Protokoll der Sitzung vom 15.01.2009

Wir brauchen einen grünen New Deal, der über das kurzfristige Ansinnen eines Konjunkturprogramms hinausgeht. Investitionen in Bildung und Energieeffizienz, erneuerbare Energien und umweltfreundliche Technologien sind das Gebot der Stunde.

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt sind Maßnahmen gefragt, die möglichst rasch greifen und zugleich langfristig die höchste Rendite abwerfen, denn unsere Kinder und Enkel heute mit Schulden zu belasten, die nur ein kurzfristiges Konsumstrohfeuer entfachen, ist in jeder Hinsicht eine Schnapsidee – eine Schnapsidee wie der Beitrag der Linkspartei zur Debatte. Ihre Konsumgutscheine taugen nur als Mediamarkt-Einkaufsgutscheine – „ich bin ja nicht blöd.“ Einen nachhaltigen Effekt für die Wertschöpfung vor Ort haben sie allerdings nicht.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von der Linksfraktion]

Im Konjunkturprogramm der Bundesregierung wird jede Klientelgruppe der regierenden Parteien mehr oder weniger reich beschenkt. Ein buntes Sammelsurium oder – wie es die „Frankfurter Rundschau“ bezeichnet – eine „Wundertüte ohne Wunder“ kommt da auf uns zu. Jedes Krisenprogramm in diesem Ausmaß muss sich aber daran messen lassen, ob es die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft erhöht.

Wenn man sich das Programm der Bundesregierung anschaut, erkennt man zwei Maßnahmen, die wirklich eine deutliche Sprache sprechen: Für ein Kind bekommt man 100 Euro. Für sein altes Auto bekommt man 2 500 Euro. Das ist keine Zukunftsorientierung. Das ist schnöde Klientel- und Lobbypolitik!

[Beifall bei den Grünen]

Andere Länder sind da längst weiter. Was macht eigentlich der neue Präsident der USA mit seinem Konjunkturprogramm? – Obama will massiv in Gebäudesanierung investieren. Obama will die erneuerbaren Energien fördern. Obama will die Infrastruktur für Verkehr und Energie ausbauen. Und Obama will in das Bildungssystem investieren. Während die USA endlich erkannt haben, dass Ökologie und Ökonomie zusammengehören, wenn man langfristig Jobs schaffen und die Klimakrise meistern will, setzt Deutschland weiter auf Subventionen für die Autoindustrie, die die Zeichen der Zeit verschlafen hat und ihre ollen Spritfresser nicht mehr loswird, und auf Investitionen in grauen Beton.

Keine Frage – ein Großteil der vorgesehenen Investitionsmaßnahmen ist längst überfällig, gerade in Berlin, wo Rot-Rot seit Jahren auf Kosten der öffentlichen Infrastruktur den Landeshaushalt saniert hat. Wir haben allein bei den Schulen einen Investitionsbedarf von über einer Milliarde Euro, und bei den Kitas beläuft er sich auf eine halbe Milliarde Euro. Rot-Rot muss jetzt den Ehrgeiz haben, die Bundesgelder so zu nutzen und auch eigenes Geld darauf zu legen, dass wir ein mittelfristig wirkendes Programm für die Stadt erhalten, und nicht nur ein Strohfeuerchen entfachen – das Wort ist schon so abgenutzt –, das nur die Preise hochtreibt, aber langfristig überhaupt nichts bringt.

Wir werden es Ihnen auch nicht durchgehen lassen, dass Sie mit dem Geldsegen der Bundesregierung Ihre Versäumnisse der letzten Jahre klammheimlich nachholen. Überfällig sind viele Investitionen. Als zukunftsweisend können Sie uns Toilettenreparaturen aber wahrlich nicht verkaufen.

[Beifall bei den Grünen]

Nicht nur für die große Koalition, auch für Rot-Rot in Berlin gilt, dass sich ihre Politik an der Zukunftstauglichkeit messen lassen muss. Wir wollen keine einfachen Pinselsanierungen an den Schulen und Kitas. Energetische Sanierung muss zwingender Bestandteil jeder Maßnahme sein, damit die Schulen künftig das Geld nicht mehr zum Fenster hinaus heizen. Haben Sie überhaupt schon darüber nachgedacht, die Schulsanierung mit der Schulreform, die Sie groß ankündigen, zu verbinden, die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen, die auch eine bauliche Frage ist, mit dem Konjunkturprogramm zu beschleunigen, den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen mit den Konjunkturmitteln voranzutreiben? Das sind Maßnahmen, die sich langfristig bezahlt machen. Dass wir Grüne der Meinung sind, dass Investitionen in Bildung nicht allein Investitionen in Schulgebäude sind, sondern Bildung, Erziehung und Betreuung umfassen, das ist auch hinlänglich bekannt.

[Beifall bei den Grünen]

Wir erwarten heute von Ihnen, meine Damen und Herren von Rot-Rot, klare Kriterien und klare Maßnahmen. Ich habe allerdings große Zweifel, dass Ihnen das gelingen wird. Die letzten Tage hatte man den Eindruck, dass Sie bereits vorbauen wollen, indem Sie sorgenvoll und mit gerunzelter Stirn von Umsetzungsproblemen sprechen. Schlussendlich werden Sie vermutlich nicht in der Lage sein, die Mittel sinnvoll umzusetzen, aber das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

[Beifall bei den Grünen]

Danke, Frau Kollegin Pop! – Für die FDP-Fraktion hat nun der Fraktionsvorsitzende, Kollege Dr. Lindner, das Wort. – Bitte, Herr Dr. Lindner!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lieber Kollege Wieland! Selbstverständlich unterhalten wir uns gern mit Ihnen über das Konjunkturpaket und seine Auswirkungen auch für Berlin. Wir denken nur, dass es sinnvoll ist, erst einmal abzuwarten, was dann tatsächlich am Ende des Tages dabei herauskommt.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Sie haben vorhin gesagt, dass die Spitzen von SPD und CDU sich auf dieses Paket geeinigt haben. Wir werden mal sehen, ob die SPD und die CDU auch nach dem Sonntag noch eine Mehrheit im Bundesrat für dieses Paket haben werden und was dann nach den Beratungen des Bundes vorn herauskommt. Ich finde es seriöser, sich über die Verteilung des Fells des Bären dann zu unterhalten, wenn es wirklich auf dem Tisch liegt.

[Beifall bei der FDP – Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Zweitens: Wir wollen gar nicht mit Ihnen über den Verkehrsflughafen Tempelhof oder Ähnliches reden, sondern wir möchten mit Ihnen darüber reden, wie der Senat mit der Wahrheit gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern vor dem Volksentscheid umgegangen ist, wie er es damit gehalten hat. Das ist das Thema der von uns vorgeschlagenen Aktuellen Stunde, und das am Vorabend eines neuen Volksentscheids. Da möchten die Bürgerinnen und Bürger schon wissen, wie es hier vor einem Jahr ausgesehen hat.

[Beifall bei der FDP]

Da kann ich Ihnen sagen: Der Senat und Rot-Rot stützten ihre Ablehnung der Fortführung des Flugbetriebs in Tempelhof auf drei Argumente. – Erstens: Die Anwohner müssten geschützt werden. Zweitens: Das Tempelhofer Feld müsste für die Berlinerinnen und Berliner geöffnet werden. Drittens – das war das zentrale Argument: Die Kosten und die Verluste des Tempelhofer Flugbetriebs müssten beendet werden – Stichwort: Ich zahle doch nicht für einen VIP-Flughafen!

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Weil wir einen Schließungsbeschluss haben, das war das Argument!]

Nun schauen wir einmal, was jetzt bei diesen drei Argumenten herausgekommen ist. – Erstens stand in den Argumenten des Senats – amtliche Information zum Volksentscheid – ich zitiere:

Tempelhof darf nicht Verkehrsflughafen bleiben, weil er eine Zumutung für die Anwohner ist. Fluglärm und Kerosin machen krank.

[Christian Gaebler (SPD): Das ist die Argumentation des Abgeordnetenhauses!]

Komischerweise haben sich genau die Anwohner des Flughafens beim Volksentscheid am höchsten beteiligt, und zwar in Steglitz-Zehndorf 50 Prozent und in Tempelhof-Schöneberg 47,1 Prozent und in CharlottenburgWilmersdorf 43,2 Prozent. So hoch war die Beteiligung. Die Ja-Stimmen genau derjenigen, die angeblich vom

Fluglärm betroffen waren, betrugen in Neukölln 74 Prozent, in Steglitz-Zehlendorf 73,8 Prozent und in Tempelhof-Schöneberg 70,1 Prozent. Das erste Argument des Senats war von Anfang an Unsinn, das war aus Sicht der Anwohner eine aufgedrängte Bereicherung.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Dr. Friedbert Pflüger (CDU)]

Das Zweite war das Thema Nachnutzung. – Ich zitiere wieder aus Ihrer amtlichen Informationsbroschüre:

Von der Öffnung des Tempelhofer Feldes profitieren alle Berliner. Hier gibt es Sport- und Freizeitmöglichkeiten wie Laufen, Joggen, Skaten, Radfahren, Fußball und Tennis.

Herr Wowereit sprach von einem Park, von einer Freifläche für Sport und Freizeit. Die Kollegin aus der Linksfraktion sagte, dass sich dann die jungen und alten Menschen mit Picknickkörben, Frisbeescheiben und I-Pods auf der größeren Freifläche tummeln würden. Was ist dabei herausgekommen? – Es wurde erst einmal für 200 000 Euro ein Sicherungszaun angeschafft. Im Stadtentwicklungsausschuss sagte Frau Senatorin Junge-Reyer: „Um das Gebäude und die Nutzer vor den Bürgern zu schützen.“ – Das ist Ihr zweites Argument gewesen.

Dann kommen wir zum dritten Argument, das war das zentrale, das Kostenargument. Dazu zitiere ich auch wieder aus der Broschüre:

Durch die Schließung entfallen die jährlichen Verluste in Millionenhöhe für den Betrieb von Tempelhof. Tempelhof darf nicht Verkehrsflughafen bleiben, weil er unwirtschaftlich ist. Der Flugbetrieb in Tempelhof kostet die Steuer jährlich 5,8 Millionen Euro. Ein Weiterbetrieb des Flughafens bis 2011 würde die Steuerzahler täglich über 16 000 Euro kosten.

Was ist dabei herausgekommen? – Damals hatten wir ein Betriebsdefizit von 10 Millionen Euro, und heute, nach Aussage der BIM, beträgt es 14,2 Millionen Euro. Wir haben eine Kostenbelastung der Bürgerinnen und Bürger in Höhe von 38 500 Euro. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern gesagt, die 16 000 Euro kämen weg. Damit haben Sie die Bürgerinnen und Bürger glatt belogen!

Es gibt nur zwei Alternativen: Entweder Sie haben sich vorher nicht über die Kosten informiert und gutachterlich festgestellt, dann ist das für sich ein Skandal, oder – wovon ich eher ausgehe – Sie wussten ganz genau, dass das nicht die Einsparung einbringt und haben diese Zahlen den Bürgerinnen und Bürgern bewusst hinterzogen. Das nenne ich eine massive Täuschung. Das müssen wir vor Pro Reli aufklären, denn hier gibt auch schon wieder Versuche der Einschüchterung, des Täuschens oder Tricksens – wenn ich nur an Herrn Körting und andere denke, die hier anfangen zu sagen, in den U-Bahnen dürfe dazu nichts verteilt werden. Bei den Trommlern und Bettlern haben Sie kein Problem, aber wenn da zwei Schüler herumgehen, dann haben Sie ein Problem. Oder unser

angeblich alle repräsentierender Parlamentspräsident, der hier als Vertreter von Pro Ethik Pro Reli aussperrt.

Meine Damen und Herren! Hier soll das fortgesetzt werden, was Sie an massiven Täuschungen und Tricks beim Tempelhofer Volksentscheid auch schon angefangen haben. Darüber werden wir uns unterhalten, und wenn das heute nicht ist – verlassen Sie sich darauf –, dann werden wir darauf zurückkommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Darauf werden wir ganz sicher zurückkommen!]

Danke schön, Herr Dr. Lindner! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich lasse jetzt über das Thema der heutigen Aktuellen Stunde abstimmen, und zwar zuerst über das Thema der Koalitionsfraktionen. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke, das sind die SPD und die Linksfraktion. Die Gegenprobe! – Das sind die CDU und die FDP. – Bei Enthaltung der Grünen ist der Antrag auf diese Aktuelle Stunde angenommen. Alle anderen beantragten Themen haben damit ihre Erledigung gefunden. Bereits im Ältestenrat haben wir vorsorglich vereinbart, diese Aktuelle Stunde zusammen mit den Tagesordnungspunkten 13 und 27 zu verbinden. – Ich höre dazu keinen Widerspruch, dann wird so verfahren.

Dann möchte ich Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste, sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte das im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, so bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigungen von Senatsmitgliedern: Senator Wolf verspätet sich ein wenig, weil der beim Konjunkturrat beim Bundesministerium für Wirtschaft ist. Frau Senatorin Junge-Reyer wird ab ca. 16.30 Uhr mit anschließender Rückkehr in das Plenum sowie dann wieder ab 21 Uhr abwesend sein, um bei der Internationalen Grünen Woche Veranstaltungen zu besuchen. Der Regierende Bürgermeister wird ab ca. 17.30 Uhr abwesend sein, um die Internationale Grüne Woche 2009 zu eröffnen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Bevor ich den ersten Fragesteller aufrufe, habe ich Ihnen wieder Vorschläge zu unterbreiten: Die Frage Nr. 1 des Abgeordneten Dr. Felgentreu zum Thema „Klageflut in Alg-II-Verfahren“ sollten wir zusammen mit der Frage Nr. 5 des Abgeordneten Rainer-Michael Lehmann aufrufen und gemeinsam beantworten lassen. – Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren. Die Regularien dazu sind Ihnen im Einzelnen bekannt.

Wenn wir bis zur Frage Nr. 9 kommen sollten, dann weise ich zusätzlich darauf hin, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben, auch diese Frage zum Thema „Bildungspolitik“ zusammen mit der Frage Nr. 10 aufzurufen. – Ich höre keinen Widerspruch, dann können wir da genauso verfahren.

Der Kollege Dr. Felgentreu hat das Wort zum Thema

Maßnahmen gegen die Klageflut in Alg-II-Verfahren

Bitte sehr!