Für die Aussprache steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Nachdem eine Fraktion die Besprechung beantragt hat, verständigte man sich im Ältestenrat auf eine Redefolge nach Fraktionsstärke. Es beginnt die SPD in Person von Frau Dr. Tesch. – Bitte schön, Frau Dr. Tesch, ergreifen Sie das Wort!
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn dieser Besprechung die Gespräche zwischen den Reihen nach draußen zu verlagern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst den Hinweis, dass ich es befremdlich finde, dass wir hier vorab eine Rederunde im Plenum starten, bevor die Initiatoren gehört werden konnten, die sich eigentlich oben auf der Tribüne befinden wollten, wie ich dies heute einer E-Mail entnommen habe, dies nun aber auch nicht tun. Das finde ich umso bedauerlicher.
Denn die Initiatoren dieser ersten Volksinitiative im Berliner Parlament haben es geschafft, 24 420 gültige Unterschriften für ihre Initiative zu sammeln. Das finde ich erst einmal bemerkenswert, und dazu wollte ich den jetzt nicht Anwesenden eigentlich auch gratulieren. Ich finde auch, wir sollten ihre Argumente hören, und zwar im Ausschuss, dass sie da persönlich zu Wort kommen können und dass wir dann als Parlamentarier offen für ihre Argumente sein sollen. Danach werden wir im Ausschuss eine Beschlussempfehlung erarbeiten, die dann anschließend im Plenum beraten werden sollte.
Wir haben heute Morgen um 11 Uhr in der Sprecherrunde darüber diskutiert und den 10. März 2011 als Datum für die Anhörung der Volksinitiative im Ausschuss festgelegt. Meine Fraktion, die Linksfraktion und – soweit ich das verstanden habe – auch die CDU sind dazu bereit, dem Wunsch der Volksinitiative zu folgen und keine weiteren Sachverständigen zu hören. Nur die FDPFraktion besteht darauf, dass wir es hier diskutieren, stiehlt uns unsere Zeit und nimmt damit Argumente vorweg, die wir eigentlich im Ausschuss beraten wollten.
Aber da wir nun schon mal dazu gezwungen werden, darüber zu diskutieren, gestatten Sie mir folgende Anmerkungen.
Erstens: Die Initiative lehnt inhaltliche Vorgaben der Schulaufsicht ab. Die Schulen sollen selbstständig pädagogische Konzepte erarbeiten, diese öffentlich präsentieren und weiterentwickeln. Die Grundlage dafür sollen sogenannte, wie sie es nennen, gesellschaftliche Übereinkünfte oder kulturelle Standards sein. Diese gibt es aber nicht. Vielmehr machen alle Länder Vorgaben in Form von Schulgesetzen, von Rechtsverordnungen oder von Rahmenplänen. Diese sind auch nicht nur rechtlich zwin
gend – wegen des Föderalismus –, sondern auch sinnvoll, um eine Vergleichbarkeit der bildungspolitischen Vorgaben innerhalb der einzelnen Länder zu gewährleisten.
Da wir eben den Schulen die von Ihnen geforderte Freiheit lassen, und zwar sowohl den öffentlichen als auch den Privatschulen, müssen wir auf der anderen Seite aber auch Vergleichsmaßstäbe einfordern, damit die Abschlüsse in den einzelnen Schulen vergleichbar sind. Ohne einheitliche Standards gibt es auch keine Anerkennung von Abschlüssen in anderen Bundesländern, und das wollen die Berliner Eltern bestimmt auch nicht.
Zweitens: Die Initiatoren fordern eine gleichberechtigte Finanzierung von öffentlichen und Privatschulen ab dem ersten Schuljahr ohne Wartezeit. Dann wäre allen freien Trägern Tür und Tor geöffnet. Wollen Sie das wirklich? Ich kann es mir nicht vorstellen, da ich in diesen Gesprächen die Initiatoren als kompetente und verantwortungsvolle Menschen erlebt habe, zum Beispiel Herrn Wilhelmi. Und die Privatschulen sind doch durch das Grundgesetz geschützt, aber sie müssen sich auch der Vergleichbarkeit mit öffentlichen Schulen stellen. Damit haben wir auch die Bedingung für bewährte Träger – Frau Senftleben, das wissen Sie – bereits in der letzten Legislaturperiode gelockert. Aber wir können doch nicht jede beliebige Privatschule ohne Wartezeit sofort finanzieren. Wie stellen Sie sich das vor? Sie fordern, dass alle Privatschulen kein Schulgeld mehr verlangen und dass sie alle gemeinnützig sein sollten. Auch da frage ich: Wie soll das geschehen? Eine identische Finanzierung von öffentlichen und privaten Schulen wäre systemfremd,
auch unter anderem, weil sie unterschiedliche Aufgaben haben. Öffentliche Schulen sind Teil der Daseinsvorsorge. Sie müssen alle Schülerinnen und Schüler aufnehmen und können sich ihre Schülerinnen und Schüler eben nicht selber auswählen. Vor dieser Aufgabe stehen die Privatschulen nicht, die ihre Schüler- und Schülerinnenklientel schon immer selbst bestimmen konnten.
Zum Schluss – meine Redezeit ist langsam abgelaufen – möchte ich noch sagen, dass die Initiatoren fordern, dass sich die Schulen ihre Lehrkräfte selbst aussuchen können. Das können jetzt auch schon die öffentlichen Schulen. Allerdings werden bei gewissen Mangelfächern selbstverständlich immer noch Zuweisungen nötig sein. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bürgerbeteiligung in Berlin lebt. Erneut haben sich über 20 000 Menschen an einem politischen Thema aktiv beteiligt. Diesmal ist es eine Volksinitiative und kein Volksbegehren. Die Initiatoren wollen das Berliner Bildungssystem verbessern und dabei den Schulen mehr Selbstständigkeit geben – ein Anliegen, für das wir ebenfalls seit Jahren streiten. Dabei haben auch wir etliche Bestandteile dieser Volksinitiative hier im Abgeordnetenhaus thematisiert und bereits beantragt. Es ist richtig, dass die Schulen mehr Selbstständigkeit bekommen müssen.
Gerade die Schulen in freier Trägerschaft zeigen uns, wie Selbstorganisation motivieren kann – sogar bei geringerer Bezahlung der Lehrer. Aber das nützt alles nichts, wenn statt der bezirklichen Schulaufsicht oder der Senatsverwaltung in Zukunft jede einzelne Schule den Mangel verwalten soll. Es ist doch ein Unding, dass Senator Zöllner jetzt im Januar einräumt, dass die Schule – übrigens entgegen seiner Zusage, alle seien durchschnittlich mit 100 Prozent ausgestattet – seit November nur mit 99,5 Prozent ausgestattet sind.
Konkret bedeutet dies, dass seit November Hunderte von Lehrern fehlen. Diese schlimmen Zustände an den Schulen mit überbelegten Klassen und Unterrichtsausfall müssen die Schüler ausbaden.
Nun sollen im Februar fehlende Lehrer hinzukommen – die, die im November gefehlt haben –, aber es wird dabei außer Acht gelassen, dass jeden Monat etwa 85 Lehrkräfte die Berliner Schulen verlassen und im Februar deshalb noch mehr Lehrer fehlen, als im November bereits gefehlt haben. Diese fortschreitende und kontinuierliche Drangsalierung auf dem Rücken der Schüler muss ein Ende haben, und zwar mit oder ohne selbstständiger Schule. Jeder Schüler hat das Recht auf guten Unterricht und gute Bildungschancen – egal, auf welche Schule er geht, und egal, wie die einzelne Schule organisiert ist. Bessere Rahmenbedingungen und eine bessere Organisation brauchen wir, und in diesem Sinne begrüßen wir die Volksinitiative und freuen uns auf die Debatte in diesem Parlament.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Herr Steuer bereits gesagt: Erneut ein erfolgreiches Volksbegehren bzw. in diesem Fall eine Volksinitiative! Das ist ein Zeichen lebendiger Demokratie. Deshalb an dieser Stelle mein Dank an die Initiative – auch wenn sie heute nicht hier ist –,
die es geschafft hat, binnen kürzester Zeit dafür zu sorgen, in einem wichtigen Bereich der Berliner Bildungspolitik Bürgerinnen und Bürger für ein Anliegen zu sensibilisiert, das im Grunde zu großen Teilen auch von uns geteilt wird, und es hier im Parlament erneut auf die Tagesordnung zu bringen.
Liebe Frau Dr. Tesch! Dieses Thema, das wir heute diskutieren, ist kein neues Thema. Seit Jahren diskutieren wir das. Seit Jahren ist dieser rot-rote Senat diesem Haus eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie er endlich eine faire Bezuschussung der freien Schulen gewährleisten will. Wir haben in diesem Haus – im Hauptausschuss – bereits in der letzten Legislaturperiode mehr oder minder im Konsens verabredet, dass es endlich ein Konzept geben soll, wie die Umstellung auf ein Vollkostenmodell in dieser Stadt gewährleistet werden kann. Das ist im Übrigen etwas, das dann nicht nur in Berlin passieren würde, sondern das ist in vielen Bundesländern längst gang und gäbe. Es geht um eine fairere Basis zur Finanzierung der freien Schulen. Das Modell, das wir jetzt haben – die Bezuschussung nach vergleichbaren Personalkosten – ist antiquiert und längst reformbedürftig.
Deshalb ist diese Volksinitiative richtig. Wir müssen dieses berechtigte Anliegen hier diskutieren, ohne dass ich jetzt auf die einzelnen Forderungen der Initiative eingehen möchte. Ich möchte der Diskussion im Schulausschuss am 10. März nicht vorgreifen. Frau Dr. Tesch! Nach Ihren Ausführungen habe ich mich allerdings gefragt, welches Problem Sie mit freien Schulen haben. Warum gibt es diese Angst? Wir wollen die staatlichen Schulen stärken – ohne Frage –, aber wir wollen auch die freien Schulen fördern. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Berliner Schullandschaft. Sie machen eine gute Arbeit, und das müssen Sie endlich mal anerkennen.
Ja, es ist so! Dieses ständige Aufmachen von Konkurrenz zwischen staatlicher und freier Schule habe ich nie – –
Doch, das machen Sie, indem Sie die einen immer schlechtreden und die anderen als gefährdet darstellen. Aber die staatliche Schule ist nicht durch die freien Schulen gefährdet.
Im Gegenteil: Sie können sich gegenseitig über ihre Bildungserfolge und Bildungsinnovationen befruchten. Dagegen ist gar nichts zu sagen. Das war auch in der Vergangenheit oft der Fall. Oft waren die freien Schulen diejenigen, die zuallererst besondere, moderne Un
Inzwischen ist es so, dass unsere staatlichen Schulen denselben Weg gehen. Darüber muss man sich freuen, und darüber sollte man sich nicht beschweren. Aus dem Grund ist diese Initiative zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Wir begrüßen diese Initiative. Wir werden uns auf jeden Fall bei der Anhörung die Argumente der Vertreter der Initiative genauestens anhören. Manche der Forderungen decken sich voll mit unseren Vorstellungen. Die werden wir auch in diesem Haus thematisieren. Andere sind diskussionswürdig, und die werden wir in den Anhörung mit den Vertretern der Initiative diskutieren. Aber warum Sie immer noch gegen ein Vollkostenmodell wettern, das in der Bundesrepublik längst gang und gäbe ist und auch eine faire Bezuschussung der freien Schulen darstellt, kann ich nicht nachvollziehen.
Sie dürfen eines nicht vergessen: Indem Sie die freien Schulen ständig so verteufeln und ihnen die finanziellen Zuschüsse kürzen, machen Sie aus diesen freien Schulen genau das, was Sie immer bekämpfen wollen, nämlich Privatschulen, die nur für eine bestimmte Klientel dieser Stadt oder dieses Landes Angebote schaffen. Wir wollen keine elitären Privatschulen. Wir wollen freie Schulen, und damit diese freien Schulen mit ihren teilweise alternativen Konzepten gedeihen können, müssen sie fair behandelt und bezuschusst werden. In dem Sinne werden wir die Diskussion im Ausschuss begleiten. Ich hoffe, dass wir im April oder Mai hier zu einer einvernehmlichen Lösung kommen und damit endlich den Bedürfnissen der Eltern, aber auch der Schülerinnen und Schüler und der Schulen gerecht werden.