Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 58. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste sowie die Medienvertreter ganz herzlich.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen, und zwar sind am Montag vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen.
1. Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD zum Thema: „Rechtsstaat und Schutz der Bevölkerung – der Umgang mit Sexualstraftätern in Berlin“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Die Bertelsmann-Studie legt schonungslos offen: Rot-Rot macht arm!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Die rotroten Jahre sind verlorene Jahre für Berlin – Koalition ist ziellos und planlos bei der Infrastruktur: Wasser, Energie, Mobilität und Gesundheit!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Neuer Sozialatlas belegt das Versagen von Rot-Rot: Statt immer weiterer wirkungsloser Sozialprogramme und geplanter Mietendeckelungen muss der Senat auf Bildung und gesunden Wettbewerb setzen.“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort. – Das ist der Kollege Kleineidam. – Bitte!
Danke sehr, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Der Fall Uwe K. hat letzte Woche die Berlinerinnen und Berliner und auch uns hier im Haus sehr bewegt. Wenn Kinder Opfer sexuellen Missbrauchs werden, dann werden in uns starke Emotionen geweckt, und das ist auch richtig so, weil die Kinder unseren Schutz und unser Mitgefühl verdienen.
Dennoch sind wir in der Pflicht, wir, die hier als gewählte Vertreter der Bürgerinnen und Bürger Berlins in diesem Hause zu beraten haben, trotz der Emotionen ganz nüchtern Sachverhalte zu betrachten und in ruhigen Abwägungen zu überlegen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind.
Diese Ruhe scheint mir in den letzten Tagen etwas abhanden gekommen zu sein. Ich bitte ganz herzlich alle, die sich in den weiteren Wochen mit dem Fall beschäftigen, sich darauf zu besinnen. Wir haben heute morgen ausführlich im Rechtsausschuss noch mal darüber diskutiert, und ich glaube, ich kann Einigkeit feststellen, dass es darum geht, Prozesse zu optimieren, dass Sie aber auch alle wissen, dass es eine absolute Sicherheit, eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann. In den letzten
Tagen sind sehr vorschnell Vorwürfe erhoben worden. Der Vorgang ist als Skandal bezeichnet worden. Erlauben Sie mir deshalb, auf zwei Punkte kurz noch mal einzugehen:
Da gab es zunächst den Vorwurf, der Öffentlichkeit sei verschwiegen worden, dass Uwe K. erneut verhaftet wurde. Alleine das wurde schon als Skandal bezeichnet. Wir wissen jetzt nach zwei Ausschusssitzungen – wir sind noch mal darauf hingewiesen worden –, dass es in allen diesen Fällen, wo es um minderjährige Opfer geht, eine Verabredung der beteiligten Behörden gibt, den Opferschutz ganz nach vorne zu stellen. Wir wollen nicht, dass die Kinder, die missbraucht wurden, noch ein zweites Mal dadurch verletzt werden, dass sie durch die Presse gezogen werden.
Ich gestehe, dass ich schon schockiert war bei einigem, was ich in den letzten Tagen in der Berliner Presse feststellen musste. Wenn beispielsweise das Gesicht der Mutter eines Opfers abgedruckt wird, damit auch jeder im Lebensumfeld erkennen kann, über welches Kind in Berlin diskutiert wird, dann finde ich – der Begriff sei mir erlaubt – es widerlich, dass mit einem Kind, das missbraucht wurde, so umgegangen wird, dass es weiterhin in seinem Alltag stigmatisiert wird.
Bei allem Verständnis für Oppositionsarbeit, vielleicht auch für die Freude, die Regierung angreifen zu können, glaube ich, muss man doch genauer hingucken, worüber man spricht. Das, was hier unterstellt wurde, war von den Fakten her schon falsch, dass angeblich 4,5 Stellen bei einer Behörde für die Überwachung von 230 Personen zuständig seien und dass das viel zu wenig sei. Bereits am Montag im Innenausschuss ist klargestellt worden, beim Landeskriminalamt gibt es eine Stelle mit 4,5 Stellen, die die Überwachungsmaßnahmen koordiniert, die weitere Polizistinnen und Polizisten in Anspruch nehmen oder in Einsatz bringen kann, um die 230 gefährlichen Personen zu überwachen. Und wer dann immer noch behauptet, es sei ein Skandal, das 4,5 Personen 230 überwachen, spielt ein falsches Spiel. Ich glaube, das ist nicht angemessen, wenn es um diese Fragen geht.
Ich vermag heute nicht zu sagen, ob da alles richtig gelaufen ist. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe in den Ausschüssen, das ganz sorgfältig aufzuarbeiten. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich dem Kollegen Lux Dank dafür aussprechen, dass er genau mit der gleichen Intention – das war jedenfalls mein ganz persönlicher Eindruck – herangegangen ist, nachzufragen: Was ist tatsächlich passiert? Was hätte man noch tun können? – und eine Bewertung der Vorgänge hintenanzustellen. Das ist der angemessene Umgang. Da die weitere Diskussion in den Ausschüssen gewährleistet ist, so unsere Verabredung,
war meine Fraktion der Meinung, dass wir dieses Thema heute nicht diskutieren müssen. Die weitere Aufarbeitung ist gesichert. Meine Fraktion wird deshalb dem Themenvorschlag der CDU-Fraktion ihre Zustimmung geben. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege! – Bevor ich dem nächsten Redner, Herrn Henkel, das Wort gebe, habe ich die Freude, die Klasse 1 M des Oberstufenzentrums Ernst-LitfaßSchule unter Leitung des Lehrers Herrn Dr. Gaudszun zu begrüßen. – Herzlich willkommen im Abgeordnetenhaus!
Dann hat als nächster Redner der Kollege Henkel, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, das Wort. – Bitte schön, Herr Henkel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vor wenigen Tagen vorgestellte Bertelsmann-Studie „Die Bundesländer im Standortwettbewerb“ hat schonungslos offengelegt, dass das Armutsrisiko nirgendwo so hoch ist wie in Berlin. Die Verantwortung für diese sozialen Missstände kann man nicht abwälzen, sie sind das Ergebnis von acht Jahren rot-roter Regierungspolitik in unserer Stadt.
Wer sich die Bertelsmann-Studie genau durchliest, sieht, dass es eine sehr differenzierte Studie ist, dass auch die immensen Chancen und Potenziale Berlins beschrieben werden. Was nutzt es uns aber, wenn seit Jahren immer und immer wieder auf Potenziale und Chancen hingewiesen wird, wenn Rot-Rot sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit verspielt? – Die Folgen dieser Tatenlosigkeit haben wir schwarz auf weiß: Die Studie attestiert Berlin das niedrigste Aktivitätsniveau aller Bundesländer bei der sozialen Sicherheit. Berlin hat den höchsten Anteil an Transferleistungsempfängern – immerhin doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt, wir reden über mehr als 650 000 Menschen! Hinzu kommen die höchste Kinderarmut, die höchste Arbeitslosenquote und Tendenzen der Segregation.
Die aktuelle Sozialraumanalyse des Stadtsoziologen Häußermann zeichnet ein ähnliches Bild: Jeder vierte Berliner lebt in einem Gebiet mit gravierenden sozialen Problemen, und das ist Ihre Bilanz, und nach acht Jahren Regierungsverantwortung können Sie sich hinter nichts mehr verstecken, meine Damen und Herren von Rot-Rot!
Deshalb ist es richtig, wenn wir sagen: Rot-Rot macht arm, und dieser Trend setzt sich fort. Jeder Bezirk hat mittlerweile seine sozialen Brennpunkte – sei es die Thermometersiedlung in Lichterfelde, der Soldiner Kiez im Wedding oder die Helle Mitte in Hellersdorf. Abstiegs
ängste reichen bis weit in die Mittelschicht, und ich erinnere daran, dass vor Kurzem Herr Trittin von Gettos gesprochen hat und GdP-Chef Schönberg schon 2008 vor verlorenen Stadtteilen warnte. Diese Formulierungen möchte ich mir ausdrücklich nicht zu eigen machen,
aber so zu tun, als gebe es kaum Problemkieze, kaum Fehlentwicklungen, das bringt uns der Problemlösung nicht einen Millimeter näher.
Sie haben kein Konzept, um gegen die um sich greifende soziale Misere vorzugehen. Sie wollen dafür sorgen, dass Altbauten in Kreuzberg bezahlbar bleiben, Sie wehren sich gegen jegliche Aufwertung, aber Sie haben ganze Gebiete – wie etwa in Spandau und in Hellersdorf – völlig aus dem Blick verloren, gerade die Großsiedlungen mit einer hohen Problemdichte. Sie können den Betroffenen dort überhaupt keine Perspektive aufzeigen, aber genau das ist Ihre Aufgabe, Armut nicht zu konservieren, sondern den vielen abgehängten Menschen in unserer Stadt endlich wieder einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen!
Die Entwicklung in vielen Quartieren, Abhängigkeit vom Staat, Armut – diese Entwicklung ist nicht gottgegeben. Hören Sie einfach mal genau hin, was Ihnen der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung ins Stammbuch schreibt:
Die Risikofaktoren, die zu Armut führen, können durch eine gezielte Familien-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik positiv beeinflusst werden.
Deshalb fordere ich Sie auf: Setzen Sie diese Hebel endlich in Bewegung! Haben Sie den Mut zu modernen industriellen Beschäftigungen, sorgen Sie endlich für wirklich gute Bildungs- und Beschäftigungschancen,
Die Probleme in unserer Stadt werden Sie jedenfalls nicht mit einem unsozialen öffentlichen Beschäftigungssektor für einige Wenige lösen.
Es ist blanke Heuchelei, was Sie gerade im Mietenbereich treiben. Schauen wir uns doch nur an, dass die landeseigene HOWOGE die Mieten in Buch um bis zu 100 Prozent erhöhen möchte und ein SPD-Mann offenbar fleißig mitmischt, wie wir heute lesen konnten. Schauen wir uns nur an, wo Rot-Rot in den vergangenen Jahren überall die Kosten hochgetrieben hat: bei Müll, bei Wasser, bei der Grundsteuer und bei den Mieten im sozialen Wohnungsbau. Das ist es, was den Menschen auf das Portemonnaie
Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass Sie mit dieser Politik die Probleme in unserer Stadt nicht lösen werden. Herr Wowereit! Wie oft haben Sie in den vergangenen Jahren schlagwortartig neue Schwerpunkte ausgerufen: Demografie, Klimaschutz, Energiepolitik, Sozialpolitik, und jetzt soll es die Integration sein. Die Probleme in unserer Stadt richten sich aber nicht nach Ihren Launen, und sie lösen sich vor allem nicht in Luft auf, wenn Sie das Interesse daran wieder verloren haben. Sagen Sie heute endlich, was Sie jenseits von Schlagworten bis zum Ende der Legislaturperiode,