Protocol of the Session on January 24, 2008

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 23. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle ganz herzlich, auch unsere Gäste sowie die Medienvertreter und alle, die sich für unsere Arbeit interessieren. Wem ich das persönlich noch nicht sagen konnte, dem wünsche ich ein gutes neues Jahr, vor allen Dingen Gesundheit, das ist ja bekanntlich das Wichtigste.

Dann habe ich die Freude, dem Kollegen Torsten Schneider von der SPD-Fraktion zum Geburtstag zu gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute für das neue Lebensjahr!

[Allgemeiner Beifall]

Weiter habe ich zu vermelden, dass der Kollege Carl Wechselberg beim Glatteis wie so viele böse gestürzt ist und sich den Arm ziemlich kompliziert gebrochen hat. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn wir ihm gute Genesungswünsche nach Hause an den Bildschirm senden. – Alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Dann habe ich neu Herrn Staatssekretär Heuer vorzustellen. – Herr Heuer, herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus! Gute Zusammenarbeit!

[Allgemeiner Beifall]

Dann komme ich zum Geschäftlichen: Es gibt eine zusätzliche Ausschussüberweisung: Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine“ Drucksache 16/0953, eingebracht in der 20. Sitzung am 8. November 2007 und überwiesen federführend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung, soll nunmehr zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung überwiesen werden. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann wird so verfahren.

Sodann ist ein Antrag zurückgezogen worden, nämlich der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über „Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes/Änderung der Aufnahmeregelung für die Grundschulen“ Drucksache 16/0539, eingebracht in der 12. Sitzung am 24. Mai 2007 und überwiesen an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie.

Am Montag, dem 21. Januar 2008 sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Frühzeitiges Handeln statt starker Sprüche – mit Prävention und Konsequenz gegen Jugendkriminalität und Jugendgewalt“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Kein Maulkorb, keine Zwangsversetzung des Oberstaatsanwaltes Reusch – Jugendgewalt entschieden bekämpfen!“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Wie weiter mit dem Solidarpakt? – Koalition zerstritten und planlos“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Jetzt kommt der Kampf gegen die Gymnasien – Linke zwingt die SPD zur Einheitsschule!“.

Zur Begründung der Aktualität rufe ich Frau Scheeres von der Fraktion der SPD auf. – Bitte, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen die Aktuelle Stunde zum Thema „Frühzeitiges Handeln statt starker Sprüche – mit Prävention und Konsequenz gegen Jugendkriminalität und Jugendgewalt“. Das schreckliche aktuelle Ereignis in München, wo zwei junge Männer einen älteren Passanten brutal in einer U-Bahn verprügelt und verletzt haben, bewegt ganz Deutschland. Auch wir hier in Berlin sind sehr entsetzt darüber, wir verurteilen diese Tat.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ein solches Verhalten von jungen Menschen ist inakzeptabel, und hier müssen auch Konsequenzen folgen. Ich denke, darüber sind sich alle Parteien einig. Wir wollen daher heute in der Aktuellen Stunde den Anlass nutzen, um eben über die Konsequenzen solcher Taten zu reden. Wir wollen über die Vermeidung von Gewalt reden und darüber, wie sich Menschen auch in unserer Stadt sicher fühlen können. Wir wollen deshalb über langfristige Politikansätze diskutieren, statt über kurzfristige Symbolpolitik zu reden.

Da die Debatte, die zurzeit über Jugendgewalt geführt wird, auch vor einem bestimmten Hintergrund geführt wird, möchte ich kurz auf die aktuelle Diskussion eingehen, die ja an unserer Stadt auch nicht ganz vorbeigegangen ist. Leider wurde dieses Ereignis, das ich eben beschrieben habe, instrumentalisiert, um eine Verschärfung des Strafrechts zu fordern und Vorurteile gegen junge Menschen mit Migrationshintergrund zu schüren.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Hintergrund waren kurzsichtige Wahlkampfüberlegungen. Ich gehe davon aus, dass Ministerpräsident Koch am Sonntag eine heftige Quittung von den hessischen Wählerinnen und Wählern erhalten wird.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Ein Ministerpräsident, in dessen Land seit 1997 die Gewaltkriminalität um 20 Prozent gestiegen ist, sollte sich lieber ein wenig zurückhalten. Er sollte sich einmal Gedanken darüber machen, was denn in letzten Jahren in seiner Regierungszeit schiefgelaufen ist.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sündenböcke zu suchen, hilft hier niemandem. Bedauerlicherweise hat diese kurzsichtige Strategie ja auch Freunde in Berlin gefunden, und zwar in der Berliner CDU. Hier gibt es Stimmen, die sich dafür einsetzen, das Strafmündigkeitsalter von 14 auf 12 Jahre zu senken – wir reden hier über Kinder –, eine Position, mit der auch Herr Koch von seiner Partei zurückgepfiffen wurde. Und ich sage Ihnen ganz deutlich: Mit uns ist dieses erst recht nicht zu machen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und Herr Henkel, eine geschlossene Unterbringung im Bereich der Jugendhilfe kommt für uns überhaupt nicht infrage!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir möchten die Aktuelle Stunde nutzen, um den Berliner Bürgerinnen und Bürgern unsere Ansätze deutlich zu machen. Wir nehmen seit Jahren das Thema „Jugendgewalt“ ernst. Wir gehen in Berlin den richtigen Weg. Wir haben Strategien entwickelt und in konkretes Handeln umgesetzt. Die Berliner Kommission gegen Gewalt arbeitet schon seit über zehn Jahren in Berlin kontinuierlich und erfolgreich. Wir setzen auf frühzeitige Prävention und auf die klare und schnelle Bestrafung von Straftaten. Wer Gewalt vermeiden will, muss auch klare Grenzen setzen. Wir sind der Auffassung, dass das bestehende Jugendstrafrecht dies tut. Es muss allerdings konsequent angewandt werden. Wer Gewalt vermeiden will, muss aber auch klare Angebote machen. Wer in unsere Gesellschaft integriert ist und etwas zu verlieren hat, wird dies nicht mit sinnloser Gewalt aufs Spiel setzen. Deshalb ist die Eröffnung von Chancen für junge Menschen die beste Gewaltprävention. Zugänge von Bildung haben hier einen ganz besonderen Schlüsselwert.

Unsere Anstrengungen im Bereich der Kindertagesbetreuung und unser Bildungsansatz in den Kindertageseinrichtung helfen, von Anfang an zu fördern und nicht auszusortieren. Dieser Ansatz wird auch durch unsere Schulpolitik weitergeführt.

Wir müssen aber auch mit den Gewalterfahrungen von jungen Menschen umgehen. Die Ächtung familiärer Gewalt ist ein wichtiger Schritt, um der Gewaltspirale etwas entgegenzusetzen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Gewalt in unserer Gesellschaft ist kein Jugendproblem. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft. Die Kultur des Hinsehens darf nicht erst in der U-Bahn beginnen, sondern muss bereits in den Kinderzimmern anfangen. Wir müssen aber auch auf die Gewalt, die unter jungen Menschen herrscht, angemessen reagieren. Wir müssen jungen Menschen Wege aufzeigen, mit ihren Konflikten, ihren Frustrationen umgehen zu können, ohne auf Gewalt zurückzugreifen. Wir müssen ihnen helfen, Probleme zu lösen, ohne dass sie ihre Faust oder Stiefel einsetzen. Ich bin der

Auffassung, dass wir in Berlin gute Ansätze haben, die wir umsetzen.

Es gibt vielfältige Ansätze, die bereits angesprochen wurden, über die es sich aber lohnt, heute in einer Aktuellen Stunde zu diskutieren. Dies gilt nicht zuletzt für unsere Initiative im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs. Es gibt jedoch auch Raum für Verbesserungen. Es kann uns nicht zufrieden stimmen, wenn wir heute rund 30 Prozent weniger Tatverdächtige Kinder und Jugendliche haben– was eigentlich positiv ist –, aber auch eine steigende Zahl der Jugendgruppengewalt feststellen. Es macht uns auch nicht zufrieden, dass wir in Berlin – in Betrachtung des Bundesvergleichs – gut dastehen und Erfolge aufzuzeigen haben. Wir wollen noch besser werden.

Würden Sie bitte zum Schluss kommen, Frau Kollegin?

Ich komme zum Ende. – Dazu gibt es viele Möglichkeiten. In den Haushaltsberatungen haben wir weitere Ansätze festgelegt. Wir haben ein zusätzlichen Jugendpräventionsprojekt, ein spezielles Fallmanagement und ein Modellprojekt, das gerade die Erziehungskompetenz von Migrantenfamilien stärken soll, auf den Weg gebracht. Wir können an bestimmten Stellen besser werden. Im Strafrecht hingegen sind die richtigen Weichen gestellt. Wer mehr Sicherheit will, darf sich nicht nur auf die Strafverfolgung beschränken. Wir stehen an der Seite der Menschen und wollen ihnen Sicherheit geben. Hier geht es nicht nur um Sühne.

Ich würde mich freuen, wenn wir heute die Möglichkeit bekommen könnten, unsere Präventionsansätze vorstellen zu können und gemeinsam zu diskutieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Frau Kollegin Scheeres! – Für die CDUFraktion hat nunmehr der Kollege Henkel das Wort. – Bitte schön, Herr Henkel!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage für meine Fraktion eine Aktuelle Stunde zum Umgang des Senats mit Oberstaatsanwalt Reusch und zum Thema Jugendgewalt. Als wir unser Thema zur Aktuellen Stunde angemeldet haben, konnten wir noch nicht ahnen, dass wir über dieses Problem heute in ganz anderer Qualität diskutieren müssen. Noch am Montagabend hieß es aus der Staatsanwaltschaft, in der Sache Reusch sei noch nichts entschieden. Aber offenbar wird die Halbwertzeit der Aussagen aus der Justiz immer kürzer, und so war die Angelegenheit nur einen Tag später abgehakt.

In einer kurzen, nüchternen Presseerklärung gab die Senatorin bekannt, dass sie sich über eine Neubesetzung an der Spitze der Intensivtäterabteilung freue.

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Das ist so weit so gut. Für uns ist aber befremdlich, dass sie Herrn Reusch in ihrer Presseerklärung nicht einmal namentlich erwähnt, geschweige denn mit einem Wort des Dankes bedacht hat. Ich halte das für einen ausgesprochen miesen Stil, aber das passt zum System von der Aue. Das passt zu ihrer Wagenburgmentalität, und es passt zu ihrem Freund-Feind-Schema innerhalb der Justizverwaltung.

[Beifall bei der CDU]

Wenn Sie aber nicht einmal in der Stunde der Versetzung über Ihren Schatten springen konnten, Frau Justizsenatorin, übernehmen wir das gern für Sie. Meine Fraktion und ich bedauern die Versetzung von Oberstaatsanwalt Reusch außerordentlich. Er hat die Intensivtäterabteilung mit viel Engagement aufgebaut und geführt und sich dafür bundesweite Anerkennung erworben. Wir möchten ihm an dieser Stelle für seine hervorragende Arbeit danken und ihm für die Zukunft alles Gute wünschen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ob Herr Reusch am Ende einer politischen Kampagne aus freien Stücken gegangen ist, wie offiziell verkündet wird, ob er von sich aus das Handtuch geworfen hat oder ob nicht doch Frau Junker, die Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, recht hat, wenn sie davon spricht, dass es sich eher um ein „Gegangen-Werden“ handle, ist dabei völlig nachrangig. Was zählt, ist das Ergebnis. Hier lässt sich festhalten, dass sie eine unbequeme Stimme losgeworden sind. Damit senden Sie ein fatales Signal aus. Wer Probleme offen anspricht und dabei linke Tabus bricht, bekommt von Rot-Rot einen Maulkorb verpasst und wird mundtot gemacht.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Die Politik braucht mutige Leute wie Herrn Reusch, die ihre Erfahrungen in die gesellschaftliche Debatte einbringen. Wenn er auf die Probleme mit Jugendgewalt und die überproportional hohe Beteiligung von ausländischen Tätern hinweist, Frau Senatorin, ist das nicht die private Meinung von Herrn Reusch, sondern ist das ein Fakt der gesellschaftlichen Realität in Teilen unserer Stadt.