Protocol of the Session on January 15, 2009

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Ich eröffne die 40. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin – die erste im neuen Jahr – und begrüße Sie, unsere Gäste und die Zuhörer sowie die Medienvertreter ganz herzlich und wünsche allen ein frohes, gesundes und glückliches neues Jahr.

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.

[Die Anwesenden erheben sich.]

Im Alter von 89 Jahren verstarb am 23. Dezember nach langer, geduldig ertragener Krankheit der frühere Abgeordnete Adolf Blasek aus Neukölln. Über 16 Jahre lang – von 1963 bis 1979, also vier Legislaturperioden lang – engagierte sich Adolf Blasek als Mitglied des Abgeordnetenhauses in der Berliner Landespolitik. Als langjähriger baupolitischer Sprecher der SPD-Fraktion hat Adolf Blasek führend an der Planung und Realisierung der großen Wohnungsbauprogramme in Berlin in den 60er- und 70erJahren des letzten Jahrhunderts mitgewirkt. In jenen Jahren galt es, die Wohnungsnot in der zerstörten und eingemauerten Stadt zu bekämpfen und ausreichenden und qualitätvollen Wohnraum in großer Zahl zu bezahlbaren Mieten zu schaffen. Dazu hat Adolf Blasek einen bedeutenden politischen Beitrag geleistet.

Adolf Blasek wurde 1919 in Schlesien geboren und ist dort aufgewachsen. Nach der Volksschule erlernte er den Beruf des Vermessungstechnikers. Von 1938 bis 1947 war er erst im Arbeitsdienst und anschließend Soldat in der Wehrmacht. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft arbeitete er im privaten Vermessungswesen und ab Mai 1949 als Vermesser im Bezirksamt Neukölln. Ab Februar 1966 plante er als Leiter der Sanierungsverwaltungsstelle die Sanierung des Altwohnbestandes in Neukölln. Ab August 1972 leitete er als Geschäftsführer die Stadt und Land Wohnbautengesellschaft mbH. 1974 initiierte er den Bau der High-Deck-Siedlung in Neukölln. Danach folgten so wichtige Projekte wie die Sanierung der Rollberg-Siedlung und der Bau der Landhaussiedlung in Rudow. Neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter engagierte er sich auch als stellvertretender Vorsitzender im Verband Berliner Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften. Adolf Blasek war Mitglied der Arbeiterwohlfahrt und Mitglied in der Deutschen Angestelltengewerkschaft. 1957 trat er in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein. Er diente seiner Partei als Kreis- und Landesdelegierter sowie als stellvertretender Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft für Städtebau- und Wohnungspolitik.

Mit Adolf Blasek hat Berlin eine Persönlichkeit verloren, die die Berliner Wohnungswirtschaft und die Kommunal- und Landespolitik in schwieriger Zeit in besonderer Wei

se mit geprägt hat. Wir gedenken unseres verstorbenen ehemaligen Kollegen Adolf Blasek mit Hochachtung.

Meine Damen und Herren! Sie haben sich zu Ehren von Adolf Blasek erhoben. Ich danke Ihnen.

Geburtstag hat heute der Kollege Dragowski von der FDP. – Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute! Gute Gesundheit!

[Beifall]

Dann kann ich Frau Kollegin Lisa Paus, die heute natürlich nicht bei uns sein wird, zur Geburt ihres Sohnes Fabian am 11. Januar 2009 herzlich gratulieren.

[Beifall]

Alles Gute! Gute Gesundheit! Das bitte ich, ihr und auch dem Kind zu übermitteln.

Dann ist der Kollege Thomas Kleineidam am 9. Januar Vater geworden. – Dazu herzlichen Glückwunsch, alles Gute, gute Vaterschaft!

[Beifall]

Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Am Montag sind die folgenden vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Konjunkturpaket II: Berliner Anteil für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz einsetzen“,

2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Immer wieder Hilferufe aus Berliner Schulen – zu wenig Lehrer, zu viel Gewalt, schlechte Chancen für die Schüler“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „In die Zukunft investieren! Das Konjunkturprogramm für einen ’Grünen New Deal’ nutzen und den sozialökologischen Umbau der Stadt endlich beginnen“,

4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-roter Tempelhof-Betrug: Kosten für Berlin höher als je zuvor, kein Nachnutzungskonzept und die Berliner werden ausgesperrt“.

Zur Begründung der Aktualität der Anträge rufe ich Linksfraktion und SPD auf. Wer macht das? – Der Kollege Wieland von der SPD-Fraktion hat das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Wieland!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen beantragen, in der heutigen Aktuellen Stunde über das Konjunkturpaket II in Bezug auf den Berliner Anteil für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz zu debattieren. Ich denke, die Aktualität liegt in doppelter Hinsicht auf der Hand. Die Spitzen der großen Koalition haben am Montag dieses Paket ver

einbart. Es aus Berliner Sicht politisch zu bewerten, ist nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Uns möglichst schnell über die Umsetzung der für Berlin in Kürze zur Verfügung stehenden Mittel auszutauschen und auseinanderzusetzen, ist bei der angestrebten schnellen Umsetzung des Konjunkturprogramms unabdingbar.

[Beifall bei der SPD]

Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich unseren Regierenden Bürgermeister in diesem Zusammenhang zitieren:

Das Land wird zügig die Voraussetzungen schaffen, dass dieses Bund-Länder-Programm in Berlin schnell umgesetzt wird. Dazu zählt auch ein Nachtragshaushalt im Abgeordnetenhaus.

Auch deshalb ist es notwendig, dass wir sehr früh mit der Debatte hier im Abgeordnetenhaus beginnen.

Die Krise der Weltwirtschaft wird auch unser Land treffen. Deshalb war es richtig, dass die große Koalition schnell und entschlossen gehandelt hat. Politik muss zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist. Auch wenn wir nicht alle Folgen mindern oder gar verhindern können, ist es unsere Aufgabe, den Ängsten und Fragen der Menschen mit einer verantwortungsvollen Politik Antwort zu geben. Diese Verantwortung haben wir auch als Berliner Landespolitiker. Die Koalition wird sicherstellen, dass bei der Umsetzung des vorgelegten Programms die langfristige Wirksamkeit sichergestellt wird. Es ist richtig, heute diese Parlamentsdebatte zu nutzen, damit alle Fraktionen ihre Bewertungen und Vorschläge darlegen können. Diese politische Auseinandersetzung kann doch nur dabei helfen, dass wir bei der Umsetzung des Konjunkturprogramms sachgerecht, wirksam und nachhaltig vorgehen. Wir müssen als Parlamentarier sicherstellen, dass wir das Unsrige dazu beitragen, um eine schnelle Umsetzung der zur Verfügung gestellten Mittel zu gewährleisten.

Zum Abschluss einige Anmerkungen zu den vorgeschlagenen Themen der anderen Fraktionen: Die Grünen wollen über den „Grünen New Deal“ reden, also das Konjunkturprogramm noch grüner machen, als es schon ist. Das ist legitim, das ist nachvollziehbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen! Sie werden Ihre Argumente in der von uns beantragten Aktuellen Stunde mit unterbringen können.

Die CDU greift ebenfalls ein aktuelles Thema auf. Ich könnte das als Abgeordneter aus Mitte auch gar nicht bestreiten. Ich denke aber, dass wir im Zusammenhang mit der Debatte, wie wir die Mittel in Berlin in Bildung investieren können, auch Ihrem Anliegen Platz für den politischen Diskurs bieten.

Zur FDP, Herr Kollege Lindner: Sie wissen, ich gebe mir immer Mühe, die Position einer Oppositionspartei zumindest verstehen zu wollen. Ich habe lange gegrübelt, warum Sie angesichts des beschlossenen Konjunkturpakets – das Sie ja mehr als kritisch sehen – trotzdem meinen, heute einmal wieder über den ehemaligen Flughafen

Tempelhof reden zu wollen, zumal wir gestern eine umfangreiche Debatte darüber im Hauptausschuss hatten.

Ein Blick in den Kalender gab mir die Lösung: Wir sind mitten in der Karnevalssaison, und so, wie die Mainzer Sängerknaben verlässlich immer am Ende singen, wollen Sie uns Ihre Verlässlichkeit hier unter Beweis stellen. Herr Kollege Lindner! Das hier ist aber keine Kappensitzung. Hier wird über Politik diskutiert, und im Rahmen einer Aktuellen Stunde über das Wichtigste und über das Aktuellste. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie, den Antrag der Koalitionsfraktionen anzunehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Wieland! – Für die CDUFraktion spricht nunmehr der Kollege Steuer. – Bitte schön, Herr Steuer!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im März 2006 war es eine Schule, die einen Brandbrief schrieb. Im März 2009 sind es 68 Schulen eines ganzen Bezirks. Man fragt sich: Was ist in diesen drei Jahren passiert? Hat es in den letzten drei Jahren einen Ruck im Berliner Schulsystem gegeben, einen Motivationsschub, eine allseits begrüßte Reform, eine Unterrichtsgarantie, einen großen Wurf? – Nein, die Lage ist noch viel schlimmer geworden: aktueller Lehrermangel, marode Schulgebäude, eine Kürzung des Schul- und Sportanlagensanierungsprogramms durch Rot-Rot, Frust durch demotivierte Schüler, massive Probleme durch die Zunahme von Kindern mit Migrationshintergrund, weil sie meist aus schwierigen Problemlagen kommen und auch ihre kulturellen Eigenheiten mit in die Schule bringen. Die Lehrer werden mit all diesen Herausforderungen alleingelassen.

Das sind mittlerweile keine Einzelphänomene mehr, sondern in einigen Regionen Berlins ist das leider flächendeckende Realität an den Schulen. 68 Schulen haben sich ein Herz gefasst und einen Brief geschrieben – nicht, weil sie sich streiten wollen; nicht, weil sie in Fernsehsendungen eingeladen werden wollen, nein, weil sie tatsächlich das Aus für ihre Schulen befürchten. Und die Reaktion des Senators? – Herr Zöllner ließ sich damit zitieren, er schmunzle über die Einladung der Schulleiter durch die Staatsministerin Böhmer. Schließlich tue kein anderes Bundesland so viel wie Berlin.

Ja, Herr Zöllner, aber in Bayern ist die Lücke zwischen den schwächeren und den guten Schülern nicht so groß wie in Berlin. Und in Bayern ist der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg nicht so eng wie in Berlin. Was verstehen Sie eigentlich unter „mehr tun“, wenn am Ende weniger dabei herauskommt?

[Beifall bei der CDU]

Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal mit den Lehrern und Schulleitern in Mitte zusammengesessen? Ich finde es ungeheuerlich, dass Sie angesichts der Sorgen und Nöte Tausender von Lehrern in Mitte und in ganz Berlin noch schmunzeln können.

[Beifall bei der CDU]

Wenn Sie den Schulen wieder eine Perspektive geben wollen, wenn Sie verhindern wollen, dass in den nächsten drei Jahren 200 Schulen einen Brief schreiben, dann müssen Sie jetzt das Ruder herumreißen. Sie müssen eine klare Vorstellung davon entwickeln, wie Sie in dem System die Weichen anders stellen wollen. Wir fordern deshalb eine zweijährige Vorschulpflicht für alle Kinder mit Defiziten, und wir fordern einen verpflichtenden Sprachförderunterricht vor Schuleintritt. Jedes Kind, das Sprachdefizite hat, soll in einer Sprachförderklasse unterrichtet werden und erst dann in die erste Klasse der Schule eintreten dürfen. Deutsch lernen am Anfang ist die Garantie dafür, dass später Bildungserfolg eintreten kann. Oder anders gesagt: Wer kein Deutsch kann, kann auch dem Unterricht nicht ausreichend folgen. Nur so kann ein jahrelang verschleppter Rückstand verhindert werden. Nur so kann der Start besser gelingen.

Es ist ganz klar: Die Vorschule und die Grundschule müssen im Mittelpunkt stehen. Denn hier wird der Grundstein für jeden späteren Bildungserfolg gelegt. Das, was hier nicht passiert, können die Oberschulen nicht mehr aufholen. Aber anstatt sich dieser Erkenntnis zu stellen, fordern Sie Armenquoten für Gymnasien. Es ist ein bildungspolitischer Bankrott, wenn Sie auch schlechtere Schüler aufs Gymnasium nehmen wollen, nur weil sie aus ärmeren Familien kommen, anstatt sie in der Grundschule so gut zu machen, dass sie aufs Gymnasium gehen können, weil es ihrer Leistung entspricht.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

13 Jahre sozialdemokratischer Bildungspolitik haben das Berliner Schulsystem an den Rand des Kollapses gebracht – nicht deswegen, weil Sie jedes Problem verursacht hätten; das ist klar, sondern weil Sie oft zu spät, oft zu ideologisch und oft ahnungslos im Schulsystem herumdoktern. Sie wollen sich keine besseren Schulen in Berlin leisten, und Berlin kann sich keine sozialdemokratische Bildungspolitik mehr leisten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Pop das Wort. – Bitte schön, Frau Pop!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will heute über das Thema reden, das nicht nur die Schlagzeilen der letzten Tage beherrsch

te, sondern in der Ausgestaltung entscheidend für die Zukunft dieser Stadt sein wird. Mit einem gigantischen Konjunkturprogramm von 50 Milliarden Euro will die Bundesregierung die erlahmende Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Für uns Grüne ist aber nicht jedes Konjunkturprogramm per se ein gutes Konjunkturprogramm. Ein zukunftstaugliches Programm muss den Strukturwandel vorantreiben und finanzieren, anstatt die alten Strukturen weiter zu subventionieren.

[Beifall bei den Grünen]