Protocol of the Session on December 9, 2010

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Und das ist übrigens von allen Fraktionen hier im Hause kritisiert worden. Wir haben, glaube ich, als Landesparlament eine der ersten Anhörungen zu diesem Jugendmedienstaatsvertrag gemacht und gemeinsam diese Punkte kritisiert. Insofern finde ich es ein bisschen schade, dass zumindest meine beiden Vorredner diesen Aspekt gar nicht haben zum Tragen kommen lassen. Denn das Kernproblem, das wir haben, ist doch die Art und Weise, wie Staatsverträge im Rundfunkrecht diskutiert werden. Wir sind doch hier als Parlamentarier im Grunde genommen nur diejenigen, die etwas abnicken können, ohne es inhaltlich substantiell zu verändern. Unsere Kritik gilt insbesondere, da brauchen wir das gar nicht parteipolitisch zu nehmen, der Art und Weise, wie in Staats- und Senatskanzleien diese Entwürfe erarbeitet werden und wie es eine klare Verweigerungshaltung gibt, Änderungen aus den Landesparlamenten in diese Staatsverträge einzuarbeiten. Da können wir auf die einzelnen Bundesländer gucken, da können wir das Saarland, Nordrhein-Westfalen oder welches Bundesland auch immer nehmen.

Bleiben wir doch der Einfachheit halber hier in Berlin und diskutieren wir über Berlin. Da sind wir vielleicht auch am kompetentesten, das zu beurteilen. Und da muss man sagen: Es wäre ein Stück weit die Aufgabe des Regierenden Bürgermeisters gewesen, an dieser Stelle die Bedenken des Berliner Landesparlaments aufzunehmen und zu sagen: Liebe Kollegen Ministerpräsidenten! Es gibt hier begründeten Änderungsbedarf aus dem Berliner Landesparlament. Wir möchten das mit aufnehmen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall bei den Grünen]

Und da entschuldigt man sich jetzt damit, dass man sagt: Wir haben doch aber alle eine Reihe von Protokollerklärungen dazu abgegeben; und es gibt auch eine Reihe von Klarstellungen. Der Kollege Zimmermann hat sie eben

auch schon erwähnt. Wenn es so ist, dann hätte man diese Klarstellungen ja auch gleich in den Staatsvertragstext hineinschreiben können. Dann hätte man viel Irritation bei den Betroffenen vermieden, und das Ganze wäre wahrscheinlich erfolgreicher gewesen.

Nein, das Problem liegt in der Tat darin, dass von Rundfunkreferenten Staatsvertragsentwürfe geschrieben werden, die einer wahren parlamentarischen Beratung und Änderung nicht zugänglich sind. Ich glaube, der Jugendmedienschutzstaatsvertrag hat in vielen Parlamenten in Deutschland deutlich gemacht, dass es irgendwo eine Grenze gibt, bis zu der man noch bereit ist, so etwas mitzutragen. Und wir müssen aufpassen, dass wir dieses im Prinzip durchaus gute System dieser Rundfunkstaatsverträge nicht ad absurdum führen durch diese Form der Beratung und Beschlussfassung. Unser Wunsch ist, dass das der letzte Staatsvertrag war, der in dieser Art und Weise beraten und beschlossen worden ist. Insofern kann ich nur sagen: Der Vorschlag der Grünen, noch einmal die Enquetekommission einzuschalten, ist auch aus Mecklenburg-Vorpommern von der CDU eingebracht worden. Leider hat er bei den Ministerpräsidenten auch noch keine Mehrheit gefunden. Wir unterstützen diesen Antrag ausdrücklich und begrüßen diesen Versuch, das hier noch einmal im Parlament zu beschließen. Aus den vorgenannten Gründen können wir dem vorgelegten Staatsvertragsentwurf nicht zustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Vielen Dank, Herr Kollege Goiny! – Für die Linksfraktion hat Frau Dr. Hiller das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! – Vielen Dank, Frau Ströver, dass wir hier die Gelegenheit haben, noch einmal öffentlich über den Rundfunkänderungsstaatsvertrag sprechen und einiges geraderücken zu können. – Ihr Versuch, durch einen Dringlichkeitsantrag und das Verschieben der Entscheidung eine Entlastung zu bringen, ist mir persönlich durchaus sympathisch. Er zeugt aber auch von Ihrem Unvermögen, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Um es deutlich zu sagen: Wir als Linke benötigen den Zuspruch der Enquetekommission des Deutschen Bundestages zum Thema Jugendmedienschutz wirklich nicht. Wir haben recht einmütig in der Fraktion festgestellt, dass der vorliegende Staatsvertrag nicht zeitgemäß ist, dass er an Realitäten vorbeizielt, dass er dabei medienpädagogische Aspekte völlig außen vor lässt und dass man ihn letztlich eigentlich ablehnen müsste.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall bei den Grünen]

Ich freue mich über Ihren Enthusiasmus. Aber ich kann Sie beruhigen. – Jetzt habe ich einige Fragen an Sie.

Wenn Sie sich hier so engagieren, Frau Ströver, akzeptiere ich Ihr persönliches Engagement an dieser Stelle. Ich frage Sie dennoch: Warum haben Sie aus sicherer Opposition heraus in Thüringen eigentlich zugestimmt? Warum gestern in Brandenburg? Warum haben Sie auch im Saarland zugestimmt, wo es mindestens zwei kleine Parteien gab, die dagegen argumentiert haben? Und warum um Gottes willen haben Sie in Hamburg kurz vor Ihrem Abtritt, zwei Tage vorher, noch diesem Jugendmedienstaatsvertrag zugestimmt und sich dann in die Büsche geschlagen?

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ein unvorstellbarer Vorgang, der uns leider auch hier für Berlin weiter zu Kompromissen zwingt. Für mich bleibt die einzige zuverlässige Antwort auf diese Fragen die Feststellung, dass die Grünen, wo immer sie agieren, unzuverlässig agieren.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Und da bin ich bei den Gründen, warum wir als Linke heute diesem Staatsvertrag zustimmen werden: weil wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen; weil wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Wir, Linke und SPD, haben einen Koalitionsvertrag geschlossen – das sollten Sie bemerkt haben –, nicht gegeneinander abzustimmen. Und wir erwarten heute von der SPD-Fraktion Zustimmung zu ausgewiesenermaßen linken Projekten wie zum Jobcentergesetz, mehr als 6 000 Langzeitarbeitslose Berlins sollen damit in Arbeit kommen – das ist ein wichtiges Gesetz für uns heute –, und zum Integrationsgesetz, das Zuwanderern bessere Chancen auf Arbeit im öffentlichen Dienst garantieren soll. Beruhigen Sie sich! Beides sind Gesetze, die einmalig sind für Deutschland. Und ich gebe es zu, sie haben für uns heute Priorität. Frau Ströver, Sie mögen es Kuhhandel nennen, es ist ein Kompromiss. Sie sind uns so wichtig, dass heute für uns anderes in den Hintergrund tritt.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall bei den Grünen]

Ich freue mich über die Freude bei den Grünen, und ich hoffe, dass in der nächsten Woche nach der Abstimmung in Nordrhein-Westfalen die Freude bei uns gemeinsam da sein wird – bei der Linken und den Grünen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Ich sage es deutlich: Wir hätten uns gewünscht, dass die SPD in Berlin gegen den Jugendmedienschutzstaatsvertrag stimmt. Warum sie nach so langer Diskussion in den eigenen Reihen und einem Abstimmungsergebnis von 17:11 – was ich immerhin beeindruckend finde – heute alle Gegner des Gesetzes – und das sind alle anderen Parteien – zwingt, zuzustimmen, bleibt mir auch nach der Rede von Frank Zimmermann ein Rätsel. Es ist für

mich ein Kuschen vor einem rheinland-pfälzischen Diktat, vor einem Gesetz, das im vergangenen Jahrhundert entstanden ist.

[Beifall und Heiterkeit bei den Grünen]

Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Aspekt zu sprechen kommen. Herr Goiny wies bereits darauf hin. Es ist das Einknicken vor Partei-Oligarchen. Wir hatten heute hier in Berlin die Chance, das unrühmliche, überholte Staatsvertragswesen zu durchbrechen. Wir in der kreativen Metropole hätten die Chance nutzen können. Leider haben wir es nicht getan. Ich bedauere das sehr. Ich hätte mir gewünscht, dass auch vom Regierenden Bürgermeister an dieser Stelle mehr Courage ausgeht.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP – Oh! von den Grünen]

Die Landesparlamente werden also zur Abnickgemeinde ihrer Ministerpräsidenten degradiert, und sie werden es bleiben. Das ist ein Zustand, der der Demokratie zusätzlich abträglich ist. Herr Wowereit! Nehmen Sie bitte diese Message mit aus dem Raum, dass dieses Staatsvertragswesen dann möglicherweise bei anderen, sicher unangenehmeren Situationen als dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag nicht mehr funktioniert.

Da auch einige wenige Gegner aus der Szene des Internets da sind, wünsche ich mir an dieser Stelle – –

Frau Dr. Hiller! Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Ja! – Gehen Sie kreativ mit den neuen Gegebenheiten um! Wir haben damit bereits Erfahrungen machen können. Omni-Cleaner ist ein Beispiel. Ich denke, Sie schaffen es, diese Gesetzesvorgabe zu umgehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion, der FDP und den Grünen – Heiterkeit – Zuruf von den Grünen: Zugabe! Michael Schäfer (Grüne): Der Regierende soll mal erklären, warum er das unterschrieben hat!]

Für die FDP-Fraktion hat nun Kollegin von Stieglitz das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nun reden wir heute zu dieser dringlichen Beschlussempfehlung zum 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, doch alle befassen sich seit Langem – und insbesondere unser Ausschuss gestern mit seiner Anhörung – mit dem 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Trotzdem gilt: Ja, es ist

dringlich, sich mit dem 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu beschäftigen. Das zeigte die emotionale Debatte gerade eben sehr deutlich. Aber es ist nicht so dringlich, weil dieser in anderen Landesparlamenten bereits verabschiedet wurde und am 1. Januar in Kraft treten soll. Nein! Die Befassung ist dringlich, weil wir verlässliche Rahmenbedingungen mit klaren Definitionen für einen angemessenen Jugendschutz im Netz brauchen.

[Beifall bei der FDP]

Diese notwendige Sachdiskussion droht zu scheitern, denn wir Abgeordnete erhalten den Entwurf erst dann in einer Fassung zur Kenntnis, wenn er bereits „finalisiert“ erscheint. Wir können in erster und zweiter Lesung und nach Anhörungen dazu Stellung nehmen, aber wirklich Einfluss nehmen können wir kaum. Für die Ministerpräsidenten ist das Vertragswerk immer bereits erledigt. Herr Wowereit! Abgenickt wird es.

Wir konnten im Sommer mit einem einstimmigen Beschluss im Ausschuss – für den ich mich noch einmal bei meinen Sprecherkollegen bedanken möchte, insbesondere bei den Sprechern der Koalition – wenigstens das Verfahren noch einmal anhalten und das Ganze dorthin holen, wo es hingehört: in das Parlament.

[Beifall bei der FDP]

Ja, es wurde nachgebessert, hier und da etwas mehr angepasst. Aber von Passgenauigkeit kann noch überhaupt keine Rede sein. Wir als Liberale haben noch massive Bedenken in Bezug auf diesen Staatsvertrag. Diese Bedenken sind nicht politisch-taktischer, sondern inhaltlicher Natur. Wir wissen sehr wohl, dass auch in Regierungen mit FDP-Beteiligung das Abnicken und Durchwinken des Staatsvertrages in Mode ist. Aber wir sind erstens hier im Haus in der Opposition und zweitens qua Grundsatz eine freiheitliche Partei. Beides gibt uns das Recht, so zu votieren, wie wir es aus rein sachlichen Erwägungen für richtig halten. Richtig ist: Dieses Thema fordert nicht Kalkül, sondern Ernsthaftigkeit.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Deshalb lehnen wir diese Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrages ab, weil diese damit weder die Jugend schützt, noch eine klare Definition des Medienraumes der schönen, neuen Online-Welt bietet. Die Vorkommnisse der letzten Zeit haben uns vorgeführt, was das Internet alles kann. Google-Street-View, Wikileaks und anderes zeigen uns eindrucksvoll, welche Eigendynamik Inhalte entwickeln können, sobald sie mal im Internet stehen, und welcher Missbrauch möglich ist. Hierzu gesellt sich noch die Geschwindigkeit der Datenübertragung. Eingaben, mal eben gemacht, stehen bald überall und erlauben Zugriffe – weltweit. Internet ist ein Medium ohne Sperrstunde, rund um die Uhr für alle verfügbar. Kennzeichnungspflichten und Altersbegrenzungen sollen helfen, Entwicklungsbeeinträchtigungen zu verhindern – also Kinder und Heranwachsende zu schützen. Jedoch sie verwirren in der vorgelegten Fassung. Sie dienen weder Nutzern noch Anbietern.

[Beifall bei der FDP]

Mit der Realität der Medienwelt hat das Ganze leider wenig zu tun. Natürlich sind Rechtsbegriffe unbestimmt. Das heißt aber keineswegs, dass sie nicht auf Realität gerichtet sind und diese nicht begreifen können. Vielmehr ist genau das ihre Funktion. Diese Funktion wird im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es gähnt eine Leerstelle. Wir können diese Leerstelle füllen, indem wir uns für die Stärkung der Medienkompetenz bei den Nutzern der Neuen Medien einsetzen. Aber das ist nur eine notwendige Hilfskonstruktion, solange entsprechende Definitionen und Rahmenbedingungen fehlen. Was brauchen wir stattdessen? – Wir brauchen eine Definition, die einen digitalen Schutzraum schafft und keine Übertragung von klassischen, analogen Begriffen, die im globalen World Wide Web nicht funktionieren können. Das zu versuchen, ist absurd. Doch dieses Gesetz versucht es.

Noch haben wir einen gültigen Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Wir bewegen uns also nicht im rechtsfreien Raum. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Deshalb ist auch keine Gefahr im Verzug. Wir müssen hier nichts durchpeitschen. Aus diesem Grund unterstützen wir den dringlichen Antrag der Grünen.

Frau Kollegin! Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Letzter Satz! – Noch haben Sie, meine Damen und Herren vom Senat, die Möglichkeit, erstens dieses Konstrukt ohne angemessene Definition zurückzunehmen, zweitens die Ergebnisse der Enquete-Kommission im Bundestag abzuwarten und drittens ein stimmiges Gesetz vorzulegen, das den Voraussetzungen der digitalen Welt gerecht wird. Nutzen Sie diese Chance! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir kommen jetzt zu zwei Abstimmungen, und zwar zum einen zu einer sofortigen Abstimmung.

[Michael Schäfer (Grüne): Er traut sich nicht!]

Wie bitte? –

[Michael Schäfer (Grüne): Der Regierende traut sich nicht!]

Die sofortige Abstimmung betrifft den Antrag der Fraktion der Grünen Drucksache 16/3701. Wer dem Antrag seine Zustimmung erteilen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der Grünen, der CDU und der FDP. Wer ist dagegen? – Dagegen sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Es enthält sich niemand. Damit ist der Antrag abgelehnt.