Protokoll der Sitzung vom 26.10.2006

Ich sage dazu noch einmal ganz konkret: Niemand erwartet, dass der Schuldenberg plötzlich kleingekocht wird. Wir reden über einen ersten Schritt, bis 2011 einen verfassungsgemäßen Haushalt mit einer Absenkung der Netto-Neuverschuldung um 1,5 Milliarden €, und wir reden dann über den sehr viel schwierigeren zweiten Schritt, Schritt für Schritt in den kommenden zehn Jahren danach, also in 2011 und den Folgejahren, die NettoNeuverschuldung in Berlin herunterzuzonen, bis wir endlich dazu kommen, wenigstens den Schuldenberg zu beherrschen.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Konkrete Maßnahmen!]

Ja, kommt noch! Nun seien Sie doch ein bisschen geduldig! Ich habe auch ein bisschen Redezeit. Immer cool bleiben! Sie können sich durchaus auch selbst konkrete Maßnahmen ausdenken. So weit kennen Sie sich in Berlin eigentlich schon aus.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Sie haben diesen Job auch übernommen.

Deswegen behaupten Sie erstens nicht, dass es um eine andere Aufgabe geht, sondern nehmen Sie dieses Step-byStep-Modell – insofern unterscheiden wir uns auch von der FDP –, aber gehen Sie endlich an diese Aufgabe heran, denn so, wie Sie es momentan machen, weil Sie sich eben nicht konkret den Aufgaben stellen, Sie und die Damen und Herren von der SPD, die es nicht nötig haben, zuzuhören, wenn wir über konkrete Maßnahmen reden.

[Zurufe von der Linkspartei]

Sie werden mit der Art, wie Sie herangehen, Berlin praktisch im Jahr 2016, also nach noch einmal zwei Legislaturperioden, 100 Milliarden € Schulden bringen. Damit wird Berlin definitiv am Schuldenberg ersticken, und es gibt keine hoffnungsvollen Impulse mehr, dass sich Berlin positiv weiterentwickeln wird. Es besteht die Gefahr, dass Berlin tatsächlich diese Unterschichtenstadt wird, die uns der „Spiegel“ mit ziemlicher Häme in dieser Woche vorgehalten hat. Wer einmal eine sehr verarmte Hauptstadt sehen will, der schaue nach Washington D.C., da ist ein kleiner schöner Hauptstadtbereich in einer handlungsunfähigen und verarmten Stadt. Das möchten wir nicht für Berlin, und deswegen streiten wir darum, dass jetzt jeder Schritt ausgenutzt und an jeder Stelle gehandelt wird. Ich möchte nicht, dass die jüngere Generation, alle die, die jünger sind als ich, und schon gar die, die heute 20 Jahre und noch jünger sind, dann keinen Handlungsraum mehr haben. Ich möchte, dass dann hier ein Parlament und ein Senat arbeitet, der handlungsfähig ist, der Entscheidungsspielräume hat. Ich möchte, dass es in den Bezirken noch Entscheidungsräume gibt, und ich möchte nicht, dass Sie die systematisch kaputt machen, weil Sie heute zu feige sind zu handeln.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Kommen wir zu den konkreten Punkten,

[Ah! von der SPD und der Linksfraktion]

Als Erstes fällt auf, dass Sie gar kein klares Ziel haben. Sie eiern herum. Sie wissen immer noch nicht, ob Sie einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen wollen. Sie streiten sich darum wie die Kesselflicker. Das ist das Erste, das Sie für sich als Koalition klären müssen, und wir werden darauf reagieren. Herr Sarrazin ist in Ihre Sitzung mit einer Sparliste gegangen, und wie wir der Zeitung entnehmen konnten, ist er weitgehend gescheitert und liegt heute schon als Bettvorleger vor dem rot-roten Kuschelsofa, denn das, was am Montag

[Zurufe von der Linksfraktion]

ich komme ja da hin – aus Ihrer Koalitionsrunde gekommen ist, ist kein Sanierungsprogramm, sondern es ist

eine billige und viel zu kurz gegriffene Dünnbrettbohrerei. Ihre großmäuligen Anforderungen an den Bund bringen für die Haushaltsdebatte gar nichts, weder U 5 noch Schloss noch Staatsoper, weil sie gar nicht im Haushalt enthalten sind.

Das Zweite: Erhöhung der Grundsteuer und der Grunderwerbsteuer. Wir haben sehr deutlich gesagt: Wir tragen das mit, auch wenn es für die Eigentümer und Mieter schmerzhaft ist,

[Uwe Doering (Linksfraktion): Da haben wir doch etwas gemacht!]

aber wir fordern, dass das in ein gerechtes und viele andere mit einbeziehendes Konzept eingebaut wird, in ein Sparprogramm, das nicht sagt: Den Mieter drücken wir das aufs Auge, aber bei den Kitas entlasten wir auf einmal wieder in der anderen Richtung. – So ungerecht kann man nicht an das Thema herangehen, sondern dann muss man gleichmäßig, jeweils verträglich, belasten.

[Christian Gaebler (SPD): Kitagebühren erhöhen?]

Insofern, weil wir bei dem Thema Steuern und Einnahmenseite sind, sagen wir, und Berlin verträgt das durchaus: Die Gewerbesteuer gehört aus unserer Sicht mit aufgerufen. Und wir sagen auch, die Getränkesteuer, damit der Regierende Bürgermeister, wenn er das nächste Mal wieder so ins Bier weint wie vorhin bei seiner Einstiegsrede, dann auch eine angemessene Steuer dazu zahlt und Berlin ein bisschen was davon hat.

[Beifall bei den Grünen]

Wir sind auch der Meinung, dass so etwas wie eine Touristentaxe oder Kulturtaxe für Berlin durchaus diskutabel ist.

Kommen wir zum zweiten Baustein: Umgang mit den landeseigenen Unternehmen. Da machen Sie geradezu groteske Vogel-Strauß-Politik. Schauen Sie sich den FDP-Antrag genau an! Wenn Sie so arbeiten, wie Sie das jetzt machen, müssen Sie – oder hoffentlich nicht mehr Sie, aber leider dann andere – in fünf bis zehn Jahren alles das beschließen, was in dem Antrag des Kollegen Dr. Lindner steht.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Das wollen Sie doch!]

Nein, das wollen wir nicht! Das ist genau der Unterschied, das habe ich Ihnen vorhin schon gesagt, und wenn Sie nicht zuhören können, dann sollten Sie es jetzt endlich lernen. Wir wollen nicht, dass hier in zehn Jahren der Insolvenzverwalter steht.

Sie rufen die GSG auf und sagen, Sie wollen prüfen, ob Sie die GSG verkaufen. Wenn ich es damals richtig verstanden habe, haben Sie für die GSG bereits ca. 200 Millionen € von der Investitionsbank Berlin abkassiert. Insofern reden Sie doch nicht über die GSG, sondern reden Sie darüber, dass Sie weiteres Geld aus der Investitionsbank Berlin ziehen wollen, und sagen Sie konkret, wie Sie das machen wollen, statt dass Sie uns hier etwas erzählen, was in dieser Form so überhaupt nicht stimmt.

[Michael Müller (SPD): Das hat doch damit gar nichts zu tun!]

Dann werden Sie an einem solchen Punkt endlich konkret!

[Beifall bei den Grünen]

Die Punkte BEHALA, Großmarkt, Liegenschaftsfonds, Münze werden bislang überhaupt nicht aufgerufen.

Und eines, Herr Kollege Müller: Wenn Sie die städtischen Wohnungsunternehmen nicht verkaufen wollen, habe ich durchaus Verständnis dafür, weil ich weiß, was für wohnungspolitische Probleme das bringt. Aber dann machen Sie das, was sowieso schon seit Jahren nötig gewesen wäre, eine schrittweise Heranführung – auch da bin ich für schrittweises Vorgehen und nicht dafür, heute einfach alles über das Knie zu brechen – an die Zahlung von 200 Millionen € Zinsen, die uns die PDS so wunderschön vorrechnet. Damit Sie im ersten Jahr 50, im zweiten Jahr 100, im dritten Jahr 150 und im vierten Jahr von da ab laufend 200 Millionen € zur Zinsentlastung jährlich von den Wohnungsunternehmen auch wirklich einnehmen, denn das sind die Wohnungsunternehmen Berlin schuldig. Zu meinen, man könnte einen Bogen um die Wohnungsunternehmen machen, eine Art Gartenzaun, damit sie überhaupt keinen Beitrag zur Sanierung des Berliner Haushalts leisten, das kann es nicht sein. Ich weiß, Frau Bluhm wird uns das wieder sagen, dass das den Wohnungsunternehmen nicht zumutbar ist.

[Zurufe von der Linksfraktion]

Ich weiß, dass auch das hart ist. Ich weiß auch, dass das den Mietern Probleme bereitet, aber – das sage ich jetzt auch in die andere Richtung – wir wissen ganz genau, dass ein Verkauf an Cerberus oder andere Heuschrecken sofort dazu führen würde, dass da enorm Geld herausgezogen werden würde. Insofern frage ich mich, warum die Wohnungsunternehmen nicht so effizient und solide wirtschaften können, dass sie Schritt für Schritt an Berlin einen deutlichen Zins abliefern können.

[Beifall bei den Grünen]

Der nächste Punkt: Solidarpakt im öffentlichen Dienst. Da habe ich schon gelesen, dass er irgendwie debattiert werden soll und Sie sich pflaumenweich darum herumdrücken, was da nun passieren oder nicht passieren soll. Und die berühmten 100 000 Beschäftigten bis 2011 pfeifen doch die Spatzen nun schon Jahr für Jahr vom Dach. Das ist doch auch keine Neuerfindung. Das ist keine zusätzliche Sparmaßnahme. Wir sagen ganz konkret: Die 400 Millionen €, die bei einer Fortsetzung des Solidarpakts zu erwarten sind, müssen in dieser Höhe auch jetzt in einen Finanzplan hineingenommen werden, und darum können Sie sich nicht drücken. Der öffentliche Dienst muss in Berlin einen weiteren Beitrag leisten, und eine Koalition, die regieren will, muss sich klare, konkrete Ziele hier und heute und in diesen Koalitionsverhandlungen stellen und kann nicht sagen: Wir wissen ja nicht, ob wir dieses oder jenes bekommen oder nicht. Wenn Sie so wenig von Planung verstehen, Herr Liebich, dann weiß

ich nicht, was Sie in den letzten Jahren gelernt und gemacht haben, vor allem im Sozialismus, der gemeint hat, er sei die perfekteste Form von Planwirtschaft.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

Dann ist es mit Ihren Sparvorschlägen schon vorbei. Dann gestattet sich eine Koalition oder eine Verhandlungsgruppe, die Senat werden möchte, in die Hoheit des Parlaments einzugreifen, und beschließt, das Parlament solle auf 130 Abgeordnete verkleinert werden und auf die Diätenerhöhung verzichten.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Schlimm!]

Ich halte beide Vorschläge für gut und richtig und unterstütze sie, und Sie haben auch die Unterstützung unserer Fraktion. Trotzdem bin ich dafür, dass auf die Kleiderordnung geachtet wird und dass nicht ein kommender Senat über die Rechte des Parlaments befindet, sondern dass das dieses Haus tut.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Jetzt kommen noch ein paar Vorschläge von uns Grünen: Sparmaßnahmen im Beamtenrecht. Hier hat Berlin seit Neuestem Entscheidungshoheit, sollte sie auch nutzen und ein Stück weit herangehen, weil es nicht einzusehen ist, dass die Angestellten im öffentlichen Dienst anders behandelt werden als die Beamten. Hier gibt es durchaus Einsparpotenziale und neue Handlungsmöglichkeiten.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Was genau sollen wir machen?]

Das Zweite sind Kürzungen im Bereich der inneren Sicherheit. Das sehen wir anders als der Kollege Pflüger. Hier gibt es durchaus Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung. Die kann und muss man ausnutzen. Die werden im Karlsruher Urteil sehr deutlich aufgespießt und angemahnt.

Ein nächster Punkt ist: Wir sparen einiges, wenn die Kitas zu 100 % in freie Trägerschaft übertragen werden. Hier sollte der Senat mutiger herangehen als bisher.

[Beifall bei den Grünen]

Ein nächster Punkt: Überprüfung und Vereinheitlichung der Kostensätze für entgeltfinanzierte Leistungen. Da wird bisher nach dem Lustprinzip herangegangen oder nach Beziehungen, die die einzelnen Träger jeweils zum Senat haben. Das halten wir nicht für richtig. Wir sind für einheitliche Sätze auf dem Niveau des Durchschnitts.

Unsere Vorschläge machen zusätzlich ein Einsparvolumen von etwa 600 Millionen € jährlich aus. Haben Sie den Mut! Was längst in der Diskussion ist und wo Sie momentan nicht so weit springen wollen, sondern ständig davor zurückzucken, macht ein Sparvolumen von 1 Milliarde € aus. Nehmen Sie unsere Vorschläge dazu, dann haben Sie 1,6 Milliarden € und können bis 2011 einen verfassungskonformen Haushalt vorlegen. Dann sind wir schon einen ersten Schritt weiter. Ich warne davor zu sa

gen: Weil wir hinterher größere Probleme bekommen – und die bekommen wir tatsächlich, weil der Solidarpakt schrittweise ausläuft und weil Sie Berlin momentan so kaputtreden, dass bald keiner mehr Lust hat, in diese Stadt zu kommen und neue Wirtschaft aufzubauen –, weil wir diese kommenden Probleme haben, ist jeder Euro mehr, der heute bei der Netto-Neuverschuldung gespart wird, existenziell wichtig. Die Art, wie Sie herangehen, vor allem die PDS, die immer sagt: Es lohnt nicht, heute zu sparen, denn morgen werden die Probleme noch größer sein –, das ist hanebüchen. Wer so an die Politik herangeht, sollte sein Geld gleich zurückgeben. Es darf in dieser Stadt nicht passieren, dass so getan wird, als müsse man heute nicht handeln, weil man morgen Probleme hat. Das ist eine Herangehensweise, die ich skandalös finde, schon gar für eine Partei, die meint, sie wolle hier Regierungsverantwortung übernehmen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich möchte noch etwas Grundsätzliches sagen. Herr Pflüger hat ein Angebot gemacht, das ich für sehr wichtig halte. Die Schulden werden uns jahrzehntelang in dieser Stadt begleiten. Aber diese Sache kann nicht nur in kleinen Koalitionsverhandlungen verhandelt werden, sondern sie braucht eine Grundhaltung, die die gesamte Berliner Gesellschaft mitnimmt und der ganzen Stadt Mut macht, zu handeln und Einschnitte zu akzeptieren. Diese Mentalität – Herr Sarrazin hat gesagt, jeder geht auf seinen Misthaufen und kräht, ich sage, jeder verteidigt sein Terrain und sagt: Bei mir muss nicht gespart werden, weil bei den anderen auch nicht gespart wird – müssen wir in dieser Stadt überwinden. Nur dann kann es gelingen, wenn erstens alle gemeinsam sagen: Wir gehen nach vorne und weisen nicht ständig immer nur nach, wo es nicht geht. Das Zweite ist, wir müssen es gemeinsam in die Bürgerschaft und in die Stadt hinein vermitteln, wir müssen den Gemeinsinn in Berlin stärken, und zwar in einer mutigen Weise, nicht in dieser hasenfüßigen Art, wie Sie es heute machen. Die ist unerträglich. Die hat Berlin nicht verdient. Lassen Sie uns endlich mutig gemeinsam herangehen! Lassen Sie uns die ersten anderthalb Milliarden einsparen! Und lassen Sie uns dann Schritt für Schritt gemeinsam sehen, wie wir in dieser schwierigen Lage in den Jahren ab 2011 weiter vorankommen, wenn die Luft noch einmal deutlich dünner wird. Nur in dieser Art – Sie haben es Hauptstadtpakt genannt, ich empfehle ein Bündnis für Berlin, aber mir ist egal, wie das heißt –, nur wenn die Politik endlich einen Schulterschluss macht und die harten Einschnitte gemeinsam trägt, entwickelt sich in der Stadt ein anderes Bewusstsein. Wir müssen ehrlich mit den Bürgern reden und dürfen nicht so tun, als könnten wir sie vor bestimmten Einschnitten einfach bewahren, denn das können wir nicht. Die Bürger werden es bezahlen.