Protocol of the Session on June 3, 2010

Login to download PDF

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 66. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie alle, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.

Am Montag sind folgende vier Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Flughafenprojekt BBI – aktueller Stand des Zeit- und Kostenplans“,

Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Massive Bauverzögerungen beim Flughafen BBI: Wowereits Beteuerungen zur Einhaltung des Termin- und Kostenplans sind wertlos – der Aufsichtsratschef muss endlich für öffentliche Aufklärung sorgen!“,

Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Verzögerung und Verteuerung – Wowereit hat die Kontrolle über BBI verloren!“,

Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Gibt es am BBI schon vor Eröffnung eine Bruchlandung? Wann und zu welchem Preis wird der BBI fertig, und inwieweit ist Wowereit seiner Aufgabe als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft verantwortungsvoll nachgegangen?“.

Inzwischen haben sich die Fraktionen auf das zuerst genannte Thema verständigt, das ich somit für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 3 aufrufen möchte. Die übrigen Themen haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass zu allen eingegangenen Vorgänge die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.

An Entschuldigungen von Senatsmitgliedern für die heutige Plenarsitzung liegen vor: Herr Senator Wolf ist ganztätig abwesend, weil er auf Dienstreise in Asien ist. Der Regierende Bürgermeister wird ab ca. 19.45 Uhr abwesend sein, um zur A-Länder-Vorbesprechung zu gehen. Mit heutigem Schreiben wird die Abwesenheit von Herrn Senator Dr. Körting mitgeteilt, der erkrankt ist. – Herr Staatssekretär! Im Namen des Hauses wünsche ich ihm gute Besserung und dass er bald wieder hier sein kann. Bitte richten Sie ihm das aus!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank! –

Dann rufe ich auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde – Mündliche Anfragen

Ich schlage vor, die Fragen Nr. 3 und 4 der Abgeordneten Frau Schillhaneck und Dr. Albers zum Thema Stipendienprogramm aufzurufen und zu behandeln. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Das Wort zur ersten Mündlichen Anfrage hat nunmehr die Abgeordnete Grosse von der SPD-Fraktion zum Thema

Eingliederung in den Arbeitsmarkt für Langzeiterwerbslose – Erfindet die Bundesregierung das Rad neu?

Bitte, Frau Grosse!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie bewertet der Senat die von Bundesarbeitsministerin von der Leyen geplante „Bürgerarbeit“ für Langzeiterwerbslose, und werden entsprechende Modellprojekte auch in Berlin umgesetzt?

2. Inwiefern hat die Bundesregierung die positiven Erfahrungen des Berliner öffentlichen Beschäftigungssektors in ihrem Konzept berücksichtigt?

Danke schön! – Das Wort hat nun die Sozialsenatorin, Frau Bluhm!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Grosse! Wir können das Konzept der Bürgerarbeit natürlich nur vor dem Kenntnisstand, der bisher vorliegt, bewerten. Dazu gibt es hinzuzufügen, dass es sich bei diesem Konzept um die modellhafte Erprobung eines Arbeitsmarktinstruments handelt, wo tatsächlich der Beteiligungsschluss erst am 27. Mai dieses Jahres war, sodass uns die Konzepte, die bis zu diesem Zeitpunkt eingereicht werden sollten und mussten, noch nicht vorliegen. Wir können an dieser Stelle sagen, dass sich Berliner Jobcenter zahlreich beteiligt haben. Wenn ich jetzt die vier Jobcenter nenne, die sich nicht beteiligen, dann ist das kürzer: Lichtenberg, Spandau, Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf haben keine Konzepte eingereicht.

In dem Anforderungsprofil ging es darum, ein Konzept für 500 potenzielle zukünftige Beschäftigte zu entwickeln. Es wird sich um ein Vierphasenmodell handeln, wobei drei Phasen dabei tatsächlich insofern wiederum Erprobungsphasen sind, als mit den Betroffenen und den Jobcentern in diesen jeweils vermutlich halbjährigen Phasen die Möglichkeiten von Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt ermittelt und erprobt werden sollen

bzw. die Ergänzung von Qualifizierung oder Fortbildung in diesen drei sogenannten Vorbereitungsphasen tatsächlich realisiert werden kann. Wir gehen derzeit davon aus, dass Berlin in dieser modellhaften Erprobung wahrscheinlich in ein bis zwei Fällen einen Zuschlag bekommen wird. – Das ist das, was wir über den Modellcharakter dieses Konzepts wissen.

Wir wissen aber auch – darauf richtet sich Ihre zweite Frage –, dass es sich um ein Modell handelt, in dem maximal 900 Euro Arbeitnehmerbrutto gezahlt werden, sodass wir für Berlin sagen können: Das ist ein finanziell deutlich schlechteres Modell, und zwar sowohl für die Beschäftigten als auch für die Kommune, als der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor, weil nämlich diese maximal 900 Euro brutto in Berlin nicht von Transfereinkommen unabhängig sind. Es sind also zusätzliche Aufstockungsleistungen von der Kommune zu tragen, was finanziell ungünstiger ist. Gleichzeitig können wir über die inhaltliche Ausrichtung der Bürgerarbeit noch nichts sagen, weil wir die Konzepte und erst recht die Auswahl der Konzepte, die Entscheidung der Bundesagentur nicht kennen. In jedem Fall ist es ein schlechteres Modell als der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor. Es haben auch noch mal vier Berliner Bezirksbürgermeister und -bürgermeisterinnen in einem Brief an die Bundesarbeitsministerin darauf hingewiesen, dass hier unterschiedliche Finanzierungsmodelle gegenüberstehen und der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor mit der Sicherung von existenzsicherndem Einkommen, der arbeitsvertraglichen Absicherung und damit die Unabhängigkeit von Transfereinkommen schaffend dem Modell der Bürgerarbeit sehr viel positiver gegenübersteht. Wir würden uns freuen, wenn diese Anregungen in Zukunft aufgenommen würden.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke, Frau Senatorin! – Frau Kollegin Grosse hat eine Nachfrage. – Bitte sehr!

Frau Senatorin Bluhm! Sehen Sie darin, dass die Bundesregierung jetzt ein Modellprojekt Bürgerarbeit einführen will, eine Bestätigung darin, dass wir einen Zweiten Arbeitsmarkt brauchen?

Frau Senatorin Bluhm!

Diese Frage kann man klar mit Ja beantworten. Ich finde es aber schwierig, dass man sich in einem Bundeskonzept an einem Modell aus Bad Schmiedeberg orientiert, wo das Einkommen der Beschäftigten bei 825 Euro lag und

der Effekt für die Kommune keine wirklich tragfähige Gesamtkonzeption ergeben hat, weil 825 Euro bedeuten, dass er Aufstocker ist. Es ist eher eine Bestätigung und Verstärkung des Aspektes des Niedriglohnsektors und des Drucks auf Normalarbeitsverhältnisse sowie die Frage der Verdrängung regulärer Beschäftigung durch nicht existenzsichernde Einkommen. Die Rolle, in die der Staat gedrängt wird, dieses nicht existenzsichernde Einkommen durch Aufstockungsbeträge der Kommune zu subventionieren, das geht aus meiner Sicht in die falsche Richtung.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Danke schön, Frau Senatorin!

Es gibt keine Nachfragen, somit folgt die Frage Nr. 2 der Kollegin Kroll von der Fraktion der CDU zum Thema

Senat wieder einmal beim Mindestlohn wortbrüchig?

Bitte schön, Frau Kroll!

Ich frage den Senat:

1. Warum hat der Senat im Widerspruch zu seinen eigenen und wiederholt verkündeten Prinzipien bei der Ausschreibung des Wachdienstes für den Olympiapark erneut Firmen bevorzugt, die den Mindestlohntarif mit ihren Kalkulationen unterlaufen haben – „Die Welt“ vom 21. Mai 2010 –?

2. Ist der Senat mit mir einer Meinung, dass er sich damit nicht zum ersten Mal in diesen Fragen als unglaubwürdig erwiesen hat? Wenn nein, warum nicht?

Danke schön, Frau Kroll! – Herr Staatssekretär Härtel – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Abgeordnete Kroll! Zur ersten Frage.: Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat mit europaweiter Bekanntmachung vom 23. Juli 2009 Pförtner- und Bewachungsleistungen auf dem Gelände des Olympiaparks für die Dauer von drei Jahren ausgeschrieben – für den Zeitraum 2010 bis 2012. Zum Ausschreibungszeitpunkt galt für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Berlin und Brandenburg der Entgelttarifvertrag vom 28. Februar 2008, der generell einen tariflichen Stundenlohn von 5,50 Euro vorsah, für Aufträge von Vergabestellen des Landes Berlin allerdings 7,50 Euro, wenn, so heißt es, die entsprechenden Aufträge auf der Grundlage des Ersten Gesetzes zur Änderung des Berliner Vergabegesetzes, das

am 30. März 2008 in Kraft getreten war, vergeben werden.

Aufgrund einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 3. April 2008, mit dem eine dem Vergabegesetz ähnliche Regelung des Landes Niedersachsen für das Baugewerbe für europarechtswidrig erklärt wurde, teilten die Senatsverwaltungen für Wirtschaft, Technologie und Frauen und die für Stadtentwicklung per Rundschreiben vom 24. April 2008 den Berliner Verwaltungen mit, dass die Regelungen des Vergabegesetzes dem Gemeinschaftsrecht entgegenstünden und deshalb nicht mehr angewendet werden dürfen.

Am 9. Oktober 2009 kam es während des Vergabeverfahrens zum Abschluss eines neuen Entgelttarifvertrages in Berlin und Brandenburg, der ab 1. Januar 2010 einen Tariflohn von 6,25 Euro regelt und zudem wiederum eine Mindestlohnklausel von 7,50 Euro auf der Basis eines Vergabegesetzes des jeweiligen Landes für Berlin und Brandenburg beinhaltet. Dieser Tarifvertrag wurde am 2. Dezember 2009 für allgemeinverbindlich erklärt. Da aber der vom Senat als Reaktion auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes eingebrachte neue Entwurf eines Vergabegesetzes noch nicht in Kraft getreten ist, nach wie vor das eben genannte Rundschreiben griff, hatte die Senatsverwaltung für Inneres und Sport keine Möglichkeit, den Mindestlohn von 7,50 Euro in dem Vergabeverfahren durchzusetzen, sondern war an den tariflichen Stundenlohn gebunden.

In dem von einem unterlegenen Mitbewerber angestrengten Vergabenachprüfungsverfahren hat das Kammergericht als zweite Instanz aber festgestellt, dass für die Bewerber bei dieser sogenannten Gemengelage trotz des Hinweises auf den tariflichen Stundenlohn in den Vergabeunterlagen nicht hinreichend klar gewesen sei, auf welcher Basis sie ihre Angebote hätten kalkulieren sollen, und das Land Berlin verpflichtet, das Vergabeverfahren aufzuheben. Erstinstanzlich hatte das Land vor der Vergabekammer obsiegt.

Zur zweiten Frage: Der Senat hat als Reaktion auf die Entscheidung des EuGH eine geänderte Gesetzesvorlage in das Abgeordnetenhaus eingebracht, in der er unverändert an der Absicht des Landes Berlin festhält, einen auskömmlichen Mindestlohn rechtssicher einzuführen.

Dieses Gesetz liegt Ihnen vor, insofern ist der Senat glaubwürdig in seinem Handeln, und wir hoffen, dass es mit breiter Zustimmung demnächst das Parlament passiert – dann haben wir eine klare und deutliche rechtliche Grundlage für den Mindestlohn, den der Berliner Senat im Rahmen seiner Vergaben erwartet. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Staatssekretär! Wenn Sie beim nächsten Mal vielleicht das Mikrofon etwas näher an den Mund