Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 35. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste sowie die Zuhörer und die Medienvertreter ganz herzlich.
Ich habe die große Freude, Frau Burgunde Grosse zum Geburtstag zu gratulieren.– Herzlichen Glückwunsch!
Dann habe ich Ihnen mitzuteilen, dass die Abgeordnete Frau Dr. Jutta Koch-Unterseher von der Fraktion der SPD ihr Abgeordnetenhausmandat niedergelegt hat. Nachrücker ist Herr Thomas Isenberg, den ich in unserer Mitte sehr herzlich begrüße. – Gute Zusammenarbeit! Erfolgreiche politische Arbeit für Berlin!
Ein Hinweis: Auf einigen Plätzen befinden sich für die heutige Plenarsitzung zusätzliche Mikrofone. Wie Sie wissen, wird der Plenarsaal im nächsten Jahr technisch modernisiert. Dazu gehört auch die Diskussionsanlage. Die heute zusätzlich eingesetzten Mikrofone sind eine mögliche technische Alternative zu den bisherigen. Sie sollen möglichst praxisnah getestet werden. Lassen Sie sich bitte nicht irritieren und verhalten Sie sich so, wie Sie sich mit den alten Mikrofonen auch verhalten.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen, Erledigung von Anträgen, SPDAntrag und Antrag der Linksfraktion über „Landeseinheitliche Steuerung der Aktivitäten der Berliner Jobcenter“ auf Drucksache 16/0470, überwiesen in der 11. Plenarsitzung am 10. Mai 2007 an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales, wird nunmehr zurückgezogen.
Der Antrag der Fraktion der Grünen über „Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht streichen – doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen!“ auf Drucksache 16/0023, überwiesen in der 34. Plenarsitzung am 11. September 2008 federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales, wird nunmehr für erledigt erklärt. – Zu beidem höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Ethik – ein Fach, das verbindet. Wertevermittlung gemeinsam, nicht getrennt“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Vernachlässigt Rot-Rot die Fürsorgepflicht für den öffentlichen Dienst? – Stellenpool gescheitert, Anwendungstarifvertrag rechtswidrig und unvertretbarer Bearbeitungsstau bei der Beihilfe!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Die Personalpolitik des Senats – politisch planlos, finanziell katastrophal und deshalb juristisch zu recht gescheitert“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Nicht noch mehr Belastungen für die Bürger: Gesundheitsfonds im Bundesrat stoppen!“.
Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Die Aktualität des Themas dürfte unumstritten sein, denn am Montag begann die Initiative „Pro Reli“ mit dem Sammeln ihrer Unterschriften am Breitscheidplatz. Sie sind zuversichtlich, bis Ende Januar die Unterschriften beisammen zu haben, zumal sie – anders als bei dem Volksbegehren Tempelhof – nicht nur in den Bürgerämtern, sondern auch auf der Straße sammeln können. Ich wage jetzt keine Spekulationen, ob sie diese Hürde schaffen, aber eines ist klar: Eine Aufklärung der Bevölkerung über die wirklichen Ziele dieser Initiative ist vonnöten.
Was will „Pro Reli“? – Unter dem Slogan „Wir wollen Wahlfreiheit“ will sie mithilfe eines Volksbegehrens ein Wahlpflichtfach einführen, und zwar bereits ab Klasse 1. Das Argument der Wahlfreiheit ist dabei ein Scheinargument, da hierbei der Ethikunterricht abgewählt werden kann. Das Verbindende des Faches Ethik würde damit aufgegeben, indem Schülerinnen und Schüler entweder am Ethikunterricht oder an einem bekenntnisgebundenen Religions- oder Weltanschauungsunterricht teilnehmen müssen.
[Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist in ganz Deutschland üblich, nur nicht im kirchenfeindlichen Berlin!]
Herr Dr. Lindner! Es ist eine alte Berliner Tradition. Berlin ist immer Vorreiter. Bei uns ist beides möglich. Unsere Lösung sehe ich als die wirkliche Wahlfreiheit an, Herr Dr. Lindner, und darauf bin ich stolz.
Wir wollen die Schülerinnen und Schüler nicht in Kästchen packen, sondern wollen, dass sie in einem gemeinsamen Fach mit- und voneinander lernen. Das Optimum an Wahlfreiheit ist unsere Lösung. Hier können die Schülerinnen und Schüler am Ethik- und an einem Bekenntnisunterricht teilnehmen.
dessen Tochter am katholischen Religionsunterricht und am verpflichtenden Ethikunterricht teilnimmt. Er fragte mich: Wenn „Pro Reli“ durchkommt, kann meine Tochter dann noch weiterhin an beidem teilnehmen? – Ich musste das verneinen. Ich musste sagen: Nein, Ihre Tochter muss dann wählen. – Das ist keine Wahlfreiheit, sondern ein Wahlzwang.
Im Oktober 2005 gründete sich das Forum „Gemeinsames Wertefach für Berlin“, das sich am 20. Mai dieses Jahres in die Initiative „Pro Ethik“ entwickelte, um der Initiative „Pro Reli“ Argumente entgegenzusetzen. Was will die Initiative „Pro Ethik“? – Wie der Name sagt, setzen wir uns weiterhin für ein gemeinsames Fach Ethik ein. Wir wollen keinen Kulturkampf, sondern unser bewährtes Modell weiterentwickeln.
Frau Kollegin Dr. Tesch! Ich bitte Sie, die Aktualität zu begründen. Sie diskutieren im Moment – mit Verlaub – in der Sache. – Bitte kommen Sie zur Aktualität!
Unterstützer aus der Kirche gefunden, zum Beispiel einen Pfarrer im Ruhestand, Henning von Wedel. Er schrieb:
Liebe Mitchristen! Wissen Sie, was „Pro Reli“ bedeutet? Wissen Sie, was Sie unterschreiben? Wissen Sie, dass Sie auch Gutes bekämpfen? – Ich fürchte nein, denn ich sehe Sie hier einseitig informiert. Sind Sie für Religionsunterricht an den Schulen? – Ich auch. Jugend soll ins Christentum hineinwachsen. Auch ich wünsche es. Das bekämpfte Gute ist das Fach Ethik. Es steht unseren Wünschen nicht im Wege. Religionsunterricht ist angeboten. Er muss nicht erst erstritten, sondern muss nur gewünscht werden. Bitte bedenken Sie: Prüft alles, und das Gute behaltet! Ich sehe das Fach Ethik als etwas sehr Gutes an. Es verbindet, was getrennt ist, Völker, Kulturen, Religionen, Konfessionen. Schüler sprechen nicht über- oder gegeneinander, sondern miteinander.
Dieser Pfarrer hat unser Anliegen verstanden. Wir wollen keinen Kulturkampf in der Stadt. Wir wollen den Religi
onsunterhalt erhalten. Wir geben dafür 50 Millionen Euro pro Jahr aus. Aber wir wollen auch an unserem Fach Ethik festhalten, das wir eingeführt haben und das sich bewährt hat. – Ich danken Ihnen, meine Damen und Herren!
Danke schön, Frau Dr. Tesch! – Für die CDU-Fraktion hat nunmehr Herr Graf das Wort zur Begründung der Aktualität. – Bitte schön, Herr Graf!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sich in diesen Tagen und in den letzten Wochen zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes im Streik befinden, dann ist das auch Ausdruck des Scheiterns einer Politik dieses Senats, der mit Eskalation und Starrsinn eine Personalpolitik betreibt, die an den Bedürfnissen der Mitarbeiter vorbeigeht.
Das Verhältnis des Berliner Senats zu den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, dessen Besprechung wir heute im Rahmen der Aktuellen Stunde beantragen, wird am treffendsten – und ich kann Ihnen, Herr Finanzsenator, das nicht ersparen – durch einen Ihrer ersten Sprüche beschrieben: Die Beamten laufen bleich und übelriechend herum.
Herr Sarrazin hat später versucht, seine Aussage zu korrigieren, und behauptet, dass die Aussage ganz anders gemeint gewesen sei. Ich will es jetzt einmal dahingestellt sein lassen, ob das wirklich so ist oder nicht. Die Beschäftigten haben in den letzten sieben Jahren gemerkt, wie es gemeint war. Sie haben schnell zu spüren bekommen, dass es eine Personalpolitik in der Praxis dieses Senats gibt, die Mitarbeiter diffamiert, drangsaliert und aussortiert. Wir haben die Fürsorgepflicht des Senats, die er von Anfang an nicht ernst genommen hat, mit Sachverhalten verknüpft, die, in den letzten Tagen aktuell, kennzeichnend sind für die verfehlte Personalpolitik des Senats: Stellenpool, Anwendungstarifvertrag, Beihilfe.
Ich will kurz auf folgende Punkte eingehen: Vor genau einer Woche hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, dass das Berliner Stellenpoolgesetz verfassungswidrig ist. Wir haben das gestern auf Antrag der Fraktion der Grünen im Hauptausschuss besprochen. Wissen Sie, was der Finanzsenator auf die Frage geantwortet hat, wie es nun weitergehen solle? – Das seien Einzelfälle, die das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe. Wenn ein Mitarbeiter seinen Anspruch durchsetzen wolle, könne er ja zum Verfassungsgericht gehen. Ich zitiere den Senator weiter. Er hat gesagt: Da sitzen vielleicht Richter mit gesundem Menschenverstand.
Sie haben, Herr Finanzsenator, nicht nur das Urteil nicht verstanden, das einer Ohrfeige für Sie gleichkommt. Sie verweigern den Beschäftigten nicht nur ihren Anspruch,
und Sie ziehen auch keine Konsequenzen aus dem Urteil, indem Sie endlich diesen Stellenpool reorganisieren. Stattdessen üben Sie sich, wie üblich, in Richterschelte.
Das Urteil ist doch nicht der Kern des Problems des Stellenpools! Das ist höchstens ein Symptom. Wir – die Beschäftigtenvertretung, die Opposition – haben schon häufig darauf hingewiesen, dass es an den Bedürfnissen der Mitarbeiter vorbeigeht, was Sie dort konstruiert haben. Der Stellenpool ist so gut wie gescheitert. Sie müssen ja nicht unbedingt auf die Opposition hören. Aber hören Sie auf den Hauptpersonalrat, die Gewerkschaften! Ziehen Sie endlich die Konsequenzen aus Ihrer mitleiderregenden Vermittlungsquote! Nun wurde Ihnen ja sogar gerichtlich bescheinigt, dass Sie nicht einmal in der Lage sind, das Verfahren rechtsförmig auszugestalten.
Kommen wir zum Anwendungstarifvertrag: Vor etwa zwei Wochen hat das Arbeitsgericht geurteilt, dass der Anwendungstarifvertrag des Landes Berlin in Verbindung mit dem BAT rechtswidrig ist, weil er gegen das allgemeine Gleichstellungsgesetz verstößt. Bereits vor einem Jahr hatte das Arbeitsgericht das erstinstanzlich festgestellt. Man hat Ihnen aber einen Vertrauensschutz gewährt, Herr Sarrazin. Sie haben nämlich darauf nicht reagiert, sondern es auf eine Berufungsverhandlung ankommen lassen und auch hier eine schmerzliche Niederlage vor Gericht kassiert. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, so kann man doch zwei Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen sind Sie weder an Gerechtigkeit noch an Gleichstellung interessiert, zum anderen haben Sie durch Ihre Rechthaberei ein Haushaltsrisiko von 10 Millionen Euro in Kauf genommen.