Protokoll der Sitzung vom 11.10.2007

[Oh! von der CDU – Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

erklärt, dass das Verhalten von Herrn Sarrazin nicht klug gewesen sei, dann ist das ein Vorgang, der weit über das übliche parteipolitische Zanken hinausgeht, dass wir manchmal in Parlamenten erleben.

Das Steuergeheimnis ist ein hohes und schützenswertes Gut, es gilt für alle Bürger, einschließlich der Politiker. Es ist die Pflicht freier Abgeordneter zu kontrollieren, kritische Fragen zu stellen, aufzuklären. Das ist ihre Pflicht, insbesondere wenn sie im Petitionsausschuss sitzen und Anwälte der Bürger sind. Was jetzt in Folge einer politischen Auseinandersetzung passiert ist, ist die Einschüchterung des Parlaments, sozusagen die Warnung Sarrazins an alle: Wenn ihr euch kritisch mit mir auseinandersetzt, werdet ihr am Ende des Tages sehen, was ihr davon habt. – Das darf ein Parlament nicht hinnehmen!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Vielleicht waren die Vorwürfe der drei Kollegen überzogen,

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Ach was!]

das ist durchaus möglich. Wir können das nicht beurteilen, wir wollen das nicht beurteilen.

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Entscheidend ist nicht, ob es so war oder ob es nicht so war, sondern entscheidend ist, dass wir als Parlament – gemeinsam mit allen Fraktionen und zusammen mit dem Präsidenten – ein Verfahren angeboten und im Ältestenrat verabredet hatten, wie wir diese schweren Vorwürfe der

Abgeordneten klären können – auch unter Offenlegen deren Steuergeheimnis –, um dann die Öffentlichkeit über die Ergebnisse zu informieren. Wir haben gemeinsam ein Verfahren entwickelt, und dieses Verfahren hat Herr Momper als Parlamentspräsident dem Regierenden Bürgermeister vorgetragen. Er schreibt in seinem Brief an den Regierenden Bürgermeister:

Wegen der Sensibilität der hier zu betrachtenden Unterlagen und Daten der Betroffenen bitte ich Sie, Veranlassungen dahin gehend zu treffen, dass bei der Bearbeitung und Übermittlung der Vorgänge auf die Wahrung der Vertraulichkeit größte Sorgfalt gelegt wird.

Herr Momper! Sie sind doch unser aller Parlamentspräsident. Wollen Sie sich das eigentlich gefallen lassen, dass Herr Sarrazin und der Senat Ihren und unseren Vorschlag desavouiert, indem Herr Sarrazin gerade nicht das tut und im Ältestenrat nicht mit uns darüber spricht, sondern sich mit einer siebenseitigen Presseerklärung an das Volk wendet? Sind Sie Parteisoldat, oder sind Sie der Präsident aller Abgeordneten dieses Hauses? Das ist die Frage, die wir uns stellen!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Niemand wird Herrn Sarrazin einen Vorwurf machen, dass er seine Behörde schützen will. Niemand macht Ihnen, Herr Sarrazin, den Vorwurf, Sie täten nicht alles, um das Vertrauen in die Finanzbehörde nicht beschädigen zu lassen. Das ist Ihre Pflicht. Es ist aber unverhältnismäßig, sieben Seiten Presseerklärung über Steuergeheimnisse von Bürgern in die Öffentlichkeit zu setzen. Das ist unverhältnismäßig, Herr Sarrazin, zumal es ein alternatives, von allen verabredetes Verhalten gegeben hätte. Diese Form, die Sie gewählt haben, ist Machtmissbrauch, und den weisen wir auf das Schärfste zurück!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Würden Sie bitte zum Schluss kommen, Herr Kollege Pflüger!

Ich komme zum Schluss, indem ich an alle Kolleginnen und Kollegen appelliere: Es geht um eine entscheidende Frage von Parlamentsverständnis. Wenn wir es einreißen lassen, dass eine Exekutive in einer gewaltenteiligen Demokratie so mit dem Parlament und mit Abgeordneten umgeht – gleich, ob diese Abgeordneten recht haben oder nicht –,

[Martina Michels (Linksfraktion): Na, na! – Zurufe von Uwe Doering (Linksfraktion) und Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

wenn wir das nicht zurückweisen, dann machen wir uns billig. Wir müssen diese Sache aufklären, und es geht nicht, dass dieses Haus so tut, als könne man zur Tages

ordnung übergehen. Wir müssen Parlamentsverständnis vor Parteipolitik stellen, das ist mein Appell an Sie alle!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Danke schön, Herr Dr. Pflüger! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Mutlu das Wort. – Bitte schön, Herr Mutlu!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kern grüner Bildungspolitik ist es, dass Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlicher Kulturen, mit und ohne Behinderungen, Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder Hochbegabungen gemeinsam unterrichtet und individuell gefördert werden. Deshalb sind wir der Einladung des Bildungssenators gefolgt und dem Beirat „Gemeinschaftsschule“ beigetreten. Die Entwicklungen der letzten Wochen und Äußerungen mancher Koalitionspolitiker lassen allerdings nichts Gutes ahnen. Daher sage ich: Ein Augen-zu-und-durch gibt es mit uns nicht.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Rot-Rot will angeblich mehr gemeinsames Lernen im Rahmen eines Pilotprojekts Gemeinschaftsschule erreichen – ein Ziel, das wir grundsätzlich begrüßen und unterstützen.

[Gelächter bei der Linksfraktion – Zurufe von der SPD]

Allerdings ist der Weg dahin noch sehr weit. Kein einziges Berliner Gymnasium hat Interesse bekundet, an der Pilotphase der Gemeinschaftsschule mitzumachen. Keine Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, abgesehen von der Fritz-Carsen-Schule, die seit Jahrzehnten schon Gemeinschaftsschule ist, ist noch dabei. Etliche Schulen sind auf dem Rückzug. Bei Eltern und Lehrerinnen bzw. Lehrern, die im Prinzip für das Modell der Gemeinschaftsschule sind, wächst die Skepsis, weil die Rahmenbedingungen wie Personal und Raumausstattung immer noch ungeklärt sind.

[Da machen sich die Grünen vom Acker! von der SPD – Uwe Doering (Linksfraktion): Bloß keine Verantwortung übernehmen!]

Das ist nicht nur bedauerlich, das sind ernsthafte Alarmzeichen, die von Rot-Rot rigoros ignoriert werden. Wir nehmen diese Alarmzeichen ernst und fordern Sie auf, den Realitäten ins Auge zu sehen.

[Beifall bei den Grünen]

Heute, hier und jetzt wollen wir über dieses Thema diskutieren. Wenn es Ihnen ernst wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, hätten Sie genau dieses Thema zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht, um die Zweifel auszuräumen.

[Beifall bei den Grünen – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Die Tatsache, dass Sie nicht bereit sind, darüber zu diskutieren, zeugt davon, dass es Ihnen nur um Ideologie geht.

[Beifall bei den Grünen – Ah! von der Linksfraktion]

Die Pilotphase bringt nichts, wenn einige Gesamtschulen, manche Haupt- und Realschulen ein wenig Gemeinschaftsschule üben. Die Probleme der Hauptschulen, der unerträgliche Unterrichtsausfall, Gewalt an den Schulen, die Raumnot – ein ganz großes Problem der Berliner Schulen –, um nur einige Missstände zu nennen, schreien nach flächendeckenden Lösungen. Scheinbar geht es Ihnen nur um dieses Pilotprojekt, alles andere ist egal. Was machen Sie? – Sie machen Business as usual. Statt die Fragen und Sorgen der Schulen im Interessenbekundungsverfahren ernst zu nehmen, reagieren SPD und Linksfraktion auf die wachsende Skepsis mit unsachlichen Empfehlungen. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD schlägt sogar vor, die vorgesehene Zweidrittelmehrheit in der Schulkonferenz aufzuheben. Mehr fällt ihr scheinbar dazu nicht ein.

Dieser Schritt würde der Idee der Gemeinschaftsschule extrem schaden. Gemeinsames Lernen wird nur zum Erfolgsmodell, wenn eine breite Mehrheit der Beteiligten dahintersteht. Hier wird die Qualität für Quantität geopfert. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die rot-rote Koalition mit Macht und wider besseres Wissen ein Modellprojekt durchsetzen will, damit die Linksfraktion einen politischen Erfolg vermelden kann.

[Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Das Ziel „mehr und längeres gemeinsames Lernen“ droht, den ideologischen Interessen der Linksfraktion geopfert zu werden. Und Sie von der SPD machen mit!

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

Eine Fortsetzung der Mitarbeit im Beirat hätte nur unter folgenden Bedingungen Sinn:

Erstens: Die Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule müssen eine klare und eindeutige Perspektive zum Abitur haben. Bisher ist davon nicht die Rede.

[Beifall bei den Grünen]

Die Guten auf das Gymnasium, die anderen auf die Gemeinschaftsschule! Ohne gymnasiale Oberstufe – das ist nicht unser Verständnis von Gemeinschaftsschule.

[Beifall bei den Grünen]

Zweitens: Die Gemeinschaftsschule muss nicht nur offen für alle Leistungsgruppen sein, sondern sie muss die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler zum Ziel haben. Ohne leistungsheterogene Lerngruppen ist die Gemeinschaftsschule zum Scheitern verurteilt. Das sollten Sie besser wissen.

Individuelle Förderung kann nicht verordnet werden, sie muss von den Lehrerinnen und Lehrern auch beherrscht werden. Deshalb ist es auch wichtig, dass eine gründliche Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer stattfindet. Mit dreitätigen Crashkursen schaffen Sie das nicht.

[Zuruf von Steffen Zillich (Linksfraktion)]

Die Ereignisse der letzten Wochen, die Tatsache, dass so viele Schulen abgesprungen sind, sind ernste Alarmzeichen. Wenn Sie von der SPD der Meinung sind, diese Gemeinschaftsschule soll erfolgreich sein, dann nehmen Sie diese Alarmzeichen ernst! Lassen Sie sich nicht von der Linksfraktion vorführen! – Danke sehr!

[Beifall bei den Grünen – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die FDPFraktion hat nunmehr der Kollege Thiel das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Thiel!