Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 47. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, die Zuhörer, die Medienvertreter und unsere Gäste.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen, und bitte Sie, sich zu erheben.
Gestern Abend, am 13. Mai 2009, ist die frühere Abgeordnete Barbara Oesterheld im Alter vom 57 Jahren nach schwerer Krankheit in Berlin verstorben. Mit Barbara Oesterheld verliert Berlin eine engagierte Politikerin, die fast 20 Jahre in der Landes- und Kommunalpolitik hier in Berlin tätig war.
Barbara Oesterheld, 1951 in Kreuzberg geboren und aufgewachsen, begann nach der Schule ein Soziologiestudium und schloss dieses als Diplom-Soziologin in Berlin ab. Es schlossen sich Tätigkeiten als Erzieherin im Kinderladen und in der Jugendarbeit, Sozialarbeiterin in der Behindertenfürsorge, als Taxifahrerin, Programmiererin und zuletzt als Mieterberaterin und Sozialplanerin an.
In ihrer politischen Laufbahn gehörte Barbara Oesterheld zunächst von 1989 bis 1992 als Mitglied der Fraktion der Alternativen Liste der Bezirksverordnetenversammlung von Kreuzberg an und übte dort das Amt der Fraktionsvorsitzenden aus.
Im Oktober 1995 wurde Frau Oesterheld zum ersten Mal direkt in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt. Drei Mal wurde sie in ihrem Kreuzberger Wahlkreis direkt in das Landesparlament gewählt. Dieses große Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in ihrem Kreuzberger Kiez hat Barbara Oesterheld immer als besondere Verpflichtung empfunden. Während ihrer elfjährigen Parlamentszugehörigkeit setzte Barbara Oesterheld besondere Schwerpunkte in der Bau- und Wohnungspolitik. In den zuständigen Fachausschüssen für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen war sie während ihrer Zugehörigkeit zum Parlament eine kompetente und sehr geachtete Sprecherin. Als Sprecherin in den beiden Untersuchungsausschüssen zur Aufklärung der Vorkommnisse in der Bankgesellschaft und zu Parteispenden engagierte sie sich in besonderer Weise.
Für Barbara Oesterheld war es eine Herzensangelegenheit, insbesondere den Interessen der Mieterinnen und Mieter Gehör zu verschaffen und auf Ungerechtigkeiten und Missstände im Bereich der Bau- und Wohnungspolitik hinzuweisen.
Parteipolitisch war Barbara Oesterheld zunächst von 1975 bis 1985 Mitglied der SPD. Seit 1987 war sie Mitglied der Alternativen Liste und damit später von Bündnis 90/Die Grünen. Sie diente ihrer Partei in verschiedenen Funktionen. 2007 wurde sie eine der beiden Landesvorsitzenden
von Bündnis 90/Die Grünen. 2008 musste sie sich dann aus gesundheitlichen Gründen aus der aktiven Politik zurückziehen. Gegen ihre tückische Krankheit – wir haben das miterlebt – hat sie lange gekämpft. Letzten Endes musste sie diesen Kampf verlieren.
Barbara Oesterheld war eine engagierte Politikerin, deren politisches Wirken von dem Willen geprägt war, sich mit hohem Einsatz für die Interessen ihrer Mitmenschen einzusetzen. Bei allen unterschiedlichen politischen Auffassungen erwarb sie sich über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg hohes Ansehen.
Wir nehmen Abschied von unserer ehemaligen Kollegin Barbara Oesterheld und gedenken ihrer mit Hochachtung.
Wir wollen uns heute an den 23. Mai 1949 erinnern. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Anlässlich des 60. Jahrestages erinnert das Abgeordnetenhaus an die Bedeutung des Grundgesetzes für die Freiheit der Berlinerinnen und Berliner und aller Deutschen.
Das Abgeordnetenhaus bezeugt seinen tiefen Respekt vor den Leistungen der Mütter und Väter des Grundgesetzes, die vor 60 Jahren das Gerüst für die freiheitliche Demokratie geschaffen haben, die uns heute selbstverständlich erscheinen mag. Der Rückblick auf die schwierigen Geburtsumstände des Grundgesetzes führt uns vor Augen, dass das Grundgesetz nicht nur eine Verfassung für stabile Zeiten ist.
Die Tagung des Parlamentarischen Rates waren überschattet von der sowjetischen Blockade West-Berlins, und die Folgen des von Deutschland begonnen Krieges waren allgegenwärtig. Die Wirtschaft lag am Boden, Millionen von Flüchtlingen mussten untergebracht werden, und neue Spannungen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion ließen einen neuen Krieg befürchten. Vor dem Hintergrund dieser Krisen ist es umso bemerkenswerter, wie deutlich der Parlamentarische Rat auf die Freiheit gesetzt und autoritären Lösungen eine Absage erteilt hat. Einklagbare Grundrechte bilden die tragenden Balken des Gerüstes, das der Parlamentarische Rat erschaffen hat.
Das Abgeordnetenhaus ist überzeugt, dass die Freiheitsrechte, die das Grundgesetz gewährleistet, eine unschätzbare Errungenschaft sind. Die deutsche Geschichte hat gezeigt, wie unkontrollierte staatliche Macht die Menschenrechte auf grausame Weise missachtet hat. Aus den Erfahrungen des NS-Terrors hat der Parlamentarische Rat Konsequenzen gezogen und die Menschwürde an die oberste Stelle gesetzt. Das Grundgesetz macht unmissverständlich deutlich: Der Staat ist um der Menschen willen da und nicht die Menschen um des Staates willen.
Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses sind sich der Verpflichtungen bewusst, die auch ihnen aus dem Grundgesetz erwachsen. Macht ist in der Freiheitsordnung des Grundgesetzes nie absolut. Sie geht von den Bürgerinnen und Bürgern aus, ist zeitlich begrenzt, geteilt und an das Recht gebunden. Die Grundrechte setzen Grenzen für die Ausübung staatlicher Macht und sind die verfassungsrechtliche Messlatte für jede Gesetzgebung.
Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses wissen, dass Demokratie und ihre Verfahren immer wieder erklärungsbedürftig und auch verbesserungsfähig sind. Die Demokratie unseres Grundgesetzes ist kein starres Gehäuse, sondern ein Raum, der für unterschiedliche Meinungen und Interessen Möglichkeiten bietet. Dass der an Spielregeln gebundene Wettstreit von Ideen Möglichkeiten zur Beteiligung und zur Lösung konkreter Probleme gibt, gilt es immer wieder neu zu zeigen.
Das Abgeordnetenhaus erkennt an und betont, dass das Engagement der Bürgerinnen und Bürger und von gesellschaftlichen Gruppen unverzichtbar ist für eine lebendige Demokratie. Viele Grundrechte, die 1949 im Grundgesetz verankert worden waren, sind erst in den nachfolgenden Jahrzehnten wirksam geworden, weil sie von den Bürgerinnen und Bürgern eingefordert worden sind.
Das Abgeordnetenhaus ist sich bewusst, dass die Bedeutung des Grundgesetzes weit über den parlamentarischen Raum hinausreicht. Es bietet die Grundlage für das Zusammenleben in unserer pluralistischen Gesellschaft. Gerade in einer Stadt wie Berlin sind Teilhabechancen und Gleichberechtigung unverzichtbare Bedingungen des Miteinanders. Gesellschaftliche Vielfalt braucht einen Raum, der weder eingeengt noch beliebig ist. Die Freiheitsordnung des Grundgesetzes bietet beste Voraussetzungen für eine vielfältige Bürgergesellschaft und die Entfaltung der Persönlichkeit.
Das Abgeordnetenhaus erinnert daran, dass das Verlangen nach Freiheitsrechten auch der Impuls war, der vor rund 20 Jahren dazu führte, dass die Berliner Mauer und die SED-Herrschaft überwunden werden konnten. Dass das Grundgesetz heute die Rechte aller Berlinerinnen und Berliner garantiert und dass Berliner Abgeordnete im Bundestag in vollem Umfang mitwirken können, verdanken wir den friedlichen Revolutionären von 1989, der DDR-Bürgerrechtsbewegung, den Montagsdemonstranten und allen anderen Ostdeutschen, die auf ihre Weise zur Öffnung der Grenze und zur Demokratisierung beigetragen haben. Ihr Mut und ihre Tapferkeit bleiben ein Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte.
Das Abgeordnetenhaus bekennt sich in diesem Jahr zum Vermächtnis von 1949 wie zum Vermächtnis von 1989. Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeitsprinzip und Föderalismus sind auch für die Zukunft die tragenden Säulen unseres Gemeinwesens. Die Ordnung unseres Grundgesetzes zu erhalten, sie weiterzugestalten und mit Leben zu füllen,
das betrachten wir, bei allen politischen Differenzen unter uns, als gemeinsame Verpflichtung. Das ist die Verpflichtung der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien und ihrer Fraktionen. – Ich danke Ihnen.
Bevor ich zum Geschäftlichen komme, muss ich die Fotografen mit den ganz starken Objektiven bitten, diese nur waagerecht zu halten und nicht das zu filmen oder zu fotografieren, was auf den Tischen der Abgeordneten liegt. Darf ich mich darauf verlassen? – Wir kontrollieren das!
Wir kommen nun zum Geschäftlichen. Frau Abgeordnete Canan Bayram war bisher Mitglied der Fraktion der SPD und ist nunmehr Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Abgeordnete Bilkay Öney ist mit Wirkung vom 12. Mai 2009 aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ausgetreten.
Weiterhin habe ich Ihnen mitzuteilen, dass laut Schreiben vom 6. Mai 2009 die Fraktion Die Linke einen neuen Vorstand gewählt hat. Fraktionsvorsitzende ist und bleibt weiterhin Frau Abgeordnete Carola Bluhm. – Herzlichen Glückwunsch, auch allen anderen gewählten Vorstandsmitgliedern, und ich wünsche weiterhin eine gute Zusammenarbeit!
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Erfolgreiche Arbeit der rot-roten Koalition für Berlin fortsetzen“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Rot-Rot ist ein Sicherheitsrisiko für Berlin: Exzessive Krawalle mit 479 verletzten Polizisten am 1. Mai 2009, über 1 000 brennende Autos seit 2005, Buttersäureanschläge auf Restaurants, und Wowereit schweigt – Berlin wartet auf eine Erklärung des Regierenden Bürgermeisters!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Auf der A 100 in die Regierungskrise – Wowereit muss sich erklären.“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Berlin erwartet eine Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters: Wie geht es weiter angesichts schwindender Mehrheiten, einer miserablen Halbzeitbilanz und der politischen Perspektivlosigkeit von Rot-Rot?“.
Zur Begründung der Aktualität des Antrages der SPDFraktion und der Linksfraktion spricht der Kollege Gaebler von der SPD. – Bitte schön, Herr Gaebler, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mitte der Legislaturperiode ist sicherlich Anlass für Rückblick und Ausblick bezüglich der Regierungsarbeit. Aus unserer Sicht machen dieser Senat und diese Koalition eine erfolgreiche Arbeit für Berlin, und die wollen und werden wir weiterhin fortsetzen!
Nun haben aktuelle Ereignisse eine Diskussion über die Regierungsmehrheit ausgelöst. Daran haben sich Forderungen nach Regierungserklärungen mit unterschiedlichen inhaltlichen Bezügen angeschlossen. Die aktuellen Vorgänge sind aber eher eine Angelegenheit des Parlaments als des Senats, denn es handelt sich um Abgeordnete, die – aus welchen Gründen auch immer – beschlossen haben, ihre Partei, ihre Fraktion zu verlassen, um sich eventuell anders zu orientieren. Das ist eher ein Anlass, im Rahmen einer Aktuellen Stunde darüber zu diskutieren, was dies für Auswirkungen auf die Regierungspolitik hat, wie es mit der rot-roten Regierungskoalition an dieser Stelle weitergeht und wie sie ihre Arbeit fortsetzen kann. Dies ist kein Anlass, über eine Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters zu diskutieren – es wären ja vielmehr Erklärungen der verschiedenen Fraktionsvorsitzenden angebracht, die unsere Geschäftsordnung aber nicht vorsieht. Insofern hoffen wir, dass Sie sich doch noch unserem Thema für die Aktuelle Stunde anschließen, denn das ist die Basis für jene Diskussion, die die Stadt gerne hören möchte.
Es wird bereits bei den Themen der Aktuellen Stunde deutlich, dass offensichtlich nur die rot-rote Koalition gemeinsam etwas für Berlin erreichen kann. Sie konnten sich ja noch nicht einmal auf ein gemeinsames JamaikaThema einigen. Die einen kommen mit dem 1. Mai, zu dem sie eine Regierungserklärung haben wollen, die anderen machen es noch etwas anders, sie nehmen die A 100, aus der sie eine Regierungskrise ableiten, zu der der Regierende Bürgermeister sich erklären soll, und die Dritten reden über schwindende Regierungsmehrheiten, die ich im Moment nicht so sehe, aber man muss ja die nächsten Tage abwarten.
Auch deshalb fordere ich Sie dazu auf, Ihre Anträge zurückzuziehen, weil sie leider jeder Substanz entbehren.
Inhaltliche Auseinandersetzungen sind immer legitim, erwünscht und in einer Demokratie sogar notwendig. Ich finde aber, dass man im Rahmen der Diskussion über die zukünftige Regierungsarbeit auch darüber reden muss, welche neuen Methoden in die politische Auseinandersetzung eingebracht werden. Wenn durch die Fraktion