Protocol of the Session on December 11, 2008

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Ich eröffne die 39. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste sowie die Zuhörer und die Medienvertreter ganz herzlich.

Zu Beginn möchte ich dem Kollegen Ralf Wieland zum Geburtstag gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch! Gute Gesundheit!

[Allgemeiner Beifall]

Kollege Wieland weiß als Altgedienter: Nichts ist schöner, als den Geburtstag im Abgeordnetenhaus bei der Plenarsitzung zu verbringen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ihren Antrag „Berlin braucht ein Gesamtkonzept für sexuelle Gesundheit“ Drucksache 16/1016, eingebracht in der 21. Sitzung am 22. November 2007 und zur Beratung an den Ausschuss für Gesundheit überwiesen, zurückgezogen.

Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Finanzkrise und Rezession: Wie kann Berlin dem Abschwung gegensteuern?“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Rot-Roter Dauerstreit blockiert die Senatspolitik in der Stadt und schadet den Berlinerinnen und Berlinern“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Ein Senat, zwei Meinungen: EU-Vertrag Nein, Erbschaftsteuer Ja; Föderalismusreform Vielleicht“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Nach dem Bruch des Koalitionsvertrages: Hat Berlin noch eine handlungsfähige Regierung?“.

Zur Begründung der Aktualität der Anträge rufe ich nun auf, und der Kollege Liebich von der Linksfraktion erhält das Wort zur Begründung der Aktualität.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestatte mir, für die Linksfraktion und die SPD gemeinsam die Aktualität zu begründen. Ich möchte zunächst sagen, warum ich unser Thema aktuell finde, und dann, warum die Anträge der Opposition, die die gleichen Themen haben, aber mit anderen Worten beantragt wurden, damit jeder mal reden darf, nicht so aktuell sind.

Linke und SPD wollen, dass darüber gesprochen wird, wie im Angesicht der gegenwärtigen Finanzkrise und der drohenden Rezession dem Abschwung entgegengewirkt werden kann. Das wollte eine rot-rot-grüne Mehrheit des

Hauses schon im letzten Plenum, denn wir hatten vor 14 Tagen das gleiche Thema beantragt und die Grünen mit anderen Worten auch. Da wir hier im Abgeordnetenhaus nett sind und nicht immer Mehrheiten entscheiden, haben wir uns beim letzten Mal zur Freude von Herrn Mutlu und Herrn Steuer dafür entschieden, doch lieber über das hier allseits beliebte Thema Schule zu reden.

Was hat sich nun aktuell geändert? Ist die Finanzkrise vorbei? Sind alle Antworten Berlins gefunden, beschlossen und umgesetzt worden? – Wohl kaum! Der Blick in die Medien und das Gespräch mit den Berlinerinnen und Berlinern macht deutlich, dass kein Thema so viele Fragen, Sorgen und Ängste auslöst wie die Folgen der Krise, und das sollten wir nicht ignorieren. Das Thema ist aktuell.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Mal im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen: Debatten über Bundesratsentscheidungen finden doch vor allen Dingen unter Parteimitgliedern und nicht im Rest der Bevölkerung statt. Dass der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gestern die von Harald Wolf vor mehreren Wochen begonnene Senatsdiskussion über Investitionsmittel in eine Idee münden ließ, sei hier als letztes Argument für die Aktualität des heute vorgeschlagenen Themas vorgebracht.

Nun möchte ich ein paar Worte dazu sagen, warum ich die Themen der Opposition nicht aktuell finde. Der von der CDU konstatierte Dauerstreit ist nicht aktuell, weil er nicht existiert. In Berlin hat vor 2001 eine Koalition regiert, die uns vorgeführt hat, was Dauerstreit war. Rot-Rot regiert miteinander und nicht gegeneinander.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Genau das ist es doch, Herr Mutlu und liebe Freundinnen und Freunde von Bündnis 90/Die Grünen, was Sie sonst immer beklagen. Sie müssen sich entscheiden. Sie beklagen doch sonst immer, dass die Linke angeblich immer genau das macht, was die SPD sagt, und wir uns viel zu wenig dagegen zur Wehr setzen. Was denn nun?

[Volker Ratzmann (Grüne): Das hat sich ja gezeigt!]

Dass die FDP mit uns über die Erbschaftsteuer reden will, verstehe ich. Aber die Position der Partei der Besserverdienenden, dass diese Steuer überhaupt abgeschafft werden soll, ist überhaupt nicht mehr aktuell und wird auch von niemandem sonst in diesem Haus geteilt. Deshalb hat unsere Kritik an dem gefundenen Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD mit Ihrer Kritik überhaupt nichts zu tun, und deshalb können Sie Ihren Antrag, dass wir die Entscheidung des Senats bedauern sollen, gleich vergessen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Schließlich ist auch die Frage der FDP – „Nach dem Bruch des Koalitionsvertrages: Hat Berlin noch eine handlungsfähige Regierung?“ – nicht aktuell, weil wir sie erstens locker mit Ja beantworten können und zweitens

weit und breit keine anderen handlungsfähigen Mehrheiten zu sehen sind. Deshalb werden SPD und Linke dafür stimmen, dass wir jetzt über die wirtschaftliche Zukunft Berlins reden. Ich schlage Ihnen vor, statt jetzt dreimal den letzten Freitag aufzuarbeiten, dass Sie sich uns einfach anschließen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Herr Kollege Liebich! – Für die CDUFraktion hat nunmehr der Fraktionsvorsitzende Herr Henkel das Wort. – Bitte schön, Kollege Henkel!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Liebich! Ich habe mich gerade gefragt, welche Aktuelle Stunde Sie begründet haben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wowereits Alleingang bei der Erbschaftssteuer muss für die Parteistrategen der Linken ein Geschenk des Himmels gewesen sein. Pünktlich zum Landesparteitag gab es einen Anlass, medienwirksam auf sich aufmerksam zu machen, ein bisschen Profil zu zeigen und lautstark gegen den Koalitionspartner zu wettern. Am Ende dürfte diese Kraftprobe aber – wie so oft – ohne Folgen bleiben, weil den Linken die Senatorensessel dann doch wichtiger sind als ihre Prinzipien.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Was bleibt also übrig, wenn man die Empörung vom Wochenende beiseite wischt? – Die Linke hat mit ihrer ablehnenden Haltung erneut ein Politikverständnis offenbart, wonach Partei über Staat steht. Es ging nur darum, mit ein paar populistischen Parolen die eigene Klientel zu befriedigen. Sicher gab es bei dieser Reform auch innerhalb meiner Partei Diskussionen. Aber ohne eine Regelung bis zum Jahresende hätten immense Einnahmeausfälle gedroht, allein in Berlin knapp 240 Millionen Euro. Deshalb ist es gut, dass die Haltung der Linkspartei in dieser wichtigen Frage nicht maßgeblich war.

[Beifall bei der CDU]

Herr Wowereit sah sich am Freitag dennoch gezwungen, eine Presseerklärung herauszugeben. Allerdings, Herr Regierender Bürgermeister, Ihre Begründung, Sie hätten bei Ihrem Votum vorrangig das Interesse Berlins im Blick gehabt, ist nach einigen Erfahrungen der Vergangenheit inkonsequent. Wo war denn Ihr Sinn für die Interessen Berlins, als nicht nur ganz Deutschland auf diese Stadt geschaut hat, die Sinnbild für die Überwindung der Teilung und für die europäische Einigung ist, im Mai dieses Jahres bei der Abstimmung über den EU-Reformvertrag? – Da hätten Sie Flagge zeigen können und für die deutsche Hauptstadt ein klares Bekenntnis zum europäischen Gedanken abgeben können. Berlin hat sich jedoch als einziges Bundesland in dieser grundsätzlichen Frage enthalten, in einer Frage, in der man sich nicht enthalten kann.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Damals, Herr Wowereit, haben Sie sich dem Diktat von Oskar Lafontaine unterworfen und Berlin für den Koalitionsfrieden europapolitisch isoliert. Da könnte man bei Ihrer Entscheidung jetzt zur Erbschaftssteuer schon von einer Retourkutsche sprechen. Deshalb sage ich: Diese Muskelspiele sind Ausdruck einer tiefen inhaltlichen Erschöpfung der rot-roten Koalition.

[Beifall bei der CDU]

Es wird immer deutlicher, dass es kein gemeinsames rotrotes Projekt mehr gibt, dass diese Koalition nur noch durch den Willen zum Machterhalt zusammengehalten wird. Sie haben keine Vorstellung davon, wo Berlin am Ende Ihrer Amtszeit stehen soll, geschweige denn in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren. Stattdessen liegen Sie sich beständig in den Haaren und haben dadurch schnelle und überzeugende Lösungen verhindert.

[Martina Michels (Linksfraktion): Das hätten Sie gern!]

Die Beispiele liegen auf der Hand, und wir haben sie alle noch präsent: beim Tarifstreik bei der BVG und im öffentlichen Dienst, beim Thema ICC, beim Kinderschutz oder bei der Umweltzone. Es gibt auch gar keine Anzeichen, dass Sie aus Ihrer Lethargie und Selbstblockade herauskommen und diese Lethargie und Selbstblockade lösen.

Am Montag war in der „Welt“ eine bemerkenswerte Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers der Linken, Herrn Doering, zu lesen. Er sagte: „Ich setze darauf, dass wir jetzt Gespräche führen, was wir noch gemeinsam zum Wohle der Stadt tun müssen.“ – Eine solche Aussage zur Hälfte der Legislaturperiode abzugeben, ist eine Armutszeugnis dieser Koalition.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Özcan Mutlu (Grüne)]

In unserer Stadt türmen sich die Probleme. Die großen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen noch vor uns. Darüber werden wir nachher im Detail sprechen. Aber Sie haben auch in den zurückliegenden Jahren jede Initiative vermissen lassen, damit Berlin am bundesweiten Aufschwung teilhat. Berlin hat bundesweit die höchste Arbeitslosigkeit, die höchste Kinderarmut und die höchste Zahl von Transferleistungsempfängern. Unter 50 deutschen Großstädten liegt Berlin bei der wirtschaftlichen Dynamik auf dem allerletzten Platz.

[Zurufe von der SPD und den Linken]

Das, Herr Gaebler, sind Ihre Leistungskennziffern,

[Beifall bei der CDU und der FDP]

und eine ähnlich düstere Bilanz gibt es in der Bildungspolitik, wenn ich etwa an die miserablen Ergebnisse von PISA oder IGLU denke. Diese Liste könnte man beliebig fortsetzen.

An welcher Stelle also ist Berlin unter Ihnen vorangekommen? Und was wollen Sie unternehmen, dass Berlin

endlich die Abstiegsränge verlässt? Die Opposition in diesem Hause wird es Ihnen nicht durchgehen lassen, den Rest der Legislaturperiode nur noch abzubummeln.

Herr Wowereit hat sich bereits drei Jahre vor der nächsten Wahl gedanklich von der Kulturpolitik verabschiedet, wenn er sagt, man brauche dafür wieder einen eigenen Senator. Nein, meine Damen und Herren von Rot-Rot! Der aktuelle Berlin-Trend hat gezeigt: Sie haben für Ihre Art der Politik in unserer Stadt keine Mehrheit mehr, und wir als Opposition wollen dafür sorgen, dass Sie auch keine mehr bekommen. – Herzlichen Dank!