Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 52. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie alle, unsere Gäste, die Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich, – Bevor wir unsere Geschäfte beginnen, bitte ich Sie, sich zu erheben:
Auf tragische Weise verstarb am 23. September 2009, also gestern, der frühere Berliner Bau- und Finanzsenator und langjährige Abgeordnete Klaus Riebschläger im Alter von 69 Jahren. Er stürzte gestern morgen mit seinem Flugzeug nahe Schönhagen im Brandenburgischen ab. Mit ihm verliert Berlin einen über die Stadt hinaus bekannten und profilierten Politiker.
Klaus Riebschläger wurde am 17. August 1940 in Wilmersdorf geboren. Nach dem Abitur nahm er an der Freien Universität Berlin das Studium der Rechtswissenschaften auf und legte 1964 das Erste Juristische Staatsexamen ab. Nach der Zeit als Referendar, in der er zeitweise auch als Assistent an der juristischen Fakultät der Freien Universität arbeitete, promovierte er 1968 zum Dr. jur. und legte das Zweite Juristische Staatsexamen ab.
Ab 1968 trat er in den Dienst der Wohnungsbau-Kreditanstalt Berlin, wo er sich in den ersten zwei Jahren als Referent in der Rechtsabteilung bewährte und 1971 in den Vorstand aufstieg.
Im März 1967 wurde Klaus Riebschläger Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, dem er mit Unterbrechungen rund 20 Jahre angehörte: von 1967 bis 1981, von 1985 bis 1986 und noch einmal von 1991 bis 1995.
Der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz holte den jungen Juristen 1972 in den Senat. Klaus Riebschläger übernahm das Ressort für Bau- und Wohnungswesen. Von 1975 bis 1981 bekleidete er das Amt des Finanzsenators.
Wegen seiner Verwicklung in die sogenannte GarskiAffäre musste Klaus Riebschläger im Januar 1981 zurücktreten und nahm seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Wohnungsbau-Kreditanstalt wieder auf. Im Herbst 1990 wechselte er als Rechtsanwalt in eine große Berliner Kanzlei, wo er sich besonders auf Rechtsfragen in Zusammenhang mit den neuen Bundesländern spezialisierte, also Restitutionsrecht und Baurecht.
Klaus Riebschläger trat 1961 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei und engagierte sich von Anfang an in verschiedenen Funktionen.
Über zehn Jahre, nämlich ab 1971, diente er seiner Partei als stellvertretender Landesvorsitzender, als Vorsitzender der Organisations- und Finanzkommission und ab 1972
als Vorsitzender der Kommission für Grundsatzfragen. Von 1977 bis 1986 bekleidete er das Amt des Kreisvorsitzenden der SPD in Steglitz. Klaus Riebschläger gehörte von 1973 bis 1982 dem Parteirat der SPD an.
In der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin wurde er bereits in der 5. Wahlperiode in den Fraktionsvorstand gewählt und war zunächst stellvertretender Leiter des Arbeitskreises Innenpolitik. Im Jahr 1981 übernahm Klaus Riebschläger für kurze Zeit den Vorsitz der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Nachdem es dem damaligen Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe im Januar 1981 nicht gelungen war, den Senat umzubilden, trat Klaus Riebschläger zurück. Daraufhin legte Klaus Riebschläger den Fraktionsvorsitz nieder und trat auch als stellvertretender SPD-Landesvorsitzender zurück.
Zu Anfang des neuen Jahrtausends kehrte Klaus Riebschläger noch einmal für einige Monate als Schatzmeister in den Landesvorstand seiner Partei zurück, legte diese Position aber nach wenigen Monaten nieder.
Klaus Riebschläger hat über 40 Jahre der Gewerkschaft ÖTV angehört. Er engagierte sich bei der Arbeiterwohlfahrt, beim Arbeiter-Samariter-Bund, war Mitglied in der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg sowie des Sportclubs Charlottenburg.
In den letzten Jahren stand er dem Verein Werkstatt Deutschland als Vorsitzender vor. – Uns allen ist der Hauptstadtpreis „Quadriga“ bekannt, der am Tag der Deutschen Einheit verliehen wird, und die „Tafel der Demokratie“ auf dem Pariser Platz kennen wir auch alle.
Klaus Riebschläger war politisch nie unumstritten. Er war ein brillanter Kopf und engagierte sich stets mit scharfem Intellekt und ganzer Kraft für seine politischen Auffassungen und seine Klienten. Seinen politischen oder juristischen Gegnern schenkte er nichts, aber ihm wurde in seinem Leben politisch auch nichts geschenkt oder gar nachgelassen.
Wir nehmen Abschied von Klaus Riebschläger, der sich stets mit ganzer Kraft für Berlin eingebracht hat. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau und seinen Kindern.
Mit Schreiben vom 20. September 2009 hat mir der Kollege Rainer Ueckert mitgeteilt, dass er schriftlich seinen Austritt aus der Fraktion der CDU erklärt hat. Herr Ueckert möchte sein Mandat nunmehr ohne Fraktionszugehörigkeit ausüben. Wir haben uns darauf verständigt, dass Herr Ueckert hinter der Fraktion der SPD Platz nimmt.
Dann möchte ich den neuen Staatssekretär, Herrn Dr. Christian Sundermann, der in der Senatsverwaltung
für Finanzen arbeitet, in unserer Mitte herzlich begrüßen. – Gute Zusammenarbeit und gute Ergebnisse!
Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind die folgenden vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen.
1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Berliner Vergabegesetz: ein Beitrag für soziale Gerechtigkeit durch Mindestlohn und weitere ökologische und soziale Standards“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Rot-Rot bekommt Kriminalität und Kiezterrorismus nicht in den Griff – stattdessen misstraut man der Polizei und spart sie kaputt!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Berliner Potenziale nutzen – Klimaschutz stärken und neue Arbeit schaffen!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Rot-Rot mit grünem Trittbrett – kein Modell für Deutschland“.
Ich rufe nun zur Begründung der Aktualität auf. Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Stroedter das Wort. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition beantragt heute als Aktuelle Stunde das Thema „Berliner Vergabegesetz: ein Beitrag für soziale Gerechtigkeit durch Mindestlohn und weitere ökologische und soziale Standards“. Bekanntermaßen kämpft die SPD seit Langem für die Einführung des Mindestlohns. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Senat am Dienstag den zweiten Anlauf unternommen hat, den Mindestlohn als verbindliches Kriterium für die Vergaben der öffentlichen Hand gesetzlich zu verankern. Mit diesem Schritt greift Berlin das Interesse einer Mehrheit der Menschen in Deutschland auf. Eine aktuelle Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des DGB stellt fest, dass 85 Prozent der Menschen in Deutschland die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns unterstützen. Auch die übergroße Mehrheit der CDU- und FDP-Wähler steht hinter dieser Forderung. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen für Dumpinglöhne von 3 oder 4 Euro pro Stunde arbeiten und damit gezwungen sind, als Aufstockung zusätzlich Leistungen vom Staat zu erbitten.
Das ist für die betroffenen Menschen erniedrigend. Wer 40 Stunden pro Woche arbeitet, muss von seiner Arbeit leben können. Deshalb ist es richtig, dass der Senat hierfür eine EU-rechtskonforme Regelung in den Gesetzesentwurf aufgenommen hat und die Einführung eines Mindestlohns von 7,50 Euro festschreibt.
Ein gesetzlicher Mindestlohn ist in 21 europäischen Ländern gängige Praxis, ohne dass hierdurch Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Leider konnte in der großen Koa
lition dank des Widerstands der CDU kein gesetzlicher Mindestlohn vereinbart werden, sondern nur in einzelnen Branchen konnten mit Hilfe des Entsendegesetzes vernünftige Lösungen gefunden werden. Es ist schon erstaunlich, dass eine Partei mit einem C im Kürzel Probleme mit einer menschenwürdigen Bezahlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hat.
Genauso erstaunlich ist es, dass eine Partei wie die FDP, die sonst immer nach Privatisierung ruft und die Selbstheilungskräfte des Marktes beschwört, es hier für normal hält, den Staat Zusatzleistungen erbringen zu lassen. Die Menschen in Deutschland sind es leid, weiter mit neoliberalen Worthülsen abgespeist zu werden. Wir brauchen Unternehmer, die ihre Mitarbeiter nicht nur unter Kostenaspekten betrachten, sondern ihrer sozialen Verantwortung, die sich aus dem Grundgesetz ergibt, verpflichtet sind. Hierzu gehört selbstverständlich eine leistungsgerechte und menschenwürdige Bezahlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Die Koalition hat bereits im März 2008 mit dem Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses über ein neues Vergabegesetz ihren politischen Willen unter Beweis gestellt. Leider hat der Europäische Gerichtshof am 3. April 2008 in dem sogenannten Rüffert-Urteil die Gesetze anderer Bundesländer – und damit auch unser Gesetz – teilweise außer Kraft gesetzt. Wir als SPD halten Mindestlöhne für ein unverzichtbares Element für ein funktionierendes gesellschaftliches Miteinander. Wir sind froh, dass wir heute erneut über das Berliner Vergabegesetz sprechen können, und ich möchte Sie ausdrücklich bitten, für das Thema der Koalition zu stimmen. Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns im achten Jahr rot-roter Sicherheitspolitik in Berlin. Was ist das Ergebnis? – Seit acht Jahren wird die Stadt von Parteien regiert, für die die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine Priorität genießt. Seit acht Jahren wird die Berliner Polizei kaputtgespart. Wir haben immer weniger Polizeibeamte. Diese werden dafür auch noch schlechter bezahlt als in jedem anderen Bundesland. Gleichzeitig haben sie wahrscheinlich den im Ländervergleich schwierigsten Job zu leisten, nämlich für die Sicherheit der größten Stadt und einzigen Weltmetropole in Deutschland zu sorgen.
Nebenbei ist Berlin auch noch Sitz der Bundesregierung, und ich möchte in diesem Zusammenhang nur eine Zahl
nennen: 2008 wurden in Berlin hauptstadtbedingt 1 260 Staats- und Arbeitsbesuche gezählt. Das sind im Schnitt 3,5 Besuche am Tag, Sonn- und Feiertage mitgerechnet. Darüber hinaus gibt es Vertretungen zu beschützen, internationale Organisationen und gefährdete Objekte in großer Zahl.
Aufgrund des Symbolgehalts der Stadt, ihrer Bauwerke und ihrer politischen Stellung ist leider anzunehmen, dass Berlin bei der Gefährdung durch den internationalen Terrorismus ebenfalls eine Spitzenstellung einnimmt. In diesem Zusammenhang sei mir ein Wort zum Zustand der Berliner Feuerwehr und des Katastrophenschutzes erlaubt: Wenn der Bevölkerung das ganze Ausmaß der Misere bei den Rettungsdiensten wirklich gegenwärtig wäre, dann könnten Sie von Rot-Rot schlicht und ergreifend einpacken.
Schulreform hin, Kunsthalle her – niemand würde Ihren „epochalen“ politischen Umwälzungsversuchen nur auch ein Jota an Interesse entgegenbringen, sehr verehrte Vertreter von SPD und Linken! Die Basis der Sicherheit und Notfallrettung der Bevölkerung muss sichergestellt sein, und wenn der Staat nur eine Funktion haben dürfte, dann wäre es diese. Dieser Senat versündigt sich so durch seine völlig falschen Prioritäten permanent an den Grundlagen unserer Zivilgesellschaft.
Berlin ist darüber hinaus leider auch das Ziel von Kriminellen aus nah und fern, und es war schon immer das Ziel von Extremisten von rechts und links sowie religiösen Fanatikern. Berlin ist ein Schmelztiegel der Nationen mit unterschiedlichen Vorstellungen von Werten, Recht und Ordnung, und Berlin wird durch Rot-Rot immer mehr zum Armenhaus der Republik.
Wie sieht nun die Antwort des Senats auf diese Herausforderung aus? – Reduktion der Anzahl von Beamten im Vollzugsdienst, Reduktion der Anzahl der Polizeiabschnitte und damit Rückzug aus der Fläche mit längeren Anfahrtswegen, Demotivierung der verbliebenen Beamtinnen und Beamten durch schlechte Bezahlung und fehlende Perspektive! Die Aussagen des Regierenden Bürgermeisters auf der Festveranstaltung „200 Jahre Polizeipräsidium“ sind ein Beleg dafür.
Zu diesen Gesten der totalen Ignoranz und des Realitätsverlustes gesellen sich nun auch noch vermehrt Zeichen des Misstrauens. Ich erinnere an die unglückliche Aktion des Polizeipräsidenten, seinen Zivilbeamten das Tragen von bestimmten Kleidermarken zu untersagen. Ich erinnere an die peinliche sogenannte Quarzhandschuhaffäre, in der die Beteiligten bis heute nicht rehabilitiert wurden. Und nun droht die nächste Demonstration des Misstrauens in Form der allgemeinen Kennzeichnungspflicht für alle Polizeibeamten. Die CDU-Fraktion ist der Auffassung, dass auch Polizeibeamte, insbesondere unter den Arbeitsbedingungen einer Hauptstadtpolizei, ein Recht auf Privatsphäre haben.