Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 67. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie alle, unsere Gäste sowie die Zuhörer und die Medienvertreter sehr herzlich.
Bevor wir unsere Arbeit beginnen, habe ich eine traurige Pflicht zu erfüllen und bitte Sie, sich zu erheben.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin trauert um den ehemaligen Abgeordneten Helmut Hildebrandt. Er starb am 28. Mai 2010 im Alter von 78 Jahren. Dreißig Jahre seines Lebens stellte sich der Reinickendorfer Sozialdemokrat in den Dienst der Politik und seiner Heimatstadt Berlin.
Helmut Hildebrandt wurde am 23. November 1931 als Sohn einer Kürschner-Familie in Berlin geboren. Nach dem Besuch der Grundschule während des Krieges und der Oberschule absolvierte er in der Tradition seiner Familie von 1946 bis 1949 eine Kürschnerlehre. 1952 trat er in den Polizeidienst ein. Neben dem Polizeidienst besuchte er die Abendschule und bestand 1962 sein Abitur. Danach studierte er Sozialwissenschaften und legte 1976 sein Examen als Magister ab.
Seit 1965 arbeitete Helmut Hildebrandt im leitenden Dienst der Berliner Schutzpolizei. Der Polizeihauptkommissar stellte sein Wissen und seine Erfahrungen als Dozent an der Landespolizeischule Joachim Lipschitz und an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege für die Ausbildung des Nachwuchses der Berliner Polizei zur Verfügung.
1965 trat Helmut Hildebrandt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein und bekleidete seitdem in seinem Kreisverband Reinickendorf verschiedene Ämter. Er war stellvertretender Kreisvorsitzender der SPD in Reinickendorf und gehörte von 1971 bis 1981 dem Landesvorstand der Berliner SPD an. Darüber hinaus engagierte er sich ehrenamtlich in der Arbeiterwohlfahrt, im ArbeiterSamariter-Bund und im Reservistenverband der Bundeswehr. Später wurde er in das Kuratorium der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege berufen. Neben seiner Leidenschaft für Politik war er vor allem im Angelsport aktiv. Als Westberliner war er stolz darauf, eine Ausbildung als Reserveoffizier bei der Bundeswehr durchlaufen zu haben und nahm auch an Wehrübungen teil.
1971 wurde Helmut Hildebrandt in die Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf gewählt, der er bis 1974 angehörte. Seit 1979 gehörte er der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin an. Dem gelernten Polizeibeamten Helmut Hildebrandt lag die innere Sicherheit Berlins besonders am Herzen. Er war über lange Jahre Vorsitzender des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und
Ordnung und übte dieses Amt mit hohem Verantwortungsbewusstsein und politischem Geschick aus. Über drei Perioden lang arbeitete er außerdem im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses. In den 16 Jahren seiner Tätigkeit im Abgeordnetenhaus engagierte sich Helmut Hildebrandt außerdem im Ausschuss für Verfassungsschutz und im Ausschuss für Verfassung und Geschäftsordnung.
Wir trauern mit seiner Frau Gertrud und mit seinen Kindern. Das Abgeordnetenhaus von Berlin wird Helmut Hildebrandt ein ehrendes Andenken bewahren.
Wir haben heute eines des herausragendsten Daten der jüngeren deutschen Geschichte zu gedenken. Zum 57. Mal jährt sich der Jahrestag des Volksaufstandes in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und in Ostberlin am 17. Juni 1953.
Über eine Million mutiger Menschen waren am 17. Juni 1953 überall in der damaligen DDR auf die Straße gegangen oder hatten in den Fabriken die Arbeit niedergelegt und sich zu Streiks versammelt. Allein in Berlin schätzt man die Zahl auf 150 000 Menschen, die am Morgen des 17. Juni zu den Demonstrationen unterwegs waren. Ausgelöst wurde der Widerstand der Arbeiter durch eine zehnprozentige Normerhöhung, die die SEDRegierung im Mai anlässlich des 50. Geburtstages von Walter Ulbricht beschlossen hatte.
Die Empörung und der Widerstand der Arbeiter richtete sich zuerst gegen die ungerechten Normerhöhungen. Es war zuerst ein Arbeiteraufstand. Dann aber wurden von den Demonstranten grundsätzliche politische Forderungen gestellt. Noch am 16. Juni 1953 verbreitete der RIAS die vier zentralen Forderungen der Demonstranten: Rücknahme der Normerhöhung, Senkung der Lebenshaltungskosten, freie und geheime Wahlen und keine Maßregelungen für die Streikenden.
Dem friedlichen Protest der Bauarbeiter in Berlin schlossen sich Menschen aus allen Bevölkerungskreisen an. Die Berliner Bauarbeiter skandierten auf der Straße: „Kollegen, reiht Euch ein, wir wollen freie Menschen sein.“ So wurde aus einem Protest eine Massenbewegung. Der 17. Juni 1953 wurde zum Tag des Aufstandes eines unterdrückten Volkes. Der Volksaufstand wurde zum Symbol des Widerstandes gegen SED-Diktatur und Unrechtsherrschaft zum Symbol der Freiheit und damit auch zum Symbol der Einheit. Der 17. Juni wurde in der alten Bundesrepublik zum „Tag der deutschen Einheit“, dem Staatsfeiertag des gespaltenen Landes, jedenfalls im Westteil.
Der Freiheitswillen der Bürgerinnen und Bürger und der Kampf für ihr Mitbestimmungsrecht, der Proteststurm gegen die damalige Partei- und Staatsführung wurden
durch das Eingreifen der sowjetischen Panzer und der Soldaten der Roten Armee mit Waffengewalt niedergeschlagen. Allein in Ostberlin fuhren 600 sowjetische Panzer auf – und Zivilcourage und Steine sind gegen Panzer natürlich machtlos.
Wie wir inzwischen wissen, kam es in über 700 Städten und Gemeinden in der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Neben Magdeburg, Halle und Bitterfeld und natürlich Berlin waren andere Städte wichtige Zentren des Widerstands. Allein in Hennigsdorf, vor den Toren Westberlins, streikten 10 000 Stahl- und Walzwerkarbeiter, die durch Westberlin marschierten, um zu ihrer Demonstration auf der Leipziger Straße vor dem Haus der Ministerien zu gelangen.
Die Freiheit und der Kampf um die Freiheit hatten einen hohen Preis: Ihre Tapferkeit und Entschlossenheit bezahlten viele Demonstranten mit langen Haftstrafen, mit persönlichen und beruflichen Repressalien oder sogar mit dem Tod. In der Folge des 17. Juni fanden in der DDR über 8 500 Prozesse statt. DDR-weit verschwanden rund 13 000 Menschen in Gefängnissen. Die Zahl der Toten ist nicht genau bekannt. Die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung, nach Demokratie und Einheit konnte das SED-Regime dennoch nie auslöschen. Der Volksaufstand war auch ein Fanal für die anderen von den Sowjets und dem Kommunismus unterdrückten Völker Ost-Mitteleuropas.
Den Männern und Frauen, die vor fast 60 Jahren Freiheit, Recht und Demokratie für sich einforderten und auf so tragische Weise scheiterten, schulden wir Respekt und Anerkennung. Der 17. Juni ist ein Ereignis in der deutschen Geschichte, auf das wir stolz sind, denn der 17. Juni 1953 war ein Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Einheit. Damals konnte der Volksaufstand nur mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen werden. 1989 gingen wieder Demonstranten in der DDR auf die Straße für Freiheit und Demokratie. Dieses Mal bekamen die Machthaber in der DDR keine Unterstützung von der Sowjetunion, dafür sind wir Deutschen dem damaligen sowjetischen Präsidenten Gorbatschow dankbar und werden es auch bleiben.
Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 war ein erstes Fanal für einen langen historischen Prozess – von der ungarische Revolution von 1956 über den Prager Frühling von 1968 bis zur Solidarnosc in Polen und schließlich zum 9. November 1989. In der DDR war der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 geleugnet und als „faschistischer Putsch“ heruntergespielt worden. Am 1. Juli 1953 fasste der Deutsche Bundestag den Beschluss, den 17. Juni als Erinnerungszeichen an die Hoffnung nach Wiedervereinigung zum „Tag der Deutschen Einheit“ zu erklären. Der Volksaufstand wurde als Gedenktag in die bundesdeutsche Erinnerungskultur eingebettet, denn Gedenken ist immer auch ein Wegweiser in die Zukunft.
Die Opfer von 1953 waren nicht umsonst. Die deutsche Einheit war der – wenn auch späte – Schlusspunkt. Die Hunderttausende von Frauen und Männern, die damals in Berlin, Leipzig, Dresden oder Rostock mit hohem persönlichen Risiko auf die Straße gingen, konnten die Macht der SED nicht brechen, aber sie haben ein eindrucksvolles Zeugnis abgelegt.
Wir sind ihrer Botschaft verpflichtet, Menschenrechte, Frieden, Freiheit und Demokratie zu bewahren und zu schützen gegen jedermann und gegen jede Anfechtung. Ich danke Ihnen!
Bevor wir mit der Arbeit beginnen habe ich noch eine freudige Nachricht zu verkünden. Wir beglückwünschen den Kollegen Raed Saleh von der SPD-Fraktion dazu, dass er glücklicher Vater der Zwillinge Sami und Ihab geworden ist. – Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für die Kinder und die Mutter!
Wir kommen zum Geschäftlichen. Die Drucksache 16/2965, das ist die Vorlage – zur Beschlussfassung – über Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz, wurde in der 59. Sitzung am 25. Februar 2010 an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Frauen und an den Hauptausschuss sowie in der 63. Sitzung am 22. April 2010 zusätzlich mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz überwiesen. Diese Drucksache wird durch den Neudruck 16/2965 Neu ersetzt.
Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „Charité und Vivantes – Spitzenforschung, zukunftsorientierte Ausbildung und exzellente Krankenversorgung für Berlin sicherstellen“,
Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Bettenabbau in der Charité, vertagte Krankenhausinvestitionen: Die unzureichende Handlungsfähigkeit des Senats und der Senatorenstreit gefährden die Gesundheitsstadt Berlin!“,
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Es ist alles noch viel schlimmer – Gezielter Betrug bei der HOWOGE, oder kennt man sich halt einfach besser unter Genossen?“
Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Gymnasien müssen vor rot-rot-grünem Bildungskahlschlag gerettet werden – Berlin braucht endlich eigenverantwortliche Schulen im liberalen Bürgerschulsystem!“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Koalitionsfraktionen das Wort. Für SPD und Linksfraktion ist die Kollegin Dr. Fugmann-Heesing eingeteilt. – Bitte schön, Frau Dr. Fugmann-Heesing, ergreifen Sie das Wort!
Ja, Herr Präsident, wenn ich denn eingeteilt bin, dann will ich auch gern das Wort ergreifen. – Meine Damen und Herren! Wir wollen heute mit Ihnen über ein Zukunftsthema dieser Stadt reden: Charité und Vivantes – Spitzenforschung, zukunftsorientierte Ausbildung und exzellente Krankenversorgung für Berlin sicherstellen.
Dieses Thema ist von zentraler Bedeutung für den Wirtschafts-, Wissenschafts- und Gesundheitsstandort Berlin. Im gesamten Gesundheitssektor haben wir heute rund 210 000 Beschäftigte, 2030 soll laut Prognosen sogar jeder fünfte Beschäftigte in diesem Bereich tätig sein. Die Krankenhäuser – und speziell Vivantes und Charité – spielen eine wesentliche Rolle. Sie haben 2008 rund 350 000 Patienten in dieser Stadt stationär behandelt, sie tragen entscheidend zur Bruttowertschöpfung bei, und die Charité ist darüber hinaus als international renommierte Ausbildungs- und Forschungsstätte ein wichtiger Teil der Berliner Wissenschaftslandschaft.
Das Thema Charité und Vivantes hat uns schon oft beschäftigt, aber heute ist es besonders aktuell, denn der Senat hat mit seinem Beschluss von Dienstag vergangener Woche wichtige Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Charité und zur Kooperation beider Unternehmen beschlossen. Klar ist jetzt, dass die Charité auch zukünftig über drei bettenführende Standorte verfügt, in welchem Umfang sie investieren kann und dass es zukünftig zwischen Charité und Vivantes mehr Kooperation geben wird. Im Klartext heißt das auch, dass das Universitätsklinikum Benjamin Franklin Universitätsklinikum bleibt und es zumindest vorläufig keine Fusion der beiden Unternehmen geben wird.
In den vergangen Wochen hat es eine Reihe anderer Forderungen gegeben – z. B. vonseiten der IHK, die eine Managementholding für erforderlich hält. Das Thema ist nicht endgültig vom Tisch, denn die beiden Unternehmen haben auch den Auftrag zu prüfen, ob und ggf. wie sie zusammengeführt werden können. Klar ist auch, dass die Investitionswünsche der Charité nicht voll befriedigt werden. Ich höre schon, was die Opposition zu diesem Thema sagen wird, aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, von der CDU und von den Grünen: Wir hätten auch gern mehr getan, aber Sie von der CDU und der FDP sollten dafür sorgen, dass Ihre Chaostruppe auf Bundesebene
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zurufe von Mirco Dragowski (FDP) und Henner Schmidt (FDP)]
die den Staat und die Kommunen ausreichend finanziert, denn dann können wir auch mehr für die Charité tun.
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Christoph Meyer (FDP): Kürzen Sie doch erst einmal Ihre Ausgaben!]
Herr Meyer! Wenn ich Ihren wunderbaren dringlichen Antrag sehe, dann kann ich mich nur wundern. Wer angesichts dessen, was uns auf Bundesebene als angebliches Zukunftskonzept, als Sanierung des Bundeshaushalts präsentiert wird, wer das in dieser Form abfeiern will wie Sie, der sollte sich schämen,
denn das, was die Bundesregierung uns hier liefert, ist im höchsten Maße ungerecht. Wenn selbst die Vertreter der Wirtschaft dieses ablehnen und sagen, wir könnten auch mit Steuererhöhungen leben, dann sollten Sie von der FDP das endlich auch lernen.
Die Grünen wollen wieder einmal über die HOWOGE sprechen, aber wenn es Ihnen wirklich darum ginge, die Vergabepraxis in den landeseigenen Unternehmen zu durchleuchten und – wo nötig – zu verbessern, dann würden Sie weniger laut schreien und vor allem nicht ständig mit Unterstellungen arbeiten.
In der von Ihnen angemeldeten Aktuellen Stunde sprechen Sie von gezieltem Betrug bei der HOWOGE. Die Staatsanwaltschaft erklärt dagegen, Sie prüfe, aber es gäbe bislang keine Hinweise auf Straftaten wie Bestechung oder Untreue. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, wissen ganz genau, dass auch der Prüfbericht zur Vergabepraxis in der HOWOGE keine Aussagen enthält, auf die Sie Ihre Behauptung stützen könnten. Sie waren doch dabei, als der Bericht am 10. Juni im Beteiligungsausschuss behandelt wurde.