Protocol of the Session on December 9, 2010

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Wir werden nach Lage der Dinge aber trotzdem noch einen Avus-Antrag zu dieser Baustelle einbringen müssen, weil ein wesentlicher Aspekt fehlt. Das nehmen wir Ihnen auch gar nicht übel, denn wir wissen: Integrierte Verkehrspolitik und S-Bahnpolitik liegt Ihnen nicht so sehr wie die Straßenplanung. Wir schlagen vor, dass der Beginn der Baumaßnahmen auf 2012 verschoben wird, denn ab 2012 treten die neuen Verkehrsverträge mit den Regionalbahnunternehmen in Kraft. Ab dann wird es mehr Regionalbahnen, Verkehrsleistungen zwischen Potsdam und Berlin geben. Die Überlegung ist dann nicht mehr im die: Wie können Autofahrer am besten mit dem Auto die Avus umfahren? –, sondern unsere Überlegung ist: Welche Alternative gibt es, damit möglichst viele Autofahrer auf das Auto verzichten und die parallel verlaufende Regionalbahn nutzen? Diese ist im Zweifel viel schneller.

Das haben Sie sehr gut gemacht mit dieser Ausschreibung, denn dadurch ist im Regionalverkehr mehr Verkehrsleistung möglich geworden, dadurch haben Berlin und Brandenburg zusammen ab 2012 40 Millionen Euro eingespart. Sie sehen: Ausschreibung funktioniert selbst unter Rot-Rot, auch wenn Sie es gar nicht wahrhaben wollen. Ein bisschen lokale Amnesie haben wir hier in der Regierungskoalition.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir glauben, wenn man es zum richtigen Zeitpunkt anbietet – die Avus-Baustelle und parallel dazu das bessere Angebot im Regionalverkehr –, ist dies vielleicht auch ein überzeugendes Argument für die Autofahrerinnen und Autofahrer, der Bahn treu zu bleiben und in Zukunft auf das Auto zu verzichten. Das wäre auch ein wunderbarer Beitrag für den Lärmschutz in Nikolassee. – Schönen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Hämmerling! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr vorgeschlagen. Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Die lfd. Nr. 4.3 ist die Priorität der Fraktion der SPD, die sich dem Vorschlag der Linksfraktion angeschlossen hatte, der bereits als lfd. Nr. 4.1 behandelt wurde.

Dann komme ich zu

lfd. Nr. 4.4:

Erste Lesung

Zwang zum jahrgangsübergreifenden Lernen abschaffen – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Berlin (Schulgesetz – SchulG)

Antrag der CDU Drs 16/3684

Das ist die Priorität der CDU, Tagesordnungspunkt 12.

Ich eröffne die erste Lesung des Gesetzesantrags. Für die gemeinsame Beratung stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Das Wort hat der Kollege Steuer.

[Sascha Steuer (CDU): Der Senator ist nicht im Raum!]

Kollege Steuer weist soeben darauf hin, dass der Senator nicht im Raum ist. Ich bitte, dafür zu sorgen, dass er kommt. Sonst müsste darüber abgestimmt werden.

[Zurufe]

Es wäre sinnvoll, wenn der Senator bei den jeweiligen Themen anwesend ist, ansonsten ist das ein wenig peinlich.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Martina Michels (Linksfraktion): Dann müssten Sie die Sitzung unterbrechen!]

Herr Steuer! Der Senator nähert sich, und ich bitte Sie zu beginnen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 14 326 – das ist die traurige Anzahl der Schüler, die in den vergangenen vier Jahren ein Jahr länger in der flexiblen Schulanfangsphase geblieben sind. Mittlerweile muss jedes fünfte Kind ein Jahr wiederholen. Sechs Jahre lang hat der Senat versucht, das größte Schülerexperiment in der Geschichte Berlins durchzusetzen. Sechs Jahre lang wurden die Rufe aus den Bezirken immer lauter. Sechs Jahre lang stieg die Zahl der „Verweiler“ genannten Sitzenbleiber in der flexiblen Schulanfangsphase. Nach und nach gaben selbst anfänglich hoch motivierte Lehrerteams auf, denn drei Unterrichtsinhalte für jede Klasse vorzubereiten, auf Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf einzugehen, die Fünfeinhalbjährigen mitzunehmen und an den Brennpunkten auch noch Sprachförderung zu leisten, das war einfach zu viel!

[Beifall bei der CDU]

Die CDU-Fraktion hat deshalb zweimal beantragt, den Zwang zur Jahrgangsmischung endlich abzuschaffen und das schlimme Experiment an den Schülern endlich zu beenden. Doch Rot-Rot wollte das nicht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, hieß es: Augen zu und durch! Es brauchte offensichtlich erst die schlimme Meldung, dass mittlerweile jedes fünfte Kind in der Schulanfangsphase sitzenbleibt, dass der Senator nun die Notbremse zog. Herr Zöllner sagte gegenüber der Presse vor 14 Tagen, dass der Zwang nun aufgehoben werden solle. Konkrete Schritte dazu gab es allerdings nicht. Senator Zöllner kündigte nur an, dass im nächsten Jahr die Verordnung hierzu geändert werden sollte.

Aber die Schulen brauchen endlich Verlässlichkeit und Sicherheit und keine Ankündigungen mehr. Die Jahr

gangsmischung steht im Schulgesetz und nicht in einer Verordnung und deshalb: Geben wir den Schulen und Eltern endlich die Verlässlichkeit und ändern das Schulgesetz!

[Beifall bei der CDU]

Nachdem Sie nun den Fehler von 2003 erkannt haben: Schieben Sie die Lösung nicht auf! Entlassen Sie die Schulen sofort aus dem Zwang, und beenden Sie das Experiment am lebendigen Schüler heute!

[Beifall bei der CDU]

Jeder Tag, jeder einzelne Tag, an dem Sie den Zwang nicht aufheben, ist ein verlorener Tag für die Schüler in der flexiblen Schulanfangsphase. Der Zwang ist eine Katastrophe für jedes einzelne Kind, und er ist verantwortungslos gegenüber dem Landeshaushalt. Denn die über 14 000 Schüler der letzen vier Jahre kosten das Land zusätzlich 90 Millionen Euro für die Schulplätze. Jedes Jahr könnten damit alleine 500 Lehrer zusätzlich an den Grundschulen eingestellt werden. Das wäre ein wahrer Segen für die Grundschulen!

[Beifall bei der CDU]

Herr Senator! Ich habe die große Sorge, dass es bei der reinen Ankündigung bleiben wird, nach dem Motto: Sollen das doch unsere Nachfolger im nächsten Senat machen. – Dieser Verdacht wird durch die ungeheuerlichen Vorschläge zu Ihrem sogenannten Qualitätspaket für schwächere Schulen genährt, mit dem Sie jetzt die Fehler der letzten vier Jahre nachträglich ausgleichen wollen. Darunter findet sich allen Ernstes der Vorschlag, dass Schüler, die sich in der Schule verbessert haben, 3 bis 4 Euro vom Lehrer erhalten sollen. Für neu eingestellte Lehrer und Schulleiter soll es künftig einen Empfang in der Bildungsverwaltung geben.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Na und?]

Als mich der erste Journalist anrief, hielt ich den Vorschlag für einen Aprilscherz und habe erst noch einmal nachgefragt, ob es zutrifft, dass Sie vorgeschlagen haben, Lehrer sollten Schülern, die sich verbessert haben, 3 bis 4 Euro geben. Es trifft zu und geht sogar noch darüber hinaus. Der „Bild“ sagte Senator Zöllner:

Einen Euro vom Opa, das gibt es doch heute kaum noch.

Herr Zöllner! Sie sind aber nicht der Opa von 300 000 Schülern Berlins, sondern Sie sind der Senator. Sie haben dafür zu sorgen, dass die Schüler gute Chancen bekommen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Sparen Sie sich Ihre lächerlichen 3 Euro! Sorgen Sie dafür, dass es genug Lehrer und Erzieher in den Schulen gibt, und beenden Sie das verantwortungslose Experiment des Zwangs zum jahrgangsübergreifenden Lernen heute, solange Sie noch Senator sind! Das sind Sie ganz persönlich den Kindern schuldig. – Danke sehr!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Steuer! – Für die SPDFraktion hat jetzt die Kollegin Dr. Tesch das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie hätten sich Ihre lächerliche Rede sparen können, Herr Steuer.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Andreas Gram (CDU): 3 Euro, wenn Sie Ihre Rede nicht halten! – Beifall und Heiterkeit bei der CDU]

Die Diskussion über das jahrgangsübergreifende Lernen ist keineswegs neu. Bereits die Reformpädagogik hat diese Methodik benutzt, und in zahlreichen Schulversuchen wurde dieses Verfahren erprobt und positiv evaluiert. Ich persönlich erinnere mich daran, dass wir bereits 1998 – ich gehörte diesem Haus noch nicht an – die Einführung von JÜL für das Grundschulprogramm 2000 – damals war Frau Stahmer die zuständige Schulsenatorin – diskutierten. Das war damals eine Forderung, die aus den Grundschulen selbst kam und ursprünglich die Vorklasse und die beiden ersten Schuljahre umfassen sollte. Doch das ist Vergangenheit.

Im reformierten Schulgesetz von 2004 haben wir die Schulanfangsphase für die ersten beiden Klassen festgeschrieben. Eigentlich war eine flächendeckende Einführung geplant, die aber aus unterschiedlichen Gründen immer wieder verschoben wurde. Zunächst gab es drei Gründe für die Ablehnung: erstens zu wenig Personal, zweitens zu wenig Räume und drittens generelle Ablehnung des Konzepts aus Unkenntnis. Diesen Einwände wurde wie folgt begegnet: Erstens, es wurde mehr Personal zur Doppelsteckung bereitgestellt. Zweitens, es gab vor Ort Begehungen mit den Schulträgern, um die räumlichen Gegebenheiten zu inspizieren und Zielvereinbarungen zu schließen. Drittens, es wurden viele Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Umsetzung des Konzepts angeboten. So stiegen die Zahlen der an JÜL beteiligten Schulen kontinuierlich.

Mittlerweile praktizieren fast alle Grundschulen – bis auf 35 – das jahrgangsübergreifende Lernen.

[Mieke Senftleben (FDP): Weil sie müssen!]

Es gibt viele positive Umsetzungsbeispiele, von denen ich mich persönlich durch Hospitation überzeugt habe. Vorgestern berichtete erst der „Tagesspiegel“, der nicht immer reformfreudig ist, über JÜL in der KarlsgartenGrundschule in Neukölln. Das war ein sehr positiver Bericht, den Sie offensichtlich nicht gelesen haben. Diese Schule hat 85 Prozent ndH-Kinder, die von JÜL profitieren. Deutsche Kinder bleiben an der Schule, weil sie sie in einem Jahr durchlaufen können. Hier ist die individuelle Betreuung und Förderung Programm. Natürlich ist es auch der Sinn, dass Kinder, die noch Förderungsbedarf haben, drei Jahre in der Schulanfangsphase verweilen dürfen. Dass es jetzt sehr viele geworden sind, liegt viel

leicht auch ein bisschen an der Ängstlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer. Ich denke aber, das wird sich einspielen. Die Schüler bleiben nicht sitzen. – Das kann ich Ihnen, Herr Steuer, gebetsmühlenartig wiederholen, und Sie bleiben dennoch bei dem begriff „sitzen bleiben“. – Sie verweilen und haben nicht die Stigmatisierung des Sitzenbleibens.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Dr. Tesch?

Von wem?

Vom Kollegen Scholz!