Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 19. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Ich habe die angenehme Aufgabe, Frau Dr. Jutta KochUnterseher von der Fraktion der SPD zum Geburtstag zu gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute!
Ich gratuliere ebenfalls Frau Mari Weiß von der Linksfraktion. Sie hat geheiratet. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute für die Zukunft!
Am Montag, dem 8. Oktober 2007, sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Kinder – Reichtum oder Armutsrisiko? Wirksame Strategien gegen Kinderarmut entwickeln“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Keine Einschüchterung von Abgeordneten durch Presseveröffentlichung von Steuerdaten“,
3. Antrag der Linksfraktion zum Thema: „Kinder – Reichtum oder Armutsrisiko? Wirksame Strategien gegen Kinderarmut entwickeln“,
4. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Gemeinschaftsschule: gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht!“,
5. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-Rot macht Politik gegen die Wirtschaft und gegen Arbeitsplätze: erst Steuererhöhungen, dann Umweltzone und jetzt Anschlusszwang an die Berliner Wasserbetriebe!“.
Zur Begründung der Aktualität rufe ich jetzt auf. Für die Linksfraktion spricht Frau Dr. Barth. – Bitte, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion schlägt vor, sich im Rahmen der Aktuellen Stunde über das Problem der Kinderarmut zu verständigen. Die Aktualität des Themas ergibt sich für uns aus mindestens drei Gesichtspunkten. Erstens sind es die aktuellen Zahlen, die in erschreckendem Ausmaß die Kinderarmut in der Bundesrepublik, aber auch in unserer Stadt Berlin sichtbar machen. Ein Drittel aller Minderjährigen in Berlin lebt von staatlichen Transferleistungen. Das ist bei den
unter 14-Jährigen, die 208 € im Monat für Essen, Bekleidung, Hort- und Kitabeiträge, gesundheitliche Versorgung und Freizeitaktivitäten bekommen, eine große Anzahl. Besonders betroffen sind die unter Siebenjährigen. Fast 41 Prozent dieser Altersgruppe sind arm. Das ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum eine Steigerung um genau 5 Prozent. Fast 70 Prozent aller Eltern, die ihre Kinder in einer vorschulischen Einrichtung fördern lassen, haben ein Jahreseinkommen von unter 22 500 € zur Verfügung. Da geht es nicht – mit Verlaub, Herr Regierender Bürgermeister – um das neueste Handy oder um den falschen Umgang mit Geld im Allgemeinen, sondern um die Chance, ein nach unseren Maßstäben ganz normales Leben zu führen.
Diese Chance haben die betroffenen Kinder offensichtlich nicht – die Folgen für ihren Zugang zu Bildung, der Bildungserfolg, ihre Gesundheit und ihre gleichberechtigte Teilnahme am Leben der Gleichaltrigen sind fatal.
Das Schlimmste aber ist, dass unsere so reiche Gesellschaft diesen Kindern offenbar keine Chance gibt, aus dem Teufelskreis der Armut auszubrechen. Studien sprechen längst von einem Prekariat, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Armut und Chancenlosigkeit auf nachfolgende Generationen vererbt werden und ein Entrinnen daraus offenbar immer schwerer wird. Damit kann und will sich meine Partei nicht abfinden.
Damit komme ich zum zweiten Gesichtspunkt, der die Aktualität dieses Themas begründet: Die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft schreitet fort. Insbesondere mit der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetzgebung wurde sie weiter verschärft.
Hartz IV hat besonders die Kinderarmut in erschreckender Weise sichtbar gemacht und deutlich verschärft. Nicht zuletzt deshalb forderte und fordert meine Partei eine Rücknahme von Hartz IV.
Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, dass wir damit nicht allein stehen. Auf Druck der Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften, der Wissenschaft und anderer Kräfte wird gerade in diesen Tagen auf Bundesebene zwischen den Koalitionspartnern und innerhalb der SPD und der CDU über deutliche und aus unserer Sicht längst überfällige Korrekturen dieser Gesetze und eine politische Kurskorrektur laut nachgedacht.
Gerade im Hinblick auf die Regelsätze für Kinder, auf ihre Berechnungsgrundlage, auf die Frage der Anrechenbarkeit des Kindergeldes und der Entwicklung des Kinderzuschlages zu einer elternunabhängigen Kindergrundsicherung sehen wir als Linke deutlichen Handlungsbedarf – hier muss sich Berlin positionieren.
Ein dritter Gesichtspunkt: Die enorme Kinderarmut in unserer Stadt, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das Ergebnis einer nicht freundlichen Kinder- und Familienpolitik
Sie müssen die Zusammenhänge etwas genauer betrachten, Herr Lindner, und ich traue es Ihrer Intelligenz zu, dass Sie das auch können!
Eine Politik, die die sozial Benachteiligten weiter schröpft und ihnen dann die Verantwortung für die Folgen aufbürdet – das Elterngeld ist das beste Beispiel dafür. Der rotrote Senat hat seit 2002 versucht, seine Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung mit sozialem Augenmaß umzusetzen – und das war nicht einfach!
Wir müssen den Vergleich mit anderen Kommunen nicht scheuen. Gerade in der frühkindlichen Förderung, der Ganztagsschulentwicklung und in anderen Bereichen bescheinigt uns der Familienatlas 2007, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Trotzdem sind wir gefordert und müssen uns angesichts der gegenwärtigen Haushaltsberatung fragen, was wir tun können und tun müssen, um der Kinderarmut im Land Berlin entgegenzuwirken und ihre Folgen zu bekämpfen.
Vielen Dank, Frau Dr. Barth! – Für die CDU-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Kollege Dr. Pflüger das Wort. – Bitte schön, Herr Dr. Pflüger!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein einmaliger Vorgang in der Parlamentsgeschichte, dass ein kompletter Ausschuss Strafanzeige gegen einen Finanzsenator stellt. Was hier vorgefallen ist, ist nicht nur eine Sache der Gerichte, die sich damit beschäftigen werden. Es ist auch Sache dieses Parlamentes, und daher beantragen wir eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema.
Tatsache ist, dass diese Anzeige auch Abgeordnete der SPD und der Linken unterzeichnet haben. Es geht also nicht um eine parteipolitische Auseinandersetzung, auch nicht um das übliche Kräftespiel zwischen Regierung und Opposition, sondern es geht um eine grundsätzliche Frage des Selbstverständnisses des Parlaments. Wenn jemand wie Kollege Doering von der Linksfraktion sagt, dies sei ein ungeheuerlicher Vorgang, Sarrazins Verhalten sei nicht hinnehmbar, wenn selbst der Kollege Gaebler – sonst die Inkarnation des Parteikämpfers in diesem Haus –