibt es einen einstimmigen sowohl im Ältestenrat als auch Präsidium gefassten Beschluss, die Anlage nicht mehr für namentliche Abstimmungen zu nutzen. Deshalb haben wir uns, nachdem die letzte Abstimmung von verschiedenen Seiten zu Beanstandungen geführt hat, im Ältestenrat einvernehmlich auf ein neues Verfahren geeinigt, das nach unserem Dafürhalten die

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 5 Minuten pro Fraktion zur Verfügung. – Es beginnt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Steuer.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt keinen besseren Ort, an dem Kinder aufwachsen können, als in ihrer Familie. Liebe, Fürsorge, Gesundheit, Charakterstärken werden in der Familie vermittelt. Ein Kind, das glücklich aufwächst und später auch anderen Menschen viel Liebe entgegenbringen kann, wächst in seiner Familie am besten auf. Leider haben nicht alle Kinder die Chance, glücklich und gesund aufwachsen zu können. Immer mehr Eltern sind offensichtlich immer weniger in der Lage, für sich oder für ihre Kinder Verantwortung zu übernehmen. Sie versagen, obwohl sie nur das Beste für ihr Kind wollten.

beste Möglichkeit bietet, zu einem einwandfreien Ergebnis zu gelangen.

Wir gehen jetzt dazu über.

Ich bitte darum, dass alle Abgeordneten sich daran halten, dass die Stimmabgabe nur nach dem Namensaufruf erfolgt. Die Präsidiumsmitglieder sind dazu angehalten, darauf zu achten. Sie geben die Karten aus. Dann hat die Stimmabgabe zu erfolgen. Alle, die sich anstellen, bevor sie aufgerufen wurden, werden gnadenlos zurückgeschickt.

Sie sehen – das ist auch neu –, dass es jetzt zwei durchsichtige Urnen gibt. Die eine Urne ist für die abgegebenen Stimmen. Die andere Urne ist für die Stimmkarten, die Sie nicht benötigen, die also übrig bleiben.